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Benutzer:Stegosaurus Rex/Schindlers Liste 2

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Interpretation, Analyse und wissenschaftliche Rezeption

Filmhistorische Einordnung

Schindlers Liste wurde im Spiegel und anderen journalistischen Medien als erster großer Kinofilm eingeordnet, der den Holocaust zum zentralen Thema hat.[1] Manche Wissenschaftler wiesen derartige Einteilungen aber als Falschbehauptung zurück[2] beziehungsweise stuften sie als Missverständnis ein, welches die Rezeption des Films auch negativ beeinflusst habe. Vielmehr herrscht die Einschätzung vor, dass es sich nicht um einen Film über die Shoah handele, sondern um eine Ausnahmegeschichte über die Rettungsaktion eines Einzelnen vor dem Hintergrund der Judenvernichtung des Zweiten Weltkriegs.[3]

Spannungsdramaturgie

Zu den Elementen der Spannungsdramaturgie des Films gehört, entsprechend der Darstellung der Filmwissenschaftlerin Corell, die Wandlung des Protagonisten Oskar Schindler von einer aus Sicht des Zuschauers antipathischen Figur hin zu einem Sympathieträger. Antipathie löst Schindler in der Anfangsphase des Films beim Publikum etwa dadurch aus, dass er es sich selbstzufrieden in einer Wohnung bequem macht, von der eine jüdische Familie zuvor enteignet wurde. In der mittleren Phase des Films lässt sich die Haltung des Zuschauers gegenüber Schindler als Kriegsgewinnler als schwankend zwischen Anti- und Sympathie verstehen. Exemplarisch dafür ist die Szene, in der er eine junge jüdische Frau erst dann empfängt, nachdem sie ihr äußeres Erscheinungsbild verbessert hat, und ihre Bitte, ihre Eltern vor dem Tod im Lager zu retten, unfreundlich mit dem Hinweis zurückweist, dass sein Interesse nur den handwerklichen Fähigkeiten der Arbeiter gilt. Schindlers Wandlung hin zu einem empathischen, mutigen Menschen wird im letzten Drittel des Films vollendet, er wird darin zu einem vorbildhaften Helden und einer positiven Identifikationsfigur. Dies zeigt sich zum Beispiel daran, dass er die in gleißender Sonne bereitstehenden Viehwaggons mit Wasser benässen lässt, um den jüdischen Häftlingen darin Abkühlung zu verschaffen.[4]

Neben Schindler wird auch Amon Göth als schwer durchschaubar und schwer berechenbar dargestellt. Im Gegensatz zu Schindler macht Göth aber keine dauerhafte Wandlung zum Guten durch. Zum Beispiel zeigt Göth unter Schindlers Einfluss Anzeichen von Mitmenschlichkeit und verschont eine Lagerinsassin, die Zigarette raucht, vor dem Tod, erschießt dann aber den Jungen, der in seiner Villa arbeitet, wegen eines Vergehens. Zu den Parallelen zwischen Schindler und Göth gehören neben der Ambivalenz beider Charaktere auch ihr Vorteilsdenken und ihre Vorliebe für Luxus. Die Beziehung zwischen beiden Figuren oszilliert, so Corell, spannungsvoll zwischen Konkurrenz wegen gegenläufigen Zielen, einer gewissen Sympathie durch ähnliche Interessen und Zeichen von Freundschaftlichkeit.[5]

Zu den Spannungsverhältnissen des Films gehört auch, dass die Schindlerjuden ständig schwankend zwischen der Hoffnung auf Rettung und der Furcht vor neuer Lebensgefahr sind. Regelmäßig stellt Spielberg dem überwiegend glücklich ausgehenden Schicksal der Schindlerjuden die Vernichtung anonymer Opfer gegenüber. Zum Beispiel entkommen die Schindlerjüdinnen im KZ Auschwitz ihrer Ermordung, während eine anonyme Gruppe von Opfern in der Gaskammer ermordet wird. Visualisiert wird der Mord an den Juden nur in der ersten Hälfte des Films, im weiteren Verlauf hingegen wird er durch latente und akute Bedrohungsszenarien im Bewusstsein bzw. der Erinnerung des Zuschauers wachgehalten. Der Regisseur begrenzt damit die Visualisierung von Gewalt, er zeigt allenfalls deren Resultat oder deutet Tötungen nur an.[6]

Es gibt unterschiedliche Erzählperspektiven: Spielberg wechselt zwischen einer figurenunabhängigen Perspektive, die den Zuschauer in eine distanzierte Beobachterrolle versetzt, und einer figurenabhängigen, die unterschiedliche, hauptsächlich positive Identifikationsmöglichkeiten ermöglicht.[7]

Ein weiteres Element der Spannungsdramaturgie und zugleich ein wesentliches Stilmittel des Films ist die Asynchronität zwischen Bild und Ton. So werden die letzten Bilder einer Szene bzw. Sequenz schon mit der Tonspur der folgenden unterlegt. Dadurch werden ohne Spannungsabfall gleitende Übergänge geschaffen, das Erzähltempo beschleunigt und die Handlung verdichtet. Das Stilmittel wird teils auch zusammen mit der Parallelmontage eingesetzt.[8]

Dokumentarischer Charakter

Der Film weist etliche Merkmale auf, die ihn dokumentarisch und authentisierend, die Wirklichkeit abbildend, wirken lassen. Dazu gehört, dass er überwiegend in Schwarz-Weiß gedreht wurde, den Farben, in denen auch die meisten fotografischen und filmischen Aufnahmen aus der Zeit des Holocaust sind und im Zuschauer Assoziationen mit der damaligen Zeit wecken. Weiterhin kommt zur Authentizitätssteigerung Originalton-Material zum Einsatz, bei dem es sich um Winston Churchills Radioansprache handelt, in der er die Kapitulation Deutschlands verkündet. Abgesehen von den Namen der Schindlerjuden im Epilog werden zudem an 24 Stellen im Film Untertitel eingeblendet, die Informationen zum Beispiel über die Handlungszeit, den Handlungsort oder den Kriegsverlauf enthalten. Sie geben dem Film einen journalistischen Anstrich und wirken wie ein Ersatz für einen Erzähler oder Kommentator. Zur dokumentarischen Wirkung tragen überdies die Originalschauplätze bei, an denen gedreht wurde, und der Verzicht auf Schauspieler mit sehr hohem Bekanntheitsgrad, wodurch die Aufmerksamkeit des Zuschauers stärker auf der verkörperten Figur als auf der Persönlichkeit ihres Darstellers liegt. Nicht zuletzt ist die Tatsache, dass der zweite Teil des Epilogs in der Gegenwart spielt, ein wesentliches Charakteristikum für den Eindruck des Zuschauers, dass das zuvor Gesehene der Wahrheit entspricht. Einen die Authentizität steigernden Eindruck hat im Übrigen auch die Handkameraästhetik: Die Handkamera wird sehr bewegungsreich und wackelnd geführt, versetzt den Zuschauer in die Lage eines stillen Beobachters, gibt ihm das Gefühl des unmittelbaren Dabeiseins und verleiht dem Film einen – wie Korte es formulierte – „Newsreel-Effekt“.[9][10]

Visuelle Nachbildungen und Bildzitate

Zur Betonung des dokumentarischen Charakters von Szenen arbeitet der Film mit visuellen Nachbildungen beziehungsweise Bildzitaten historischer Fotografien. Eines der im Film nachgebildeten Fotos zeigt die Straße im Ghetto mit lauter Koffern und Kleidungsstücken und symbolisiert die Abwesenheit der deportierten Bewohner; auf einem anderen, von Spielberg im Film zitierten Foto ist Göth auf seinem Pferd zu sehen; wiederum andere Szenen zitieren Margaret Bourke-Whites Aufnahmen von Häftlingen hinterm Stacheldrahtzaun befreiter Konzentrationslager.[11]

Doch nicht nur historische Fotografien, sondern auch Bildmaterial aus früheren Filmen, die den Holocaust thematisieren, werden in Schindlers Liste nachgebildet und zitiert. Hinsichtlich der Darstellung der Konzentrationslager etwa mit matschigem Boden, über den die Häftlinge laufen, verweist der Film – so, wie auch Sophies Entscheidung (1982) und viele andere, vor Schindlers Liste entstandene Filme – auf den polnischen Spielfilm Die letzte Etappe (1948). Auf den Dokumentarfilm Nacht und Nebel (1956) spielt Spielbergs Film an, indem er die Montagesequenz nahezu identisch nachbildet, die Kofferstapel und Berge von Schuhen und Brillen zeigt.[12]

Bei den Zitaten und Nachbildungen von Bildern aus früheren Filmen handelt es sich um visuelle Stereotypen, die – entsprechend der Einschätzung des Wissenschaftlers Tobias Ebbrecht – als Ersatz für Primärerinnerungen, die im Publikum fehlen, an das historische Ereignis dienen. Der Film konstruiere sich auf diese Weise „als ein neues Momument der Erinnerung, das sich vorherige filmische Erinnerungsformen einverleibt und deren Wirkungen in die eigene ästhetische Wirkungsstrategie integriert.“[13]

Die visuellen Nachbildungen haben auch den Charakter von Bildikonen. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Geste einer durchgeschnittenen Kehle, mit der ein polnischer Junge den Juden im vorbeifahrenden Deportationszug ihr bevorstehendes Schicksal anzeigt. Schindlers Liste adaptiert damit die Geste eines in Lanzmanns Dokumentarfilm Shoah (1985) interviewten polnischen Mannes, der seine Hand entlang seines Halses bewegt und damit seine Erinnerung an die Ermordung der Juden verdeutlicht. Die Kehlenschnitt-Geste wird in Spielbergs Film gleich dreimal gezeigt. Zweimal ist sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu sehen, ehe eine der beiden Aufnahmen erneut gezeigt wird, nun allerdings in Zeitlupe, die den ikonischen Charakter des Motivs betont.[14]

Vergleich mit der Romanvorlage

Gegenüber Keneallys Roman sind im Film besonders die Rollen von Stern und Göth verschoben. So wird Sterns Beziehung mit Schindler im Roman als „sonderbare Freundschaft“ beschrieben und Stern tritt nur gelegentlich auf, wobei er warnt, Rat gibt und Zuspruch erteilt. Im Film hingegen hat das Verhältnis der Beiden eher den Charakter eines Aktionsbündnisses und Stern ist, im Gegensatz zum Roman, Geschäftsführer von Schindlers Emailwarenfabrik, welche im Roman von Abraham Bankier geleitet wird. Auch andere Aktivitäten sind im Film, anders als im Roman, in der Figur Stern gebündelt, darunter die Beschaffung von Geld für Schindlers Fabrik und die lebenswichtige Vergabe von Blauscheinen an die jüdischen Arbeiter, aber auch die Zusammenstellung der für die Schindlerjuden lebensrettenden Namensliste, bei der Stern im Roman keine erkennbare Rolle spielt.[15]

Um die Übersiedelung der jüdischen Zwangsarbeiter und seines Betriebes nach Mähren zu erreichen, hat Schindler im Roman vor allem die Hürden behördlicher NS-Stellen in Berlin, Krakau und Mähren zu überwinden. Der Film hingegen vermittelt den Eindruck, dass Schindler zur Verlegung des Betriebes Göth die Arbeiter abkauft. Auch erzeugt der Film beim Zuschauer die Vorstellung, dass erst Göths Eintreffen in Krakau Anfang 1943 das brutale Morden in Gang gesetzt habe. Dies steht im Gegensatz zum Roman, demgemäß es schon Mitte 1942, also vor der Liquidierung des Krakauer Ghettos, einen Überfall der SS auf die Ghettobewohner gegeben hat. Anders als im Film dargestellt, war es entsprechend dem Roman dieser Überfall, den Schindler mit seiner Freundin von dem Hügel aus beobachtet hat und bei dem ihm das rot gekleidete Mädchen aufgefallen ist.[15]

Im Gegensatz zum Roman fokussiert Spielberg die Handlung im Film auf die drei Hauptfiguren Schindler, Göth und Stern. Während der Roman auch unterschiedliche Überlieferungen zum tatsächlichen Geschehen anbietet und dabei auf Pathos verzichtet, kennt der Film, wie es der Literaturwissenschaftler Eckart Oehlenschläger formulierte, „keine hypothetischen Perspektiven […], sondern nur die Wirkung der größten Wucht“; der Regisseur transformiere das Geschehen zur „Helden-Legende“. Oehlenschläger resümierte: „Der Ehrgeiz von Spielbergs Methode zielt auf den Glanz der Überbietung, auf die Überwältigung des Zuschauers, der die Macht der Bilder als wahr nimmt, ohne ihren Schein wahrzunehmen.“[15]

Filmmusik

Die Filmmusik wird nach einem bestimmten Muster eingesetzt, wie es der Musikwissenschaftler Berner beschrieben hat. Demzufolge wird diegetische Popmusik – also von sichtbaren Instrumenten gespielte Musik – dazu genutzt, Hedonismus sowie Gier von Mitläufern und Umstehenden abzubilden. Zum Beispiel wird Oskar Schindler mit internationaler Popmusik aus den 1930er Jahren eingeführt, darunter dem Tango Por una cabeza, und damit auch als ein Dandy charakterisiert. Nichtdiegetische Musik, also Hintergrundmusik, dient dazu, Mitgefühl, Mut und Großzügigkeit darzustellen, zu ihr gehört auch das Hauptthema. Hingegen werden Lärm oder Stille dazu eingesetzt, Gewalt zu kennzeichnen, die insbesondere von Nazis ausgeht. Zu dem Lärm gehören die Geräusche von Lkw- oder Pkw-Motoren, pfeifende Dampflokomotiven, Maschinengewehrsalven und Einzelschüsse.[16]

Das Hauptthema des Soundtracks unterstreicht die Wandlung Schindlers von einem Nazi-Kollaborateur und -Profiteur hin zu einem heldenhaften, altruistischen Retter. So wird die Musik anfangs, bei Schindlers erstem Entschluss, ein älteres Paar vor seiner Deportation zu bewahren, noch behutsam und, nur von einer Gitarre gespielt, eingesetzt. Später dann, als Schindler mit Sterns Hilfe beginnt, die rettende Liste zu schreiben, erklingt die Musik deutlicher, nunmehr gespielt von dem Geiger Itzhak Perlman und orchestral begleitet. In der zweiten Hälfte des Films dient das Hauptthema dazu, das Happy End anzukündigen und zu unterstützen.[16]

An dem Soundtrack kommt durch verschiedene Stile jüdischer Musik eine ausgeprägte jüdische Identität und aschkenasische Tradition und damit die auf dokumentarische Wirkung zielende Strategie des Regisseurs zum Ausdruck. Zu den Musikstilen gehören neben der religiösen Musik des gesungenen Sabbat-Gebets am Filmbeginn auch die Stücke, die während der Auflösung des Krakauer Ghettos erklingen. Diese bestehen aus Klezmer-Musik, hier vor allem in Form des Klarinettensolos von Giora Feidman, und dem von einem Kinderchor gesungenen jiddischen Volkslied Oyfn pripetschik. Es wurde von Mark Warschawskyj im 19. Jahrhundert komponiert und war in der jüdischen Gesellschaft vor dem Zweiten Weltkrieg sehr populär, ehe es wegen bestimmter Textvarianten, die den Leidensweg des jüdischen Volks mit den Ereignissen der frühen 1940er Jahre verbinden, auch als ‚Ghettolied‘ bekannt wurde.[17][16]

Einzelnachweise

  1. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen spiegel-1994-02-21.
  2. Peter Reichel: Erfundene Erinnerung. Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater, Hanser Verlag, München 2004, ISBN 9783446204812, S. 316
  3. Helmut J. Schneider: Den Toten ein Gesicht geben? Zum Problem der ästhetischen Individualisierung in Schindlers Liste und der Holocaust-Fernsehserie, in: Berghahn, Schneider et al. 2002, S. 69–82, hier: S. 78
  4. Corell 2009, S. 246–249
  5. Corell 2009, S. 249–251
  6. Corell 2009, S. 253–257
  7. Corell 2009, S. 258
  8. Corell 2009, S. 258–260
  9. Zitat aus Corell 2009, S. 235
  10. Noack 1998, S. 99–115
  11. Ebbrecht 2011, S. 188
  12. Ebbrecht 2011, S. 188–191
  13. Ebbrecht 2011, S. 198
  14. Ebbrecht 2011, S. 194 f.
  15. a b c Eckart Oehlenschläger: Steven Spielbergs Film Schindlers Liste: „Based on the novel by Thomas Keneally“. In: Berghahn, Schneider et al. 2002, S. 97–110, Zitate in selber Reihenfolge von S. 100 (von T. Keneally), 106 (zwei) und 109
  16. a b c Elias Berner: ‘Remember me, but forget my fate’ – The use of music in Schindler’s List and In Darkness. In: Holocaust Studies, Spezialausgabe Contemporary Holocaust Film, 2019, S. 1–15, hier: S. 3–7
  17. Bettina Schlüter: Erzählstrategische Funktionen der Filmmusik in Schindlers Liste, in: Berghahn, Schneider et al. 2002, S. 83–96, hier: S. 85