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Turksprachen

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Die Turksprachen, auch Türksprachen, türkische Sprachen, Turktatarisch oder Turkotatarisch genannt, sind eine Sprachfamilie Sie werden von ca. 150 Millionen Menschen gesprochen. Die Turksprachen sind in Sibirien und Zentralasien (wohl im Raume des Altai) entstanden und haben sich in großen Teilen Asiens und in Teilen Europas verbreitet. Sie bilden mit dem Mongolischen und dem Tungusischen die sogenannten Altaisprachen. Diese Einteilung entstand nur nach dem gemeinsamen Ursprungsraum dieser Völker, dem Altaigebirge. Eine ältere Sprachgruppenbezeichnung lautete Ural-Altaisch.

Die türkischen Einzelsprachen und ihre Einteilung

Grundsätzlich ist die Abgrenzung dessen, was eine Sprache ausmacht häufig eine Frage regionaler historischer Entwicklung, politischer Entscheidungen oder auch wissenschaftlicher Übereinkunft. (Siehe auch Abstandsprache und Ausbausprache.) Doch gibt es - trotz verschiedener Ansätze - in Bezug auf die türkischen Sprachen (im Gegensatz zu anderen Sprachen) keinerlei einheitliche Klassifizierungen. Vielmehr spielen hier subjektive Faktoren eine große Rolle.

Die unten benannten Sprachen sind überwiegend Schriftsprachen oder Sprachen von staatlich anerkannten ethnischen Gruppen. Andere turkologische Ansätze lassen die Zahl der Sprachen deutlich geringer werden oder verweisen auf weitere Sprachen, die in der Liste nicht erwähnt sind. (Die ältesten Wörter einer Turksprache dürften wohl die turkukischen Wörter sein, die 1766 v. Chr. in China aufgezeichnet wurden.)

Eine häufige Einteilung unterscheidet die folgenden Gruppen:

Eine weitere Einteilung der Turksprachen fußt allein auf der geographischen Verbreitung . Sie teilt die Turksprachen wie folgt ein: Westtürkisch, Osttürkisch, Nordtürkisch sowie Südtürkisch.

Zu den Turksprachen zählen auch das Salarisch und das so genannte Gelbuigurisch in der Volksrepublik China. Im Iran werden neben einigen oben genannten Turksprachen auch Afscharisch, Kaschgai gesprochen. Das Krimtschakisch, dass auch als Variante des Krimtatarischen betrachtet werden kann, wird entweder der oghusischen oder der kyptschakischen Gruppe zugerechnet. Aber auch die Zuordnung der Dialekte des Altaischen ist noch heute stark umstritten.

Es gibt eine Reihe historischer und ausgestorbener Sprachformen. Erwähnt werden sollten das einst in Sibirien und Zentralasien gebräuchliche Alttürkisch, Altuigurisch, Karlukisch und Choresmisch; aber auch das spätere Kyptschakische, Tschagataiische und das Osmanische müssen hier erwähnt werden. Auch Hunnische und Awarisch waren vermutlich überwiegend als Turksprachen anzusehen.

Wichtige und aussterbende Sprachen

Einige der größten Turksprachen, die auch den Status von Amtssprachen von Staaten haben sind: Türkisch, Aserbaidschanisch, Turkmenisch und Usbekisch. Ferner Kasachisch und das eng verwandte Kirgisische.

Den Status von regionalen Amtssprachen haben zum Beispiel auch die Sprachen: Baschkirisch, Tatarisch

Aussterbende Turksprachen sind: Karaim, Krimtschakisch, Schorisch und Tofalarisch (Karagassisch).

Vergleichende Betrachtung von Turksprachen

Die heutigen türkischen Sprachen haben sich allesamt aus der Alttürkischen Sprache entwickelt. Dabei kam es im Laufe der weiteren Geschichte zu 5 (oder nach mancher Auffassung zu 6) großen Sprachgruppen. Aber diese Gruppen kann man wieder in zwei große Sprachgebiete zusammenfassen: in das Ogurische Sprachgebiet, das aus den alten Ostdialekten des Göktürkischen gebildet wurde, und in das Oghusische, deren Wurzeln in den alten Westdialekten des Göktürkischen liegen.

Aber trotz der Weite ihrer Siedlungsgebiete sind sich die türkischen Sprachen untereinander noch sehr ähnlich. Wenn man nun die Schreibweise des modernen Türkischen (Türkeitürkisch) auf diese Sprachen anwendet, dann wird diese Verwandtschaft wieder ganz offensichtlich.

Wir vergleichen nun folgende Turksprachen miteinander: Türkisch, Aserbaidschanisch, Turkmenisch, Tatarisch, Kasachisch, Kirgisisch, Usbekisch und Uigurisch.

Gegenüberstellung der türkischen Hauptsprachen
Deutsch Türkisch Aserbaidschanisch Turkmenisch Tatarisch Kasachisch Kirgisisch Usbekisch Uigurisch
"Welche Wörter gibt es für die Schritte eines Pferdes?" Atın yürüyüşleri için hangi sözler var? Atın yerişi üçün hansı sözler var? Atın yörişleri barada ne hili sözler bar? Atnıng yürişleri turında nindi süzler bar? Atıng cürisin sıypattaytın kanday sözder bar? Attım cürüşü cönündö kanday atayın terimder bar? Atnıng yurişleri üçün kanday sözler bar? Atnıng mengiş ve yürügişliri toğısında kandak atamlarılar bar?

Die oben aufgeführten Sprachen haben eines gemeinsam: Sie sind Staats- oder Landessprachen unabhängiger Staaten oder autonomer Gebiete. Auch die nachfolgenden Sprachen sind Amtssprachen autonomer Republiken im Rahmen Russlands. Doch gelten sie innerhalb der türkischen Sprachen als "Exoten". Aufgrund der langen Trennung von den anderen türkischen Sprachen haben sie einen "Sonderweg" eingenommen. Diese Sprachen sind: Saqa-Jakutisch und Tschuwaschisch.



Gegenüberstellung Saqa-Jakutisch und Türkisch
Deutsch Jakutisch Türkisch Deutsch Jakutisch Türkisch
Mund ayak ağiz Bein but bacak*
Nase burun burun Zunge dıl dil
Freund cöge dost Hand eli el
Auge karak göz Fuß atak ayak
Kopf bas baş Zeitschrift nada dergi
Lippe uval dudak Mann toyon erkek
* Für den oberen Teil des Beins wird in der türkischen Sprache das Wort "but" benutzt.

Wie wir sehen, weicht das Jakutische vom Grundwortschatz her schon stark vom eigentlichen Türkischen ab. Auch besteht diese Trennung auch durch die verschiedene Wortstellung und Satzbau. Da haben sich die Jakuten mehr den Tungusen und Mongolen angeglichen - auch fehlen alle Fremdwörter persisch-arabischen Ursprungs, die vor allem das Türkei-Türkische auszeichnen. Die andere Sprache, das Tschuwaschische, hat sich fast gänzlich von der türkischen Wurzel entfernt. Ein türkischer Muttersprachler wird in dieser Sprache kaum noch die Verwandtschaft feststellen - für einen Laien ist dieses gänzlich unmöglich:

Chulcha' sarsa tike'slnne' jyvachsem parhatarla' syvla'mpa cha'va'nna' hychcha'n cha'ma'pa'n va'shlatsa ireken chilpe sha'la'nsa tasalna' ta ja'lta'kka eshe'l kyra'nachche'.

Übersetzung: "Die belaubten Bäume badeten im reinen Morgentau und trockneten im sanften Wind; es war eine wunderschöne Szene."

Nun kommen wir zu einem der kleineren turkotatarischen Völkern, den Tuwiner. Genau genommen gibt es sogar zwei "tuwinische Völker", die aus dem alten uyghur-türkischen Volk der Uriangqai hervorgegangen sind: Die Duwa in der Mongolei sind zwar türkischer Herkunft, volkstumsmäßig aber schon vor 1204 im Mongolentum aufgegangen. Die Tuwiner sind Turkotataren im Russischen Altai und sehen in den Duwa ihre engeren Verwandten. Beide Völker gehörten bis 1921 einem gemeinsamen Staat an: dem Qaraqorum Arad Ulus - dem "Mongolischen Khanat". (Der Mongole Dschingis Khan war übrigens teilweise türkischer Herkunft: dessen Stammahnin Alan Ghoa war laut der "Geheimen Geschichte der Mongolen" eine Uriangqai.)



Gegenüberstellung Tuwinisch und Türkisch
Deutsch Tuwinisch Türkisch Deutsch Tuwinisch Türkisch
Mund agaz ağız Bein but bacak
Handgelenk gol bilek Kopf baş baş
Jacke cek ceket Kehle bostaa boğaz
Kinn segel çene viel yok çok
Schuh mayık ayakkabı Schnurrbart erinsalı bıyık
Nase tumcuk burun Schaftstiefel idik çizme


In der Altairegion lebt noch ein kleines Volk, das sich auf die alten Kirgisenstämme zurückführen kann: die Chakassen.


Gegenüberstellung Chakassisch und Türkisch
Deutsch Chakassisch Türkisch Deutsch Chakassisch Türkisch
eins bir bir zwei iki iki
drei üs üç vier dört dört
fünf bis beş sechs alti altı
sieben yedi yedi acht segiz sekiz
neun dokuz dokuz zehn on on
einundzwanzig yihibitgı yirmi bir dreißig otuz otuz
vierzig hırıh kırk fünfzig illi elli
sechzig altan altmıs siebzig hitton yetmiş
achtzig sigiz on seksen neunzig doguz on doksan
(ein)hundert hüz yüz (ein)tausend hüz yuz bin
zehntausend tüben on bin - - -


Was Tuwinisch und Chakassisch auszeichnen, ist vor allem das Fehlen der vielen persisch-arabischen Fremdwörter, welche die südtürkischen Sprachen so beeinflusst haben. Vielmehr haben vor allem im Tuwinischen die Einflüsse der Mongolen eine große Rolle gespielt, während im Chakassischen das Uigurische des Mittelalters überdauert zu haben scheint.


Jetzt haben die großen türkischen Sprachen, wenn ihre Sprachträger als Eroberer kamen, immer Anteile der Ursprachen oder, wenn sie selbst erobert wurden, Sprachanteile der Sieger in sich aufgenommen. Am meisten wirken sich diese Vorsprachen in den Oghusischen Sprachen aus, wo neben einem enormen Anteil Persisch-Arabischen Sprachgutes, viele Wörter alter nichttürkischer Stammesstaaten überdauert haben.

Gegenüberstellung Sumerisch, Balkarisch und Türkisch
Deutsch Sumerisch Balkarisch Türkisch Deutsch Sumerisch Balkarisch Türkisch
wenig az az Az Vater baba ata Baba
satt daim dayım Doyum, doyma er mu Bu, ol Bu, o
Urgroßvater abame appa Büyük dede Wollweste gaba gabara Yün yelek*
ich me men Ben - - - -
* Für Wollweste wird in der türkischen Sprache auch das Wort "aba" angewendet. 

Lautliche und grammatische Merkmale

Turksprachen sind duch eine starre Satzkonstruktionen gekennzeichnet, an deren Ende in der Regel ein Verb (Tätigkeitswort) steht. Nachsilben (Suffixe) spielen die zentrale Rolle bei der Bildung grammatischer Formen. Dies wird Agglutination genannt. In Turksprachen gibt es anders als im Deutschen kein grammatisches Geschlecht. Ein lautliches Merkmal vieler Turksprachen ist die so genannte Vokalharmonie. In zahlreichen Turksprachen kommen in einem einzelnen Wort entweder nur die Vokale (Selbstlaute) a,o,u,y oder ä,ö,ü,i vor. Auch die von diesen Vokalen eingebundenen Konsonanten (Mitlaute) unterscheiden sich von einander. Die meisten Turksprachen sind einander so ähnlich, dass sich ihre Sprecher untereinander ohne weiteres verständigen können. Mit Sprechern einer kleineren oder entlegenden Turksprache ist eine mündliche Verständigung ebenfalls - zwar mit großen Schwierigkeiten verbunden, aber dennoch - möglich. Hierzu trägt natürlicherweise - neben den ererbten Gemeinsamkeiten - auch die lange arabisch-persische Prägung von Wortschatz und Idiomatik bei, die alle Turksprachen außer dem Nordtürkischen durch den Islam erfahren haben. Für die Turkotatarischen Sprachen der GUS-Staaten kommt die Schicht aus dem oder über das Russischen übernommenen Lexik hinzu. (Trennend wirkt sich seit den 1930er Jahren die Tendenz aus, Neuwörter ohne Rücksicht auf die übrigen Turksprachen zu bilden.

Schriftdenkmäler und Alphabete

Die ältesten alttürkischen Schriftzeugnisse dürften wohl die Runeninschriften des Orchon und des Jenissej bilden, die überwiegend aus dem 8. Jhd. stammen. Diese Sprachdenkmäler dürften wohl dem Osttürkischen zuzurechnen sein.

Die eigentliche Osttürkische Schrifttradition beginnt im späten 10. und frühen 11. Jhd. unter den Karachaniden mit dem Karlukischen. Sie setzt sich im Choresmischen des 14. Jhd.s fort und weist bereits viele Westtürkischen Merkmale auf. Im 15. Jhd. führt das Tschagataiische das Chroresmische wieder den osttürkischen Dialekten zu und endet im 20. Jhd. in den modernen Sprachen Usbekisch und Uigurisch.

Schrifterzeugnisse des Südtürkischen beginnt ebenfalls im 10./11. Jhd. Da entstanden die Seldschukische Sprache und deren Töchter Alt-Osmanisch und Alt-Aserbaidschanisch.

Die frühsten Zeugnisse des Westtürkischen stammen aus dem 14. Jhd., als in der Kumanischen Sprache der Codex Cumanicus verfasst wurde. Ferner stammen aus dem 13.-16. Jhd. viele Glossaren, Grammatiken und lit. Werken aus Ägypten und in armenisch-kyptschakischen Denkmälern der Ukraine (16.-17. Jhd.).

Späte Inschriften des Kyptschak-Bulgarischen sind aus dem 13./14. Jhd. überliefert, wobei eine genaue Abgrenzung zwischen ihr und den verwandten Sprachen, Kyptschakisch und Kyptschak-Tatarisch, kaum zu treffen ist.

Die Verschriftung der klassischen Literatursprachen Osmanisch, Aserbaidschanisch, Tschagataiisch, Kyptschak-Tatarisch und schließlich Krimtatarisch erfolgte ausschließlich in arabischen Buchstaben.

In der Zeit zwischen 1920 und 1930 wurden weitere turksprachige Schriftsprachen geschaffen, die zuerst auf einem lateinisch basierten Alphabet fußten, dem Einheitlichen Türkischen Alphabet.

Ab 1936/40 begann im russischen Machtbereich der Übergang zur einer angepassten kyrillischen Schriftform. Waren die arabische und die lateinisch-basierte Schriftformen noch auf gegenseitige Verstehbarkeit ausgelegt, so war das bei den kyrillischen genau das Gegenteil dort wurde aus verschiedenen Dialekten künstlich Sprachen gemacht und diese so weit wie möglich auseinander gerückt.

1990 wurde von den großen turksprachigen Staaten, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Turkmenistan und Usbekistan beschlossen, bis 2005 für ihr Staatsgebiet eine lateinische Schrift wiedereinzuführen, das sich eng an dem Neuen türkischen Alphabet der Türkei anlehnen sollte und das dieses als gemeinsames türkisches Kulturerbe zu betrachten und bewahren sein sollte. (Die turksprachigen Minderheiten in den übrigen Ländern sollten dieses Alphabet bis 2010 zu übernehmen haben, um die Gemeinschaft der Turkvölker zu erneuern!)

Turksprachige Juden benutzten seit alters her die hebräische Schrift.

Namen

Ein wichtiger Bestandteil einer Sprache sind die Namen. Es gibt Personen-Namen (Vornamen, Familien-Namen), Eigennamen, Tiernamen, etc. In Wörterbüchern der einzelnen Sprachen sind diese zu finden. Was ist aber, wenn ich nur ungefähr weiß, woher ein Name kommt? Beispiel: Tramzal (Familienname). Aus welcher Turksprache kommt dieser?

Dieser Personenname stammt höchstwahrscheinlich vom Kasak-Tatarischen ab, die als Händler zu den sesshaften Turkmenenstämmen kamen. Diese nannten die "Besucher" aus dem Norden vielfach Tramsaq - "Tröttler"; als Tramzak ging dieser Name z. B. ins Turkmenische ein.