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Anne Koedt

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Anne Koedt, geboren 1941 in Kopenhagen, Dänemark, ist eine in New York City lebende amerikanische feministische Aktivistin und Autorin. Sie wurde durch ihren Essay The Myth of the Vaginal Orgasm (Der Mythos vom vaginalen Orgasmus) bekannt, der einer der Schlüsseltexte der zweiten Frauenbewegung wurde.

Herkunft

Anne Koedts Eltern, Bobs Koedt und Inger Peschcke-Koedt, waren im Zweiten Weltkrieg Mitglieder des Dänischen Widerstands gegen die deutsche Besatzung. Sie trugen zur Rettung der dänischen Juden bei, indem sie gefährdete Juden im Keller ihres Hauses versteckten, bis diese mit einem Boot nach Schweden geschmuggelt werden konnten. Ihr Vater, der Architekt und Fotograf war, fälschte Pässe für den Widerstand. Er wurde von den Deutschen verhaftet und im Gestapo-Hauptquartier in Kopenhagen verhört, wurde aber unversehrt frei gelassen. Da er auch die amerikanische Staatsbürgerschaft besaß, konnte die Familie in die USA emigrieren und ließ sich in Palo Alto in Kalifornien nieder.[1]

Feministischer Aktivismus

Über Ausbildung und Studium von Anne Koedt ist nichts bekannt. Bevor sie sich in der Frauenbewegung engagierte, schloss sie sich als Studentin einer sozialistischen Studenten-Gruppe an. In den späten 1960er Jahren war sie Mitbegründerin mehrerer Aktionsgruppen in New York, die sich selbst als „radical feminists“ ( dt.: „radikale Feministinnen“) verorteten und von der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung, die sich in der von Betty Friedan gegründeten National Organization for Women formierte, abgrenzten. Wichtige Weggefährtinnen waren Kate Millett, Robin Morgan und Shulamith Firestone, mit denen sie 1967 die „New York Radical Women“ gründete. Ihre politischen Ideen über einen radikalen Feminismus veröffentlichte sie in mehreren politische Texten. Nach dem Studium von Werken Alfred Kinseys über die weibliche Sexualität sowie der Untersuchungen von Masters und Johnson schrieb sie The Myth of Vaginal Orgasm.[1]

Wie Firestone zog sie sich 1970 aus dem organisierten feministischen Aktionismus zurück.[2]

Der Mythos vom vaginalen Orgasmus

Den Text The Myth of the Vaginal Orgasm veröffentlichte Koedt 1968 in Notes from the first Year, einem 20-seitigen Typoskript, das die von ihr mitgegründete Gruppe „New York Radical Women“ herausgab. In den folgenden Jahren entstanden erweiterte Fassungen.[3]

Die Entstehung eines „Mythos“ vom „vaginalen Orgasmus“ führte Anne Koedt auf Freud zurück. Sie kritisierte dessen These, dass der jugendliche klitorale Orgasmus nur eine Phase darstelle, die durch den „reifen“ vaginalen Orgasmus überwunden werden müsse. Sie legte anatomische Beweise für die unterschiedlichen Funktionsbestimmungen von Vagina und Klitoris vor und forderte Frauen auf, die Bedeutung ihrer Klitoris zu erkennen und auf ihrer eigenen Lust zu bestehen. Koedt bezog eine auf den Mann zentrierte Sexualität auf die herrschenden Unterdrückungsstrukturen zwischen Männern und Frauen schlechthin. Die Frau werde im sexuellen Bereich nicht als ein Individuum gesehen, das gleichberechtigt am sexuellen Akt beteiligt sei, „genauso wenig wie sie im Bereich gesellschaftlicher Arbeit, als Person mit unabhängigen Wünschen gesehen“ werde. Die Neudefinition der weiblichen Sexualität sei nicht nur ein Weg zu einer anderen Sexualität, sondern eine unter vielen Möglichkeiten, um die „gegenwärtige Ausbeutung“ von Frauen abzuschaffen.[4] In der letzten Passage des Textes unter dem Titel Lesbische Liebe und Bisexualität schreibt sie, dass Frauen sich auch „andere Frauen gleichermaßen als Liebhaberinnen suchen könnten". Heterosexualität „bleibe kein Muß“, sondern werde zur freien zur Wahl.[5]

Wirkung

Laut Kristina Schulz war die Absicht des Textes „Frauen von dem lähmenden Gefühl zu befreien, aus eigenem Verschulden in ihrem Verhältnis zu Männern unbefriedigt zu sein“.[4] Andere feministische Autorinnen wie Ti-Grace Atkinson, Germaine Greer oder Rita Mae Brown befassten sich zwischen 1968 und Mitte der 70er Jahre ebenfalls mit der politischen Bedeutung von Sexualität und der sexuellen Lust von Frauen im Patriarchat. Doch The Myth of the Vaginal Orgasm wurde der meist diskutierte und einflussreichste Text.[3] Frauen des französischen autonomen Mouvement de libération des femmes (MLF) veröffentlichten ihn 1970 in französischer Übersetzung (Le mythe de l'orgasme vaginal) in der Textsammlung Libération des Femmes, Année zero, in der sie zentrale Ideen der amerikanischen Frauenbewegung zugänglich machten. Koedts Text betrachteten sie bereits Anfang der siebziger Jahre als einen Schlüsseltext der Frauenbefreiung.[4] In der deutschen Übersetzung, die etwa 15 Seiten umfasste, erschien Der Mythos vom vaginalen Orgasmus 1974 als erster Frauenraubdruck des Frauenzentrums Westberlin in einem Band zusammen mit Mathilde Vaertings Neubegründung der Psychologie von Mann und Weib von 1921. Er war ein Grundlagentext für die Praxis der feministischen Consciousness Raising-Gruppen. Im Nachwort zur deutschen Übersetzung schrieben die Autorinnen des Frauenzentrum: „Anne Koedts ›Mythos vom vaginalen Orgasmus‹ gibt uns Informationen über unsere Sexualität, die uns immer bewußt vorenthalten werden.“[6]

Privates

Anne Koedt lebte 40 Jahre lang in einer Beziehung mit der Kinderbuchautorin Ellen Deborah Levine, die sie 2011 heiratete. Levine starb 2012 an Lungenkrebs.[1]

Einzelnachweise

  1. a b c Koedt, Anne (1941–Mary), in: Ellen Snodgrass: American Women Speak, ABC-CLIO, Santa Barbara 2016, ISBN 978-1440837845, S. 457–459
  2. Susan Faludi: Death of a Revolutionary. The New Yorker, 15 April 2013
  3. a b Jane Gerhard: Revisiting "The Myth of the Vaginal Orgasm": The Female Orgasm in American Sexual Thought and Second Wave Feminism, in: Feminist Studies, Vol. 26, No. 2, Women and Health, Sommer 2000, S. 449
  4. a b c Kristina Schulz: Der lange Atem der Provokation. Die Frauenbewegung in der Bundesrepublik und in Frankreich (1968- 1976), Campus, Frankfurt 2002, ISBN 3-593-37110-3, S. 50f
  5. Sabine Hark: Magisches Zeichen : Die Rekonstruktion der symbolischen Ordnung im Feminismus, in: dies. (Hrsg.): Grenzen lesbischer Identitäten. Aufsätze, Querverlag, Berlin 1996, S. 117
  6. Johanna Gehmacher: Macht/Lust - Übersetzung und fragmentierte Traditionsbildung als Strategien zur Mobilisierung eines radikalen Feminismus. In: Angelika Schäfer et al. (Hrsg.): Erinnern, vergessen, umdeuten?: Europäische Frauenbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert, Campus Verlag, Frankfurt a. Main 2019, ISBN 978-3-593-51033-0, S. 104 f