Neaira (Hetäre)
Die Hetäre Neaira lebte im 4. Jahrhundert v. Chr. im antiken Griechenland, über ihr genaues Geburts- und Sterbedatum gibt es keine zuverlässigen Angaben. Sie wurde zur Schlüsselfigur mehrerer aufsehenerregender Prozesse, deren Dokumentation ein lebendiges Bild davon vermittelt, wie zu dieser Zeit in der Männergesellschaft der griechischen Stadtstaaten mit Frauen, insbesonders Sklavinnen und Hetären umgegangen wurde. Dank einer umfangreichen schriftlichen Überlieferung ist Neaira heutzutage diejenige Prostituierte der Antike, über deren Lebensumstände die meisten Details bekannt sind. [1]
Leben
Die frühen Jahre
Neaira wurde vermutlich um das Jahr 400 v. Chr. geboren. Ihre Herkunft ist ungewiss, möglicherweise war sie ein Findelkind oder wurde aus einem der Randgebiete Griechenlandes wie Thrakien „importiert“. Wohl um 390 wurde sie von Nikarete, einer Bordellwirtin aus Korinth, gekauft. Nikarete sorgte für die „Ausbildung“ der jungen Neaira, die sie als ihre Tochter ausgab, in deren zukünftigem Beruf. Die falsche Angabe über die Abstammung des Mädchens sollte den Preis, den die Kunden zu zahlen hatten, in die Höhe treiben: Es war üblich, dass freie Frauen höhere Preise für ihre Dienstleistungen verlangten. [2]
Nach Apollodors Bekunden begann sich Neaira schon vor der Pubertät zu verkaufen, was in der Praxis nichts anderes bedeutet, als dass Nikarete sie schon als Kind zur Prostitution zwang. Ihre Ausbildung schloss nicht nur den Umgang mit Männern, sexuelle Praktiken, Körperpflege und Schönheitstipps ein; zum Berufsbild einer Hetäre gehörte es auch, den Kunden bei Symposien intellektuell anregende Gesellschaft leisten zu können. Daher hatten sich die jungen Mädchen auch umfangreiche kulturelle Kenntnisse, etwa in den Bereichen Literatur, Kunst und Musik, anzueignen, über die griechische damals Frauen gewöhnlich nicht verfügten.[3]

Nikarete betrieb ein „besseres“ Etablissement in Korinth, einer Stadt, die in der Antike für ihre florierende Prostitutionswirtschaft berühmt war. Davon zeugt das in der Literatur überlieferte Verb korinthiazein, das in etwa mit „(herum)huren“ übersetzt werden kann.
Neben Neaira lebten im Bordell Nikaretes noch sechs weitere namentlich bekannte Mädchen unterschiedlichen Alters: Metaneira, Anteia, Stratola, Aristokleia, Phila und Isthmias. Wahrscheinlich waren sie alle zu ihrer Zeit sehr prominent. Nach Anteia wurden mehrere Dramen im 4. Jahrhundert v. Chr. benannt, und der Dramatiker Philetairos erwähnt in seinem Stück „Die Jägerin“ sogar drei von Nikaretes Mädchen (Neaira, Phila und Isthmias). Die Kundschaft gehörte größtenteils zur besseren Gesellschaft der Zeit, nicht selten auch von außerhalb Korinths, da die Stadt dank ihrer günstigen Lage am Isthmus ein Handelszentrum war. Als Kunden sind namentlich Politiker, Sportler, Philosophen und Dichter bekannt, darunter der Dichter Xenokleides und der Schauspieler Hipparchos.[4]
Ein prominenter Gast im Bordell Nikaretes und Stammkunde bei Metaneira war auch Lysias. Da sein Geld nur Nikarete zugute kam und er auch seiner Geliebten einen Gefallen erweisen wollte, finanzierte er ihr Mitte der 380er Jahre eine Reise zu den Mysterien von Eleusis, in die sie auf seine Kosten eingeführt wurde. Bei dieser Reise nach Athen wurden beide nicht nur von Nikarete, sondern auch von Neaira begleitet. Es war wohl Neairas erster Aufenthalt in Athen.[5]
378 kam sie erneut nach Athen, dieses Mal zu den Panathenäen, wobei sie sich diesmal in der Begleitung ihrer Herrin und ihres eigenen Stammkunden Simos aus Thessalien befand. Letzterer gehörte der bedeutenden thessalischen Familie der Aleuadei an und war Mitte des 4. Jahrhunderts eine Berühmtheit in Griechenland, wenn auch über seinen Status zur Zeit der Reise heute nichts Genaues mehr gesagt werden kann.[6]
Wie die Verbindungen Metaneiras zu Lysias und Neairas zu Simos zeigen, musste eine Verbindung zu Nikaretes Hetären keineswegs ein einmaliges, schnelles Vergnügen sein, sondern konnte zu einer längerfristigen Beziehung werden. Trotzdem kann man sie nicht zur höchsten Klasse der Prostituierten zählen, da sie als Sklavinnen keinerlei Wahlfreiheit in Bezug auf ihre Kundschaft hatten.
Zwischen Bordell und Freiheit

Die finanziell wohl ergiebigste Zeit für Nikarete waren die Lebensjahre zwischen der Pubertät und dem beginnenden dritten Lebensjahrzehnt ihrer Sklavinnen, danach begann deren Attraktivität für interessierte Kunden zu sinken. Somit kam es Nikarete wohl nicht ungelegen, als Timanoridas aus Korinth und Eukrates aus Leukas wahrscheinlich kurz nach der Reise nach Athen im Jahr 376 Neaira kauften. Sie gehörten wohl zu Neairas Stammkunden und waren der Meinung, dass es für beide auf Dauer preisgünstiger war, wenn sie sich gleich die ganze Frau kauften, auch wenn sich erwies, dass die Transaktion beide noch einmal einen stattlichen Betrag kosten sollte.[7]
Nikarete forderte nicht weniger als 3000 Drachmen (das Zehnfache des Preises, den ein gelernter Handwerkssklave erzielte, und das fünf- bis sechsfache Jahreseinkommen eines Arbeiters). Obwohl beide damit an ihre finanziellen Grenzen gingen, wurde das Geschäft getätigt. Nun hatte Neaira zwei neue Besitzer, die mit ihr nach Belieben umgehen konnten. Diese Praxis war nichts Ungewöhnliches und ist mehrfach in antiken Quellen bezeugt. Anders als bei anderen, ähnlichen Arrangements kam es in diesem Falle jedoch zu keinem Streit zwischen beiden Besitzern.[8]
Nach wohl etwa einem Jahr wollte einer der beiden (oder gar beide) heiraten. Eine Hetäre zu unterhalten war teuer, weshalb nach einem Ausweg gesucht werden musste. Die drei kamen zu der Übereinkunft, dass Neaira sich für 2000 Drachmen freikaufen konnte, wenn sie danach Korinth für immer verließe. Mit Hilfe früherer Kunden, vor allem eines Mannes namens Phrynion, brachte sie das Geld auf und kaufte sich schließlich frei. Mit Phrynion ging sie in dessen Heimatstadt Athen, wo das Paar für einige Zeit zusammen lebte. [9]
Phrynion war ein Lebemann und nahm, wie Apollodoros schildert, Neaira regelmäßig zu seinen Ausschweifungen mit. Dabei soll er mit Neaira sogar öffentlich Geschlechtsverkehr gehabt haben, was im alten Griechenland ungewöhnlich und selbst in offen gesinnten Kreisen nicht statthaft war. In aller Ausführlichkeit wird ein Gelage im Spätsommer des Jahres 374 beim athenischen Strategen Chabrias geschildert, der gerade seinen Sieg bei den Pythischen Spielen feierte. Während des Festes soll Neaira sich bis zur Bewusstlosigkeit betrunken haben, so dass sich in ihrem trunkenen Zustand viele der Gäste und sogar Sklaven an ihr vergingen.[10]
Irgendwann zwischen den Sommern der Jahre 373 und 372 packte Neaira ihre Habseligkeiten und verließ Phrynion. Es ist unklar, warum sie diesen Schritt tat; wahrscheinlich wurde sie von ihm schlecht behandelt. Neben ihren eigenen Besitztümern nahm sie wohl auch ein paar Gegenstände aus dem Besitz Phrynions mit. Ihr Ziel war Megara, wie Korinth ein Zentrum der Prostitution. Neaira hätte wohl ein gutes Auskommen gehabt, wenn nicht zu dieser Zeit der Boiotische Krieg ausgetragen worden wäre, der den Handel (und auch die Prostitution) zum Erliegen brachte, weil die Kundschaft der Stadt fernblieb. Neaira blieb für zwei Jahre in der Stadt und bestritt in dieser Zeit mehr schlecht als recht ihren Lebensunterhalt als Prostituierte, wobei zu bedenken ist, dass sie nicht nur sich selbst zu versorgen hatte, sondern auch ihre beiden Sklavinnen Thratta und Kokkaline.[11]
Leben mit Stephanos
Nach der Schlacht bei Leuktra, die die Machtverhältnisse in Griechenland zu Ungunsten der Spartaner und damit zu Gunsten der Athener verschob, kam der reiche Athener Stephanos nach Megara und blieb offenbar eine Weile in Neairas Haus. Hier begannen die beiden eine Affäre und verliebten sich allem Anschein nach ineinander. Möglich ist jedoch auch, dass Neaira zwar nicht verliebt war, aber die Sicherheit bei Stephanos dem unsicheren und unsteten Leben vorzog. Auch nach der Schlacht von Leuktra hatte sich ihre Situation in Megara nicht gebessert, daher kehrte sie mit Stephanos wieder nach Athen zurück. Sie glaubte wohl, in Stephanos einen Beschützer zu haben, der ihr auch vor Phrynion Sicherheit bieten konnte.[12]
Interessant ist, dass Apollodoros nun behauptet, dass Neaira beim Verlassen Megaras drei eigene Kinder mit nach Athen nahm: die beiden Söhne Proxenos und Ariston, sowie eine Tochter namens Strybele, die im späteren Leben Phano genannt wurde. Apollodoros bereichtet weiterhin, dass Phano mittlerweile auch eine Hetäre und als solche eine ernsthafte Konkurrentin für ihre Mutter war. Angeblich musste Neaira nach der Rückkehr nach Athen als Hetäre für den Lebensunterhalt des Stephanos sorgen. All diese Aussagen sind jedoch kaum haltbar, und Stephanos bietet keine Beweise für diese Behauptungen.[13]
Ein Problem war zunächst, dass Phrynion erwartungsgemäß, sobald er von der Anwesenheit Neairas in Athen erfuhr, diese mit Hilfe mehrerer Freunde aus Stephanos' Haus verschleppte. Eine solche Handlungsweise bedeutete, dass er Rechte geltend machen wollte, die ein Herr seiner Sklavin gegenüber hatte. Doch ist es mehr als fragwürdig, dass Neaira in einem solchen Falle zurück nach Athen gegangen wäre. Stephanos brachte daraufhin eine Klage gegen Phrynion ein, und dieser wiederum antwortete mit einer Gegenklage. Somit musste der Status Neairas vor Gericht geklärt werden.[14]
Zunächst konnte sie zu Stephanos zurückkehren, der mit zwei Freunden für sie bürgte, zu einer Verhandlung kam es jedoch nie. Beide Seiten einigten sich darauf, private Schlichter (diaitetaí) zu konsultieren. Sie wählten jeder je einen Schlichter aus sowie einen dritten, der beiden genehm war. Ebenso vereinbarten sie, sich dem Schiedsspruch zu unterwerfen und keine weiteren rechtlichen Schritte zu unternehmen.[15]
Das Ergebnis war, wie oft in solchen Schlichtungsverfahren, ein Kompromiss, mit dem sowohl Phrynion als auch Stephanos leben konnten, Neaira hatte ohnehin von vornherein keine Wahl. Es wurde festgestellt, dass sie keine Sklavin, sondern eine Freigelassene sei. Sie musste jedoch außer Kleidung, Schmuck und ihren selbst gekauften Sklavinnen alles zurückgeben, was sie aus dem Haushalt Phrynions mitgenommen hatte. Außerdem sollte sie beiden Männern zu gleichen Teilen zur sexuellen Verfügung stehen. Für ihren Lebensunterhalt musste jeweils der Mann aufkommen, bei dem sie gerade lebte. Wie lange diese Übereinkunft eingehalten wurde, ist unklar, weil Phrynion von da an nie wieder in den Quellen genannt wird.[16]
Affären um Phano
Mehr als zehn Jahre nach diesem Ereignis wurde Phano, von der Apollodoros später behauptete, sie sei Neairas leibliche Tochter, zum ersten Mal verheiratet. Ihr Ehemann war ein Athener namens Phrastor. Doch funktionierte diese Ehe nicht und wurde nach etwa einem Jahr, als Phano gerade schwanger war, geschieden. Als Scheidungsgrund gab Phrastor an, dass er entdeckt habe, dass sie nicht die Tochter des Stephanos und seiner früherer Frau war, sondern die der Neaira. Ehen zwischen Athenern und Nichtathenern waren jedoch nicht gestattet. Der wahre Grund war aber wohl gewesen, dass Phano ihm seines Erachtens nicht genug Achtung entgegenbrachte und nicht das Ideal der athenischen Hausfrau verkörperte.[17]
Was nun folgte, war ein verworrenes Spiel. Da Phrynion die Mitgift von 3000 Drachmen nicht herausgeben wollte, verklagte ihn Stephanos, woraufhin Phrynion eine Gegenklage einreichte, da ihm Stephanos angeblich eine Nichtathenerin zur Frau gegeben hatte. Weil die athenische Gerichtsbarkeit in den Händen von Laienrichtern lag und vor Gericht am Ende die Partei gewann, die mit ihren Reden die Richter am ehesten überzeugen konnte, bestand immer die Gefahr, dass auch die Partei unterlag, die eigentlich im Recht war. Deshalb ließ Stephanos seine Klage fallen, was dann auch Phrastor tat. Hätte Stephanos den Prozess verloren, hätte er im schlimmsten Fall nicht nur die 3000 Drachmen sondern auch seine Bürger- und Ehrenrechte sowie sein Vermögen verloren. Auch Phano hätte ihren Status als Bürgerin verloren.[18]
Kurz nach dieser Episode wurde Phrastor ernsthaft krank. Trotz allem wurde er von Phano und Neaira gepflegt. Das taten beide wohl nicht ohne Hintergedanken, denn während seiner Krankheit erkannte er in seinem Testament Phanos Sohn - der ja auch sein Sohn war - als rechtmäßig und seinen Erben an.[19]
In den mittleren oder späten 350er Jahren v. Chr. führte eine neue Affäre um Phano Stephanos erneut vor Gericht. Er ertappte einen Gast der Familie – Epainetos, der angeblich ein früherer Kunde der Neaira war – beim Geschlechtsverkehr mit Phano. Als kyrios, als Hausvorstand und Schutzherr aller in seinem Haushalt lebenden Personen, hatte Stephanos das Recht, Epainetos zu bestrafen, sogar ihn zu töten. Doch er forderte von diesem nur 3000 Drachmen Schadensersatz. Epainetos war klug genug, darauf einzugehen und bestellte zwei Bürgen.[20]
Doch nachdem er in Freiheit war, verklagte er seinerseits Stephanos wegen vermeintlich ungerechtfertigter Gefangennahme. Weiterhin behauptete er, selbst kein moichos zu sein, dass Phano eine Prostituierte und Stephanos' Haus ein Bordell sei. Ebenso habe Neaira von der Affäre gewusst und alles sei nur eine Falle gewesen, die ihm gestellt wurde um Geld von ihm zu erpressen. Eigentlich wären alle diese Aussagen zu entkräften gewesen, da Epainetos kaum Zeugen gefunden hätte, die vor Gericht ausgesagt hätten, dass Phano eine Hetäre sei. Dennoch hätten die Richter womöglich annehmen können, dass ein Mädchen, dass in einem Haus mit der berüchtigten Hetäre Neaira aufwuchs, durchaus auch eine Hetäre sei.[21]
Wieder verzichtete Stephanos auf sein Recht und damit auf die 3000 Drachmen. Denn selbst wenn er Recht bekommen hätte, wäre die Affäre vor einem Gericht gelandet. Und dann wäre die Promiskuität Phanos bekannt geworden und die Chancen für eine erneute prestigeträchtige Verehelichung wären stark gesunken. In einem Schlichtungsverfahren wurde Stephanos immerhin ein Betrag von 1000 Drachmen zugestanden. Eine kurz darauf geschlossene zweite Ehe Phanos war zwar tatsächlich überaus prestigeträchtig aber am Ende auch nicht glücklich.[22]
Der Prozess

Nicht nur familiäre Probleme beschäftigten Stephanos. Er war auch ein politisch aktiver Mensch und als solcher oftmals in Prozesse verwickelt. Einer seiner wichtigsten Gegenspieler wurde der schon mehrfach erwähnte Apollodoros, der zu den reichsten Athenern seiner Zeit gehörte. Stephanos hatte diesem bei mehreren Gerichtsverhandlungen gegenübergestanden und ihm auch schmerzhafte Niederlagen zugefügt.[23]
Zwischen 343 und 340 v. Chr. brachte Theomnestes als Stellvertreter des Apollodoros nun eine Bürgerrechtsklage (xenías graphe) gegen Neaira ein, die eigentlich Stephanos treffen sollte. Laut dieser Anklage war Neaira zu Unrecht mit Stephanos verheiratet und ihre Kinder würden zu Unrecht als Athener Bürger ausgegeben.[24] Die meiste Zeit über führte Apollodoros das Wort der Anklage und versuchte zu beweisen, dass Neaira einen großen Betrug begangen habe. Von Beginn an wurde jedoch auch offen erwähnt, dass es eigentlich nur um die Rache an Stephanos ging. Dabei wurde eine Klage gegen eine dritte eigentlich unbeteiligte Person wie Neaira als legitim angesehen.[25]
Apollodoros legte ausführlich die Lebensgeschichte der Neaira dar und ging, wo er nur konnte, auf ihre angebliche Verderbtheit ein. Ebenso versuchte er mit heute zum Teil abenteuerlich anmutenden Argumenten zu beweisen, dass alle Kinder des Stephanos eigentlich Kinder der Neaira waren. Stephanos hätte demnach mit der Ehe sowohl gegen das Gesetz verstoßen, das besagte, dass man nur mit Athenerinnen verheiratet sein dürfte, als auch gegen das Gesetz, das es verbot, mit ehemaligen Prostituierten verheiratet zu sein. Auch die Beweise die Apollodoros für eine Ehe – die sich kaum vom Konkubinat unterschied und vor allem an der Stellung gemeinsamer Kinder zu erkennen war – sind nicht sehr stichhaltig[26].
Doch ist heute nur noch die Anklagerede und nicht das Ergebnis des Prozesses bekannt. Weder von Apollodoros noch von Stephanos, Neaira oder Phano ist anhand der überlieferten Quellen etwas aus der Zeit nach dem Prozess bekannt. Sollte Neaira – die am Prozess in der Männergesellschaft Athens nicht einmal als Zuschauerin teilnehmen durfte – unterlegen gewesen sein, hätte das für sie die erneute Versklavung bedeutet. Der Status der Kinder wäre äußerst ungewiss gewesen und Stephanos hätte sein Vermögen, seine Bürger- und Ehrenrechte verloren.[27]
Rezeption

Obwohl zu keiner andere Prostituierten des Altertums so viele Informationen überliefert sind, erscheint Neaira heute weniger in unserem Bewusstsein und nicht so legendär wie beispielsweise die beiden Lais, Thaïs oder Phryne. Die Anklageschrift gegen Neaira bietet den Historikern eine Schlüsselquelle zur Kultur-, Familien- und Ehegeschichte Athens sowie zur Prostitution und zum Hetärenwesen im antiken Griechenland. Überliefert wurde die Anklage, die Theomnestes und Apollodoros vor Gericht gehalten hatten, in einer Sammlung von Reden des Demosthenes, dem Apollodoros politisch nahe stand. Heute ist jedoch klar, dass diese Rede zu den pseudo-demosthenischen Reden gehört und nur fälschlicherweise in seinem Namen überliefert wurde.
Eine eigene Persönlichkeit der Neaira ist aus den Quellen schwerlich zu rekonstruieren. Da Neaira nur als Mittel zum Zweck einer bestimmten Sache benutzt wurde, tritt ihre Person in den Hintergrund. Keiner der Autoren - in erster Linie natürlich Apollodoros - ist wirklich an einer Charakterisierung Neairas interessiert. Wenn einmal eine solche erfolgt, dann nur um die Anklage zu unterstützen, nicht jedoch einer objektiven Darstellung Willens. Somit wissen wir zwar vieles aus verschiedenen Abschnitten ihres Lebens, über ihre eigenen Wünsche, über Sorgen, Nöte oder den Charakter können wir jedoch nichts sagen, höchstens Vermutungen anstellen.
Gerade in den letzten Jahren wurde die Rede und das Leben der Neaira immer öfter das Ziel von Spezialuntersuchungen. Debra Hamel schrieb 2004 sogar eine Monografie zu ihrer Person, die ebenso wie die Rede selbst von Kai Brodersen ins Deutsche übersetzt wurde. Trotz der neuesten Untersuchungen finden sich selbst bei modernen Historikern und Historikerinnen auch heute noch Personen, die die Anklageschrift des Apollodoros für bare Münze nehmen und in der wissenschaftlichen Literatur die leicht zu widerlegenden Behauptungen des Anklägers weitertragen. So behauptet noch Sarah B. Pomeroy[28], dass Phano Tochter der Neaira war und sie allein und als Hetäre drei Kinder aufgezogen hätte. Bildnisse Neairas, auch spätere Phantasieprodukte, sind aus der Antike nicht überliefert.
Quellen
- Athenaios 13,593f.–594a
- Pseudo-Demosthenes or. 59
- Deutsche Übersetzung in: Kai Brodersen: Antiphon, Gegen die Stiefmutter, und Apollodoros, Gegen Neaira (Demosthenes 59). Frauen vor Gericht. Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 2004 (Texte zur Forschung, 84), ISBN 3-534-17997-8.
Literatur
- James N. Davidson: Kurtisanen und Meeresfrüchte. Die verzehrenden Leidenschaften im klassischen Athen. Siedler Verlag, Berlin 1999, ISBN 3-833-30199-6 (Neuauflage Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2002; Original: Courtesans and Fishcakes: The Consuming Passions of Classical Athens. London 1997).
- Kurzweilige, manchmal jedoch etwas oberflächliche Einführung ins Privaeleben der antiken Athener. Auffällig ist ein fehlender Roter Faden im Werk.
- Debra Hamel: Der Fall Neaira. Die wahre Geschichte einer Hetäre im antiken Griechenland. Primus-Verlag, Darmstadt 2004, ISBN 3-89678-255-X.
- Debra Hamel beleuchtet in ihrem Buch zwar auf eindringliche Weise das Leben die Hintergründe der Lebenswelt Neairas, schafft es aber nicht, Distanz zum Thema zu wahren und versucht eine Ehrenrettung für diese zu liefern.
Referenzen
- ↑ Der Artikel in dieser Form basiert, wenn nicht anders angegeben, auf Debra Hamel, Der Fall Neaira. Die wahre Geschichte einer Hetäre im antiken Griechenland, Primus-Verlag, Darmstadt 2004, ISBN 3-89678-255-X.
- ↑ zu Nikarete und ihrem Bordell: Pseudo-Demosthenes 59,18 & 19
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,22
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,19; Athenaios, Deipnosophisten 13 567c & 586e
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,22 & 23
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,24
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,30
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,30
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,30-32
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,33
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,35 & 36
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,37
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,38 & 119
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,40
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,45
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,46-48
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,50
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,50-53
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,55-59
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,64 - 66
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,67
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,69-71
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,3-5
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,2
- ↑ Pseudo-Demosthenes 59,13-15
- ↑ Hamel (siehe Literaturliste), S. 61-132
- ↑ Hamel, S. 179
- ↑ Frauenleben im Klassischen Altertum, Kröner, Stuttgart 1985, S. 136; Original: Women in classical antiquity, Schocken Books, New York 1975
Personendaten | |
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NAME | Neaira |
KURZBESCHREIBUNG | griechische Hetäre |
GEBURTSDATUM | 4. Jahrhundert v. Chr. |
STERBEDATUM | 4. Jahrhundert v. Chr. |