Frauenzentrum Westberlin
Das Frauenzentrum Westberlin war das erste Frauenzentrum in Deutschland und ein räumlicher Ausgangspunkt für die Neue Frauenbewegung in Deutschland.
In den frühen 1970er Jahren bildeten basisdemokratische Frauenzentren die Entwicklungskerne der autonomen Frauenbewegung in der Bundesrepublik. Zu bisher tabuisierten Themen wie Sexualität, Empfängnisverhütung, Gynäkologie, sexualisierte Gewalt, häusliche Gewalt und Psychiatrisierung bildeten Frauen Arbeitsgruppen und organisierten feministische Berufsgruppen. Aus dem Frauenzentrum Westberlin nahmen innerhalb von fünf Jahren zwanzig feministische Frauenprojekte ihren Anfang.
Geschichte

Rund 120 Frauen gründeten 1973 in Berlin-Kreuzberg das erste Frauenzentrum Deutschlands.[1] Die Initiatorinnen waren hauptsächlich die Westberliner Gruppe „Brot und Rosen“, zu deren Mitbegründerinnen Helke Sander, die schon im Aktionsrat zur Befreiung der Frauen aktiv gewesen war,[2] und Verena Stefan gehörten, sowie die Frauengruppe der Homosexuellen Aktion Westberlin. Im November 1972 kamen in Westberlin aufgrund einer Anzeige im Sponti-Blatt Hundert Blumen die ersten achtzig Frauen zur Vorbereitung eines Frauenzentrums in das Sozialistische Zentrum in der Stephanstraße 60.[3] Sie bildeten die ersten Arbeitsgruppen und einen eingetragenen Verein, der im März 1973 das Frauenzentrum in ehemaligen Ladenräumen in der Hornstraße 2 eröffnete. 1977 zog das Frauenzentrum um in die Stresemannstraße 40, wo es noch einige Jahre bestand.
Zu den Gründerinnen gehörten u. a. Gisela Bock (Historikerin), Roswitha Burgard, Anke Wolf-Graaf, Barbara Kavemann, Cristina Perincioli, Cäcilia "Cillie" Rentmeister, Renate Richter, Monika Schmid, Dagmar Schultz, Waltraut Siepert, Beatrice Stammer, Christiane Ewert. Die erste Generation im Frauenzentrum rekrutierte sich aus berufstätigen Frauen (Erzieherinnen, Lehrerinnen, Angestellten) und Studentinnen, von denen viele erst nach Berufstätigkeit auf dem zweiten Bildungsweg die Uni erreicht und manche bereits eine Ehe hinter sich hatten. Viele kamen als Lesben oder wurden „Bewegungslesben“; Lesben waren treibende Kraft in allen Frauenprojekten dieser Zeit.
In Frankfurt entstand im Herbst 1973 ein Frauenzentrum, das aus dem zweiten Frankfurter Weiberrat hervorging. In München eröffnete der Verein Münchner Frauen 1974 das Frauenzentrum Gabelsbergerstraße.
Struktur
Das Berliner Frauenzentrum blieb stets autonom, also ohne staatliche Finanzierung, unabhängig von Parteien oder anderen Interessengruppen und organisierte sich basisdemokratisch: „Jede Woche kommen alle Frauen aus den Untergruppen zum Plenum. Dort werden Gruppenerfahrungen mitgeteilt und Aktionen, die von den Untergruppen vorgeschlagen werden, von allen diskutiert und beschlossen. Dadurch entwickeln wir gemeinsam und kontinuierlich das Selbstverständnis des Frauenzentrums. Wir haben also kein Selbstverständnis auf Papier, sondern lernen gemeinsam. Jeden Donnerstag kommen Delegierte von jeder Arbeitsgruppe zur Ladengruppe, wo das Organisatorische erledigt und anstehende Probleme für das Plenum vordiskutiert werden. Danach um 20 Uhr findet jede Woche ein Informationsabend für die Neuen statt. Wir sympathisieren mit keiner Partei. Aber wir unterstützen die Stadtteilarbeit, die „ Rote Hilfe“ und die schwulen Frauen“. (Selbstdarstellung des Frauenzentrums 1973)[4]
Die Vereinsform war nötig, um gewerbliche Räume anmieten zu können, der Vorstand hatte keine Weisungsfunktion. Gemeinsame Aktionen wurden im Plenum so lange diskutiert bis Konsens hergestellt war. Das Plenum musste sich regelmäßig gegen Männer wehren, die eine Teilnahme zu erzwingen, und gegen Frauen kommunistischer Gruppen, die die schnell wachsende Frauenbewegung unter ihre Lenkung zu bringen versuchten.
Arbeitsweise
Das Frauenzentrum war offen für jede Frau. Beim Informationsabend beantwortete eine Gruppe von Organisatorinnen die Fragen der Neulinge. Diese sollten eigene Selbsterfahrungs-Gruppen von höchstens zehn Teilnehmerinnen bilden. Angestrebt war ein kollektiver Lernprozess nach der aus der amerikanischen Frauenbewegung kommenden Methode „Consciousness-raising“ (C.R., dtsch.: Bewusstseinsbildung), der in vier Schritten in mehreren Gruppensitzungen vollzogen wurde. Das Ziel war ausgehend von den individuellen Erlebnissen und Gefühlen die Unterdrückungserfahrungen von Frauen zu analysieren.[5]
Anja Jovic beschrieb 1974 im Kursbuch ihre Erfahrung im Westberliner Frauenzentrum: „Was an diesem ersten Abend für mich deutlich wurde, war, dass die Frauen im Frauenzentrum sich nicht bereits eine feste Theorie erarbeitet hatten und uns diese überstülpen wollten, sondern dass sie uns ‚Neue‘ so, wie wir waren, mit unseren Erfahrungen sofort für voll nahmen.“[6]
Anders als in dogmatischen linken Gruppen der 1970er Jahre wurde ausdrücklich keine politische Linie vorgegeben. „Die Frauen verzichteten darauf, den richtigen Weg zur Revolution zu kennen, respektive die Revolution überhaupt anzustreben. Sie wollten nur jeweils das anpacken, was ihnen unter den Nägeln brannte. (...) Alle diese Gruppen leisteten theoretische wie praktische Arbeit und Selbstreflexion. Strategiediskussionen gab es nur anhand selbst erfahrener Erfolge oder Misserfolge und nicht in Anlehnung an Schriften aus dem 19. Jahrhundert, wie es beim Sozialistischen Frauenbund Westberlin (SFB) und den anderen dogmatischen linken Gruppen üblich war.“[7] Kooperationen mit undogmatischen Gruppen – wie anderen Frauen- oder Stadtteilgruppen – war einfach, da der sonst übliche Streit um die „richtige Linie“ und Führungsanspruch hier keine Rolle spielte.
Themen und Arbeitsgruppen
Ein zentrales Thema war die eigene Definitionsmacht über Körper und Sexualität. Im November 1973 fand im Westberliner Frauenzentrum die erste frauen-öffentliche vaginale Selbstuntersuchung statt.[8] Drei Debattenthemen für das autonome Selbstverständnis des Frauenzentrums waren:[9]
- Separatismus und Autonomie
- Gleichberechtigung oder Emanzipation
- Ist das Patriarchat universell?
1974, ein Jahr nach Gründung zeigt eine Liste diese 24 Arbeitsgruppen:
- ‚Selbsterfahrung‘, davon gab es vier Gruppen für neue hinzukommende Frauen.
- ‚Selbsthilfe‘ wurde in vier Gruppen betrieben.
- ‚Abtreibungsberatung‘ und Kampagnen zum §218 leisteten zwei AGs.
- ‚Sexualität' war Thema für zwei Gruppen
- ‚Theorien zur Frauenbefreiung‘
- ‚Lohn für Hausarbeit‘
- ‚Selbstverteidigungskurs‘ mit 25 Zentrumsfrauen.
Beruflich orientierte Fachgruppen
- ‚Hochschulgruppe‘: Seminare zur Situation als Studentinnen und Dozentinnen[10]
- ‚Frauenrockgruppe‘ Flying Lesbians
- ‚Mediengruppe‘ mit herausragenden Vertreterinnen aller Medien[11]
- ‚Gesundheitswesen‘
- ‚Psychotherapie, Psychiatrie‘
- ‚Kunstgeschichte‘
- ‚Schule/Erzieherinnen‘
- ‚BIFF - Frauen-Beratungsstelle‘ für pädagogische, juristische und medizinische Fragen wird von Psychologinnen und Soziologinnen vorbereitet.[12]
Projekte
Frauen aus dem Frauenzentrum gründeten z. T. zusammen mit dem Lesbischen Aktionszentrum Westberlin innerhalb von fünf Jahren zwanzig Projekte, die zum Teil noch im 21. Jahrhundert arbeiten:
1974
- BIFF - Beratung und Information für Frauen (Motto: „Frauen besprechen mit Frauen Probleme“) im Frauenzentrum Berlin, brachte die Broschüre Anfänge einer feministischen Therapie heraus, eine Anleitung zum Aufbau eigener Problemlösungsgruppen.[13]
- Frauenbuchvertrieb bis 1987.
- Frauenselbstverlag, später sub rosa, dann Orlanda Verlag.
- Feministisches Frauen Gesundheits Zentrum FFGZ, bis heute.
- Flying Lesbians – erste Frauenrockband in Europa, bis 1977.
1975
- PSIFF - Psychosoziale Initiative für Frauen e.V., feministisches Therapiezentrum für Frauen
- Frauenbuchladen Labrys, bis 1994.
- Lesbisches Aktionszentrum Westberlin (LAZ).
- UkZ Unsere kleine Zeitung 1975–2001 s. a. Kitty Kuse.
- Lesbenpresse 1975–1982.
- Blocksberg, Frauen-Lesben Kneipe in der Yorckstraße in Berlin-Schöneberg, bis 1980.
- Frauenkalender, s. a. Gudula Lorez.
1976
- Courage (Zeitschrift), bis 1984.
- Schwarze Botin (Zeitschrift), bis 1987.
- Viva-Frauendruck, Buchdruckerei und -vertrieb für Bücher aus der Frauenbewegung
- Berliner Sommeruniversität für Frauen, 1976–1983 mit jeweils bis zu 10.000 Teilnehmerinnen, wurde von jungen Wissenschaftlerinnen gestaltet. Die erste Sommeruniversität gab die Initialzündung zur Frauenforschung in Deutschland und feministischer Wissenschaftskritik.[14]
- Selbstverteidigung für Frauen, besteht bis heute.
- Frauenbuchladen Lilith bis 1998 auf der Knesebeckstraße in Berlin-Charlottenburg.[15][16]
- Amazonenverlag, bis 1984, erster deutschsprachiger Verlag, der sich auf lesbische Literatur spezialisierte.
- Gründung des ersten deutschen Frauenhauses in Berlin. Dieses wird staatlich unterstützt.[17]
1977
- Notruf für vergewaltigte Frauen.
1978
- FFBZ – Frauenforschungs-, bildungs- und Informationszentrum, gegründet von Barbara Duden und Irene Stöhr, besteht bis heute fort (www.ffbiz.de)[18]
Publikationen
Mit einfachen Mitteln hergestellte Broschüren dienten dazu Erkenntnisse von Arbeitsgruppen Frauen, auch in anderen Städten Westdeutschlands, schnell zugänglich zu machen. Dazu gehörten die Frauenzentrums-Info 1973, eine Broschüre zum Start des Berliner Frauenzentrums, und die Frauenzeitung 1973–1976. Die Redaktion wechselt zwischen den Frauenzentrum Berlin und jenen in der Bundesrepublik.
Die Aktivistinnen der „Neuen Frauenbewegung“ hatte kaum Kenntnis über die Erste, die "Alte Frauenbewegung". Die Texte der Ersten Frauenbewegung in Deutschland waren im Dritten Reich verboten, die Tradition der Weitergabe von Theorien und Erfahrungen brach ab. Sie wurden erst in den 1970er Jahren von Feministinnen wieder entdeckt. So war die Neue Frauenbewegung zu Beginn nahezu theorielos (abgesehen von August Bebel und Friedrich Engels) und suchte in allen Richtungen nach theoretischen Texten, die sie voranbringen könnte.
Von Frauen aus dem Frauenzentrum herausgegeben:
- Anne Koedt: Der Mythos vom vaginalen Orgasmus. Frauenraubdruck vom Frauenzentrum Berlin 1974. In einem Vorwort erklärten die Herausgeberinnen, dass ihre „Auffassung von Geschichte und Wissenschaft“ - „von Männern geschrieben und diktiert“ - durch diesen Text „ins Wanken geraten“ sei.[5]
- Christiane Ewert, Gaby Karsten, Dagmar Schultz: Hexengeflüster. Frauen greifen zur Selbsthilfe (1975)
- Anfänge einer feministischen Therapie (1975)[19]
- Frauen gegen Gewalt (1976), Arbeitsgruppen aus dem Frauenzentrum dokumentieren Fälle von Gewalt gegen Frauen in Ehe, Psychiatrie, Gynäkologie, Vergewaltigung; Beruf. Dazu die Übersetzung von The Politics of Rape von Susan Griffin. Eine Broschüre zur Vorbereitung für das „Internationale Tribunal zu Gewalt gegen Frauen“ in Brüssel 1976, organisiert von Diana E. H. Russell.[20]
Vom Frauenzentrum wiederentdeckt und 1974 als Raubdruck veröffentlicht:
- Mathilde Vaerting: Neubegründung der Psychologie von Mann und Weib (1921)
- Bertha Eckstein-Diener: Mütter und Amazonen. Ein Umriß weiblicher Reiche (München 1932). Laut Cillie Rentmeister eröffneten die Texte den Blick auf angenommene historische sowie einige neuzeitliche matriarchale Gesellschaftsformen. Sie zeigten, dass Patriarchat und weibliche Zweitrangigkeit nicht naturgegeben und universell sind, und lieferten damit Argumente u. a. gegen Simone de Beauvoirs Behauptung: „Diese Welt hat immer den Männern gehört…“,[21] Feministische Autorinnen wie Marielouise Janssen-Jurreit und Ute Gerhard warnten vor „Matriarchats-Eskapismus“.
Öffentliche Auftritte
Wie die Projekte so wurden auch alle öffentlichen Auftritte des Frauenzentrums ohne fremde Mittel realisiert.
- Eine Woche Hungerstreik im Frauenzentrum zur Unterstützung des Hungerstreiks in der Frauenhaftanstalt Lehrter Straße, Berlin, Oktober 1973.[22]
- 1. Frauenfest „Tanz in den Mai“ 11. Mai 1974, Gründung der 1. Frauenrockband Flying Lesbians.[23]
- Go-in beim Sender Freies Berlin (SFB) 1974 nach Absetzung des NDR NDR Panorama-Beitrags von Alice Schwarzer über schonende Methode zum Schwangerschaftsabbruch.[24]
- Protest im Kino und Anzeige gegen den Pornofilm "Geschichte der O", der mit Mitteln der Filmförderung finanziert worden war.[25]
- Tribunal über Gewalt gegen Frauen 19. Februar 1976 in der TU Mensa mit Karatedemonstration und Tanz mit den Flying Lesbians.
- „Frauen, wir erobern uns die Nacht zurück!“ Nach Morden an Frauen ergaben sich spontane Nachtdemos – Vorläufer der „Walpugisnacht“.[26]
- Sieben Frauen-Sommerunis 1976–83 in der Freien Universität bzw. der Technischen Universität, zuerst organisiert von der "Dozentinnengruppe" und in Folgejahren von Gruppen aus dem Frauenzentrum, einmal auch dem Lesbischen Aktionszentrum Westberlin.
Solidarität zwischen lesbischen und heterosexuellen Frauen
Viele Lesben – obwohl nicht selbst betroffen – arbeiteten in den §218-Gruppen mit. Selbst die in der Homosexuellen Aktion Westberlin organisierten Lesben unterstrichen mit einem Flugblatt ihre Unterstützung im Kampf gegen den §218: „Schwule Frauen sind in erster Linie Frauen. Und der §218 betrifft alle Frauen. Er entmündigt alle Frauen.“ Bei einer Demonstration des Frauenzentrums 1973 führten sie das Spruchband „Schwulsein ist besser“ mit. Umgekehrt fühlten sich die heterosexuellen Frauen des Frauenzentrums von der Hetze der Springerpresse gegen Lesben ebenso gemeint: „Ich warne alle Frauen vor der lesbischen Liebe“ (Quick), „Wenn Frauen Frauen lieben kommt es oft zu einem Verbrechen“ (BILD 2. Februar 1973) Mit gleichlautenden Parolen feuerte die Springerpresse über Wochen, gerade zu jener Zeit als überall feministische Zentren entstanden. In der Literatur über die Neue Frauenbewegung wird diese Zusammenarbeit zwischen Lesben und heterosexuellen Feministinnen bisweilen als Gefahr gesehen, weil dadurch die Frauenbewegung diskreditiert würde.[27][28]
Der Mordprozess in Itzehoe 1973 gegen Marion Ihns und Judy Andersen, die ein lesbisches Paar waren, mobilisierte die autonome Frauenbewegung in ganz Westdeutschland. „Beide Frauen werden für den Auftragsmord am Ehemann von Marion Ihns zu lebenslänglich verurteilt. Die Geschichte der Frauen – die Vergewaltigung beider in der Kindheit, die Misshandlungen von Marion Ihns durch ihren Ehemann – finden bei dem Urteil keine Berücksichtigung.“ Heterosexuelle Frauen solidarisierten sich erstmals öffentlich seit der ersten Frauenbewegung mit homosexuellen Frauen. Die Devise lautete: „Frauen gemeinsam sind stark.“ Die Flugblätter, die sie noch vor Eröffnung des Frauenzentrums in Westberlin am 17. Februar 1973 verteilten, waren der Auftakt zum Widerstand gegen die Diskriminierung von Lesben.[29] Gegen die reißerische und diffamierende Berichterstattung „protestieren die Frauengruppen mitten im Gerichtssaal - und erstmals in der deutschen Mediengeschichte 136 Journalistinnen und 36 Journalisten beim Deutschen Presserat. Der spricht eine Rüge aus“.[30] Diese Unterschriftenaktion hatte die Mediengruppe des Berliner Frauenzentrums initiiert.
In jenem Mordprozess kamen erstmals bisher tabuisierte Gewaltformen gegen Frauen zur Sprache: häusliche Gewalt, Vergewaltigung in der Ehe, sexueller Missbrauch von Kindern.[31] Dieser Themen nahm sich die autonome, feministische Bewegung nun an und schuf in der Folge das erste Frauenhaus, den ersten Notruf für vergewaltigte Frauen und wenig später die erste Beratungsstelle für sexuell missbrauchte Mädchen, Wildwasser.
Abgrenzungen
Viele Mitglieder des Frauenzentrums hatten in linken Gruppen eine „Kapital-Schulung“ absolviert, sich in linken Parteiinitiativen und Stadtteilgruppen engagiert, manche auch Betriebsarbeit geleistet.[32][33] bevor sie sich dem Frauenzentrum anschlossen. Wenn sie sich nun vehement gegen den Sozialistischen Frauenbund Westberlin (SFB) oder einer Vereinnahmung durch den Kommunistischen Bund verwahrten, so weil sie deren politische Strategie und Ziele gut kannten.[34]
Sozialistische Frauengruppen grenzten sich ihrerseits ganz entschieden von den autonomen Feministinnen der Frauenzentren ab. Deren Engagement sei „politisch folgenlos“, weil „absolut theorielos“, obwohl sie Frauenzentren gründeten und sich auf „ein wenig action“ und „spektakuläre Gewalt-Foren“ beschränkten, schrieb Lottemi Doormann.[35] „Die Abkehr der radikalfeministischen Gruppen von den politischen Realitäten und ihre nahezu ausschließliche Zuwendung zur privaten, individuellen, persönlichen Sphäre – ausgerechnet in einer Zeit zugespitzter gesellschaftlicher Krise, die nicht zuletzt auf dem Rücken eines Großteils ihrer Geschlechtsgenossinnen ausgetragen wurde – das habe ich diesen Gruppen vorzuwerfen.“[36] Als Errungenschaften der neuen Frauenbewegung nannte Doormann die Zeitschriften Courage und Emma, den Buchverlag Frauenoffensive, den Frauenkalender, Frauenhäuser, Notrufe für vergewaltigte Frauen, Frauengesundheitszentren und feministische Therapiegruppen.[37]
Cristina Perincioli fasste im Rückblick zusammen, was das Frauenzentrum vom Sozialistischer Frauenbund Westberlin unterschied:
„Bei uns (im Frauenzentrum) fehlte das belehrende Element. Uns ging es in den Projekten darum, Frauen-Räume zu schaffen. Die Frauen kamen ja blau geschlagen ins Frauenzentrum, da konnten wir nicht sagen, wir haben das noch nicht zu Ende durchdacht, kommt später wieder.(...) Wenn ich von meinem Bauch ausgehe, komme ich zu neuen, eigenen Lösungen. Diese überraschenden Lösungen sind zündender, als wenn ich auf Basis von Bebel und Lenin was gegen Arbeitslosigkeit von Frauen sage. Indem man den Menschen erklärt, wie zu denken ist, hemmt man ihre eigene Kreativität.“[38]
Schließung des Frauenzentrums
Ende der 1970er Jahre verlor das Frauenzentrum seine Funktion. Jetzt engagierten sich neue Frauen direkt in Frauenprojekten, die Sommeruniversitäten ersetzten das Plenum, nun diskutierten Frauen zu Tausenden. Für Infos, Kontakte zu den Projekten und neue Erkenntnisse konnte man auf zwei feministische Monatszeitschriften zurückgreifen: Courage und EMMA. Nach der Wende entstanden viele neue "Frauenzentren" – auch in den neuen Bundesländern – als Dienstleister für Frauen und Mädchen (Beratung, Kultur, Sport, Kontakt und Hilfe) diesmal staatlich subventioniert. In Berlin-Friedrichshain wurde 1990 der Verein FRIEDA-Frauenzentrum e.V. gegründet.
Literatur
- Ilse Lenz: Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. VS Verlag, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-531-17436-5.
- Cristina Perincioli: Anarchismus – Lesbianismus – Frauenzentrum. Warum musste die Tomate so weit fliegen? In: Heinrich-Böll-Stiftung und Feministisches Institut (Hrsg.): Wie weit flog die Tomate? Berlin 1999, ISBN 3-927760-32-3.
- Cristina Perincioli: Berlin wird feministisch. Das Beste, was von der 68er-Bewegung blieb. Querverlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-89656-232-6.
- Annett Gröschner: Berolinas zornige Töchter. 50 Jahre Berliner Frauenbewegung. FFBIZ Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-9819561-1-5
Weblinks
- Chronik der neuen Frauenbewegung auf der Webseite des Frauenmediaturms
- Bundeszentrale für politische Bildung: Frauenbewegung Neue Welle im Westen. Frauenzentrum Westberlin
- Feministisches Frauen Gesundheits Zentrum FFGZ, Berlin seit 1974
- FFBIZ Frauenforschungs-, bildungs- und Informationszentrum
- Cillie Rentmeister: Neue Frauenbewegung – Wissenschaft, Kunst, Gebärstreik, Frauenfeste
- Adressen von aktuellen Fraueneinrichtungen in Berlin und Brandenburg
Einzelnachweise
- ↑ * Ilse Lenz: Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. VS Verlag, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-531-17436-5, S. 228
- ↑ Ilse Lenz: Die Neue Frauenbewegung in Deutschland, S. 104.
- ↑ vormals Sitz der Kommune I, dann Versammlungsort u. a. von Proletarischer Linke/Parteiinitiative (Pl/PI) und Roter Hilfe
- ↑ zitiert nach Christina Perincioli: Berlin wird feministisch. Das Beste, was von der 68er-Bewegung blieb. Querverlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-89656-232-6, S. 89, 90.
- ↑ a b Kristina Schulz: Der lange Atem der Provokation. Die Frauenbewegung in der Bundesrepublik und in Frankreich (1968- 1976), Campus, Frankfurt 2002, ISBN 3-593-37110-3, S. 50
- ↑ Anja Jovic: Ich war getrennt von mir selbst … In: Lothar Binger: Verkehrsformen. Band 2: Emanzipation in der Gruppe und die „Kosten“ der Solidarität. (= Kursbuch 37). Rowohlt, Berlin 1974, S. 75.
- ↑ Cristina Perincioli: Berlin wird feministisch. Das Beste, was von der 68er-Bewegung blieb. Querverlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-89656-232-6, S. 92.
- ↑ Ilse Lenz: Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. VS Verlag, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-531-17436-5, S. 97
- ↑ Cillie Rentmeister: Frauenwelten - fern, vergangen, fremd? Die Matriarchatsdebatte und die Neue Frauenbewegung. In: Ina-Maria Greverus u. a. (Hrsg.): Kulturkontakt, Kulturkonflikt: Zur Erfahrung des Fremden. Band 2, Frankfurt am Main 1988, S. 445.
- ↑ Siehe Chronik der neuen Frauenbewegung auf der Webseite des Frauenmediaturms, unter 23. März 1974: „An der Freien Universität Berlin beginnt das erste ‚Frauenseminar‘. Initiiert hat es die Hochschulgruppe des Frauenzentrums. Titel: ‚Zur Situation von Studentinnen und Dozentinnen in der BRD und West-Berlin‘. Aus dem Frauenseminar geht die erste Frauen-Uni-Zeitung hervor: Nebenwiderspruch. Der selbstironische Titel erklärt sich aus der Tatsache, dass im linken Diskurs die Geschlechterfrage im Kapitalismus stets als zu vernachlässigender ‚Nebenwiderspruch‘ bezeichnet wurde – im Gegensatz zum ‚Hauptwiderspruch‘ zwischen den Klassen. Die Zeitung, die bis 1978 erscheint, dokumentiert Fraueninitiativen im Hochschulbereich.“ frauenmediaturm.de ( des vom 30. Januar 2017 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Die Mitglieder: die Journalistinnen Alice Schwarzer, Lea Rosh (NDR), Sophie Behr (Der Spiegel), Johanna Schickentanz (ZDF), Christel Sudau (Süddeutsche Zeitung), Magdalena Kemper (SFB/rbb) Monika Mengel (Spandauer Volksblatt/WDR), Ricky Matheyka (Der Abend (Deutschland)), Gesine Strempel, die Filmemacherinnen Helke Sander, Cristina Perincioli und Ricky Hachfeld, die Schriftstellerin Ingeborg Drewitz.
- ↑ Artikel für die US Soziologin Marcia Keller über den Stand der Frauenbewegung in Ost- und Westberlin Cillie Rentmeister und Cristina Perincioli 1974 zitiert nach Cristina Perincioli: Berlin wird feministisch. Das Beste, was von der 68er-Bewegung blieb. Querverlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-89656-232-6, S. 93.
- ↑ Zeitschrift für Medienwissenschaft 19: Jg. 10, Heft 2/2018, Transcript Verlag, Bielefeld 2018, ISBN 978-3-8376-4097-7, S. 113
- ↑ Ilse Lenz: Die Neue Frauenbewegung (2010), S. 152
- ↑ Annette Kuhn (Hrsg.): Die Chronik der Frauen. Dortmund 1992, ISBN 3-611-00195-3, S. 590.
- ↑ Julia Naumann: Das Ende der Verführung, Taz, 30. Januar 1998
- ↑ Annette Kuhn (Hrsg.): Die Chronik der Frauen. Dortmund 1992, ISBN 3-611-00195-3, S. 588.
- ↑ Kommentar von Ilse Lenz zu: Ein Platz an der Hochschulsonne von Barbara Duden und Irene Stöhr (Courage (Zeitschrift) 1978), in: Die Neue Frauenbewegung (2010), S. 218
- ↑ Hogie Wyckoff: Problem-solving groups for women. In: Radical Therapy. Vol. I,1/15/1973. Motto: „Therapie ist Veränderung – nicht Anpassung“. Zitat: „Statt unseren gerechten Zorn über die Verletzung unserer Rechte zum Ausdruck zu bringen, bemitleiden wir uns und andere und suchen die Schuld bei uns selbst.“ S. 5 Der Text war Arbeitsbasis der Beratungsgruppe BIFF. Die Gruppe postulierte „Unsere unsichtbare Unterdrückung, die Unterdrückung in uns selbst, ist das Ergebnis der patriarchalisch-kapitalistischen und -sozialistischen Ideologie. (...) Daher ist es für jede Frau notwendig, ihre eigene Identität als Frau zu finden.“
- ↑ Siehe Chronik der neuen Frauenbewegung auf der Webseite des Frauenmediaturms, unter 8.-11. März 1976. frauenmediaturm.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im September 2019. Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Cillie Rentmeister: Frauenwelten - fern, vergangen, fremd? Die Matriarchatsdebatte und die Neue Frauenbewegung. In: Ina-Maria Greverus u. a. (Hrsg.): Kulturkontakt, Kulturkonflikt: Zur Erfahrung des Fremden. Band 2, Frankfurt am Main 1988, S. 446.
- ↑ Cristina Perincioli: Berlin wird feministisch. Das Beste, was von der 68er-Bewegung blieb. Querverlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-89656-232-6, S. 110.
- ↑ Annette Kuhn (Hrsg.): Die Chronik der Frauen. Dortmund 1992, ISBN 3-611-00195-3, S. 592.
- ↑ Siehe Chronik der neuen Frauenbewegung auf der Webseite des Frauenmediaturms, unter 11. März 1974 Panorama-Beitrag Archivierte Kopie ( des vom 30. Januar 2017 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Siehe Chronik der neuen Frauenbewegung auf der Webseite des Frauenmediaturms, unter November 1975. Archivierte Kopie ( des vom 13. Januar 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Siehe Chronik der neuen Frauenbewegung auf der Webseite des Frauenmediaturms, unter 1. März 1977Archivierte Kopie ( des vom 13. Januar 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Rosemarie Nave-Herz sieht das Ansehen der Frauenbewegung durch „das öffentliche Bekenntnis zur Homosexualität“ gefährdet. Es führe bei denen, welche die neue Frauenbewegung nicht aus eigenem Erleben kannten, zuweilen zu einer Gleichsetzung von Feminismus und Lesbianismus und damit zu einer pauschalen Etikettierung und Ablehnung der Neuen Frauenbewegung. Rosemarie Nave-Herz: Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland. Opladen 1994, S. 76. (Erstausgabe Hannover 1982)
- ↑ Barbara Sommerhoff beklagt: So entstand in Teilen der Bevölkerung der falsche Eindruck, als sei Feminismus mit Lesbentum identisch. Mit ihren Vorgängerinnen teilten die Lesben den Spott, den jene schon vor 150 Jahren zu hören bekommen hatten, dass sie aufgrund ihres hässlichen Aussehens keine Männer fänden und deshalb notgedrungen homosexuell seien. In: Barbara Sommerhoff: Frauenbewegung. Rowohlt, Reinbek 1995, ISBN 3-499-16372-1.
- ↑ Ilse Lenz: Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. VS Verlag, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-531-17436-5, S. 231
- ↑ Chronik der neuen Frauenbewegung auf der Webseite des Frauenmediaturms, unter 1. Oktober 1974 Archivierte Kopie ( des vom 30. Januar 2017 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. mit Fotos der Aktion
- ↑ Sie werden in den Flugblättern zum Prozess genannt; zusammengestellt finden sie sich in Ilse Lenz (Hrsg.): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. VS Verlag, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-531-17436-5, S. 245–250.
- ↑ Sigrid Fronius: AStA-Vorsitzende der Freien Universität Berlin, Mitglied im Argument-Club, Betriebsarbeit bei Robert Bosch GmbH und Siemens, Mitgründerin der Proletarischen Parteiinitiative/Proletarische Linke (PL/PI)
- ↑ Sibylle Plogstedt war Mitglied des Sozialistischen Deutscher Studentenbundes und später in der trotzkistischen Gruppe Internationale Marxisten (GIM)
- ↑ Anfang Juni tagte – zum Entsetzen aller „alten“ Frauenzentrumsfrauen – im Plenumsraum des Frauenzentrums in der Stresemannstr. 40 der Sozialistische Frauenbund Westberlin (SFB). Zehn zusammentelefonierte Zentrumsfrauen konnten zunächst klären, dass dies ein einmaliger Besuch war, der durch Unkenntnis der Differenzen möglich wurde. In: Courage. August 1978.
- ↑ Lottemi Doormann (Hrsg.): Keiner schiebt uns weg. Zwischenbilanz der Frauenbewegung in der Bundesrepublik. Beltz, Weinheim/ Basel 1979, ISBN 3-407-83019-X, S. 53, 56 und 58.
- ↑ Lottemi Doormann (Hrsg.): Keiner schiebt uns weg. Zwischenbilanz der Frauenbewegung in der Bundesrepublik. Weinheim/ Basel 1979, S. 61.
- ↑ Ein Artikel im Spiegel Nr. 16/1979 fasste den Inhalt von Doormanns Buch zusammen. magazin.spiegel.de
- ↑ Cristina Perincioli: Berlin wird feministisch. Das Beste, was von der 68er-Bewegung blieb. Querverlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-89656-232-6, S. 165–167.