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Option in Südtirol

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Südtiroler Umsiedler 1940 in Innsbruck

Die Option bezeichnet eine vom faschistischen Italien und nationalsozialistischen Deutschland ausgehandelte Wahlmöglichkeit, die die deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung Italiens, also im Wesentlichen die Bevölkerung des heutigen Südtirol, vor folgende Wahlmöglichkeiten stellte: Option für Deutschland oder Verbleib in Italien.

Die Option begann 1939 und hatte große gesellschaftliche Verwerfungen zur Folge. Die Frage, ob man im Zuge einer Emigration ins Deutsche Reich die Heimat verlassen oder im durch die faschistische Italianisierungkampagne geprägten Südtirol bleiben solle, entwickelte sich zu einem großen Konfliktthema, was auch gewaltsame Übergriffen von „Optanten“ auf „Dableiber“ zur Folge hatte. Entscheidende Wirkung hatte breitenwirksame Propaganda des Völkischen Kampfrings, bestehend aus Appellen ans völkisch-nationale Bewusstsein, sorgsam entwickelten Drohszenarien (etwa dem Gerücht, Italien werde alle „Dableiber“ in den Süden umsiedeln) und Terrorakten gegenüber „Dableibern“. Rund 85 % der Befragten wählten die Option für Deutschland; allerdings wanderten bis zur Eingliederung der Operationszone Alpenvorland in den deutschen Machtbereich im September 1943, was die Optionsfrage vorerst obsolet machte, nur 75.000 Südtiroler tatsächlich ins Deutsche Reich aus. Nach dem Kriegsende garantierte das Gruber-De-Gasperi-Abkommen von 1946 der deutschsprachigen Minderheit eine Gleichstellung ihrer Sprache, weitgehende kulturelle Freiheiten und eine gewisse politische Autonomie. In der Folge kehrten 20.000 der ehemaligen Optanten als „Rücksiedler“ wieder nach Südtirol zurück.

Die Südtiroler Option von 1939/43 wird auch als „Große Option“ bezeichnet, um sie von der ersten Option in den Jahren 1920/21 abzugrenzen.[1]

Vorgeschichte

Südtirol wurde nach Ende des Ersten Weltkriegs im Vertrag von Saint-Germain von Italien annektiert. Damit erreichte Italien die von der Bewegung des Irredentismus angestrebte Vergrößerung des nationalen Territoriums bis zur vermeintlich natürlichen Grenze des italienischen Kulturraums am Brennerpass. Die 1922 in Italien an die Macht gekommenen Faschisten betrieben eine Italianisierung des Gebiets und seiner mehrheitlich deutschsprachigen Bevölkerung: Die deutsche Sprache verschwand aus der Öffentlichkeit, deutsche Familiennamen wurden zwangsweise italianisiert, die angestammten Ortsnamen mussten den Kreationen Ettore Tolomeis weichen. Das Ergebnis dieses Prozesses war nach 20 Jahren aus italienischer Sicht nicht befriedigend. Nach dem Anschluss Österreichs am 12. März 1938 grenzte Südtirol direkt ans Deutsche Reich. Insbesondere nach der Annexion des Sudetenlandes hofften viele Südtiroler, wieder mit dem restlichen Tirol innerhalb des Deutschen Reiches vereinigt werden zu können.

Adolf Hitler und Benito Mussolini, die am 22. Mai 1939 den Stahlpakt abschlossen, hatten andere Interessen. Hitler hatte eine große persönliche Wertschätzung für Mussolini, dessen Faschisten in vielerlei Hinsicht ein ideologisches Vorbild für die Nationalsozialisten gewesen waren. Er meinte außerdem, nicht auf Mussolini als Bündnispartner verzichten zu können und ihm daher Zugeständnisse machen zu müssen. Für Mussolini kam auf der anderen Seite eine Überlassung Südtirols an Hitler nicht in Frage. Für die italienischen Faschisten war die vermeintlich „natürliche“ Brennergrenze sakrosankt und keine Verhandlungsmasse. Um den Streitpunkt Südtirol ein für alle Mal aus dem Weg zu schaffen, vereinbarten die beiden Diktatoren, dass sich die Südtiroler individuell zu entscheiden hätten. Entweder, sie optierten dafür, weiter in Südtirol leben zu wollen. Dann sollten sie sich unter Aufgabe ihrer Kultur vollständig in die italienische Kultur assimilieren müssen (Aufgabe von Sprache, Brauchtum etc.). Oder aber, sie wollten weiter ihre deutsch geprägte Kultur und Sprache behalten. Dann hätten sie ins Deutsche Reich auszuwandern. Die Abwanderungswilligen sollten dabei für ihren Besitz entschädigt werden.[2]

Am 23. Juni 1939 trafen sich deutsche und italienische Verhandlungspartner in Berlin, um die Einzelheiten der „Berliner Vereinbarung“ zu besprechen.[3] Teilnehmer dieser Konferenz waren auf deutscher Seite unter anderen Heinrich Himmler, Ernst von Weizsäcker, Reinhard Heydrich, Karl Wolff, Ulrich Greifelt und Otto Bene. Auf italienischer Seite unter anderen der italienische Botschafter Bernardo Attolico, der Präfekt von Bozen Mastromattei und Blasco Lanza D’Ajeta.

Das Hitler-Mussolini-Abkommen

Am 21. Oktober 1939 schlossen Hitler und Mussolini ein Abkommen zur Umsiedlung der deutschen Bevölkerung in Südtirol sowie der Zimbern in den Provinzen Trient (Lusern, Fersental), Vicenza (Sieben Gemeinden), Belluno (Sappada), Verona (Dreizehn Gemeinden) und Udine (Sauris, Timau, Kanaltal – wo auch die Slowenen zur Option zugelassen wurden).[4] Am 17. November 1939 kam es zu einer weiteren Zusatzvereinbarung.[5] Auf ausdrückliches Verlangen der Italiener wurden auch die Ladiner in das Vertragsgebiet aufgenommen (Gröden, Gadertal, Cortina d’Ampezzo, Buchenstein und Colle Santa Lucia, nicht aber das Fassatal). Den etwa 250.000 „volksdeutschen“ Südtirolern (80 % der Wohnbevölkerung) sowie den Zimbern wurde die Option für Deutschland nahegelegt. Wer in Italien verbleiben wollte, musste die Italianisierung mit Aufgabe von Kultur und Muttersprache in Kauf nehmen, die schon Anfang der 1920er Jahre begonnen hatte. Damit wurde die Hoffnung vieler Südtiroler auf Wiedervereinigung mit dem zur Republik Österreich gehörenden Nord- und Ostteil von Tirol begraben, die sich 1938 nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich verstärkt hatte.

Ursprünglich war die Frist sowohl für die Option als auch für die Aussiedlung der 31. Dezember 1942. Mitte Oktober 1939 wurde der Termin für die Entscheidung auf den 31. Dezember 1939 vorgezogen.[6]

Die Pläne zur Umsiedlung wurden am 29. Juni 1939 von Otto Bene, auf Befehl Heinrich Himmlers, in Meran bei einer Versammlung der Auslandsorganisation der NSDAP bekannt gemacht[7], Mitte Juli 1939 wurden diese durch die Presse öffentlich bekannt[8][9] und verursachten zunächst eine Welle der Empörung. Die illegalen Gruppierungen, der klerikal-katholische Deutsche Verband (DV) und der nationalsozialistisch orientierte Völkische Kampfring Südtirols (VKS) trafen sich im Bozner Marieninternat bei Kanonikus Michael Gamper und beschlossen, die Heimat keinesfalls zu verlassen. Doch der VKS schwenkte nach einem Treffen seiner Sprecher mit Heinrich Himmler um. In der Folge forcierte der VKS einen Propagandakrieg der „Optanten“ gegen die „Dableiber“, der gelegentlich auch zu Terror ausartete und sich über mehrere Jahre fortsetzte.[10]

Im Januar 1940 wurde von der „Amtlichen deutschen Ein- und Rückwanderungsstelle“ unter der Leitung von SS-Obersturmbannführer Wilhelm Luig die „Arbeitsgemeinschaft der Optanten für Deutschland (AdO)“ gegründet. Die AdO übernahm sukzessive die Strukturen des VKS und war somit in ganz Südtirol präsent. Sie bildete nunmehr die einzig legale Organisation der Optanten bzw. der Südtiroler gesamt. Dadurch gerieten besonders die Umsiedler in den Einfluss der nationalsozialistischen Politik und deren Organisationen. Auch lange nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Optanten als „Nazis“ verrufen.

Die schwierige Wahl zwischen erzwungener Auswanderung und der damit verknüpften Hoffnung auf freie kulturelle Entfaltung und gesicherter wirtschaftlicher Existenz stand im Gegensatz zu dem Verlust der angestammten Heimat und wichtiger Bürgerrechte und wurde Gegenstand heftiger Diskussionen auch in den Gemeinden und quer durch viele Familien. Seitens der deutschen Behörden versprach man zumindest ein geschlossenes Siedlungsgebiet. Durch die Kriegsereignisse war man sich jedoch über die geographische Lage noch nicht im Klaren. Einmal wurde den Optanten von Funktionären der AdO Galizien versprochen, dann Bauernhöfe in Polen. Später erwog man die Ansiedelung der Optanten in einem SS-Mustergau in Burgund, der erst auf dem Reißbrett existierte, dann wurde wieder die Halbinsel Krim ins Gespräch gebracht. Dies sorgte natürlich für schwerste Verunsicherung bei den Siedlungswilligen und war Wasser auf die Argumentationsmühlen der Dableiber. Beschleunigt wurde die Aussiedelung aber durch ein vom Reichspropagandaminister Joseph Goebbels lanciertes Gerücht, dass die Dableiber nach Sizilien, auf jeden Fall aber südlich des Po angesiedelt würden; vereinzelt war auch von einer Ansiedlung in den neueroberten italienischen Kolonien in Abessinien die Rede. Erst als schon Zehntausende ausgewandert waren, sicherte Mussolini aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen im März 1940[11] den Dableibern zu, dass sie in Südtirol bleiben könnten.

Der für Südtirol zuständige faschistische Präfekt Giuseppe Mastromattei unterstützte zunächst die Auswanderung der nicht-italienischen Südtiroler, da er sich damit den Auszug der „Querulanten“ erhoffte, was zu einer Beruhigung der Region beitragen sollte. Erst nachdem er sich bewusst geworden war, dass über zwei Drittel der Bevölkerung für das Deutsche Reich optierten, versuchte er, gegenzusteuern. Im Oktober 1939 wurde seine Garantie veröffentlicht, dass die nicht-italienischen Südtiroler in ihrer Heimat verbleiben könnten.[12]

Widerstand und Gründung des Andreas-Hofer-Bundes

Flugblatt gegen die Umsiedlung (1939)

Während 85 bis 90 Prozent der Südtiroler Bevölkerung für das Deutsche Reich optierten, war das Verhältnis beim örtlichen Klerus und diesem nahestehenden Personen genau umgekehrt: Im Bistum Brixen optierten 20 Prozent, im deutschsprachigen Gebiet der Diözese Trient 10 Prozent des Klerus für die Auswanderung.[13] So versuchten vor allem viele Priester und politisch engagierte Christlichsoziale unter den Südtiroler „Dableibern“, der deutschen Options-Propaganda und den italienischen Zwangsmaßnahmen organisierten Widerstand entgegenzusetzen.

Ihr prominentester Protagonist war Kanonikus Michael Gamper, der in der Zwischenkriegszeit für die einzige deutschsprachige Zeitung Südtirols arbeitete, den Tiroler (ab 1923 Der Landsmann, ab 1925 Dolomiten). Trotz der wortgewaltigen Artikel in seinen Medien konnte Gamper nicht einmal ein Drittel der Südtiroler zum Bleiben ermutigen.

Um die „Dableiber“ vor Übergriffen der „Optanten“ zu schützen, wurde noch 1939 der Südtiroler Andreas-Hofer-Bund (AHB) gegründet. Er war die wichtigste Deutschsüdtiroler Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus, aus der 1945 die Südtiroler Volkspartei (SVP) hervorging.

Gründungsmitglieder des AHB waren neben Gamper vier weitere führende „Dableiber“: der spätere Südtiroler Senator in Rom Friedl Volgger, der Abgeordnete Paul von Sternbach, der Bozner Kaufmann Erich Amonn, der Bozner Politiker Alois Puff und Josef Mayr-Nusser. Friedl Volgger übernahm die Funktion des Vorsitzenden und hatte sie bis 1943 inne, als er durch die Nationalsozialisten verhaftet und ins KZ Dachau verschleppt wurde. Dieses Schicksal erlitten noch mehrere tausend Tiroler des Widerstands.

Das Protokoll der deutsch-italienischen Verhandlungen in Berlin vom Juni 1939[3] erwähnt auch heftige Ablehnung der Umsiedlung unter den Zimbern in den Provinzen Trient (Lusern, Fersental) und Belluno (Sappada), doch seien „alle Würmer zu vernichten, die an der Realisierung der Aufgabe nagten“. Das Hauptproblem gehe von etwa 10.000 Österreichern aus, die durch den Anschluss „Reichsdeutsche geworden seien, jetzt aber sozusagen den Generalstab des Widerstandes“ bilden; hier müsse der Anfang gemacht werden. Die Zahl der italienischen Staatsangehörigen deutschen Ursprungs und deutscher Sprache sei nicht einfach festzustellen. Es handle sich um ca. 200.000, davon seien jedoch „etwa 100.000 italienischer oder fast italienischer Abstammung“ (eine Behauptung, die nicht stimmte).

Entwicklungen nach der Option 1939

Insgesamt entschieden sich, womit weder die italienischen Faschisten noch die Nationalsozialisten gerechnet hatten, etwa 85 % der Südtiroler Bevölkerung für eine Umsiedlung ins Reich und damit für die deutsche Reichsbürgerschaft: Es handelte sich um 166.488 Südtiroler sowie um 16.572 Wahlberechtigte in den Provinzen Belluno, Trient, Vicenza und Udine. Zuzüglich der Frauen und unmündigen Kinder, für die deren Männer bzw. Väter mit abstimmten, betraf das 213.000 Südtiroler, von denen in den Jahren 1939 bis 1943 aber nur 75.000,[14] vorwiegend aus besitzlosen Familien unselbständig Erwerbstätiger der größeren Orte, jedoch nur wenige Bauern, tatsächlich auswanderten[15] (Gesamtsaldo 47.000[16]).

Südtiroler-Siedlung in Bludenz; von der Seilbahn auf den Muttersberg

Ein Großteil der Ausgewanderten wurde in eigens errichteten Südtiroler-Siedlungen im heutigen Österreich, insbesondere in den Bundesländern Tirol und Vorarlberg, angesiedelt. Männer im wehrpflichtigen Alter wurden in die Wehrmacht eingezogen.

Obwohl eigentlich zur Verbesserung der Beziehungen gedacht, erwies sich die Umsiedlungsaktion bald als „schwelender Brandsatz“[17] innerhalb der „Achse Berlin-Rom“, als ein Streitpunkt, der das Verhältnis der Bündnispartner permanent belastete. Denn während in den ersten Monaten die Umsiedlung von den Deutschen noch vorangetrieben wurde, nahm die Zahl der Aussiedler ab Sommer 1940 rasch ab, was bei den Italienern den Eindruck weckte, das Abkommen werde in Berlin nicht ernst genommen. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Frage für die Deutschen im Kriegsgeschehen tatsächlich an Bedeutung verlor, zumal Rom nicht mehr umworben werden musste; das Schicksal der Partner war seit Kriegseintritt Italiens unweigerlich miteinander verbunden. Dass die Umsiedlung stockte, hatte auf deutscher Seite aber auch praktische Gründe: Die Besitzlosen, die sich als Arbeiter oder Angestellte gut eingliedern ließen, hatte man leicht umsiedeln können. Schwieriger war dies mit den besitzgebundenen „Volksdeutschen“, für die die deutsche Regierung kein attraktives Siedlungsgebiet hatte. In Rom nahm man aber nur wahr, dass Berlin zum einen die Termine nicht einhielt, dass die Deutschland-Optanten zum anderen das Land nicht verließen und somit die Südtirol-Frage ungeklärt blieb. Bald kursierten in der Region Gerüchte, dass das Gebiet nach dem Krieg von den Nationalsozialisten zurückgefordert werde.[18]

Nach Mussolinis Sturz erfolgte im September 1943 die deutsche Besetzung Norditaliens und die De-facto-Angliederung Südtirols als Operationszone Alpenvorland, was die Auswanderung beendete.[19] Das Gebiet wurde damit fast jeglicher Einwirkung italienischer Behörden entzogen.

Unter deutscher Besatzung waren die „Dableiber“ Repressalien ausgesetzt, darüber hinaus kam es zu zahlreichen Verhaftungen.[20] Friedl Volgger wurde verhaftet und ins KZ Dachau verbracht. Michael Gamper konnte sich durch Flucht einer Verhaftung entziehen.

Nach 1945 kehrte ein Großteil der Optanten als sogenannte „Rücksiedler“ wieder in ihre Heimat zurück. Die Südtiroler Volkspartei forderte Autonomie bzw. eine Wiedervereinigung mit dem österreichischen Nord- und Osttirol, wofür 156.600 Südtiroler (fast 100 % der Wähler) unterschrieben. Auf der Pariser Friedenskonferenz setzte sich diese Variante aber nicht durch, sondern es wurde 1946 das Gruber-De-Gasperi-Abkommen geschlossen, in dem Artikel 3 festlegt,

„in einem Geist der Billigkeit und Weitherzigkeit die Frage der Staatsbürgerschaftsoptionen,
die sich aus dem Hitler-Mussolini-Abkommen von 1939 ergeben, zu revidieren.“[21]

Dem Friedensvertrag entsprechend, wurde am 2. Februar 1948 das sogenannte Optantendekret erlassen, das allen Optanten und deren Kindern das Recht auf Rückoption einräumte. Die Kinder der Rückoptanten mussten durch einen Geburtsschein belegen, dass sie ein Anrecht auf die italienische Staatsbürgerschaft hatten.[22]

Davor waren zwischen 2000 und 12.000 ausgewanderte Optanten illegal nach Südtirol zurückgekehrt.[23]

Durch die Option wurden viele Familien zerstört, die Spaltung der Südtiroler Gesellschaft wirkte noch viele Jahre nach.

Ein exemplarisches Optanten-Schicksal – die Auswanderung der Familie Morandell aus Kaltern nach Baden bei Wien und ihre Rückkehr – beschreibt das Buch „Der Milchkrug“[24].

Flugblätter der Dableiber und der Optanten

Im Sommer 1939 sickerte der Inhalt der deutsch-italienischen Verhandlungen vom 23. Juni 1939 durch,[16] mit deren Durchführung Hitler den SS-Chef Heinrich Himmler im April beauftragt hatte. Ab August 1939 wurde die Frage „Dableiben oder Aussiedeln“ zum Thema von vielen Flugblättern. Zwei relativ gemäßigte lauteten:

Dableiberflugblatt

„Nun ist es auch an den letzten, die Entscheidung zu fällen. Sie geht um Auswanderung oder Verbleib im Lande, um Heimat oder Fremde. Die Wahl kann nicht schwerfallen. […] Geht darum hin und legt Zeugnis ab für die Heimat durch die Abgabe des weißen Stimmzettels. Man hat diese Stimme zu fälschen versucht, indem man ihr böswillig den Sinn unterlegt, sie sei ‚welsch gestimmt‘. In Wirklichkeit steht aber nichts anderes auf dem weißen Stimmzettel geschrieben, als daß Ihr die italienische Staatsbürgerschaft beibehalten wollt. Und dies ist Euch unerläßlich, wenn Ihr weiter in diesem Land leben und arbeiten wollt, genauso wie für Millionen andere Volksdeutsche, die außerhalb des Reiches leben, eine fremde Staatsbürgerschaft nötig ist. Wer darum den weißen Zettel unterschreibt, gibt seine Stimme der Heimat.“

Optantenflugblatt

„Südtiroler, bekennt euch! Eine schwere, aber stolze Stunde ruft euch auf zum Bekenntnis für Blut und Volk, zur Entscheidung, ob ihr für euch und eure Nachkommen endgültig auf euer deutsches Volkstum verzichten oder ob ihr euch stolz und frei als Deutsche bekennen wollt […] Ihr wählt nicht zwischen Heimat und Galizien, sondern ihr wählt zwischen einem uns fremd gewordenen Südtirol und zwischen dem Lande, das uns der Führer im deutschen Reichskörper zuweisen wird […] Schwer ist die Entscheidung, doch keinen Augenblick zweifelhaft, denn wir wissen, was wir dem Rufe unseres deutschen Blutes, des deutschen Volkes und unseres Führers schulden. […] Die Scholle opfern wir dem großen Ziele, dem großen, heiligen deutschen Reich.“

Scharfe Worte aus anderen Flugblättern

Spätere Flugblätter wurden im Ton schärfer, woraus sich auch die Notwendigkeit erklärt, die in die Minderheit geratenden „Dableiber“ durch den im November gegründeten Andreas-Hofer-Bund zu schützen.

Aussagen wie die über Polen zeigen, dass die Dableiber anscheinend besser informiert waren als ihre Gegenspieler, da diese Ereignisse später tatsächlich eintraten. Sie sind Ausdruck des tiefen Risses, der damals durch Südtirol ging und teilweise bis heute nachwirkt.

Aus Flugblättern der „Dableiber“-Bewegung:

  • „Südtirol und Galizien! Gibt es einen schreienderen Gegensatz? Wohnen sollt Ihr in Hütten, aus denen die polnischen Bewohner vertrieben wurden […] Zwischen feindliche Völker eingeschoben […] sollt ihr gegen die Polen eingesetzt werden, von diesen […] verhasst, bis man Euch aus dem Lande vertreiben wird, denn das Glücksrad kann sich wieder drehen“
  • „Die Losung lautet nicht ‚Geschlossen auswandern‘, sondern ‚Geschlossen in der Heimat verbleiben!‘“
  • „Je mehr Deutsche in der Heimat bleiben, desto größer ist die moralische Macht, die wir besitzen, umso leichter werden wir unsere bisherigen Rechte behaupten […]“
  • „Von zwei Übeln wähle ich das kleinere. Wir bleiben daheim!“

Aus Flugblättern der „Optanten“:

  • „Wer für Italien stimmt … verleugnet öffentlich seine deutsche Herkunft […]“
  • „Er wird dieser Lüge niemals froh werden, wenn er sieht, wie seine Kinder verwelschen […]“
  • „[…] sogenannte ‚Hierbleiber‘, die freiwillig und blind ihre Zustimmung zur Verwelschung unseres Volkstums geben“
  • „Volksfremde Elemente […] und verhetzte Geistliche bilden die saubere Gesellschaft, die heute die Heimatliebe predigen für Geld […] Sie sagen: ‚Geht nicht, draußen ist Krieg!‘ […]“
  • „Ja, sind denn wir Südtiroler von 1939 Feiglinge geworden, die den Krieg fürchten und das Opfer für unser deutsches Vaterland?“
  • „Das Reich ist gegen das scheinheilige, politisierende Priestertum, das … Deutschland haßt und jenes Judentum, das Christus, unseren Herrn, gekreuzigt hat, in Schutz nimmt, wo es nur kann.“
  • „[…] die Zehn Gebote Gottes sind im Deutschen Reiche geradezu Staatsgrundgesetze! … [Das Reich] wird unser Opfer … zu würdigen wissen und sein Wort halten!“

Gedichte der Dableiber und Optanten

Die Brennende Lieb (Geranie), die bis heute (21. Jahrhundert) viele Höfe und Häuser in Südtirol im Sommer schmückt, wurde ebenfalls zu Propagandazwecken beider Seiten verwendet. In Gedichtform sollte mit diesem Wahrzeichen der Bauern für die jeweilige Seite geworben werden.

Version der Dableiber Hans Egarter Version der Optanten Karl Felderer

Am Erker blühet wie immer
Die leuchtende „Brennende Lieb“
Die Treue zur Heimat war stärker,
Wie jauchzen wir, dass sie uns blieb.

O blühe und leuchte Du Blume –
Ein Zeichen der Treue Du bist!
Und künde, dass Glaube und Heimat
Das Höchste für uns ist.

So reißet vom sonnigen Erker
Die letzte brennende Lieb;
Die Treue zu Deutschland war stärker,
Das heiligste, was uns blieb.

Wir nehmen sie mit im Herzen,
Für andere dereinst Symbol;
Sie stille des Heimweh Schmerzen:
Leb wohl, du mein Südtirol!

Literatur

  • Helmut Alexander, Adolf Leidlmair, Stefan Lechner: Heimatlos: die Umsiedlung der Südtiroler. Deuticke, Wien 1993, ISBN 3-216-07832-9.
  • Carl von Braitenberg: Unter schwarzbrauner Diktatur. Erinnerungen eines Familienvaters. Arunda, Schlanders 1976
  • Klaus Eisterer, Rolf Steininger (Hrsg.): Die Option. Südtirol zwischen Faschismus und Nationalsozialismus (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte. Band 5). Haymon, Innsbruck 1989, ISBN 3-85218-059-7.
  • Carl Kraus, Hannes Obermair (Hrsg.): Mythen der Diktaturen. Kunst in Faschismus und Nationalsozialismus – Miti delle dittature. Arte nel fascismo e nazionalsocialismo. Südtiroler Landesmuseum für Kultur- und Landesgeschichte Schloss Tirol, Dorf Tirol 2019, ISBN 978-88-95523-16-3, Kap. Mythos Option – Mito Opzioni, S. 208–227.
  • Stefan Lechner: Die Erste Option: die Vergabe der italienischen Staatsbürgerschaft an die Südtiroler in Folge der Annexion 1920. In: Hannes Obermair, Stephanie Risse, Carlo Romeo (Hrsg.): Regionale Zivilgesellschaft in Bewegung. Festschrift für Hans Heiss (= Cittadini innanzi tutto). 1. Auflage. Folio Verlag, Wien / Bozen 2012, ISBN 978-3-85256-618-4, S. 219–236.
  • Margareth Lun: NS-Herrschaft in Südtirol: die Operationszone Alpenvorland 1943–1945. In: Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte. Band 22. Studien-Verlag, Innsbruck / Wien / Bozen 2004, ISBN 3-7065-1830-9.
  • Hannes Obermair: „Großdeutschland ruft!“ Südtiroler NS-Optionspropaganda und völkische Sozialisation – „La Grande Germania chiamaǃ“ La propaganda nazionalsocialista sulle Opzioni in Alto Adige e la socializzazione ‚völkisch‘. Südtiroler Landesmuseum für Kultur- und Landesgeschichte, Schloss Tirol 2020, ISBN 978-88-95523-35-4.
  • Die Option, 1939 stimmten 86 % der Südtiroler für das Aufgeben ihrer Heimat. Warum? Ein Lehrstück der Zeitgeschichte. In: Reinhold Messner (Hrsg.): Serie Piper. aktualisierte Neuausgabe, 2. Auflage. Band 2133. Piper, München 1995, ISBN 3-492-12133-0.
  • Günther Pallaver, Leopold Steurer (Hrsg.): Deutsche! Hitler verkauft euch! Das Erbe von Option und Weltkrieg in Südtirol. Raetia, Bozen 2011, ISBN 978-88-7283-386-5.
  • Günther Pallaver, Leopold Steurer, Martha Verdorfer (Hrsg.): Einmal Option und zurück : Die Folgen der Aus- und Rückwanderung für Südtirols Nachkriegsentwicklung. Raetia, Bozen 2019, ISBN 978-88-7283-706-1.
  • Ludwig Walter Regele: Meran und das Dritte Reich. StudienVerlag, Innsbruck 2007, ISBN 978-3-7065-4425-2.
  • Joachim Scholtyseck: Auf dem Weg zu „brutalen Freundschaften“. Die deutsche Österreich- und Italienpolitik in der Zwischenkriegszeit. In: Maddalena Guiotto, Wolfgang Wohnout: Italien und Österreich im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit / Italia e Austria nella Mitteleuropa tra le due guerre mondiali. Böhlau, Wien 2018, S. 201–216, ISBN 978-3-205-20269-1.
  • Literatur und Flugblätter: 23. Juni 1939 – Gehen oder bleiben. Die Option in Südtirol. In: Rolf Steininger: Von der Monarchie bis zum Zweiten Weltkrieg. In: Österreich im 20. Jahrhundert, 2 Bände. Band 1. Böhlau, Wien-Köln-Weimar 1997, ISBN 3-205-98416-1.
  • Karl Stuhlpfarrer: Umsiedlung Südtirol: 1939–1940. 2 Bände. Löcker, Wien 1985, ISBN 3-85409-073-0.
  • Tiroler Geschichtsverein, Sektion Bozen (Hrsg.): Option, Heimat, Opzioni: eine Geschichte Südtirols – vom Gehen und vom Bleiben. Österreichischer Bundesverlag, Wien 1989, ISBN 3-215-07477-X.
  • Anton Wiechmann: Die "Große Option": Von Südtirol ins südliche Emsland – In der Obhut der Thuiner Franziskanerinnen entgehen behinderte Menschen im Nationalsozialismus der "Euthanasie". In: Emsländische Geschichte 25, Haselünne 2018, S. 359–389.

Filme

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Vgl. Stefan Lechner: Die Erste Option (op. cit.), S. 219 ff.
  2. Günther Pallaver, Leopold Steurer (Hrsg.): Deutsche! Hitler verkauft euch! Das Erbe von Option und Weltkrieg in Südtirol. Raetia, Bozen 2011, S. 40.
  3. a b 23. Juni 1939: Die Vereinbarung über die Umsiedlung. Besprechung der Südtirol-Frage in Berlin
  4. Günther Pallaver, Leopold Steurer (Hrsg.): Deutsche! Hitler verkauft euch! Das Erbe von Option und Weltkrieg in Südtirol. Raetia, Bozen 2011, S. 11.
  5. Günther Beitzke: Südtiroler Optanten-Fälle, in: Karl Strupp/Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.): Wörterbuch des Völkerrechts. Bd. III, 2. Aufl., Berlin 1962, S. 415.
  6. Pallaver-Steurer: op. cit., S. 73.
  7. Regele S. 42 f
  8. Alpenzeitung vom 16. Juli 1939, S. 1
  9. Dolomiten vom 17. Juli 1939, S. 1
  10. Federico Scarano: La lunga strada di Mussolini verso le opzioni dei sudtirolesi nel 1939. In: Maddalena Guiotto, Wolfgang Wohnout (Hrsg.): Italien und Österreich im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit / Italia e Austria nella Mitteleuropa tra le due guerre mondiali. Böhlau, Wien 2018, ISBN 978-3-205-20269-1, S. 261.
  11. Dolomiten vom 21. März 1940
  12. Dolomiten vom 9. Oktober 1939 S.1,
  13. Josef Gelmi: Die Brixener Bischöfe in der Geschichte Tirols. Bozen 1984, S. 278.
  14. Dietrich Schindler, Südtirol, in: Karl Strupp/Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.): Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. III, Berlin 1962, S. 413.
  15. Südtirol bis 1945, abgerufen am 3. Juni 2014.
  16. a b Die Bevölkerung in Südtirol – Eine Analyse auf Gemeindeebene (PDF), abgerufen 3. Juni 2014.
  17. Malte König: Kooperation als Machtkampf. Das faschistische Achsenbündnis Berlin-Rom im Krieg 1940/41, Köln 2007, S. 227.
  18. König: Kooperation als Machtkampf, S. 231–238.
  19. Vgl. Michael Wedekind: Nationalsozialistische Besatzungs- und Annexionspolitik in Norditalien 1943 bis 1945. Die Operationszonen „Alpenvorland“ und „Adriatisches Küstenland“, München 2003; Gerald Steinacher (Hrsg.): Südtirol im Dritten Reich. NS-Herrschaft im Norden Italiens, 1943–1945. Innsbruck 2003.
  20. Margareth Lun: NS-Herrschaft in Südtirol, op. cit., S. 352 ff.
  21. Gruber-De-Gasperi-Abkommen#Wortlaut des Abkommens
  22. Erinnerungen von Walburg Senoner geb. Prieth (* 1944). In: KVW Dienststelle für Altenarbeit (Hrsg.): Irgendwann und anderswo. „Ich erzähle und schreibe meine Geschichte(n)“. Bozen 2004.
  23. Stefan Lechner: Alles Retour. Rückoption und Rücksiedlung nach 1945. In: Gottfried Solderer (Hrsg.): Das 20. Jahrhundert in Südtirol. Band 3: 1940–1959. S. 77–84 (besonders 80f und 83 f).
  24. Verena Nolte: Der Milchkrug. Ein Südtiroler Mädchen erlebt Krieg und Neuanfang. Nach den Erinnerungen von Paula Morandell. Folio Verlag, Wien/Bozen 2020, ISBN 978-3-85256-821-8
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