Štokavisch
Der Begriff Štokavisch, manchmal auch Schtokawish, bezeichnet in der Linguistik eine Dialektgruppe der Südslawischen Sprachen. Als amtliche Bezeichnung war es nie üblich. Štokavische Dialekte werden im Großteil Kroatiens und Serbiens und in ganz Bosnien-Herzegowina und Montenegro gesprochen. Die Bezeichnung kommt vom Fragewort što für was (im Gegensatz zu kaj bzw. ča in Kajkavischen und Čakavischen).
Aus dem Štokavischen haben sich die gegenseitlich verständlichen Amtssprachen Bosnisch, Kroatisch und Serbisch sowie das inzwischen offiziell nicht mehr verwendete Serbokroatisch entwickelt.
Die štokavischen Dialekte werden in Kroatien im Norden vom Kajkavisch, an der Küste vom Čakavischen begrenzt (näheres unter Kroatische Sprache). In Serbien stoßen sie im Südosten an den torlakischen Großdialekt, der einen Übergang zum Mazedonischen darstellt.
Geschichte
Grammatik
Die Grammatik ist sehr umfangreich und kompliziert. Hier soll vor allem auf Unterschiede zu anderen slawischen Sprachen eingegangen werden. So gibt es etwa keine reinen Nominalsätze. Das Imperfekt ist weitgehend zurückgebildet und kommt de facto nur noch als Stilmittel der Literatur sowie in einigen festlegenden Redewendungen vor.
Wie in anderen slawischen Sprachen kennt auch hier das Substantiv 3 grammatische Geschlechter, jeweils im Singular und im Plural. Grundsätzlich ist das Geschlecht durch den Endbuchstaben festgelegt: Maskulina enden auf Konsonant, Feminina auf -a, Neutra auf -o oder -e. Es gibt jedoch eine Reihe von Ausnahmen:
- Weibliche Wörter auf Konsonant: Hier handelt es sich haupsächlich um Abstrakta. Anders etwa als im Russischen sind sie nicht an der Weichheit der Endung erkennbar: smisao (m)(Sinn) - misao (f)(Gedanke); most (m)(Brücke) - kost (f)(Knochen)
- Männliche Wörter auf -a: Hier handelt es sich ausschließlich um Bezeichnungen für Personen. Zu dieser Gruppe gehören einerseits viele Turzismen, andererseits aber auch etliche slawische Wörter. Im Serbischen, anders als im Kroatischen, enden auch Wörter wie Kolumnist, Kommunist, Nationalist auf a (-ista). Diese werden wie weibliche Substantive dekliniert, das Adjektiv aber wie bei anderen männlichen Nomen. Beispiele: vođa (Führer), sudija (Richter, auf kr. auch sudac), vojvoda (Herzog), Sarajlija (Person aus Sarajewo), kamendžija (auch kamenorezac, Steinmetz), zanatlija (auch obrtnik, Handwerker)... stari vođa usw.
- Herablassende oder eine schlechte Eigenschaft bezeichnende männliche Substantive auf -a: Im Gegensatz zur vorherigen Gruppe werden hier auch die Adjektive nach dem Muster des Femininum dekliniert: ubica/ubojica (Mörder), budala (Dummkopf), kukavica (Feigling)... stara budala usw.
- Koseformen männlicher Personennamen auf -a oder -o: Werden meist wie weibliche Substantive auf -a dekliniert.
Anmerkung: obwohl die drei letzten Kategorien in allen drei heutigen Schriftsprachen vorkommen, sind sie auf Kroatisch deutlich seltener.
Enklitische Form
Eine Reihe von Wortgruppen weist eine so genannte enklitische Form auf. Dies sind verkürzte Formen, die keinen eigenen Akzent besitzen und daher an das vorhergehende Wort anschmiegen, und die von Modalverben und Personalpronomen der abgeleiteten Fälle gebildet werden können. Sie können nur an bestimmten Stellen im Satz auftreten. Meist ist dies an zweiter Stelle, wobei man sich nicht nach Bedeutungseinheiten, sondern nach dem ersten betonten Wort richtet, so dass die enklitische Form oft zwischen Adjektiv und dem dazugehörenden Substantiv, manchmal sogar zwischen Vor- und Nachname eingeschoben wird. Ebenfalls häufig ist die Stellung direkt nach dem Infinitiv bzw. Partizip Wenn mehrere solche Wörter zusammenkommen, gibt es eine festgelegte Reihenfolge.
- Fragepartikel li
- Hilfsverb: von biti, sein: sam, si,
je, smo, ste, su; (bih, bi, bi, bismo, biste, bi*); von htjeti, wollen: ću, ćeš, će, ćemo, ćete, će; - Personalpronomen des Dativs: mi, ti, mu/joj, nam, vam, im; si (reflexiv)
- Personalpronomen des Genitivs: me, te, ga/je, nas, vas, ih; se
- Personalpronomen des Akkusativs: me, te, ga/ju/je, nas, vas, ih; se
- Dritte Person Singular des Hilfsverbs biti: je*
* Diese Formen können auch nichtenklitisch verwendet werden, ohne das Erscheinungsbild zu ändern.
Beispielssätze:
- Trećeg mu je dana došla i rekla...
- Des dritten ihm ist Tages gekommen und gesagt...
- Am dritten Tag kam sie zu ihm und sagte (ihm)...
- Išao sam mu se žaliti.
- gegangen bin ihm sich beschweren
- Ich ging, mich bei ihm zu beschweren
- Da li si ga se bojala?
- Ob ? hast seiner sich gefürchtet
- Hast du dich vor ihm gefürchtet?
- Da li si nam ih reservirao
- Ob ? hast uns(D) sie(A) reserviert
- Hast du sie uns reserviert (z. B. die Sitzplätze)
Morphologie
Jotierung (Jotacija)
Konsonant + j ergibt:
- b -> blj uporaba, rabljen
- c -> č
- č -> č/čj riječ, riječju
- d -> đ uraditi, urađen
- g -> ž
- h -> š suh, suši;
- k -> č plakati, plačem
- l -> lj mil, omiljen
- m -> mlj lomiti, lomljiv
- n -> nj kazniti, kažnjen
- p -> plj zastupiti, zastupljen
- r -> r zanemariti, zanemariv;
- s -> s/š visok, više
- t -> ć pratiti, praćenje
- t -> št/šć obavijestiti, obavješćen/obavješten
- v -> vlj krov, potkrovlje
- z -> ž paziti, neopažen
- ž -> ž
Flüchtiges a
kurzes a in der letzten Silbe ist fällt in den abgeleiten Formen aus, kommt aber im Genitiv Plural, wo es lang ist, wieder zum Vorschein. Bei einigen Wörtern, welche im Nomitativ Singular kein solches a haben, tritt es hier ebenfalls in Erscheinung:
- NS pas - GS: psa - GPl pasa (Hund)
- predak - pretka - predaka(Siehe auch #Assimilation) (Ahne)
- momak - momka - momaka (Bursche)
- mislilac - mislioca - mislilaca (Siehe Absatz #End-L) (Denker)
Flüchtiges a fehlt im Nominativ Singular.
- NS: točka (f) - G-Pl točaka (Punkt)
- primjedba (f) - G-Pl primjedbi/primjedaba (Siehe auch #Assimilation) (Anmerkung, Einwand)
Assimilation
Im Štokavischen werden Konsonantengruppen vom Wortende her assimiliert, sowohl in Bezug auf die Stimmhaftigkeit als auch auf die Palatalität. Treffen dadurch mehrere gleiche Konsonanten aufeinander, wird der Konsonant nur einfach geschrieben und ausgesprochen. Es gibt folgende Paare: Stimmhaftigkeit: b-p; d-t; dž-č; s-z; š-ž; g-k.
- od + trčati -> otrčati
- šest + deset -> šezdeset
- pet + deset -> pedeset
- iz + ključiti isključiti
- iz + čekati -> iščekati
- nad + tjecati -> natjecati
- misl(iti) + -jen -> mišljen
- raz- + praviti -> raspraviti
- list + -je -> lišće
Wichtige Ausnahme ist das Wort mozak, welches von vorne nach hinten assimiliert wird:
mozak - mozga(Genitiv)
End-L
l im Auslaut eines Wortes oder einer Silbe ist in den meisten štokavischen Dialekten zu einem unbetonten o geworden. Dieser Prozess ist von den drei modernen Schriftsprachen beim Serbischen am stärksten ausgebildet: Hier tritt er sogar nach o auf, also sto statt stol (Tisch).
Wenn das ursprüngliche l durch Ableitungen wieder zwischen Vokalen zu liegen kommt, wird es in ein l zurückverwandelt. Beispiele:
- dao (m), dala (f), dalo (n) - Partizip II von dati, geben: gegeben
- N palac, G paoca - Daumen (zu beachten: hier kommt das l durch das Verschwinden des flüchtigen a in die Auslauts-Position)
- N mislilac, G mislioca
- N misao (f), G misli, I mišlju (Ein wunderbares Beispiel für das Zusammentreffen mehrerer Unregelmäßigkeiten: Ein Femininum auf Konsonant, flüchtiges a, Auslaut-l, Palatisierung einer Konsonantengruppe)