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Erwin Mehl

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Erwin Mehl (* 28. März 1890 in Klosterneuburg, Österreich-Ungarn; † 28. Dezember 1984 ebenda) war ein österreichischer Sportwissenschaftler.

Leben

Erwin Mehl wurde als Ältestes von acht Kindern am 28.März 1890 in Klosterneuburg bei Wien geboren. Sein Vater Gustav Mehl (1865-1934) war Buchhalter und österreichischer Staatsmeister im Wasserspringen, seine Mutter Barbara, geb. Pflanzer (1867-1942) war Hausfrau. Mehl absolvierte das Gymnasium in der Klostergasse in Wien-Währing, da es zu dieser Zeit in Klosterneuburg noch kein Gymnasium gab. Von 1908 bis 1913 studierte Mehl an der Universität in Wien vergleichende Sprachwissenschaften, klassische Philologie und Altertumskunde, Germanistik und Philosophie. 1910 legte er die Lehramtsprüfung am Fach Turnen ab. 1913 promovierte Mehl zum Dr.Phil mit einer Arbeit über den römischen Phliosophen Lukretz und legte er die Lehramtsprüfungen für die Fächer Latein, Griechisch und Deutsch ab.[1] Im ersten Weltkrieg war Mehl an mehreren Kriegsschauplätzen eingesetzt, unter anderem in Galizien, an der Isonzofront, wo er durch eine Granate schwer verletzt wurde, und in Rumänien. 1923 heiratet Mehl Margarete Regele (1896-1976), welche aus der Wiener Klavierfabrikantenfamilie Streicher stammte. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Mehl starb am 28. Dezember 1984 in seinem Haus in Klosterneuburg-Weidling.

Lehrtätigkeit

Unmittelbar nach dem Abschluss seiner Studien unterrichtet Mehl, unterbrochen von seinem Einsatz im ersten Weltkrieg, am Franz-Josef-Gymnasium in Wien 1 (heute: Gymnasium Stubenbastei). Parallel dazu erhielt er 1919 bereits einen Lehrauftrag für Leichtathletik an der Universität Wien und hielt immer wieder Vortrage über die Bedeutung, die Geschichte und Persönlichkeiten des Sports.[2] [3] 1922 wurde Mehl an der Universität Lektor für die Geschichte und Theorie der Leibesübungen[4] und mit der Leitung der Universitätsturnanstalt betraut. Ab 1926 richtete Mehl am Institut für Turnlehrerausbildung ein „turngeschichtliches Seminar“ ein. In den 1930er Jahren war Mehl einer von vier Lehrbeauftragten am Institut für Turnlehrerausbildung der Universität Wien. 1940 bis 1943 führte er in seiner Funktion als stellvertretender Leiter das Institut, da der damaligen Leiter des Instituts, Direktor Dr. Schindl, einrückungsbedingt abwesend war. 1943 wurde über betreiben des Reichserziehungsministeriums (REM) in Berlin Erich Klinge mit der Institutsleitung beauftragt und Mehl entmachtet, was zu einer schweren Auseinandersetzung zwischen der Universität Wien und dem Reichserziehungsministerum in Berlin führte.

Das berufsbiographische Ziel Mehls eine Professur für Leibeserziehung zu etablieren, zieht sich durch seine gesamte akademische Laufbahn. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten sah Mehl seine große Chance zur Erlangung einer Professur für Leibeserziehung gekommen. Bereits im Oktober 1938 bewirbt Mehl eine Lehrkanzel für Theorie und Geschichte der Leibesübung, in dessen Begründung er die Vorteile der Leibeserziehung für die herrschende Politik und Partei anpreist. Sein Ansuchen wird von der Fakultätsleitung der Universität Wien befürwortet, jedoch vom REM in Berlin aus Kostengründen abgelehnt. Ende 1940/Anfang 1941 habilitiert sich Mehl als erster Österreicher im Bereich Sportwissenschaften. Erst nach persönlicher Intervention in Berlin wurde ihm der volle von ihm angestrebte Umfang der Lehrbefugnis zugestanden. Worin die Schwierigkeiten, welche Mehl bei der Erlangung einer Professur mit dem REM hatte, begründet sind, lässt sich nicht mehr klären. Mehl selbst hatte sich stets systemkonform verhalten und wurde am 1.6.1940 Mitglied der NSDAP.[5] Andererseits war Mehl zeitlebens Wissenschaftler und, obwohl ideologisch dem Zeitgeist der Nationalsozialisten nicht abgetan, nie ein parteipolitisch geleiteter Mensch, sondern ordnete sein Handeln dem Primat der Wissenschaft unter. Ob bei den Konflikten mit Berlin auch eine kritische Rezension eines von Dr. Krümmel aus dem REM verfassten Buches eine Rolle gespielt hat, ist in den Bereich der Spekulation einzuordnen. Mit seiner Habilitation konnte er die Sportgeschichte als neues Fach etablieren und betreute bis zu seinem Ruhestand insgesamt zehn Dissertationen. 1941 erhielt er den ersten Lehrstuhl für ältere Skigeschichte.

Mehl lehrte bis zu seiner Dienstenthebung auf Grund seiner Mitgliedschaft bei der NSDAP im August 1945 an der Universität Wien Sportgeschichte.[6] Wegen seiner hohen Mitgliednummer bei der NSDAP und seiner nicht friktionsfreien Beziehung zu Berlin wird Mehl als minder belastet eingestuft und mit dem Ruhebezug eines Gynasiallehrers in Pension versetzt.

Erst im Jahr 1957 gelang es ihm nach über einem Jahrzehnt im Alter von 67 Jahren die akademische Lehrbefugnis wieder zu erlangen. Kurz vor seinem 75. Geburtstag kam es an der Universität Wien zu einem politischen Eklat, da Mehl auf der Bücherliste für Studenten als Pflichtliteratur auch Bücher von ihm aus den 1930-er Jahren führte, welche politisch dem nationalsozialistischen Gedankengut zuzurechnende Formulierungen enthielten („Grundriss des deutschen Turnens“).

Mit dem Erreichen der Altersgrenze von 75 Jahren erlosch die Lehrbefugnis und Mehl emeritiert. Er selbst sieht in dem fokussierten Bezug auf die Buchzitate aus den 1930-er Jahren eine politische Intrige gegen ihn und vermacht in der Folge seine umfangreiche sporthistorische Bibliothek der deutschen Sporthochschule Köln und nicht der Universität Wien [1].

Wissenschaftliche Einordnung

Mehl war einer der wichtigsten Sportwissenschafter in Österreich im 20. Jahrhundert. Seine Spezialgebiete waren die Geschichte des Sport allgemein und, im Speziellen, die Entwicklung des alpinen Schilaufs. Mit : Mathias Zdarsky (1856–1940) verband ihm eine langjährige persönliche Bekanntschaft und er verfasste unter Anderem die Festschrift zu Zdarskys 80. Geburtstag[7] im Jahr 1936 sowie zahlreiche Artikel über die Entwicklung des alpinen Schilaufs und Mathias Zdarsky.

Sprachwissenschaftliche Forschungen

Von 1949 bis 1954 war Erwin Mehl stellvertretender Obmann sowie von 1954 bis 1984 Obmann und Schriftleiter des 1949 gegründeten Vereins Muttersprache (Zweig Wien), des Nachfolgevereins des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins. Seine Tätigkeit beim Verein Muttersprache umfasst unter anderem die Aufarbeitung des Werkes von Joseph von Hammer-Purgstall und Josef Weinheber. Er stand in wissenschaftlicher Korrespondenz mit Fridtjof Nansen.

Zeit des Nationalsozialismus

Laut dem Verband der Lehrer/innen Österreichs für Bewegung und Sport gilt Erwin Mehl als völkischer Ideologe, der die nationalsozialistische Radikalisierung des Deutschen Turnerbundes mit einleitete.[8] Nach aktuellem Wissensstand war er in der Zeit des Nationalsozialismus – neben seinen Vorgesetzten Karl Schindl und Erich Klinge – im Bereich der Sportwissenschaft eine zentrale Person und hielt ab dem Wintersemester 1943/44 auch eine zweistündige Lehrveranstaltung mit der Bezeichnung „Rasse und Leibeserziehung“. Die Verstrickung Mehls in den Nationalsozialismus, seine Habilitation, seine Tätigkeit als stellvertretender Institutsvorstand am Institut für Sportwissenschaft sowie die Umstände seiner Wiederbestellung ab 1959 sind laut dem Institut für Sportwissenschaft der Universität Wien noch nicht zufriedenstellend aufgearbeitet.[9]

Der Verein Muttersprache verlegte 1978 Mehls Würdigung des national gesinnten „Turnvaters“ Jahn.[10] In demselben Jahr war Mehl auch Unterzeichner des Aufrufs der rechtsextremen Deutschen National-Zeitung für eine Generalamnestie der NS-Verbrechen.[6][11]

Publikationen

  • Erwin Mehl: "Schwimmen, Tauchen und Wasserspringen: ein Leitfaden für den Betrieb in Schule und Verein mit bes. Berücks. der Turnvereine"; 1922.
  • Knud Anton Knudsen, Karl Gaulhofer, Erwin Mehl: "Lehrbuch des dänischen Turnens"; Deutscher Verlag für Jugend und Volk, Wien, Leipzig, New York, 1924.
  • Erwin Mehl: "Antike Schwimmkunst"; Verlag Ernst Heimeran, München 1927.
  • Erwin Mehl: "Die Bedeutung des Schwimmens für die körperliche Erziehung. Lichtbildvortrag/Aussig 1928"; Verlag Deutscher Hauptausschuee für Leibesübungen, 1928.
  • Erwin Mehl: "Grundriss des deutschen Turnens", 2. Auflage; Verlag Warenstelle des Deutschen Turnerbundes GmbH, Wien 1930. (1. Auflage 1923)
  • Erwin Mehl (Hrsg.): "Zdarsky. Festschrift zum 80. Geburtstag des Begründers der alpinen Skifahrweise 25. Februar 1936. Ein Beitrag zur Geschichte und Lehre des Alpenschneelaufens"; Verlag für Jugend und Volk, Wien 1936.
  • Wiessner Kurt, Erwin Mehl, Johannes Müllner: "Natürlicher Schwimmunterricht", 4. Auflage; Verlag für Jugend und Volk, Wien 1950. (1. Auflage Österreichischer Bundesverlag 1929)
  • Erwin Mehl, Joseph von Hammer-Purgstall: "Hammer-Purgstall in Klosterneuburg-Weidling"; 1959.
  • Erwin Mehl, Jahn Rudolf: "Zur Weltgeschichte der Leibesübungen"; Festgabe für Erwin Mehl zum 70. Geburtstag; 1960.
  • Rudolf Jahn (Hrsg.): "Erwin Mehl: Von der Steinzeit zur Gegenwart"; Turngeschichtliche Aufsätze aus vier Jahrzehnten (1920-1960); Limpert Verlag, Frankfurt, Wien, 1961.
  • Erwin Mehl: "Grundriss der Weltgeschichte des Schifahrens - Von der Steinzeit bis zum Beginn der schigeschichtlichen Neuzeit (1860)": Beiträge zur Lehre und Forschung der Leibeserziehung, Band 10; Verlag Karl Hofmann, Schorndorf bei Stuttgart, 1964.
  • Erwin Mehl, Josef Nadler, Hedwig Weinheber: "Josef Weinheber und die Sprache", 1968.
  • Erwin Mehl: "Mathias Zdarsky (1856–1940) in Lilienfeld-Marktl: Lilienfeld als Wiege der alpinen Schifahrtechnik und des Torlaufes, hier erfand Zdarsky sein lebensrettendes Zelt".
  • Erwin Mehl: "Jahn als Spracherzieher. Zum 200. Geburtstag des Turnvaters"; Wissenschaftliche Schriftenreihe Muttersprache, Heft 9; Eigenverlag des Vereins Muttersprache, Wien 1978.

Literatur

  • Gabriel, Leo: Erwin Mehls Tätigkeit in der Wiener Turnlehrerausbildung. In: Rudolf Jahn (Hrsg.): Zur Weltgeschichte der Leibesübungen, Wien 1960, 143 – 146.
  • Kienbacher, Dieter: Die Leibeserziehung im Nationalsozialismus unter besonderer Berücksichtigung der Person Erwin Mehls. Dipl. Arb. Wien 1990.
  • Müller, Rudolf: Die Mobilisierung der Körper. Der Schul- und Hochschulsport im nationalsozialistischen Österreich. Wien 1993.
  • Tekusch, Karl: „Unserem Obmann [Erwin Mehl] zum 70. Geburtstag“. In: Wiener Sprachblätter 10/1. S. 2.
  • Toilf, Alexandra: Biographische Untersuchung zum Leben Erwin Mehls. Dipl. Arb. Wien 1998.

Einzelnachweise

  1. a b Rodolf Müller: Perspektiven der historischen Sport- und Bewegungskulturforschung; Österreichische Kulturforschung, Band 13, LIT Verlag GmbH, Wien 2011; ISBN: 978-3-643-50308-4, Seite 191 ff.
  2. Freie Stimmen vom 7.9.1921; https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=fst&datum=19210907&query=%22erwin+mehl%22&ref=anno-search&seite=6
  3. Wiener Sportblatt vom 17.5.1928; https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wst&datum=19280517&query=%22erwin+mehl%22&ref=anno-search&seite=5
  4. Illustriertes (Österreichisches) Sportblatt vom 12.8.1933; https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=ios&datum=19220812&query=%22erwin+mehl%22&ref=anno-search&seite=11
  5. Josef Vogl: Spionage am Pik Stalin : Österreichische Bergsteiger im sowjetischen Exil. In: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.): Fanatiker, Pflichterfüller, Widerständige. Reichsgaue Niederdonau, Groß-Wien. Wien 2016, S. 309
  6. a b Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus, 2. Auflage, Wien 1996, S. 338
  7. Erwin Mehl (Hg.): Zdarsky. Festschrift zum 80. Geburtstag des Begründers der alpinen Skifahrweise 25. Februar 1936. Ein Beitrag zur Geschichte und Lehre des Alpenschneelaufens; Deutscher Verlag für Jugend und Volk, Wien 1936.
  8. VDLÖ-Aktuell (Verband der Lehrer/innen Österreichs für Bewegung und Sport), Heft 6/97, 4ff. Wien 1997
  9. Zur Geschichte der institutionalisierten Sportgeschichte in Österreich (Memento vom 23. Juni 2007 im Internet Archive), Institut für Sportwissenschaft, Universität Wien
  10. Erwin Mehl: Jahn als Spracherzieher. Zum 200. Geburtstag des Turnvaters (* 11. Oktober 1778 zu Lanz). Klosterneuburg-Weidling: Verein Muttersprache, 1978, 56 S. (Wissenschaftliche Schriftenreihe Muttersprache; Heft 9) (Wiener Sprachblätter; 7)
  11. Der Aufruf findet sich in der Ausgabe der Deutschen National-Zeitung Nr. 45, erschienen am 3. November 1978, wieder.