Abtei Lobbes
Die Abtei Saint-Pierre de Lobbes (lat. Monasterium Laubias vel Laubacum) war eine Benediktinerabtei in Lobbes im belgischen Hennegau. Sie wurde um 660/670 von Landelin von Crespin gegründet und spielte im Mittelalter im religiösen Leben des Bistums Lüttich eine herausragende Rolle. 1794 wurde sie von Revolutionären niedergebrannt.
Geschichte
Der Überlieferung nach ließ sich im Jahr der Adlige und ehemalige Straßenräuber Landelin im heutigen Lobbes nieder und gründete dort eine Eremitage mit einer zweifellos noch hölzernen Kapelle Saint-Pierre, um hier Reliquien des Apostels Petrus zu verehren, die er aus Rom mitgebracht hatte. Aus der Einsiedelei wurde eine monastische Gemeinschaft, die Landelin wieder verließ, um wenige Kilometer weiter erneut in der Einsamkeit an der Stelle niederzulassen, an der später die Abtei Aulne entstand.
Die Gemeinschaft in Lobbes wurde seinem Anhänger Ursmar († 713) anvertraut, der aus der Gruppe ein Kloster formte, dessen Prior und später erster Abt er wurde, und der somit als tatsächlicher Gründer der Abtei Lobbes gilt. Bei seiner Bestellung wirkten die Pippiniden bereits bestimmend mit, die Lobbes als regionalen Gegenpol zum Bischof von Cambrai aufbauen wollten. Im Jahr 697 wurde eine neue Kirche geweiht, die noch Landelin in Auftrag gegeben hatte, dann eine weitere auf einem nahegelegenen Hügel, die spätere Stiftskirche Saint-Ursmer de Lobbes, die als Grabkirche dienen sollte, da in der Klosterkirche aufgrund der Petrus-Reliquien niemand bestattet werden durfte.
Die nächsten Äbte von Lobbes waren Ermin (711–737) und Abel († 764), deren Sarkophage sich in der Krypta der Stiftskirche Saint-Ursmer befinden. 751/754, also in der Zeit des Regierungsantritts Pippins des Jüngeren, wurde Lobbes zum königlichen Kloster und in der Folge unter dem hl. Abt und Klosterbischof Theodulf († 776) dann auch zu einem intellektuellen Zentrum der Region, mit einer Bibliothek, deren Bestand Ende des 8. Jahrhunderts bereits 347 Bände umfasste. Die Mönche widmeten sich der Abfassung von Lebensbeschreibungen von Heiligen, darunter auch eine Vita Ermini, die von Abt Anson (776–800) stammt. Ein Skriptorium entstand und ein Atelier für Miniaturmalerei. Auf Wunsch von Karl dem Großen wurde dann in der Abtei die dazugehörende Ausbildungsstätte gegründet.
Eine erste Krise erlebte die Abtei, nachdem Hugbert, der Schwager von König Lothar II., durch Usurpation Laienabt von Lobbes wurde und es ihm in kurzer Zeit gelang, die Abtei an den Rand des Ruins zu treiben. Mit seinem Abt Franco († 903), der seit 856 Bischof von Lüttich war und 881 das Amt in Lobbes übernahm, ging dann der Status als Königskloster verloren und begann die Zeit der so engen Verknüpfung der Abtei mit dem Bistum (889 Übertragung des Abbatiats an den Bischof durch Arnulf von Kärnten), dass bis zum Bischof Ebrachar († 971) die Bischöfe auch gleichzeitig Äbte von Lobbes waren. Erst mit Aletran, der von Ebrachar nach Lobbes geschickt wurde, erlangte die Abtei einen Teil ihrer Unabhängigkeit zurück. Die Jahre der Personalunion waren Teil der großen Zeit der Abtei Lobbes, die bis zum Ende des 11. Jahrhunderts andauerte. Die Scholaster der Abtei waren damals begehrt: Thierry de Leernes († 1087) zum Beispiel lehrte in Stablo, Verdun, Mousson und Fulda, bevor er Abt in Saint-Hubert wird. Im Skriptorium entstand die Bibel von Lobbes (1084), die sich heute in Tournai befindet, und zu der mit dem Mönch Goderan sogar der Kalligraph bekannt ist.
Spätestens zu Beginn des 10. Jahrhunderts wird eine neue Klosterkirche gebaut. Sie wird 920 von Bischof Stephan von Lüttich (und Abt von Lobbes) geweiht. Abt Folcuin (965–990) fügt einen Kreuzgang an. Er ist auch der Autor der Chronik Gesta abbatum Laubiensum, die als glaubhafte Quelle zur Geschichte der Abtei angesehen wird. 973 gewährte Kaiser Otto II. dem Kloster Lobbes die Immunität. Abt Heriger (990–1007) lässt ein Oratorium bauen, das Benedikt von Nursia geweiht wird. Der Reichtum der Abtei ist jetzt so groß, dass 1036 wiederum eine neue Klosterkirche geweiht wird, größer als alle vorherigen, die aber erst unter Abt Adélard (1053–1077) fertig wird.
1130/31 hielt die Cluniazensische Reform Einzug in Lobbes, das ab dem 13. Jahrhundert dann seine Bedeutung verlor: kurze Amtszeiten klosterfremder Äbte und Verluste von Besitz prägten diese Zeit. Um 1497 wurde durch die Bursfelder Kongregation das monastische Leben erneuert, so dass im Jahr 1550 von Abt Caulier ein Grundstein für eine neue, die vierte Klosterkirche gelegt werden kann. Unter der Leitung von Dominique Capron entsteht das Bauwerk, das 1576 unter Abt Ermin François geweiht wird, jene Kirche, die auf den Abbildungen des 17. und 18. Jahrhunderts zu sehen ist. 1569 wurden Lobbes, die Abtei Saint-Vaast und eine Reihe weiterer Klöster zur Benediktiner-Kongregation der exempten Abteien Flanderns zusammengefasst.
Die Kriege nach dem Ausbruch der Französischen Revolution werden für Lobbes verheerend. Die Klostergebäude werden 1794 niedergebrannt, die 43 Mönche unter dem im Jahr zuvor gewählten Abt Vulgise de Vigneron werden verjagt. Die Abtei wird 1796 offiziell aufgelöst, die Ruinen werden als Nationaleigentum verkauft, die Steine werden 1816–1817 zur Verstärkung der Mauern der Stadt Charleroi gebraucht.
Der beiden Überreste der Abtei von einiger Bedeutung sind der Porte de Thudinie und La Portelette genannte Zugang zur Abtei von der Straße nach Binche, der zweifellos aus der Zeit des Abts Ursmer Rancelot († 1718) stammt, und die Grabkirche Saint-Ursmer, die als Pfarrkirche überlebte, und heute eine der ältesten Kirchen Belgiens ist. Einige kleine Gebäude wurden in den Bahnhof von Lobbes integriert.
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Eingang der Abtei
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Lobbes im 18. Jahrhundert, mit der Klosterkirche Saint-Pierre im Zentrum und der Grabkirche Saint-Ursmar rechts im Hintergrund
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Saint-Ursmar
Äbte
- Ursmar († 713), Rücktritt 711
- Ermin († 737)
- Abel († 764), ab 744 kurze Zeit Bischof von Reims
- Theodulf († 776)
- Anson († 800)
- Ramneric († wohl 823) (Karolinger)
- Fulrad, † 826, 823 Abt (Karolinger)
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- Hugo, † 836
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- Hugbert, († 864) Laienabt 864
- 864/881 mehrere Laienäbte
- Franco († 903), 856 Bischof von Lüttich, 881 Abt von Lobbes
- Stephan († 920), 903 Bischof von Lüttich
- Hilduin († 936), 920-1 Bischof von Lüttich, dann Bischof von Verona und Erzbischof von Mailand
- Richard († 945) aus der Familie der Matfriede, 921 Bischof von Lüttich
- Hugo I. († 947), 945 Bischof von Lüttich
- Florebert II. († 953), 947 Bischof von Lüttich
- Rather († 974), 953–955 Bischof von Lüttich, auch Bischof von Verona
- Balderich I. († 959), 955 Bischof von Lüttich
- Ebrachar († 971), 959 Bischof von Lüttich
- Aletran, 960 von Ebrachar in Lobbes eingesetzt
- Folcuin, Abt 965–990 (Karolinger)
- Heriger († 1007) Abt 990–1007
- …
- Adélard, Abt 1053–1077
Literatur
- Annales Laubicenses, Georg Heinrich Pertz (Hg), MGH Scriptores
- Théophile Lejeune: L’ancienne abbaye de Lobbes, 1859 online
- Joachim Vos: Lobbes, son abbaye et son chapitre, ou histoire complète du monastère de Saint-Pierre à Lobbes et du Chapitre de Saint-Ursmer à Lobbes et à Binche: avec cartes, vues et portraits, 2 Bände, 1865 Band 1 online 1865 Band 2 online
- Théophile Lejeune: Monographie de l'ancienne Abbaye de St. Pierre de Lobbes, Mons, 1883.
- Dom Ursmer Berlière: Monasticon Belge, Band I, 1890, S. 197–228.
- Charles Herbermann: Benedictine Abbey of Lobbes, in: Catholic Encyclopedia (1913) online
- Édouard de Moreau: Histoire de l'Église en Belgique, 1945.
- Simon Brigode: Les anciennes abbatiales et l'église carolingienne Saint-Ursmer de Lobbes, 1949.
- A. G. Hornaday: The Estate and Archive of St. Peter of Lobbes c. 650-c.1050 (Diss. San Diego 1984)
- A. Dierkens: Abbayes et chapitres entre Sambre et Meuse (VIIe-XIe siècles), 1985
- Hubert Seibert: Lobbes, Saint-Pierre de. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA). Band 5. Artemis & Winkler, München/Zürich 1991, ISBN 3-7608-8905-0, Sp. 2061 f.
Koordinaten: 50° 20′ 50″ N, 4° 15′ 40″ O