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Kernkraftwerk Forsmark

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Das Kernkraftwerk Forsmark ist eines von drei im Betrieb befindlichen Kernkraftwerken in Schweden und erzeugt etwa ein Sechstel der schwedischen Elektrizität.

Das Kernkraftwerk besteht aus drei Kraftwerksblöcken in der Bauart Siedewasserreaktor: Forsmark-1 (1.011 Megawatt elektrische Nettoleistung, Inbetriebnahme 1980), Forsmark-2 (951 MW elektrische Nettoleistung, 1981 in Betrieb genommen) und Forsmark-3 (1.190 MW elektrische Nettoleistung, 1985 in Betrieb genommen). Die Jahresproduktion beläuft sich im Schnitt auf 23,5 TWh[1].

Schweden deckt rund 50 Prozent (69,5 TWh(e)) seines Strombedarfs mit Atomenergie aus drei Kernkraftwerken (Forsmark, Oskarshamn, Ringhals) mit insgesamt zehn Reaktorblöcken. Zwei weitere Anlagen mit zusammen drei Reaktoren wurden bereits permanent stillgelegt.[2]

Betreiber

Forsmark-Betreiber ist die Forsmark Kraftgrupp AB, eine Tochtergesellschaft der auch in Deutschland als Stromerzeuger tätigen Firma Vattenfall. Das Dorf Forsmark liegt an Upplands Küste etwa auf halbem Weg zwischen Gävle und Norrtälje.

Geschichte

Entdeckung der Tschernobyl-Katastrophe

Durch die empfindlichen Instrumente des Kernkraftwerks war Forsmark am 27. April 1986 einer der ersten Orte außerhalb der Sowjetunion, an dem Anzeichen der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl bemerkt wurden. Damals wurde bei Arbeitern eine erhöhte Strahlung festgestellt. Bei der Suche nach der Quelle stellte sich dann heraus, dass die erhöhte Strahlung von außerhalb kam.

Störfall Juli 2006

Ein Kurzschluss außerhalb des Kraftwerkes führte zur Trennung der Anlage vom Stromnetz und zur automatischen Schnellabschaltung des Reaktors. Um die Nachwärme des abgeschalteten Reaktors abzuführen, hätte ein Notkühlsystem automatisch anspringen müssen. Jedoch versagten Teile der Notstromversorgung für das Notkühlsystem, nur zwei von vier Dieselgeneratoren sprangen an und versorgten die Nachkühlung mit Energie. Weil durch die Stromunterbrechung auch ein Teil des Steuerungssystems ausgefallen war, hatte die Betriebsmannschaft mehr als zwanzig Minuten lang keinen vollständigen Überblick über den tatsächlichen Zustand des Reaktors. Danach konnte sie die beiden nicht automatisch angelaufenen Notstromgeneratoren per Hand anwerfen.

Wie nahe die Anlage durch den Zwischenfall an eine Kernschmelze gekommen ist, wird unterschiedlich bewertet, da die Schnellabschaltung und wesentliche Teile des Notkühlsystems funktioniert haben. Laut Aussage eines ehemaligen Konstruktionsleiters des Kraftwerks, Lars-Olov Höglund, habe das Kraftwerk kurz vor einem GAU durch Kernschmelze gestanden.[3] Die schwedische Strahlenschutzbehörde SKI und die finnische Strahlenschutzbehörde STUK halten diese Aussage allerdings für übertrieben. Eine akute Kernschmelze war zu keiner Zeit des Störfalls zu erwarten gewesen, dennoch ist der Zwischenfall sehr ernst zu nehmen, da durch einen einzigen Auslöser gleich mehrere Sicherheitssysteme versagt hatten.

Konsequenzen des Störfalles in Schweden

Als Konsequenz aus dem Vorfall bleiben der betroffene Reaktorblock in Forsmark und der baugleiche Block 2, der zum Zeitpunkt des Störfalls bereits zur alljährlichen Revision und zum Brennelementwechsel heruntergefahren war, bis auf weiteres abgeschaltet und ebenfalls zwei baugleiche Reaktorblöcke im Kernkraftwerk Oskarshamn. Die Betriebserlaubnis dieser vier Siedewasserreaktoren mit gleicher Technik ist zurückgezogen und muss vor einer Wiederinbetriebnahme erneuert werden [4].

Die schwedische Strahlensicherheitsbehörde SKI bewertete den Fehler als Störfall (Stufe zwei) auf der von null bis sieben reichenden International Nuclear Event Scale (INES).

Die Strompreise in Schweden stiegen auf Rekordniveau.[5]

Reaktionen auf den Störfall in Deutschland

Der teilweise Ausfall der Notstromversorgung hat auch in anderen Ländern Fragen nach der Sicherheit ihrer kerntechnischen Anlagen aufgeworfen. In den deutschen Medien blieb der Störfall von Forsmark bis zum 3. August 2006 weitgehend unbemerkt. Er wurde vom deutschen Bundesumweltministerium am 3. August 2006 als „sicherheitstechnisch ernstes Ereignis“ eingestuft – mit dem Ergebnis, dass auch in Deutschland alle Kernkraftwerke nochmals überprüft werden sollen.[6]

Ablauf des Störfalles und aufgetretene Pannen

Am 25. Juli 2006 wurde der Reaktor Forsmark-1 nach einem Kurzschluss in der Umspannstation, über die das AKW seinen Strom ans allgemeine Netz abführt, von der Stromversorgung automatisch getrennt. Dies führte zu einem Lastabwurf des Generators und die im Reaktor produzierte Wärme konnte nicht mehr in elektrische Leistung umgesetzt werden. Der Reaktor wurde über eine Schnellabschaltung heruntergefahren; das heißt die atomare Kettenreaktion wurde reduziert auf die interne Kraftwerksversorgung. Jedoch war die Trennung von dem Kurzschluss nicht in der üblichen kurzen Zeit von ca. 100 ms erfolgt, es entstanden daher Spannungsspitzen (Transienten) und der Strom für die Steuerung des Kernkraftwerkes und die Speisepumpen, die die Nachzerfallswärme abführen müssen, fiel in 2 von 4 internen Netzbereichen aus. Die interne Versorgung wurde daraufhin auf das Notstromsystem umgeschaltet, das aus 4 batteriebetriebenen, als Unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV) ausgelegten Wechselrichtern (verzögerungsfrei) für das 220V-System und aus 4 Dieselgeneratoren (nach deren Hochlauf) für das 500V/6kV-System gespeist werden sollte. Von den 4 Systemen gingen 2 USV- und 2 zugehörige Diesel-Systeme bestimmungsgemäß in Betrieb, die beiden anderen hatten sich wegen der Störungen abgeschaltet. Damit fehlte die Stromversorgung für einen Teil der 220V-gespeisten Messgeräte in der Leitwarte und weitere Komponenten

  • Sensoren, Übertrager, Regler und Ereignis-Protokollierung
  • Anzeigen und Überwachungseinrichtungen im Kontrollraum
  • Feinbewegung der Antriebe für die Kontrollstäbe (alle Stäbe waren vom hydraulischen Schnellabschaltsystem eingefahren)
  • Motorgetriebene Trennungs- und Druckreduzierventile hatten verlängerte Reaktionszeiten
  • Die Motorantriebe für 4 Umwälzpumpen fielen aus

Der Druck im Reaktorkessel wurde auf 6 bar reduziert für eine Zeit von 30 min. Der Wasserstand im Kessel wurde stabilisiert auf 1,9m über dem Kern. Die Sättigungstemperatur ging mit dem Druck zurück, ein Temperaturwechsel, wofür der Kessel und seine internen Komponenten nur für 25 Zyklen ausgelegt ist.

Nach 23 Minuten konnten die beiden abgeschalteten Dieselaggregate manuell gestartet werden. Die Versorgung und die Sicherung des Reaktors durch Abtransport der Nachzerfallswärme benötigt zwei Notstromaggregate, da jedes einzelne 50 Prozent der erforderlichen Notleistung liefern kann.

Die kritische Situation war aus zwei Ursachen entstanden:

  1. das Schutzsystem der 400kV-Schaltstation arbeitete nicht spezifikationsgemäß, d.h. nicht schnell genug. Die entstandenen Transienten verursachten, dass 2 der 4 USV-Einheiten durch ihre interne Schutzeinrichtung, deren Auslösespannung von den genannten Transienten überschritten wurde, von der Notstromversorgung abgetrennt wurden, noch bevor sie ihren Betrieb beim Abschalten des externen Netzes als Stromlieferant aus den Batterien an das Notstromnetz aufnehmen konnten. Als direkte Folge davon konnten die 2 zugeordneten Dieselgeneratoren, die schon gestartet waren, wegen fehlender 220V-Spannungsversorgung für die Drehzahlregelung mittels Tachogenerator nicht hochgefahren werden. Sie wurden vom 500V-Netz getrennt und abgeschaltet.
  2. das Abschaltsystem der Kraftwerksgeneratoren bei Frequenzabweichung versagte infolge eines Design-Fehlers, weil zwei Phasen vertauscht waren. Diese Phasenabhängigkeit war nicht getestet worden. Eine Turbine war nach dem externen Kurzschluss - infolge zu geringen hydraulischen Drucks in dem Regelventilsystem - unter Nenndrehzahl gefallen, die Frequenz des Generators fiel unter 47,5 Hz. Das Abschaltsystem hätte bei der eingetretenen Frequenzabweichung das kraftwerksinterne Netz automatisch auf die externe 70kV-Versorgung umschalten müssen, dann wäre der Spannungsausfall auf Sekunden begrenzt gewesen statt Minuten.

Dabei zeigte sich die eine Schwäche des Sicherheitskonzepts dieses Kraftwerks darin, dass der Hochlauf eines Notstrom-Dieselgenerators von der korrekten Funktion der zugehörigen USV-Einheit abhängt. USV und Dieselgenerator zusammen bringen auf diese Weise kaum höhere Sicherheit für das 500V-Netz. Andere Kraftwerke speisen die Steuerung des Dieselhochlaufs auch direkt aus Batterien. Dass derselbe Fehler bei zwei von vier Systemen auftrat, wird von der schwedischen Behörde SKI als "Fehler mit gemeinsamer Ursache" eingestuft, was die Sicherheitsauslegung der Notstromversorgung erheblich reduziert. [7], [8]

Siehe auch

Quellen

  1. Vattenfall: Forsmark
  2. IAEA, Power Reactor Information System: „Sweden, Kingdom of Power Reactors“ (englisch)
  3. UPI: „Nuclear plant faced possible meltdown“ (1. August 2006) (englisch)
  4. ZDF-Nachrichten vom 24.08.2006
  5. Spiegel Online: „Vier Atomkraftwerke nach schwerem Störfall abgeschaltet“ (3. August 2006)
  6. Spiegel Online: „Deutsche Atommeiler werden auf Konstruktionsfehler überprüft“ (3. August 2006)
  7. SKI: Vorläufiger pdf-Bericht mit genauem Hergang des Störfalls (englisch)
  8. Englische Zusammenfassung des Störfalls Forsmark

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