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Polynesien

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Polynesien (aus dem Griechischen: poly = viele; nesoi = Inseln) ist sowohl eine großflächige pazifische Inselregion als auch die östlichste der Kulturregionen Ozeaniens. Die Bezeichnung „Polynesien“ wurde 1756 erstmals von dem französischen Gelehrten Charles de Brosses verwandt, welcher mit diesem Namen alle Inseln des pazifischen Ozeans ansprach. Der französische Konteradmiral Jules Dumont d'Urville schlug im Jahre 1831 anlässlich eines Vortrages vor der geographischen Gesellschaft von Paris eine Einschränkung des Begriffes vor und führte die die Bezeichnungen Mikronesien und Melanesien für Teile des pazifischen Inselreiches ein. Er begründete dies mit den ethnischen Gegebenheiten, welche die Bezeichnung Polynesien nur für Teile des pazifischen Siedlungsraumes zuließe. Diese Unterteilung Ozeaniens in drei unterschiedliche Regionen ist bis heute im allgemeinen Sprachgebrauch verankert geblieben.

Polynesisches Dreieck

Geographie

Polynesien mit seinen weit über 1000 Inseln und Inselgruppen erstreckt sich von den Hawai’i-Inseln (USA) im Norden nach Neuseeland im Südwesten und der Osterinsel (Chile) im Südosten. Im Westen verläuft die Grenze zwischen den (mikronesischen) Gilbertinseln und Tuvalu. Man nennt dieses Seegebiet auch das „polynesische Dreieck“ (Siehe oben). Es umfasst ein Meeresfläche von rund 50 Millionen km². Die polynesischen Inseln haben zusammen eine Landfläche von rund 294.000 km². Sie sind teilweise vulkanischen Ursprungs und zu anderen Teilen aus Korallenriffen gewachsen. In ihrer Größe variieren sie erheblich. Es finden sich hunderte kleiner und kleinster Koralleninseln, die in der Regel in Form von Atollen angeordnet sind. Dazu kommt eine große Anzahl mittelgroßer Inseln und einige wenige große Inseln. Die Entfernungen zwischen den verschiedenen Inseln und Inselgruppen betragen oft mehrere tausend Kilometer. Die nahezu unendliche Weite des Ozeans ist das alles bestimmende Element der polynesischen Geographie. Eine tabellarische Auflistung der verschiedenen polynesischen Inseln und Inselgruppen findet sich am Ende dieses Artikels.

Bevölkerung

Die Gesamtbevölkerung Polynesiens wird heute auf ungefähr sechs Millonen Einwohner geschätzt, davon annähernd eine Million Polynesier. Äußerlich unterscheiden diese sich von den übrigen Ozeaniern durch hellere Hautfarbe, glattere Haare und größere Gestalt. Im Zuge der weitgehenden Kolonialisierung des polynesischen Seeraumes durch die europäischen Mächte und die vereinigten Staaten von Amerika im 19. und dem beginnenden 20. Jahrhundert kam es zu einer massiven Einwanderung fremder Siedler, Wanderarbeiter und Sklaven aus vieler Herren Länder. Dies führt heute zu einem uneinheitlichen Bild der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung Polynesiens. Auf manchen Inseln ist der Anteil der Bewohner ursprünglich polynesischer Abstammung nur mehr äußerst gering – so zum Beispiel auf Hawaii: Hier beträgt der polynesische Bevölkerungsanteil gerade noch ca. 6,5 % –, auf anderen Inselgruppen hingegen sind die Polynesier noch immer in der absoluten Mehrheit, wie etwa auf Tonga, wo 98 % der Bewohner polynesischer Abstammung sind. Der Großteil der fremdstämmischen Bevölkerung hat seine Wurzeln im asiatischen Raum (China, Japan, Indien, die Philippinen usw.), gefolgt von Bewohnern mit europäischer und amerikanischer Vergangenheit.

Soziokulturelle Entwicklung der Bevölkerung

Kanufahrt im polynesischen Kulturzentrum auf Hawaii

Auf Grund der Tatsache, dass das polynesische Dreieck sich über ein ungeheuer großes Seegebiet erstreckt, in welchem die verschiedenen Inselgruppen vielfach tausende von Kilometern voneinander entfernt liegen, ist es niemals zu einer einheitlichen gesellschaftlichen oder gar politischen Entwicklung auf den polynesischen Inseln gekommen. Nach dem Eintreffen der Europäer im späten 18. und 19. Jahrhundert und der darauf folgenden Kolonisierung der Region haben sich diese Unterschiede in der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Region noch wesentlich stärker ausdifferenziert. Heute findet man neben wirtschaftlich und politisch hoch entwickelten Regionen, in denen sowohl bezüglich Bildung als auch Kultur westliche Standards gelten, auch Inselgruppen deren Bewohner nach wie vor wirtschaftliche und gesellschaftliche Vorgehensweisen pflegen, wie man sie im wesentlichen schon vor Jahrtausenden in der Region verwandte. Nach wie vor bestehen abhängige Gebiete ehemals europäischer und amerikanischer Kolonien, denen man heute einen aufgewerteten Status als Überseeterritorien oder Bundesstaaten zuspricht, neben unabhängigen kleinen Königreichen, kleinen demokratisch geführten unabhängigen Staaten und hier oftmals wiederum abhängigen Gebieten, in welchen noch die alten Stammestraditionen gepflegt werden.

Ein auch nur im entferntesten einheitliches Bild des kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Zustandes der Region kann daher nicht gezeichnet werden. Die Unterschiede sind zu groß, eine gemeinsame Entwicklung findet nicht statt. Einzige Ausnahme hierbei ist, dass im gesamten polynesischen Kulturraum unter den indigenen Bevölkerungsschichten in den letzten Jahren eine Rückbesinnung auf ehemalige gemeinsame kulturelle Werte und Denkweisen begonnen hat. Diese Bewegung gewinnt in ganz Polynesien zunehmend an Bedeutung, fordert Anerkennung und in vielen Fällen auch alte Rechte und verloren gegangenen Besitztitel zurück. Doch auch hier finden sich unterschiedliche lokale Ausrichtungen und Zielsetzungen, die sich nach den jeweiligen örtlichen Bedingungen richten. Wenn man sich daher ein zutreffendes Bild über die gesellschaftliche und politische Entwicklung im modernen Polynesien machen will, ist es unumgänglich, die einzelnen Regionen und Inselgruppen gesondert zu betrachten. Daher der Verweis auf die oben angeführte Liste der Staaten und Inselgruppen Polynesiens. In den zugehörigen Artikeln werden die jeweiligen lokalen Besonderheiten im einzelnen dargestellt.

Geschichte

Besiedlung

Das polynesische Dreieck stellt eines der größten zusammenhängenden Siedlungsgebiete der Erde dar. Die Art und Weise sowie der Zeitrahmen der Besiedelung Polynesiens durch seine ursprünglichen Bewohner ist bis heute nicht abschließend geklärt. Es wird befürchtet, dass eine eindeutige Klärung auch in Zukunft nicht mehr möglich sein wird, da allzu viele Zeugnisse der alten polynesischen Kultur unwiederbringlich verloren sind.

Doppelinseln von Lanikai. (Oahu/Hawaii) Foto Eric Guinter
  • Nach einer Theorie des Archäologen Peter Bellwood drangen etwa um 1500 v. Chr. Seefahrer aus Taiwan über die Philippinen in den Raum des Inseldreiecks Tonga/Fidschi/Samoa vor, und breiteten sich über die Inselwelt aus. Diese Theorie wird mit der Entwicklung des Pflanzenanbaus der Gegend und dem Aufkommen einer bestimmten Art von Keramik (sog. Lapita-Ware) begründet.
  • Andere Historiker vermuten eine Besiedlung von Melanesien aus, wonach bereits um 1300 v. Chr. die Fidschi Inseln erreicht wurden. Von dort aus erfolgte die Ausbreitung weiter ostwärts über Samoa und Tonga bis zur chilenischen Osterinsel.
  • Der Völkerkundler Thor Heyerdahl hat gezeigt, dass eine Besiedlung Polynesiens theoretisch auch von Osten her möglich gewesen wäre. Mit der Kon-Tiki, einem Floß aus Balsaholz, wie es schon die Ureinwohner Perus an der Westküste Südamerikas bauten, ist Heyerdahl 1947 von Südamerika bis zum polynesischen Tuamotu-Archipel vorgedrungen. Nach Ansicht des Forschers erleichtern der Humboldtstrom sowie die vorherrschenden Winde den Seeverkehr von Ost nach West, und erschweren ihn in der Gegenrichtung. Deshalb sei eine Besiedlung aus östlicher Richtung wahrscheinlich. Heyerdahl ist allerdings jeglichen anthropologischen oder genetischen Beweis für seine Thesen schuldig geblieben. Eine vom amerikanischen Kontinent ausgehende Besiedlung Polynesiens gilt deshalb heute in Forscherkreisen als äußerst unwahrscheinlich.
  • Eine in den letzten Jahren von vielen Wissenschaftlern geteilte Auslegung besagt, dass bereits um 4000 v. Chr. seefahrende Völker aus Südostasien, die so genannten Austronesier, damit begonnen hätten, sich über die Inselgruppen des westlichen Pazifik stetig Richtung Osten auszubreiten. Über die Salomon-Inseln hätten sie um 1100 vor Chr. Tonga und Samoa erreicht. Auf Grund einer stetig wachsenden Bevölkerung und daraus entstehender Konflikte um Siedlungsland wären Gruppen von ihnen immer weiter gen Osten gezogen und hätten um 300 v. Chr. die Marquesas-Inseln erreicht. Es wird postuliert, dass die weitere Besiedlung des polynesischen Dreiecks fortan ihren Ausgangspunkt auf den Marquesas hatte: Man nimmt an, dass die Polynesier von dort aus um 300 n. Chr. die Osterinsel erreichten, um 400 n. Chr. nach Hawaii gelangten und um 1000 n. Chr. in Neuseeland Fuß fassten.

Bedauerlicherweise ist es bis heute so, dass keine dieser Annahmen wissenschaftlich ausreichend gestützt ist: Weder der Vergleich von Sprachen und Dialekten, die Untersuchung ethnischer Eigenarten der Bevölkerungsgruppen, die Einordnung der wenigen archäologischen Funde, noch der Versuch, an Hand des Vorkommens der vom Menschen in diesen Lebensraum eingeführten Nutzpflanzen auf die genauen Wege der Besiedlung zu schließen, haben eine eindeutige Beweislage für die eine wie die andere Theorie ergeben.

Einflüsse von Außen

Kapitän Wallis trifft Königin Oberea in Tahiti. cirka 1772

Die ersten Europäer die das polynesische Inselreich näher erkundeten waren der Englische Forscher Samuel Wallis im Jahre 1767, der Franzose Louis Antoine de Bougainville 1768 und James Cook im Jahr 1769. Besonders die Berichte James Cook's und der Forscher, welche ihn begleiteten (u.a. Johann Reinhold und Georg Forster) lenkten die Blicke Europas auf die Region. Schon bald folgte den ersten europäischen Entdeckern eine großen Zahl an Händlern und Abenteurern, mit verhängnisvollen Folgen für die polynesischen Ureinwohner: Die nun eindringenden Europäer und Amerikaner waren ausschließlich auf der Suche nach neuen Routen, seltenen Hölzern, Fellen und Rohstoffen. Sie zeigten wenig Respekt oder Interesse, die tausende Jahre alte Kultur Polynesiens kennenzulernen und zu erhalten. Überdies schleppten sie eine große Zahl von Infektionskrankheiten ein, die bislang in der Region nicht bekannt waren und gegen welche die Polynesier keine Immunabwehr besaßen. Diese Krankheiten rafften binnen kürzester Zeit einen großen Teil der Bevölkerung auf den Inseln von Polynesien dahin. Ein weiterer Teil wurde systematisch dezimiert, als im Gefolge der europäischen Kaufleute auch Sklavenhändler die Inseln heimsuchten.

Schon bald kamen auch die ersten christlichen Missionare nach Polynesien. Auf vielen Inseln führten sie einen erbitterten Kampf gegen ererbte kulturelle und religiöse Überzeugungen. Vielerorts verbanden sie sich mit den herrschenden Familien, zerstörten die Tempel und drängten die Ausübung einheimischer Rituale, Tänze und Gesänge zurück.

Kurz darauf gab es erste politische Umbrüche: Die führenden seefahrenden Nationen Europas und später auch die vereinigten Staaten von Amerika hatten schon früh die militärische Schwäche der Völker der Region erkannt und begannen alsbald, Insel um Insel zu annektieren und ihren Kolonialreichen einzuverleiben. Am Ende blieb nur Tonga als einzige polynesische Nation, welche nie das Schicksal einer Kolonie erleiden musste.

Es wurden aber auch weitere Expeditionen in diesen Regionen durchgeführt, die sowohl Seewege als auch Land entdecken und die Lebensart der Bewohner studieren sollten. Auf diesen Schiffen befanden sich Wissenschafter, die mit großem Ernst und großer Neugier sowohl die Gebräuche als auch die Sprache der Polynesier studierten. Der deutsche Dichter Adelbert von Chamisso (1781–1838) war einer der ersten, die in deutscher Sprache Teile von Polynesien (u.a. Hawaii) und die dort lebenden Völker beschreibt. Er war Teinehmer der russischen Rurik-Expedition unter Kapitän Otto von Kotzebue, welche eine nicht unerhebliche Zeitspanne im Bereich Polynesiens verbrachte und mehrere hundert Inseln besuchte und kartographierte. Forschern wie Cook oder Chamisso verdanken wir einen Großteil der Kenntnisse über das ursprüngliche Leben einer Kultur, deren Wurzeln heutzutage weitgehend verloren sind.

Kultur

Obgleich viele der Inseln Polynesiens durch tausende Kilometer offenes Meer voneinander getrennt sind und der gegenseitige Kontakt zwischen den Bewohnern entfernter Inselgruppen oft über Jahrhunderte unterbrochen war, verbindet die Inselwelt doch eine in ihren wesentlichen Zügen gemeinsame Kultur. Dies beginnt bei den Sprachen, welche erhebliche Gemeinsamkeiten aufweisen, führt über die gleichartigen religiösen Vorstellungen und die Ähnlichkeit der gesellschaftlichen Strukturen hin zu nahe verwandten Methoden in Landwirtschaft, Handwerk, Hausbau und Schifffahrt, die sich überall in der Inselwelt nachweisen lassen. Allerdings haben sich innerhalb dieses Kulturkreises dank der räumlichen Trennung viele den jeweiligen Inselgruppen eigene kulturelle Verzweigungen ausgebildet.

Holzschnitzerei an einem Haus. Māori, des Stammes Ngāti Awa - Neuseeland, ca. 1840.

Diese unterteilen sich in zwei wesentliche Strömungen: Den west-polynesischen Kulturraum mit Tonga, Niue, Samoa und den polynesischen Exklaven sowie den ost-polynesischen Kulturraum, welcher sich über die Cook Inseln, Tahiti, den Tuamotus, Marquesas, Hawaii bis zur Osterinsel erstreckt. Die Kulturen West-Polynesiens waren besonders an höhere Bevölkerungszahlen angepasst. Sie besaßen ein hochentwickeltes Rechtssystem und pflegten eine fortgeschrittene Handelstradition. Die gesellschaftlichen Strukturen waren starr und wurden durch ein rigides Heiratsrecht zementiert. Die ost-polynesischen Kulturen hingegen hatten sich vor allem an die schwierigen Bedingungen auf kleineren Inseln und Inselgruppen eingestellt. Obgleich von Natur aus konservativ, besaßen sie eine hohe Flexibilität, wenn es darum ging, die Opfer eventueller Naturkatastrophen auszugleichen. Die sozialen Institutionen und Hierarchien waren im Prinzip durchlässiger, allerdings wurde ihr grundsätzlicher Erhalt mit großer Härte durchgesetzt.

Eine Sonderolle spielt in diesem Zusammenhang die Kultur der Maori in Neuseeland. Diese entstammt dem ost-polynesischen Kulturkreis, denn die Inseln wurden von Ost-Polynesiern besiedelt. Konfrontiert mit den Erfordernissen und Eigenarten des Lebens auf großen Inseln ist die Maori-Kultur seither aber in vielen Bereichen eigene Wege gegangen.

Die polynesischen Gesellschaften trugen einen ausgesprochen kriegerischen Charakter und häufige Kriegszüge zwischen rivalisierenden Stämmen waren üblich. Diese Kriege wurden nicht selten mit ausgesprochener Grausamkeit geführt und in vielen Stammesgruppen gehörten Menschenopfer sowie Kannibalismus zum Alltag derartiger Auseinandersetzungen.

Allen polynesischen Kulturen ist gemeinsam, dass sie niemals eine Schriftsprache entwickelt haben. Alles Wissen und die Geschichte jeder Insel wurden in mündlicher Tradition mittels oftmals tausende Zeilen langer Gesänge und Texte überliefert. Ebenso wenig kannten die Polynesier die Bearbeitung und Verwendung von Metallen. Die Bezeichnung dieser Kulturen als „steinzeitlich“ ist allerdings nicht korrekt, da diese Klassifizierungweitgehend auf Europa und Teile Westasiens und Nordafrikas beschränkt[1] ist. Die ersten Europäer, die mit Polynesiern in Kontakt kamen, bezeichneten sich selbst als „Entdecker“ und kamen zu der irrtümlichen Einschätzung, sie hätten es hier mit einer primitiven Kulturform zu tun. Erst spät wurde erkannt, dass die polynesische Kultur hochentwickelt und in der Anpassung an ihr schwieriges maritimes Umfeld ausgesprochen leistungsfähig war.

Religion

In den polynesischen Sprachen existiert kein eigenständiges Wort für Religion, denn in der Weltsicht der Polynesier gab es den Unterschied zwischen einer diesseitigen und einer jenseitigen Welt nicht in einer Form, wie sie uns heute selbstverständlich erscheint. Nein, die Welt der Polynesier stellte sich anders dar: Götter oder Geister waren lebendiger Bestandteil ihres täglichen Lebens und die menschlichen Ahnen galten als reale und überaus wichtige Instanz, die bei jeder bedeutenden Entscheidung um ihr Einverständnis befragt wurden. Magische Beziehungen zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und Dingen durchwoben die Welt der Polynesier und verbanden sie untrennbar mit der Welt ihrer Götter und Ahnen. Dieses Religionsverständnis hatte bedeutende Auswirkungen in allen Bereichen der polynesischen Gesellschaft. Ob die soziale Rangordnung oder die tägliche Lebensgestaltung des Individuums, jedes Detail der polynesischen Kultur unterlag den Folgerungen aus dieser Weltsicht: Jedes Handwerk, jede Kunst, jeder Fischzug, und jede bewaffnete Auseinandersetzung war direkt an diese gleichermaßen weltliche wie spirituelle Sicht der Realität gekoppelt. Ein Verständnis der polynesischen Kultur wie Gesellschaft ohne grundsätzliche Einbeziehung dieser transzendenten Grundhaltung ist daher nicht möglich. Eine Beschreibung der traditionellen polynesischen Welt muss dieser Tatsache Rechnung tragen, wenn sie eine Näherung an das Wesen dieser alten Kultur zum Ziel hat.

Der polynesische Götterhimmel

Moais am Ahu Akivi, Osterinsel

Wenngleich auf oben beschriebene Weise die grundsätzlichen religiösen Vorstellungen in allen polynesischen Gesellschaften sehr ähnlich sind und auf denselben prinzipiellen Grundvorstellungen beruhen, haben sich in den verschiedenen Regionen doch unterschiedliche Formen und Glaubensinhalte ausgebildet. Die Götter der Maori sind daher nicht gleichzusetzen mit denen der Völker auf Tahiti oder auf Hawaii. Dies beruht auf der Tatsache, dass die polynesische Götterwelt sehr stark an die jeweilige Region und Genealogie der dort heimischen Völker gebunden ist. Zwar gibt es eine allen polynesischen Völkern gemeinsame Wurzel dieser Götterwelt, doch diese ist sodann in ihrer Weiterentwicklung von eben diesen regionalen Gegebenheiten abhängig:

Gemeinsam haben sie alle die Idee eines Schöpfungsmythos, welcher die Entstehung der Welt zum Inhalt hat. Im Rahmen dieses Mythos erscheinen erste Göttergestalten. Aus diesen entwickeln sich sodann verschiedene Genealogien, welche zum einen die Entwicklung der Geschlechter der Götterwelt zum Inhalt haben, aber schon bald auch die Geschichte menschlicher Geschlechter in diesen Rahmen einbeziehen. Wie gesagt: Die jenseitige und diesseitige Welt war in den Augen der Polynesier untrennbar ineinander verwoben. So konnte es also durchaus passieren, dass im Rahmen derartiger Genealogien die Uhrahnen eines menschlichen Geschlechtes in naher Verwandtschaft zum Gott oder der Göttin stehen, welche den am Ort befindlichen Vulkan zur Heimstatt erkoren hat. In vielen Fällen wurden Könige oder Menschen aus adeligen Familien deshalb bereits zu ihren Lebzeiten in den Stand von Göttern gehoben.

Diese Mythen und Genealogien werden seit tausenden von Jahren in Gesängen und Texten der verschiedenen polynesischen Völker überliefert, oft in Form sehr lebendiger und drastischer Darstellung. Der Götterhimmel Polynesiens ist also überaus vielgestaltig und dank seiner regionalen Ausformungen kaum überschaubar. Die ihm entsprungenen Mythen werden – sofern sie im Zuge von Christianisierung und Kolonisation nicht unwiderruflich verloren gegangen sind – die Forschung deshalb noch lange Jahre beschäftigen.

Mana

Datei:Cookdollar.jpg
1-Dollar-Kursmünze von den Cookinseln mit religiösem Motiv: Fruchtbarkeitsgott

Ein weiteres zentrales Element polynesischer religiöser Glaubensvorstellungen findet sich unter dem Begriff des „Mana“: In seiner grundlegenden Bedeutung meint Mana zuerst einmal nichts anderes als „Macht“. Allerdings ist in der polynesischen Weltsicht dieser Begriff ungleich weiter gespannt, als in unserem Kulturkreis üblich, da – wie oben bereits angedeutet – die Polynesier eine Trennung zwischen jenseitiger und diesseitiger Welt nicht in einer Form vornahmen, wie sie uns geläufig ist. Mana besitzt in der polynesischen Kultur deshalb eine starke spirituelle Komponente, wird daher auch und in wesentlichem Maße als spirituelle Macht verstanden. Es bezeichnet eine spirituelle Kraft, die gleichermaßen die jenseitige Welt der Götter und Ahnen durchdringt, als auch die diesseitige Welt des täglichen Lebens. In den Augen der Polynesier ist daher alles von dieser Kraft durchdrungen: Jeder Stein, jede Pflanze, jedes Tier und eben jeder Mensch besitzt folglich das ihm gemäße Mana. Dies gilt indes nicht nur für einzelne Entitäten sondern auch für übergeordnete Zusammenhänge. Ein Waldstück hat ebenso sein spezifisches Mana, wie ein Saumriff, ein Berg oder eine ganze Insel. Diese Beziehung reicht tief in's Jenseitige, verbindet jeden einzelnen Stein, Mensch oder Bach mit der der Welt der Ahnen und Götter und über diese hinaus mit der gesamten diesseitigen wie jenseitigen Schöpfung.

Die Annahme des Vorhandenseins einer derartigen Kraft hatte für die alten Polynesier ganz konkrete Auswirkungen auf ihr alltägliches Leben. Zum einen waren sie der Überzeugung, dass der Flus des Manas um so stärker war, je näher dieser dem jenseitigen, „göttlichen“ Bereich stand. Folglich gingen sie davon aus, dass ein Mensch, dessen Genealogie sich in direkter Linie auf einen oder mehrere Götter oder bedeutende Ahnen zurückführen ließ, auch Träger eines besonders starken Manas sein musste. Hierauf führten viele polynesische Adelsgeschlechter ihren Anspruch auf eine Sonderstellung in der polynesischen Gesellschaft zurück. Doch es ging auch umgekehrt: Ein Mensch, der sich durch besondere Taten auszeichnete, bewies dadurch gleichermaßen seine spirituelle Kraft und damit seine Nähe zu den Ahnen und Göttern. Waren diese Taten groß genug, dann wurde er eventuell gar Begründer einer eigenen Genealogie, welche nun ebenfalls ihren Niederschlag in den Gesängen und Texten fand, durch welche die Polynesier ihr kulturelles Erbe transferierten. So geschah es häufig, dass die Entdecker wie auch die ersten Siedler einer bis dahin unbekannten Insel Bezugspunkt einer derartigen neugeschaffenen Genealogie wurden und auf diese Weise neuen Adelsgeschlechtern zur Geburt verhalfen. Ihre Abenteuer bei Entdeckung wie Besiedlung und ihre Nähe zu den besonderen Göttern eben dieser neuentdeckten Insel wurden daraufhin Inhalt der ursprünglichen Mythen dieser Inselgesellschaft.

In dieser Denkweise liegt die Wurzel für die besondere Reichhaltigkeit der polynesischen Mythologie. Die grundsätzliche Vorstellung über das Wesen der Welt bleibt innerhalb dieses Rahmens im gesamten polynesischen Kulturraum zwar die gleiche. Allerdings konnte die spezielle Mythologie einer Inselgesellschaft durchaus zu deutlichen Unterschieden in den religiösen und gesellschaftlichen Praktiken führen. Diese nahmen auf Grund der örtlichen Besonderheiten auf den verschiedenen Inselgruppen daher oftmals unterschiedliche Formen an und da sich im Rahmen des polynesischen Denkens Religion und tägliches Leben nicht einfach trennen ließen, führte dies auch zu ausgeprägten Verschiedenheiten in den sozialen Strukturen. Ein gewichtiges Mittel um diese auszuformen war in der polynesischen Gesellschaft hierbei die unterschiedliche Behandlung von so genannten „Tabus“:

Tabu

Hawaiianische Steinfigur einer Gottheit

Mit dem Begriff Tabu (auch Tapu, geheiligt; hawaiianisch: kapu) wurde in der traditionellen polynesischen Gesellschaft das unbedingte Verbot bezeichnet, bestimmte Orte zu betreten, Gegenstände, Tiere und Personen zu berühren oder anzusprechen, die als Sitz oder Träger einer besonderen Art von Mana gekennzeichnet waren. Auch das Aussprechen bestimmter Worte oder Begriffe konnte auf solche Weise mit einem Verbot belegt sein. Der auch in der europäisch- westlichen Gesellschaft heutzutage übliche Begriff des Tabus geht auf diese polynesische Wurzel zurück. In erster Linie dienten diese Tabus der Verfestigung gesellschaftlich-religiöser Strukturen. Bestimmte Orte durften beispielsweise zu festgelegten Zeiten nur von dafür ausersehenen Menschen betreten werden, die in der Regel den höheren Ständen angehörten. Andere Orte dienten der Ausübung von Reinigungs- und Opferritualen. Den Männern, die sich derartigen Riten unterzogen, war während dieser Zeit unter Umständen per Tabu verboten, einer Frau nahe zu kommen oder diese gar zu berühren. Es gab eine Vielzahl derartiger Regeln und deren Nichteinhaltung konnte schwere Strafen nach sich ziehen. Der Vollzug der Todesstrafe wegen Tabubruchs war keine Seltenheit.

Manche der verhängten Tabus können aus westlicher Sicht auch funktional interpretiert werden: So wurden häufig bestimmte Pflanzgebiete oder auch Fischgründe für bestimmte Zeiten mit einem Tabu belegt, was diesen eine ausreichende Zeit der Regeneration gewährte. Andere hatten die Kontrolle der Bevölkerungszahl zum Inhalt oder den Verzehr und Verbrauch von Ressourcen und Lebensmitteln. Hier allerdings finden sich auch viele Tabus, die aus moderner Sicht weniger hinehmbar erscheinen: So war in vielen polynesischen Gesellschaften den Frauen der Verzehr von Fleisch und bestimmten wertvollen Früchten per Tabu grundsätzlich verboten. Auch gab es Tabus, die den in der gesellschaftlichen Rangordnung tieferstehenden Mitgliedern der Gemeinschaft etwa verboten, über den Schatten eines Oberen zu steigen oder diesem auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. So findet sich hier eine Gemengelage an Regeln, die in den verschiedenen polynesischen Gesellschaften zum Aufbau von teilweise grundlegend unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Strukturen führte. Allen gemeinsam war allerdings die bedingungslose Herleitung aus überwiegend metaphysisch begründeten Ursachen.

Magie und Religionsausübung

Die gemischt weltlich-spirituelle Betrachtungsweise der Realität durch die Polynesier hatte einen grundlegend pragmatischen Aspekt: Sie waren überzeugt, auf diese Realität in allen ihren Ebenen konkreten Einfluss nehmen zu können. Obzwar sie sich zu einem wesentlichen Teil als Opfer und Spielball jenseitiger Mächte verstanden, gingen sie mit tiefer Überzeugung davon aus, in jenem Bereich selbst handelnder Faktor sein zu können. Magischen Einfluss auf den Verlauf des Schicksals zu nehmen galt ihnen daher als eine selbstverständliche Grundbedingung menschlichen Handelns. Dies galt für den einfachen Mann ebenso, wie für die hierauf spezialisierte Kaste der Priester. Ob bei Aussaat, dem Bau einer Hütte oder dem Fischfang, immer war es ein Anliegen aller Beteiligten, den Segen von Göttern und Ahnen auf das jeweilige Vorhaben zu ziehen und den Fluss des Mana in sein Gelingen zu lenken.

Die Ausübung der alten polynesischen Religion war deshalb grundlegender Bestandteil des ganz normalen Alltages jedes Mitgliedes dieses Kulturkreises. Das stete Wirken von Göttern und Ahnen bei der Gestaltung der täglichen Realität wurde als gegeben vorausgesetzt. Mana galt als eine beeinflussbare und formbare Kraft, mit deren Hilfe das Gelingen allen Handelns unterstützt wurde. Dem einfachen Mann war hierbei eine gewisse Freiheit in der Gestaltung seines persönlichen Glaubens erlaubt. Es stand ihm weitgehend frei, sich den oder die Götter, denen er huldigen wollte selbst auszusuchen. Adelige und Mitglieder angesehener Familie besaßen diese Möglichkeit in geringerem Maße, da sie sich an den Vorgaben ihrer Abstammung orientieren mussten, die innerhalb der Familien mittels oftmals mehrere tausend Zeilen umfassenden Genealogien überliefert wurden. Die hier von den Vorfahren geschaffenen Verbindungen zu bestimmten Göttern und Ereignissen in der jenseitigen Welt waren für sie bindend, wenn sie sich den Segen der Ahnen erhalten und Träger des daraus resultierenden starken Manas bleiben wollten.

Die soziale Ordnung der polynesischen Gesellschaft

Der Aufbau der polynesischen Gesellschaft steht naturgemäß in einem engen Zusammenhang mit den oben geschilderten Glaubensvorstellungen. Grundsätzlich gilt, dass polynesische Gesellschaften einer strengen hierarchischen Ordnung unterlagen, deren Einhaltung mit großer Härte durchgesetzt wurde. Diese Hierarchie folgte besagten Genealogien und stellte die Familien an die Spitze der Gemeinschaft, deren Ahnenreihen am tiefsten in der Mythologie des jeweiligen Volksstammes verwurzelt waren.

Der Adel

Grab könig Pomare II. Urville Expedition 1842

An der Spitze jeder gesellschaftlichen Formation standen die Familien der Adeligen. Sie stellten die Häuptlinge, Stammesführer und Könige. Ihren Anspruch bezogen sie aus ihrer Stellung in der Genealogie der Stammesgemeinschaft. Üblicherweise führten diese Ahnenreihen auf die Führer und Besatzungen derjenigen Kanus zurück, welche die jeweilige Insel oder Inselgruppe als erste erreicht und besiedelt hatten. Grad und Bedeutung der Mitglieder einer Familie in all ihren Verzweigungen richtete sich danach, bis in welche Nähe zu den bedeutenderen Vertretern dieser Ahnenreihe sie ihre Abstammung zurückführen konnten. Eine genaue Kenntnis dieser Abstammungslinien zu besitzen war (und ist bis heute) für einen Polynesier daher von größter Bedeutung. Im Normalfall wurde die Vererbungslinie über die erstgeborenen Söhne weitergegeben, doch konnte es auch geschehen, dass sie der mütterlichen Linie folgte, wenn dies in der sozialen und rituellen Einstufung von Vorteil war. Auch war es häufige Praxis, viel versprechende junge Leute im Rahmen von Adoptionen näher an die ursprüngliche Erblinie heranzuführen. Wie bereits beschrieben konnte ein Mann seinen sozialen Status auch dadurch erhöhen, dass er große Taten vollbrachte, sei es als Krieger, Seemann oder in einem anderen Bereich. Auf diese Weise erhielt ein seinem Wesen nach ausgesprochen starres, an Tradition und Ahnenkult gebundenes soziales Ordnungssystem die nötige Flexibilität, um sich an die widrigen Lebensumstände eines schwierigen und gefährlichen ozeanischen Umfelds anzupassen, welches den Bestand eines Stammes nur allzu oft in der Folge von Stürmen, Hungersnöten und kriegerischen Auseinandersetzungen bedrohte.

Art und Grad der Herrscherbefugnisse variieren in den einzelnen polynesischen Gesellschaften, doch grundsätzlich war es der Adel, welcher die letzten Entscheidungen über Krieg und Frieden traf und die Arbeit an allen gemeinschaftlichen Aufgaben organisierte. Allen gemeinsam ist überdies, dass es keinen Besitz einzelner Personen oder Familien an Grund und Boden gab. Dennoch war es die Aufgabe und das Privileg des Adels, über die Nutzung des Landes, den Anbau von Nahrungsmitteln und die Verwendung der sonstigen Ressourcen und Fähigkeiten der Gesellschaft zu entscheiden. Der Stammesführer reklamierte bei den ihm untergeordneten Mitgliedern einen Anteil der geernteten Lebensmittel, des Fischfangs, der Ergebnisse handwerklicher Künste oder priesterlicher Dienste um diese dann gemäß seiner Vorstellungen auf andere Glieder der Gesellschaft weiterzuverteilen. Einen Teil hiervon gab er an den ihm übergeordneten Führer oder König weiter, den Rest verteilte er an seine Untertanen, um sie für allgemeinnützige Arbeiten zu entlohnen oder einfach einen gerechten Ausgleich in der Versorgung aller Mitglieder seines Clans oder Stammes zu erreichen. Dies alles geschah im Rahmen seiner religiös-rituellen Bedeutung als Träger starken Manas und Mittler zu den Göttern und jenseitigen Mächten. Grundlegende Entscheidungen über den Anbau bestimmter Lebensmittel oder den Bau von Häusern, Tempeln oder Kanus entstanden so auf der Basis gleichermaßen weltlicher wie religiöser Grundsätze und Notwendigkeiten. So war die Rolle des polynesische Adels zwiegespalten: Zum einen bestimmten sie zu einem hohen Anteil den Verlauf polynesischen Tauschhandels und des gesellschaftlichen Lebens, zum anderen setzten sie diesen in einen strikten Bezug zu religiösen Erfordernissen.

Die Experten

Zeichnung eines Maori mit Gesichtstätowierung

Eine wichtige Rolle in allen polynesischen Gesellschaften spielten die Experten. (Auf Hawaii „Kahuna“ genannt, bei den Maori „Tohunga“) Sie standen den Adeligen als Berater zur Seite und bildeten die Elite der polynesischen Kultur in allen Fragen religiöser, medizinischer, technologischer und künstlerischer Natur: Ob Priester, Navigator, Holzschnitzer, Bootsbauer, Heiler oder Hausbauer, für alle Bereiche polynesischen Wissens gab es Spezialisten, die in der Kunst ihres jeweiligen Fachgebietes wohl unterrichtet waren. Ein allgemeines Schulsystem zur Ausbildung dieser Experten kannten die Polynesier allerdings nicht. Das Wissen ihrer jeweiligen Profession wurde ähnlich wie bei den Adeligen im Rahmen familiärer Traditionen in mündlicher Überlieferung weitergegeben. Auch hier spielten Genealogien eine wesentliche Rolle, doch wurde in Kreisen der Experten viel häufiger von den Möglichkeiten der Adoption Gebrauch gemacht, um jungen Talenten eine Möglichkeit zur Entfaltung zu geben. Die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und Berufe in der polynesischen Gesellschaft wurden in der Regel durch die Art ihrer ebenfalls von Experten durchgeführten Tätowierungen kenntlich gemacht. Obwohl eine „steinzeitliche Kultur“ war die Gesellschaft Polynesiens hoch spezialisiert und in vielerlei Fertigkeiten äußerst leistungsfähig. Die auf vielen Inseln vorhandenen natürlichen Ressourcen waren oftmals sehr beschränkt, doch die polynesischen Experten wussten das Vorhandene optimal zu nutzen. Alle diese Bereiche waren allerdings immer und bedingungslos in den religiösen Kontext einbezogen. Ein Handwerk oder eine Kunst ohne religiösen und magischen Hintergrund war den Polynesiern undenkbar. Aus diesem Grunde spielten die Priester in den Reihen der Experten eine Sonderrolle: Keine Handlung, ob es nun die Aussaat auf einem Taro-Feld, der Bau eines Hauses an einem bestimmten Platz, oder eine Seefahrt war, wurde ohne Befragung und den Segen eines Priesters durchgeführt. Jede medizinische Behandlung war gleichermaßen eine magische, wie eine weltliche Operation. Die Rolle der Priester beschränkte sich hier nicht nur auf die Leitung ritueller Zeremonien, sondern bestand zu großen Teilen darin, das jeweilige Unterfangen mit magischen Mitteln zu unterstützen. Das gesellschaftliche Gewicht der Priester spiegelte sich im wesentlichen darin, welche Bedeutung der ihnen zugeordnete Tempel oder Zeremonienplatz in den Augen der Polynesier besaß. Es gab auch unterschiedliche Spezialisierungen innerhalb der Priesterkaste. Während die einen sich eher um das Heilwesen sorgten gab es andere, die sich um kriegerische Angelegenheiten und zwischenmenschliche Konflikte kümmerten. Noch im beginnenden 20. Jahrhundert fand man auf Hawaii Priester, die darauf spezialisiert waren, böse Flüche auf ihre Mitmenschen herabzubeschwören.

Das gewöhnliche Volk

An unterster Stelle in der gesellschaftlichen Hierarchie Polynesiens stand das gewöhnliche Stammesmitglied. Seine Rechte und Pflichten waren in den verschiedenen polynesischen Kulturen unterschiedlich ausgeprägt. Während das Volk in einigen Inselgruppen von Natur aus unveräusserliche Rechte reklamieren durfte, galt sein Wille beispielsweise in der hawaiianischen Gesellschaft nur mehr wenig. Dort war der Befehl des Adels ehernes Gesetz und Zuwiderhandlungen wurden streng bestraft. Das normale Volk verrichtete, oft unter Leitung der Experten, die einfachen Arbeiten, bestellte die Felder, errichtet Häuser und Tempel oder bildete die Besatzung der Kanus für den Fischfang. Dennoch war es stolzes Volk, denn alle Männer aus dieser Schicht waren zugleich die Krieger des Stammes. In einigen polynesischen Gesellschaften gab es unterhalb der Ebene der einfachen Stammesmitglieder noch eine weitere Gruppierung, deren Rechte die von Sklaven nicht wesentlich überschritt. Gewöhnlich waren dies die Nachkommen ehemals eroberter und unterjochter Stämme, deren Genealogie in der Folge dieser Niederlage jeglichen Wert verloren hatte.

Die Rolle der Frauen

Paul Gauguin: Die Frauen am Strand. Tahiti 1891. Paris, Musee d'Orsay

Die polynesische Gesellschaft war eindeutig von Männern dominiert und trug streng patriarchalische Züge. Frauen wurde nur eine untergeordnete Rolle zugestanden. In vielen polynesischen Stämmen war es ihnen sogar untersagt, bestimmte Lebensmittel zu essen, deren Verzehr alleine den Männern zustand. Ebenso war es ihnen häufig verboten, mit einem entsprechenden Tabu belegte heilige Plätze aufzusuchen, bei den Mahlzeiten der Männer anwesend zu sein oder an Bord von Booten zu gehen. Übertretungen derartiger Tabus wurden bei Frauen in der Regel gnadenlos mit dem Tode bestraft, während es Männern in solchen Fällen oftmals erlaubt war, sich mittels besonderer Rituale von der begangenen Schuld reinzuwaschen. Innerhalb des ihnen zugewiesenen Rahmens waren Frauen in der polynesischen Gesellschaft allerdings hoch geachtet und verrichteten in vielen Bereichen hervorragende Arbeit: Sie beherrschten eine Reihe handwerklicher Künste, wie beispielsweise die Herstellung, Färbung und Verzierung von Kleidungsstücken oder von Flechtarbeiten, Schmuckstücken sowie Haushaltsgegenständen. Darüber hinaus hatten sie vielfältige Aufgaben im Haushalt, bei der Bestellung der Felder und beim Sammeln von Nahrungsmitteln in den Riffen zu erfüllen. Üblicherweise lebten sie im Stande der Ehe, wobei es den Männern je nach gesellschaftlicher Stellung erlaubt war, auch mehrere Frauen zu heiraten. Noch vor der Eheschließung war es in der polynesischen Gesellschaft üblich, dass sowohl junge Männer wie Frauen vielfältige sexuelle Beziehungen mit wechselnden Partnern eingingen. Auch uneheliche Kinder waren in der Regel wohlgelitten. Eine Frau oder ein Mann ohne derartige Erfahrungen galt als unattraktiv und musste sich Sorgen um seine persönliche Zukunft machen.

Siedlungsarten

Die Art und Weise der Besiedlung verschiedener Inseln und Inselgruppen durch polynesische Stammesgemeinschaften ist zum einen den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten und Notwendigkeiten angepasst, zum anderen Folge der kulturellen Tradition des spezifischen Stammes. Auf kleinen Atollen beispielsweise findet man vielfach die Form des Dorfes, welches sich auf einer der Inseln befindet, während die restlichen Inseln als landwirtschaftlicher Nutzgarten unbewohnt gelassen und nur zum Zwecke der Nahrungssuche und des Anbaus von Nutzpflanzen besucht werden. In einem solchen Dorf finden sich alle Häuser an einem oder mehreren zentralen Wegen so dicht aneinander geschmiegt, dass sich ihre Dächer gegenseitig berühren. Diese Dörfer boten ihren Bewohnern eine den Umständen entsprechende größtmögliche Sicherheit und Geborgenheit.

Dorf auf dem Takuu-Atoll, vermutlich 2005/2006

Ebenso gab es aber auch Atolle, die von kleinen aus vier bis fünf Häusern bestehenden Weilern überzogen waren. Hier lebten und bewirtschafteten einzelne Familien jeweils ein kleines Inselchen und siedelten gleich an Ort und Stelle. Doch auch auf derart besiedelten Atollen gab es in der Regel ein oder zwei größere Dörfer, in welchen sich Tempel, Zeremonienplatz und die großen Bootshütten konzentrierten. In der Regel handelte es sich hier um Inselgruppen, die auf Grund ihrer Lage nicht so ohne weiteres gegnerischen Angriffen ausgesetzt waren. Diese Form der Besiedlung mittels kleiner Weiler findet sich auch häufig auf kleineren Inseln vulkanischen Ursprungs, deren enge Schluchten und Täler zumindest im Inland den Bau größerer Dörfer nicht erlaubte.

Auf großen Inseln hingegen finden sich – besonders wenn diese von miteinander rivalisierenden Stammeskönigreichen besiedelt waren – oftmals große mit Wehranlagen ausgestattete Dorfgemeinschaften. Die größten und wehrhaftesten Dorfanlagen dieser Art wurden auf Neuseeland von den dort lebenden Maori unterhalten. Diese errichteten vielerorts auf den Kuppen von Hügeln üppig mit Palisadenwällen geschützte Dörfer in deren Zentrum sich ein mächtiges Fort befand, welches im Falle eines Angriffs den Bewohnern des Dorfes einen zusätzlichen Schutzraum bot.

Nahrung

Im Zuge der Besiedlung der einzelnen Inselgruppen durch die Polynesier führten diese verschiedene Nutzpflanzen in die neu gewonnen Territorien ein. Auf diese Weise gelangten beispielsweise Pflanzen wie Taro, Brotfrucht, Süßkartoffel, Banane oder Zucker erstmals nach Hawaii. Insgesamt konnten bislang 72 Pflanzenarten nachgewiesen werden, die vom Menschen in das polynesische Siedlungsgebiet eingeführt wurden. 41 bis 45 davon gelangten bis in die Cook-Inseln, die Gesellschaftsinseln und Hiva. Immerhin 29 davon findet man auch auf Hawaii. Die Einfuhr dieser Wirtschaftspflanzen war im Besonderen auf kleinen Inseln und Atollen von lebenswichtiger Bedeutung für die Siedler, den diese boten den Ankömmlingen in der Regel keine ausreichende Nahrungsgrundlage.

Zwar wurden von den Polynesiern auch Nutztiere gehalten – hier im besonderen Hühner, in manchen Gegenden West-Polynesiens auch Schweine – aber dies war nur in sehr eingeschränktem Maße möglich, da diese mit dem Menschen um die Nahrungsgrundlagen konkurrierten und deshalb auf Inseln mit beschränkten Ressourcen kaum gehalten werden konnten. Grundlage für die Gewinnung tierischen Proteins war deshalb das Meer. Die Polynesier waren Meister des Fischfangs und kannten auch sonst jede Möglichkeit, dem Ozean seine Schätze zu entreißen. Sie waren ausgezeichnete Taucher die in den Lagunen nach Muscheln suchten, wussten um die Verstecke von Langusten in den Riffen ebenso wie um hunderte von Kilometern entfernte Fischgründe. Der Ozean war und blieb die Basis ihrer Existenz.

Seefahrt

Obwohl sie weder Kompass noch Sextant besaßen waren die Polynesier ausgezeichnete Seefahrer, welche selbst größte Entfernungen im pazifischen Ozean zielsicher zurücklegen konnten. Diese Fähigkeit war von höchster Bedeutung in einer Kultur, welche diese weit verzweigte Inselwelt zu besiedeln wusste. Entsprechend hoch angesehen waren in der polynesischen Gesellschaft die Bootsbauer und die Navigatoren. Von ihren Fähigkeiten hing das Überleben der Gemeinschaft ab. Jede Insel besaß große Bootshäuser, in denen die Kanus gerfertigt und untergebracht wurden. Von den Heldentaten der Navigatoren wurde in Liedern und Tänzen gesungen.

Bootsbau

Je nach Einsatzzweck benutzten die Polynesier Auslegerkanus beziehungsweise Doppelrumpfkanus unterschiedlicher Größe und Bauart. Für den küstennahen Verkehr und Fischfang beschränkten sie sich in der Regel auf die kleineren Auslegerkanus. Für Fernfahrten und den Transport von Kriegern griffen sie auf die wesentlich größeren hochseetauglichen Doppelrumpfboote zurück, den Vorläufern unserer heutigen Katamarane. Die grundlegende Bauart dieser Boote findet sich im gesamten polynesischen Siedlungsraum wie auch in weiten Teilen Mikronesiens und Melanesiens. Regionale Unterschiede zeigen sich im wesentlichen in Design und Ausschmückung von einzelnen Komponenten wie z.B. der Bug- und Heckpartie der Kanus.

Nachbau eines polynesischen Doppelrumpfbootes

Die Rümpfe der Kanus besaßen einen Bug und ein Heck von gleicher Gestalt. Ohne wenden zu müssen konnten sie sich so in beiden Richtungen bewegen,. Beim Landen und Ablegen an flachen Sandstränden war dies von großem Vorteil. Sowohl Auslegerkanus als auch die Doppelrumpfboote besaßen zwischen Rumpf und Ausleger bzw. den beiden Rümpfen eine Plattform, auf welcher sich die Besatzung aufhielt. Beide konnten sowohl mittels Paddeln angetrieben als auch mit Segeln versehen werden. Befestigungen für die Masten befanden sich auf der Plattform zwischen den Rümpfen bzw. zwischen Rumpf und Ausleger. Im Falle des Kreuzens durch den Wind konnte die Mannschaft das Segel samt dem Mast nehmen und an das andere Ende des Schiffes stecken. Auf diese Weise wurde erreicht, dass sich Mannschaft und Ausleger immer auf der Windseite des Bootes befanden.

Besonders die Doppelrumpfboote sind auch nach heutigen Maßstäben als hochseetauglich einzuschätzen. Verglichen mit modernen Katamaranen waren sie allerdings recht schmal gebaut. Dies ist durch die physikalischen Grenzen der verwendeten Baumaterialien bedingt: Auf Booten mit zwei Rümpfen wirken hohe Scherkräfte. Die mit Kokosfaser fixierten Hölzer der Plattformen, welche die beiden Bootskörper miteinander verbinden, mussten deshalb sehr Kompakt ausgelegt werden. Die Segeleigenschaften der Kanus waren gut, aber nicht unkritisch. Das polynesische Segel, welches einem mit der Spitze nach unten zeigenden Dreieck gleicht, erlaubt ein kreuzen gegen den Wind. Allerdings liegt bei diesem Segelschnitt der Druckpunkt des Windes relativ hoch, was die Seitenstabilität der Boote beeinträchtigt. Ungewöhnlich war auch die Art der Steuerung der Doppelrumpfboote: Man benutzte keine Ruderpinne, sondern lenkte mit Hilfe von Paddeln an beiden Seiten der Rümpfe, indem man durch das Eintauchen eines Paddels die Geschwindigkeit des jeweiligen Rumpfes verlangsamte und so eine Richtungsänderung erzwang.

Große Doppelrumpfboote erreichten eine Länge von zwanzig bis dreißig Metern. Sie konnten bis zu zweihundert Personen tragen (Kriegskanus). Im Falle einer Fernreise zum Zwecke der Besiedlung einer neuentdeckten Insel waren sie mit zwanzig bis fünfundzwanzig Siedlern besetzt, welche Reisevorräte, Werkzeuge, Saatgut, Pflanzen und Nutztiere mit sich führten. Derartige Reisen wurden in der Regel in größeren Gruppen durchgeführt. Entdeckt wurden fremde Inseln üblicherweise von Fischern, die sich auf der Suche nach neuen Fischgründen beziehungsweise bei der Verfolgung von Fischschwärmen weit auf die hohe See gewagt hatten.

Die verwendeten Materialien und Bauweisen richteten sich nach den auf der jeweiligen Heimatinsel verfügbaren Ressourcen. Inseln vulkanischen Ursprunges wiesen oftmals einen Bestand größerer Baumarten auf. In diesem Fall nutzten die Erbauer der Kanus für die Basis der Rümpfe gerne einen ausgehöhlten Baumstamm, dessen Freibord sie mit angefügten Planken erhöhten. Diese wurden sauber verfugt und mit Kokosfaser fixiert. Auf Inseln ohne einen Bestand an geeigneten Bäumen sowie für den Bau sehr großer Kanus griff man von vornherein auf Planken zurück. Alle verwendeten Hölzer an Rumpf und Plattform wurden mit Schnüren aus Fasern der Außenschale der Kokosnuss zusammengebunden, die Verfugungen der Planken mit Baumharzen abgedichtet. In Bereichen, in denen Kokospalmen nicht wuchsen fanden Fasern aus anderen Pflanzen Verwendung.

Die Kunst des Kanumachens wurde in den Familien der Bootsbauer von Generation zu Generation weitergegeben. Eine große Rolle spielten hier mündlich überlieferte Gesänge und Texte in denen das benötigte Wissen eingebunden war.

Die zielsichere Navigation in einem weitläufigen Seegebiet wie dem pazifischen Ozean mit seinen tausenden kleinen und kleinsten Inseln ist eine der schwierigsten seemännischen Aufgaben überhaupt. Die Leistung der polynesischen Navigatoren, die diese Herausforderung schon vor weit über tausend Jahren gemeistert hatten ohne sich hierbei nautischer Hilfsmittel wie Kompass oder Sextant zu bedienen, kann daher gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es ist um so bedauerlicher, dass weite Teile dieses kulturellen Schatzes mit dem Verlust der zugrundeliegenden Gesänge und Texte unwiederbringlich verloren sind.

Kleine Pünktchen in unendlicher See: Das Palmerston-Atoll

Die Kursbestimmung der polynesischen Navigatoren beruhte auf der genauen Beobachtung sowohl astronomischer wie auch terrestrischer Bestandteile. Diese mussten sie während einer Seereise stetig zusammenfügen und im Gedächtnis halten, um daraus eine jeweils gültige Ortsbestimmung und einen Kurs ableiten zu können. Kurse zu bekannten Zielen wurden hierfür in Sektoren eingeteilt, denen jeweils bestimmte astronomische oder terrestrische Eigenschaften zugeteilt waren. Führte die Reise an einen unbekannten Ort, dann wurde die dorthin führende Strecke Sektor für Sektor memoriert, um eine Rückkehr zu ermöglichen.

Die ständige Beobachtung der Bewegung von Sonne, Mond, Planeten und Sternen war hierbei von zentraler Bedeutung. Die Polynesier kannten nahezu 300 Sterne und Sternbilder und wussten diese den verschiedenen Kurssektoren zuzuordnen. Die hierfür erforderliche Gedächtnisleistung war enorm, denn zu all diesen Daten existierten in der polynesischen Kultur keine Karten sondern lediglich mündlich überlieferte Gesänge und Texte.

Ähnliches gilt für die Beobachtung und Einschätzung der See, des Luftraumes und des Wetters. Sie kannten die Standorte unzähliger Fischgründe, Untiefen und Strömungen und vermochten aus dem jeglichem Wellengang unterliegenden Schwell ihre Schlüsse zu ziehen. Ebenso vermochten sie aus der Beobachtung des Fluges von Seevögeln, der Art und Beschaffenheit von Treibgut, der Wolkenbildung oder dem Verhalten von Fischen und Delphinen Information für ihren Standort und die Kursbestimmung zu gewinnen.

All dies musste der polynesische Navigator von Kindesbeinen an verinnerlichen, denn die Kunst derartig vielschichtige Information zusammenzuführen ist keine präzise Wissenschaft, sondern verlangt die Herausbildung eines tiefgründenden Gefühls für die See. Auch hier gilt – wie in allen Bereichen der Wissensvermittlung in der polynesischen Kultur – dass die Kunst der Navigation innerhalb der Familien von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Der angehende Navigator wurde auf Reisen mitgenommen, lernte nach und nach die zugehörigen Gesänge und Texte zu deuten und wurde mit zunehmenden Fähigkeiten mehr und mehr in die Verantwortung eingebunden. Zu Übungszwecken und zur Vorbereitung an Land stand ihm hierbei die Stabkarten-Technologie zur Verfügung. Mit Hilfe dieser selbsterstellten Gedächtnishilfen konnte er die verschiedenen Sektoren memorieren und einüben. Eine derartige Stabkarte auf See mitzuführen war ihm allerdings nicht erlaubt.

Im Jahre 1976 wurde ein einzigartiger Versuch unternommen, die alte Tradition der polynesischen Seefahrtskunst wieder aufleben zu lassen. In diesem Jahr stach die Hokule'a (=Stern der Fröhlichkeit) in See und legte die 4000 Kilometer lange Strecke von Hawaii nach Tahiti ohne jegliche Hilfe von Seekarten oder nautischen Instrumenten zurück. Die Hokule'a ist der getreue Nachbau eines alten hawaiianischen Doppelrumpfbootes und die auf ihr verwendeten Navigationsmethoden waren soweit es nur irgend ging den traditionellen Vorgehensweisen der alten polynesischen Navigatoren nachempfunden. Mit dieser Fahrt gelang erstmals der prinzipielle wissenschaftliche Nachweis, dass eine derartige Art von Navigation tatsächlich über weiteste Entfernungen möglich ist. Die alten Legenden von den Navigatoren welche die „See zu lesen“ imstande waren, gewinnen seither neues Gewicht.

Medizin / Naturheilkunde

Spirituelle und weltliche Aspekte stehen in der traditionellen polynesischen Medizin gleichwertig nebeneinander und ergänzen sich. So wird ein traditioneller polynesischer Heiler zur Linderung einer Krankheit oder Verletzung ebenso magische wie auch weltliche Praktiken und Methoden zum Einsatz bringen. Die Experten im Heilwesen besaßen umfangreiche Kenntnisse über die in ihrem Lebensraum verfügbaren Heilkräuter, waren fähig, chirurgische Eingriffe durchzuführen und spezielle Heilmassagen anzubieten. Oftmals waren sie auf einzelne Verfahren spezialisiert, die innerhalb der Familie von Generation zu Generation überliefert wurden. Es gab beispielsweise in Hawaii folgende unterschiedliche Bezeichnung für Heiler:

  • Kahuna ho’ohanau: Geburten, Kinderkrankheiten (Hebammen, Gynäkologie, Pädiatrie)
  • Kahuna ha’i’wi: Knochen zusammenfügen (Chirurgie/Orthopädie)
  • Kahuna lomilomi: Massage (Körpertherapie/Physio-therapie)
  • Kahuna la’au lapa’au: Kräuterkunde (Allgemeinpraktiker, Naturheiler, Kräuterspezialist)
  • Kahuna kahea: Psychotherapie/Körperpsychotherapie

Üblicherweise geschahen diese Heilbehandlungen im Rahmen einer rituellen Zeremonie im Kreise der Familienmitglieder und Angehörigen des Stammes, zu welchem der Kranke gehörte.

Massage

In den deutschsprachigen Ländern ist insbesondere die Traditionelle Hawaiianische Massage bekannt (Massage bedeutet auf Hawaiianisch Lomilomi und auf Tahitianisch Romi). Diese ist vielen Menschen heutzutage als reine Wellness-Massage ein Begriff. Ihrem Wesen und Ursprung nach ist sie allerdings eine therapeutische Massage zur Vorbeugung und Heilung von Krankheiten und als solche wichtiger Bestandteil der polynesischen Medizin. Diese Bedeutung wird zunehmend auch in den westlichen Ländern erkannt und geschätzt.

Tanz und Musik

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Maori-Tanz

In ganz Polynesien spielen Tanz und Musik eine wichtige Rolle im täglichen Leben, als Bestandteil von Ritualen oder religiösen Feiern und in der Unterstützung mündlicher Überlieferungen. Durch die große Ausdehnung des „polynesischen Dreiecks“ (Hawai'i, Osterinsel, Neuseeland) hat sich eine Vielzahl von miteinander verwandten Traditionen herausgebildet, zu denen z.B. die Tänze von Tahiti, Hawai'i (Hula), und Samoa gehören.

Kunst

Untrennbar vom Tanz und von den Ritualen sind die wunderschönen Blumenkränze (Rei, Lei), welche aus Blumen, Kräutern und Muscheln zu wahren Kunstwerken gefertigt werden. Flechtarbeiten (z.B. Matten, Fächer, Körbe) aus den Blättern des Schraubenbaums (pandanus, in Hawai'i: lauhala) oder anderen pflanzlichen Materialien wurden auch für den täglichen Gebrauch oft mit großer Kunstfertigkeit hergestellt. Die Polynesier waren Meister in der mehrfarbigen Textilbedruckung (Tapa, Kapa) und besinnen sich heute wieder auf diese alte Kunst.

Sport

Der Rudersport war schon immer auch ein kulturelles Ereignis, da es Zeiten gab, die für Feste und Wettkämpfe reserviert waren (Makahiki) und kriegerische Handlungen ruhen mussten. Heute sind die Wettkämpfe der verschiedenen Ruderklubs beliebte gesellschaftliche Ereignisse. Während dieser Festivale konnten die Männer ihre Kampfsportarten (Lua) unter Beweis stellen und sich in Ringkämpfen messen.

Die polynesischen Sprachen

Trotz der großen Entfernungen welche die verschiedenen polynesische Völker voneinander trennten, weisen die von ihnen benutzten Sprachen eine nahe Verwandschaft und große Ähnlichkeiten auf.

Allen polynesischen Sprachen ist gemeinsam, dass in ihnen verfasste Texte auf vielfältige Weisen interpretiert werden können, da sowohl Worte wie auch Grammatik es ermöglichen, ein und desselbem Text unterschiedliche Bedeutungsebenen zu geben. So kann beispielsweise der Text eines Liedes über die Entdeckung einer Insel einesteils als dramatische Reisebschreibung und Heldenepos verstanden werden, zugleich einem Navigator genaue Informationen über die zurückgelegten Reiseroute vermitteln und gleichzeitig zur religiösen und genealogischen Einordnung eines Familienclans herangezogen werden.

Siehe auch: Sprachvergleich (Beispiele) unter Polynesische Sprachen

Tabelle

Markt in Papetee
Bucht bei Christchurch, an Neuseelands Ostküste
Haus auf Tahiti, Urville Expedition 1842 (Zeichnung)
Satellitenaufnahme Hawaiis
Folgende Inseln und Inselgruppen sind Teil Polynesiens
Unabhängige Staaten
Cook Inseln in Assoziation mit Neuseeland
Kiribati unabhängig (Phoenix und Linieninseln)
Neuseeland unabhängig
Niue in Assoziation mit Neuseeland
Samoa unabhängig
Tonga unabhängig
Tuvalu unabhängig (Ellice Inseln)
Abhängige Territorien
Amerikanisch-Samoa Überseeterritorium der USA
Austral-Inseln Überseeterritorium Frankreichs
Gambierinseln Überseeterritorium Frankreichs
Gesellschaftsinseln Überseeterritorium Frankreichs
Hawaii-Inseln Bundesstaat der USA
Marquesasinseln Überseeterritorium Frankreichs
Osterinsel Überseeterritorium Chiles
Pitcairninseln englische Kronkolonie
Tokelau Überseeterritorium Neuseelands
Tuamotu-Archipel Überseeterritorium Frankreichs
Wallis und Futuna Überseeterritorium Frankreichs
Einige Exklaven außerhalb des polynesischen Dreiecks
Anuta Exklave in den Salomonen
Emae Exklave in Vanuatu
Kapingamarangi Teil d. Vereinigten Staaten von Micronesien
Nukumanu-Inseln Teil Papua-Neuguineas
Nukuoro Teil d. Vereinigten Staaten von Micronesien
Ontong Java Exklave in den Salomonen
Pileni Exklave in den Salomonen
Rennell Exklave in den Salomonen
Sikaiana Exklave in den Salomonen
Tikopia Exklave in den Salomonen
Takuu Teil Papua-Neuguineas

Literatur

  • Roland Burrage Dixon: Oceanic Mythology Cooper Square Publishers, New York 1964 [Originally published in 1916] (The Mythology of all races, 9)
  • Martha Warren Beckwith: Hawaiian mythology. With a new introd. by Katharine Luomala. University of Hawaii Press, Honolulu 1970 [Originally published in 1940] ISBN 0870220624
  • Adelbert von Chamisso: Reise um die Welt, 2001, ISBN 3-74666-093-9
  • Kerry R. Howe: The Quest for Origins. Who first discovered and settled the Pacific islands?, University of Hawaii Press, Honolulu 2003 ISBN 0824827503 ISBN 0-14-301857-4
  • Patrick Vinton Kirch: The Evolution of the Polynesian Chiefdoms. Cambridge University Press, Cambridge 1990 (New studies in archaeology) ISBN 0-521-27316-1 ISBN 0-521-25332-2 ISBN 0143018574
  • Antony Hooper and Judith Huntsman (Hrsg.): Transformations of Polynesian Culture The Polynesian Society, Auckland 1985 (Memoirs of the Polynesian Society, 45)

Quellen

  1. Artikel Steinzeit. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 17. August 2006, 21:10 UTC. URL: [1] (Abgerufen: 18. August 2006, 16:13 UTC)

Siehe auch