Geschichte Boliviens
Geschichte (indianische Kulturen)
Das Gebiet Boliviens hat eine vielfältige Frühgeschichte. Eine der wichtigsten archäologischen Stätten ist Tiwanaku am Ostufer des Titicacasees, wo zwischen 600 und 1000 n. Chr. eine Hochkultur bestand. Einige Jahrhunderte später gehörte dieser Teil Boliviens zum Inkareich, und nach dessen Untergang stand es seit 1538 unter spanischer Herrschaft.
Geschichte (Neuzeit)
1538 wird das Gebiet des heutigen Bolivien von Spanien erobert. Es bildet einen Bestandteil des Vizekönigreichs Perú. Erst 1776 wird das damals noch Alto Perú genannte Land vom Vizekönigreich Perú losgelöst und dem Vizekönigreich des Río de la Plata angegliedert.
1809 gibt es erste Freiheitskämpfe gegen die spanische Kolonialmacht. Am 6. August 1825 trennt sich auch Alto Perú, nach der Beseitigung der spanischen Herrschaft in Perú durch den südamerikanischen Freiheitshelden Simon Bolivar, von der spanischen Herrschaft und erklärt sich (zu Ehren des Befreiers Bolívar) als Republik Bolivien für unabhängig. Simón Bolívar wird erster Präsident. 1826 tritt General Antonio José de Sucre (*1795, †1830), ein Mitstreiter Bolívars und der Befreier Ecuadors, die Nachfolge im Präsidentenamt an.
Während der Präsidentschaft von General Andrés Santa Cruz y Calahumana (*1792, †1865) von 1829-1839 wird die von Bolívar geschaffene Verfassung wieder aufgehoben. Am 15. August 1836 marschiert Andrés Santa Cruz in Lima ein und vereinigt Perú und Bolivien in der Confederación Perú-Boliviana. Es kommt zum Confederación Perú-Boliviana Krieg mit Chile von 1836-1839. Die Vereinigung zerbricht mit dem Sturz von Santa Cruz am 20. Januar 1839. Nach dem Sturz von Santa Cruz wird das Land von häufig wechselnden und zumeist nur kurzlebigen Militärdiktaturen (caudillos bárbaros) beherrscht. Anomie, Misswirtschaft, Klientelwesen und Korruption bestimmen seither die Politik.
Am 1. März 1879 führt ein Grenzkonflikt mit Chile zum Salpeterkrieg. Im Abkommen von Valparaíso zur Beilegung des Salpeterkriegs verliert Bolivien 1884 seine Küstenprovinz Antofagasta an Chile (endgültige vertragliche Regelung am 20. Oktober 1904) und wird dadurch zu einem Binnenstaat ohne Anschluss ans Meer, was zu einem nationalen Trauma Boliviens wird. Chile verpflichtet sich im Gegenzug zum Bau einer Eisenbahnstrecke von Arica nach La Paz, um Bolivien den freien Zugang zum Pazifik zu ermöglichen.
Am 18. November 1903 verliert Bolivien in einem Grenzstreit mit Brasilien das Gebiet von Acre. Bolivien verwickelt sich von 1932 bis 1935 mit seinem Nachbarn Paraguay in einen Krieg um das Gebiet des Chaco. Als Folge des Chacokrieges mit Paraguay verliert Bolivien am 21. Juli 1938 auch den größten Teil des von ihm beanspruchten Chaco Boreal. Durch diesen und die vorangegangenen Grenzkriege mit seinen Nachbarn verliert Bolivien etwa ein Drittel seines Staatsgebietes.
Unter der Präsidentschaft Gualberto Villaroels (*1908, †1946) von 1943 bis 1946 werden die Zinnbarone zu höheren Abgaben an den Fiskus gezwungen. Gleichzeitig werden Anstrengungen zu einer Landreform unternommen.
Am 21. Juli 1946 wird in einer vom oppositionellen Movimiento Nacionalista Revolucionario (MNR) angeführten Revolte Villaroel gestürzt und ermordet. Die Latifundisten, Großindustriellen, Zinnbarone und Vertreter des Kapitals gewinnen die Macht zurück. Am 6. Mai 1951 gewinnt Víctor Paz Estenssoro (*1907, †2001), Kandidat des MNR, die Präsidentenwahlen. Die Regierung annulliert jedoch das Wahlergebnis und eine Militärjunta übernimmt die Macht.
Am 9. April 1952 verhilft eine von Teilen der Armee, den Studenten und Gewerkschaften angeführte Revolte dem an seiner Amtseinsetzung gehinderten Paz Estenssoro doch noch an die Macht. Der antioligarchisch und antiimperalistisch orientierte MNR wird stärkste politische Kraft im Land und leitet umfassende sozialrevolutionäre Maßnahmen ein (Mobilisierung und Integration der Massen der Arbeiter und der Bauern in die Gesellschaft). Am 30. Oktober 1952 führen die Verstaatlichung der Zinnminen bei einem Preisverfall auf dem Weltmarkt zu Kapitalmangel und Absatzschwierigkeiten. Am 2. August 1953 werden in einer umfassenden Landreform die Latifundien und die Leibeigenschaft abgeschafft. Über 4 Millionen Hektar Agrarland werden an Kleinbauern vergeben. Die bis dahin marginalisierten Indígenas erhalten die vollen Bürgerrechte und das aktive und passive Wahlrecht, die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiter wird gefördert, die Streitkräfte werden aufgelöst und die Waffen an Bauern- und Arbeitermilizen verteilt. Die Folgen dieser Revolution sind Kapitalflucht und rapider Währungsverfall. Die USA üben massiven Druck aus und fordern eine Rücknahme der Revolution.
Von 1956 bis 1960 werden unter der Präsidentschaft von Hernán Siles Suazo (*1914, †1996) die Ziele der nationalrevolutionären Politik sukzessive ausgehöhlt.
Paz Estenssoro ist zwischen 1960 und 1964 erneut Präsident, sieht sich auf Druck der Oligarchie aber genötigt, die starke Begünstigung und Machtposition der Gewerkschaften massiv einzuschränken, was zu einem Bruch zwischen MNR und Gewerkschaften und zur Unterdrückung letzterer führt.
Am 3. November 1964 wird Paz Estenssoro nach seiner dritten Wiederwahl an der Amtsübernahme gehindert. General René Barrientos Ortuño (*1919, †1969) übernimmt die Macht.
Ende der 1960er Jahre entstehen insbesondere im extrem verarmten Hochland Guerillagruppen. Die bis in die 1970er Jahre hinein bedeutendste Gruppe war die marxistisch orientierte Nationale Befreiungsarmee ELN. 1966 erhielt die ELN tatkräftige Unterstützung durch Kuba. Eine Gruppe bewaffneter kubanischer Kämpfer um den legendären Revolutionär und Guerrillero Che Guevara kam nach Bolivien, um dort zusammen mit der ELN eine schlagkräftige Guerilla aufzubauen. Es gelang den Kubanern allerdings nicht, die verarmten Bauern auf ihre Seite zu bringen. Der Versuch, die Revolution in Bolivien durchzusetzen, scheiterte nicht zuletzt auch an der fehlenden Unterstützung durch die Kommunistische Partei Boliviens (PCB). Grundsätzlich hatte wohl aber auch Che Guevara die im Vergleich zum kreolisch-karibischen Kuba ganz anders gelagerte Mentalität in den bolivianischen Anden unterschätzt, insbesondere die der seit Jahrhunderten in extremer feudaler Abhängigkeit lebenden starken indigenen Bevölkerung. Mitte des Jahres 1967 wurde das Rückzugsgebiet der Guerillagruppen um die Kubaner immer enger, bis sie schließlich ganz aufgerieben wurden. Che Guevara wurde im Oktober 1967 vom bolivianischen Militär, das massiv vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA unterstzützt wurde, gefangengenommen und am 9. Oktober 1967 in La Higuera ohne Gerichtsverhandlung erschossen. Seine Gebeine wurden auf dem Flugplatz des etwa 30 Kilometer entfernten Vallegrande verscharrt, und waren über Jahre hinweg verschollen. Erst 1997 wurde sie wieder entdeckt und nach Kuba überführt. Guevaras auch persönliche Erfahrungen während der bolivianischen Zeit sind in seinem später veröffentlichten "Bolivianischen Tagebuch" dokumentiert.
Am 26. Februar 1969 putscht General Alfredo Ovando Gandía (*1918, †1982) sich an die Macht. Unter seiner Regierung vollzieht sich eine Annäherung an die Länder des sozialistischen Lagers (u.a. umfangreiche Zinnlieferungen an die Sowjetunion). Nach nur einem Jahr wird Ovando am 6. Oktober 1970 zum Rücktritt gezwungen. Eine rechte Militärjunta übernimmt die Macht, die jedoch nur drei Tage später durch einen linken Gegenputsch unter General Juan José Torres González (*1921, †1976) gestürzt wird. Torres González beruft eine Beratende Volksversammlung (Asamblea Popular) ein, in der die Arbeiterorganisationen die Mehrheit erhalten. Zu dieser Zeit wirkt Fausto Reynaga Begründer der PIB Partido Indio Boliviano. Schreibt über 50 Werke und erzieht zahlreiche Indianer zu politische Führer mit andinem Bewusstsein.
Am 22. August 1971 übernimmt in einem von der rechten Opposition angeführten blutigen Staatsstreich Oberst Hugo Banzer Suárez (*1926, †2002) die Macht. In den Jahren 1971 bis 1982 setzen sich die militärischer Staatsstreiche sowie Putschversuche, seit der Unabhängigkeit nahezu 200, mit sich häufig ablösenden Regierungen fort und kennzeichnen die politische Instabilität des Landes. 1980 putscht der General Garcia Mesa ('Putsch der Kokainbarone') und lässt Panzer in die von Gewerkschaften und Kommunisten gehaltenen Minenstädte Potosí und Llallagua einrücken. Die ihm nachfolgenden Militärs berufen am 5. Oktober 1982 ein Parlament ein, das Hernán Siles Suazo zum Präsidenten wählt. Am 10. Oktober endet die Militärherrschaft. In dieser schweren Epoche der Repression entstehen zahlreiche indianische Organizationen, die heute in den MIP und in den MAS konfluieren.
Víctor Paz Estenssoro wird erneut zum Präsidenten gewählt und bestreitet von 1985 bis 1989 seine dritte Amtszeit.
Gonzalo Sánchez de Lozada (*1930) ist während der Jahre 1993 und 1997 Präsident. Daraufhin folgt eine erneute Präsidentschaft von Hugo Bánzer Suárez von 1997 bis 2001. Am 6. August 2002 wird wieder Gonzalo Sánchez de Lozada Präsident. Nach wochenlangen Unruhen wird dieser am 17.10. 2003 gestürzt. Ihm folgt Vizepräsident Carlos Mesa im Amt nach.
2005 fordern Unternehmer und Handelskammern der reichen Region Santa Cruz die Autonomie. Die Region besitzt reiche Gasvorkommen, die in den 90ern unter de Lozada privatisiert und an internationale Energiekonzerne abgegeben worden waren. Die Proteste, die sich daran entzündet hatten, führten zu de Lozadas Sturz. Carlos Mesa hatte zunächst eine Rückgängigmachung der Privatisierung zugesagt, diese unterblieb aber. Da die ärmeren, z.B. indigenen Bevölkerungsteile (70% leben unter Armutsgrenze) nun eine Verstaatlichung der Gasvorkommen fordern, reagieren Unternehmensverbände mit Autonomiebestrebungen. Diese Unternehmensverbände sind von deutsch-, kroatisch- und italienischstämmende Unternehmer beherrscht, die nach dem Zweiten Weltkrieg in dieser abgelegenen Gebiete Zuflucht bekommen hatten. Zuletzt traten in der Region von der Oberschicht finanzierte Paramilitärs auf, die mehrmals Demonstrationen gegen die Autonomiebestrebungen verhindern.
Am 6. Juni 2005 erklärte Mesa seinen Rücktritt, er wollte aber bis zur Neuwahl eines neuen Präsidenten im Amt bleiben. Das Parlament wählte den Präsidenten des Obersten Gerichts Eduardo Rodríguez zum Übergangspräsidenten. Er setzte den Wahltermin auf den 18. Dezember 2005 fest. Schon im ersten Wahlgang errang Evo Morales die absolute Mehrheit der Stimmen (54 %). Er ist der erste Indígena in diesem Amt. Bei seiner Vereidigung am 22. Januar 2006, der indigene religiöse Zeremonien vorausgegangen waren, rief er dazu auf, „500 Jahre Diskriminierung zu beenden“.
Siehe auch
Literatur
- Ernesto Che Guevara: Bolivianisches Tagebuch. Dokumente einer Revolution. Rowolth, Reinbek 1986
- Herbert Klein: A Concise History of Bolivia. Cambridge University Press 2003
- Liu Kohler: Unterdrückt aber nicht besiegt - Die bolivianische Bauernbewegung von den Anfängen bis 1981. ila-Bonn 1981
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