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Günstiger Erhaltungszustand (Wolfspopulation)

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Verbreitungsgebiete des Eurasischen Wolfs und anderer wildlebener Unterarten des Canis lupus
Alle Populationen, mit Ausnahme der italienischen, bestehen aus Eurasischen Wölfen. Der Canis lupus italicus wurde als eigenständige Unterart definiert. Eine Durchmischung der europäischen Unterarten und Populationen ist aus populationsbiologischer Sicht wünschenswert, da sie die genetische Vielfalt erhöht.
Seit 2019 leben Frankreich 80 Rudel, rund 530 Wölfe.[1] Seit 2020 sind auch im Norden und Nordwesten Frankreichs Rudel nachgewiesen.[2]

Der Günstige Erhaltungszustand einer Wolfspopulation entspricht der Definition einer Population mit einer effektiven Populationsgröße, die aufgrund einer ausreichenden Individuenzahl und des Vorhandenseins eines Lebensraumes mit für die Art geeigneten Lebensbedingungen, welcher für ihr langfristiges Überleben ausreichende Ressourcen bietet, so dass die Art im Lebensraum der betreffenden Population auch langfristig nicht (mehr) vom Aussterben bedroht ist. In Artikel 1 e der Richtlinie 92/43/EWG (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) wird der Erhaltungszustand ihrer natürlichen Lebensräume als günstig erachtet, wenn ihr natürliches Verbreitungsgebiet sowie die Flächen, die sie in diesem Gebiet einnimmt, beständig sind oder sich ausdehnen und die für ihren langfristigen Fortbestand notwendige Struktur und spezifischen Funktionen bestehen und in absehbarer Zukunft wahrscheinlich weiterbestehen werden.[3]

Europa

Für Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wird der günstige Erhaltungszustand einer Wolfspopulation im maßgeblichen Dokument der Europäischen Kommission Guidelines for Population Level Management Plans for Large Carnivores (Leitlinien für Managementpläne für große Fleischfresser auf Populationsniveau) von der Large Carnivore Initiative for Europe (Initiative für Großraubtiere in Europa LCIE) definiert. Für Staaten außerhalb der EU, die Unterzeichnerstaaten der Berner Konvention sind, gilt Entsprechendes. Der Präsident der LCIE Luigi Boitani, Hauptautor des maßgeblichen EU-Dokuments, versteht darunter in Entsprechung zu den Vorgaben der IUCN eine Mindestanzahl an Individuen in einem Areal, das den Tieren ausreichende Ressourcen bietet, so dass für die Population als solche kein Aussterberisiko besteht.[4]

Nach Artikel 1 i der Richtlinie 92/43/EWG (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) ist der Günstige Erhaltungszustand gegeben, wenn aufgrund der Daten über die Populationsdynamik der Tierart anzunehmen ist, dass sie ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraumes bildet und langfristig bilden wird, dass das natürliche Verbreitungsgebiet nicht abnimmt und ein ausreichend großer Lebensraum vorhanden ist, um langfristig ein Überleben der Population zu sichern.[5]

Wolfspopulationen nehmen sehr ausgedehnte Lebensräume ein. Wie auch bei anderen Tierarten kann die effektive Populationsgröße aus unterschiedlichen Zahlen von Individuen bestehen, je nach dem Grad ihrer genetischen Vernetzung mit den benachbarten Populationen. Sowohl die Individuenzahl als auch der Genfluss zwischen den Wolfspopulationen in Eurasien ist für den Erhaltungszustand bedeutsam. Die räumliche Ebene für die Einschätzung des Günstigen Erhaltungszustands ist nach der FFH-Richtlinie die biogeographische Region. Für jede der Regionen werden Monitoringberichte erstellt.

"Da der Gegenstand jeder Schutzplanung die gesamte biologische Einheit, also die Population sein sollte, empfehlen die Leitlinien eine Einschätzung auf Populationsebene" (BfN Skript 413).[6]

Entwicklung

Vor Inkrafttreten der Berner Konvention von 1979 im Jahr 1982[7] waren die Wölfe in manchen ihrer ehemals ausgedehnten Verbreitungsgebiete zu isolierten Reliktpopulationen dezimiert worden, um die Schäden durch Prädation an Haustieren zu beenden. Die Populationen in Europa haben sich in den vier Jahrzehnten des strengen Schutzes erholt und befinden sich weitgehend im günstigen Erhaltungszustand. Das angeborene Instinktverhalten des Wolfs mit seinem enormen Potenzial Fernwanderungen durchzuführen begünstigt sowohl seine schnelle Ausbreitung als auch die Vernetzung der verschiedenen Populationen.[8] Mit Satellitentelemetrie wurde gemessen, dass manche Wölfe innerhalb weniger Monate über 1000 Kilometer zurücklegen. Sie können neue Gebiete relativ schnell besiedeln.[9][10] Populationsgenetische Analysen von Maris Hindrikson et al. ergaben bei der räumlichen Autokorrelation auf der Grundlage von drei Merkmalen der genetischen Vielfalt eine Reichweite von 650 bis 850 km. Die genetische Vielfalt einer Wolfspopulation kann von bis zu 850 km entfernten Populationen beeinflusst werden, was nicht nur anhand von DNA-Analysen,[11] sondern auch durch Telemetriestudien nachgewiesen wurde. In echten Wildnisgebieten des Wolfareals beträgt die Territoriumsgröße eines Wolfsrudels bis zu 1000 km² und der Genaustausch funktioniert.[12] Da sich die Wolfspopulationen innerhalb Eurasiens seit der Erholung der Bestände in Mitteleuropa durch ihr Wanderverhalten in einem regelmäßigen Austausch befinden, kann von einer europäischen Metapopulation gesprochen werden.[13] Das bedeutet, dass auch bei Auslöschung einer Teils der Population immer wieder Tiere aus anderen Subpopulationen einwandern, die verschwundenen ersetzen und sich wieder erfolgreich fortpflanzen.

Orientierung an Bestandszahlen

Definition des günstigen Erhaltungszustands bei Wölfen (LCIE)

Nach einer Vorgabe der IUCN für nicht näher definierte Tierarten sind bei einer isolierten Population mindestens 1000 geschlechtsreife Individuen erforderlich, um deren Fortbestand zu sichern also auch eine mögliche Inzuchtdepression zu vermeiden. Eine Vernetzung mit benachbarten Populationen hat jedoch den Effekt, dass zur Vermeidung von Inzuchtdepression weit weniger Individuen erforderlich sind. Nach den Leitlinien für Managementpläne für Großraubtiere auf Populationsebene von der Initiative für Großraubtiere in Europa (LCIE), einer Abteilung der IUCN, kann bei Wölfen ein Bestand von mehr als 250 erwachsenen Tieren ausreichen, um in die Kategorie "nicht gefährdet" (Least concern) eingestuft zu werden, wenn die betreffende Wolfspopulation mit anderen so vernetzt ist, dass die Zuwanderer genetische und demographische Wirkung haben.[14][15][16][17][18][19]

Ilka Reinhardt und Gesa Kluth schreiben im BfN Skript 201 für eine eigenständige Population ohne Einwanderungsquellen:
"Setzt man den Erhalt von 95% der genetischen Variation ... als Zielwert an, entsprechen demnach mindestens 100 reproduzierende Wolfsrudel einem günstigen Erhaltungszustand."[20]

Exponentielles Wachstum

Beispielsweise die Deutsch-Westpolnische Population als Subpopulation der Baltischen würde sich mit ihrem derzeitigen Bestand in Polen westlich der Weichsel von mindestens 95 Rudeln zusammen mit fünf Rudeln in Deutschland schon im günstigen Erhaltungszustand befinden, auch ohne den bestehenden Austausch mit der Baltischen und anderen benachbarten Populationen.[21] Die offizielle Zahl der Rudel liegt bei den Wölfen in Deutschland allerdings schon bei 128 (Monitoringjahr 2019/2020).[22]

Ein weiteres Kriterium für den Günstigen Erhaltungszustand ist die Prognose für das Überleben der Population anhand der gegenwärtigen Bestandsentwicklung. Beim Artenschutz geht es bei im Günstigen Erhaltungszustand befindlichen Populationen vor allem darum, sie stabil zu halten, falls erforderlich durch ein geeignetes Wildtiermanagement. Weiteres Populationswachstum kann bei manchen Arten erwünscht sein, ist aber nicht erforderlich. Ein exponentielles Wachstum, wie es auch bei Neozoen beobachtet wird, ist keinesfalls erforderlich, aber Anlass zu einer besonders günstigen Prognose für die betreffende Population.

Beobachtung und Sicherung des Erhaltungszustands

Durch das Wolfsmonitoring wird festgestellt, in welchem Umfang der genetische Austausch zwischen den verschiedenen Wolfspopulationen bzw. Subpopulationen wieder stattfindet.[23] So sind heute bei den Wölfen in Deutschland Zuwanderungen aus Polen aber auch Rückwanderungen in Richtung Osten häufig. Wölfe aus den Karpaten wandern in die Deutsch-Westpolnische Population ein.[24][25] In Bayern gab es im Zeitraum 2009 bis 2020 acht Nachweise von aus der alpinen Population eingewanderten Wölfen. In Baden-Württemberg gab es im Zeitraum 2015 bis 2020 fünf Nachweise von Wölfen aus der alpinen und italienischen Population.[26][27] Im September 2020 gelangte ein aus den Alpen stammender Wolfsrüde GW 1832 m in den Neckar-Odenwald-Kreis.[28] Wenig später erfolgte ein Nachweis eines Wolfs aus den Alpen im Landkreis Darmstadt-Dieburg.[29] Auch aus der Dinariden-Balkan-Population sind einzelne Wölfe bis in den deutschen Alpenraum gewandert.[30][31][32] Im Frühsommer 2020 wurde ein aus der Dinarischen Population stammender Rüde GW 1706 m bei Traunstein nachgewiesen.[33]

Verpflichtungen der EU-Staaten

Die EU-Mitgliedsstaaten überwachen den Erhaltungszustand natürlicher Lebensräume mit ihren prioritären Arten und richten ein Monitoringsystem ein, um die Erfassung von im Anhang II, IV und V gelisteten Tierarten sowie illegale und ausnahmsweise legale Tötungen zu registrieren.[34] Die Aufzeichnungen des Wolfsmonitorings dienen als Feedback an die IUCN, bei der die Einträge in der Roten Liste in entsprechende Kategorien erfolgen,[35] und an die Europäische Kommission (Natura 2000).[36] Die EU-Mitgliedsstaaten sind zur Weitergabe der aktuellen Daten an die EU-Kommission verpflichtet, damit diese den Schutzstatus in der FFH-Richtlinie entsprechend anpassen kann.[37][38] Eine Übertragung von der Liste der streng geschützten Arten im Anhang IV der FFH-Richtlinie in die Liste der geschützten Arten im Anhang V erfordert in Deutschland eine Abstimmung auf Bundesebene mit den Nachbarländern und bedarf der Zustimmung der EU-Kommission. Die FFH-Richtlinie schreibt keine Schutzmaßnahmen für die einzelnen Lebensräume vor, also keine Listung in Anhang II als Prioritäre Art von gemeinschaftlichem Interesse, sondern sie verlangt die Gewährleistung des günstigen Erhaltungszustands.[39][40]

Einzelnachweise

  1. La population de loups augmente moins rapidement que les années précédentes
  2. Observatoire du loup
  3. Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen
  4. Luigi Boitani: Wolves: Behavior, Ecology, and Conservation Seite 332
  5. Henryk Okarma, Sven Herzog: Handbuch Wolf. Kosmos Verlag, Stuttgart 2019, Seite 201
  6. Ilka Reinhardt, Petra Kaczensky, Felix Knauer,Georg Rauer, Gesa Kluth, Sybille Wölflmar, Huckschlag, Ulrich Wotschikowsky: Monitoring von Wolf, Luchs und Bär in Deutschland Seite 12
  7. Europarat: Details zu Vertrag Nr. 104
  8. D. P. J. Kuijper, E. Sahlén, B. Elmhagen: Paws without claws? Ecological effects of large carnivores in anthropogenic landscapes
  9. Biologie und Ökologie des Wolfes - Ausbreitungspotenzial Seite 19
  10. Merill und L. David Mech: The usefulness of GPS telemetry to study wolfcircadian and social activity
  11. Maris Hindrikson, Jaanus Remm, Malgorzata Pilot et al.: Wolf population genetics in Europe: a systematic review, meta‐analysis and suggestions for conservation and management
  12. Michael Stubbe: Der Wolf in Europa - Utopie und Wirklichkeit. In: Beiträge zur Jagd- und Wildforschung, Band 44, Seite 13–14
  13. Sven Herzog: Die Populationen des Wolfes (Canis lupus) in Europa: Herleitung eines operationalen Konzeptes für das Management
  14. Large Carnivore Initiative for Europe: Guidelines for Population Level Management Plans for Large Carnivores Seite 19: "For classifications based on criteria D the appropriate downgrading would imply that if a population has sufficient connectivity to allow enough immigrants to have a demographic impact there would in principle only need to be more than 250 mature individuals in the population for it to be of “least concern”."
  15. Leitlinien für Managementpläne für Großraubtiere auf Populationsebene Seite 20
  16. R. Wayne, P. Hedrick: Genetics and wolf conservation in the American West: Lessons and challenges
  17. European Commission Evironment: Large carnivores in the EU - the Commission's activity on large carnivores
  18. Laikre L, Olsson F. et al.: Metapopulation effective size and conservation genetic goals for the Fennoscandian wolf (Canis lupus) population
  19. Guillaume Chapron, Stéphane Legendre et al.: Conservation and control strategies for the wolf (Canis lupus)in western Europe based on demographic models
  20. Leben mit Wölfen Leitfaden für den Umgang mit einer konfliktträchtigen Tierart in Deutschland - 2.4. Lebensfähige Population Seite 15 und 16
  21. IFAW: Neue Zahlen: Mehr Wolfsrudel in Westpolen
  22. DBBW – Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf: Wolfsterritorien - Status und Reproduktion
  23. Maris Hindrikson, Jaanu Remm et al.: Wolf population genetics in Europe: a systematic review, meta-analysis and suggestions for conservation and management
  24. Sylwia Czarnomska, Bogumiła Jedrzejewska, Henryk Okarma u. a.: Concordant mitochondrial and microsatellite DNA structuring between Polish lowland and Carpathian Mountain wolves. Conservation Genetics 14 (3). Juni 2013, abgerufen am 1. Juli 2015 (PDF; S. 573–588).
  25. Freundeskreis freilebender Wölfe: Wölfe und Wissenschaft - Zentralpolen, ein genetischer Schmelztiegel für Wölfe
  26. Bayerisches Landesamt für Umwelt: Erstnachweise der Kategorie C1 von Wölfen in Bayern 2006 bis 2018
  27. Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg: Eindeutige Nachweise (C1) zu Wölfen in Baden-Württemberg
  28. Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg: Wolfsverdacht im Neckar-Odenwald-Kreis bestätigt
  29. Wolf im Landkreis Darmstadt-Dieburg: Bereits das dritte Tier aus den Alpen in Hessen
  30. Managementplan Wölfe in Bayern – Stufe 1. StMUGV München 2007. Abgerufen am 20. Januar 2018.
  31. Managementplan Wölfe in Bayern – Stufe 2. Bayerisches Landesamt für Umwelt. Hof 2014. Abgerufen am 20. Januar 2018.
  32. Die Rückkehr des Wolfs nach Baden-Württemberg. Handlungsleitfaden für das Auftauchen einzelner Wölfe. Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg. Stuttgart 2013. Abgerufen am 17. Januar 2018.
  33. Bayerisches Landesamt für Umwelt: Monitoring von Wölfen
  34. Large Carnivore Initiative for Europe: Guidelines for Population Level Management Plans for Large Carnivores Seite 22
  35. IUCN: Canis lupus assessment information
  36. Natura 2000: Arten der Anhänge IV und V der Fauna Flora Habitatrichtlinie
  37. Salvatori, V. and Linnell, J.: Report on the conservation status and threats for wolf (Canis lupus) in Europe Council of Europe, Strasbourg 2005
  38. European Commission: Conservation Status of large Carnivores
  39. Henryk Okarma, Sven Herzog: Handbuch Wolf. Kosmos Verlag, Stuttgart 2019, Seite 201
  40. Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen