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Nierenkanälchen

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Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 12. Mai 2020 um 23:43 Uhr durch de>Dr. Hartwig Raeder (Tubuluskrankheiten). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Feinbau der Niere, schematisch
Feinbau der Niere, schematisch
Die Abbildung zeigt die verschiedenen Abschnitte des Tubulussystems. ACHTUNG: Die Macula densa liegt dem vas afferens und nicht wie im Bild dargestellt dem vas efferens an.[1]

Ein Nephron (von altgriechisch νεφρός nephros, deutsch ‚Niere‘) ist die funktionelle Untereinheit der Niere. Es besteht aus:

Jede Niere des Menschen besitzt etwa eine Million dieser Untereinheiten. Die Tubuli arbeiten weitgehend unabhängig von den Glomeruli.[3]

Physiologie

In den Nierenkörperchen wird kontinuierlich Primärharn aus dem Blut filtriert. Anschließend werden in den Tubuli bestimmte Stoffe resorbiert (vor allem wird Wasser „rückresorbiert“), aber auch sezerniert. Durch diese Konzentration entsteht aus dem Primärharn der eigentliche Harn (Sekundärharn oder Endharn). Die Primärharnbildung heißt auch glomeruläre Filtration, filtrative Nierenfunktion oder Kreatinin-Clearance; sie beträgt bei Erwachsenen etwa 150 Liter am Tag (oder 105 ml/min).

Die Tubuli regulieren den Wasserhaushalt, die Glomeruli filtern das Plasma jeweils proportional zum veränderlichen Herzzeitvolumen.

Geschichte

Die Theorie der Harnbereitung hat eine lange Geschichte.[4] Klare Vorstellungen über die Arbeitsweise der Nieren bei der Harnbereitung hatte zuerst 1844 Carl Ludwig. Nach seiner noch heute im Wesentlichen gültigen mechanischen Theorie findet die physikalische Filtration des Plasmas in den Glomeruli statt. Anschließend komme es zur Rückdiffusion von Wasser durch eine Endosmose im Tubulus.[5] Heute spricht man von der glomerulären Filtration und der tubulären Rückresorption. Das (neurohumoral geregelte) Zusammenspiel von Physik und Chemie in den Podozyten und in den einzelnen Tubulusabschnitten in Bezug auf die einzelnen harnpflichtigen Substanzen ist auch heute noch nicht abschließend geklärt.

Hinweis

Im Folgenden werden nur die Tubuli und ihre Funktion beschrieben. Die Glomeruli werden dagegen beim Stichwort Nierenkörperchen abgehandelt. Als Nephron wird die Einheit von Glomeruli und Tubuli bezeichnet. In den fremdsprachigen Wikipedia-Enzyklopädien finden sich dagegen Glomeruli und Tubuli gleichberechtigt beim Stichwort Nephron.

Überblick über das Tubulussystem

Das Nierenkanälchen wird in Hauptstück (proximaler Tubulus), Überleitungsstück (Intermediärtubulus oder Tubulus attenuatus) und Mittelstück (distaler Tubulus) unterteilt. Die geraden Abschnitte der Nierenkanälchen und das Überleitungsstück bilden eine Schlinge, die als Henlesche Schleife (nach Jakob Henle, lat. Ansa nephroni) bezeichnet wird. Die Henlesche Schleife existiert nur bei Säugern und Vögeln, sie ist offensichtlich notwendig, um einen gegenüber dem Blut hyperosmotischen Harn zu bilden, denn Wirbeltiere ohne Henlesche Schleife sind dazu nicht in der Lage.

Verbindungstubulus und Sammelrohr sind embryologisch anderer Herkunft und gehören deshalb nicht zum Nephron. Sie bilden aber eine funktionelle Einheit mit dem Tubulussystem des Nephrons. Der distale Tubulus ist distal im Hinblick auf das Nephron.

Bei der Nomenklatur des Tubulussystems können anatomische und physiologische Gesichtspunkte beachtet werden, was zu unterschiedlichen, aber sich ergänzenden Einteilungen führt.

Sowohl der proximale als auch der distale Tubulus werden jeweils in einen „aufgeknäuelten“ Teil, Pars convoluta oder Pars contorta, und einen „geraden“ Teil, Pars recta, eingeteilt. Die Partes rectae beider Tubuli und der Intermediärtubulus werden funktionell zur Henle-Schleife zusammengefasst. Die Pars recta des distalen Tubulus wird oft nur als dicker aufsteigender Teil der Henle-Schleife bezeichnet, während dann unter dem distalen Tubulus nur die Pars convoluta (auch als frühdistaler Tubulus bezeichnet) oder sogar (als spätdistaler Tubulus bezeichnet) der Verbindungstubulus und der Beginn des Sammelrohrs verstanden werden. Die Zuordnung des Verbindungstubulus zu Mittelstück oder Sammelrohr ist uneinheitlich. Hier wird es dem Sammelrohr zugeordnet.

Folgende Tabelle vergleicht deutsche Bezeichnungen, die Bezeichnungen nach den Nomina anatomica, weitere Einteilungen, internationale Abkürzungen und die anatomische Lage.

Anatomische Bezeichnung Weitere Bezeichnungen International Anatomische Lage Physiologie Histologie
Hauptstück Proximaler Tubulus, Pars convoluta Proximales Konvolut Proximal Convoluted Tubule (PCT) Rinde Resorption großer Mengen u. a. von Na+, Glukose, Bicarbonat und Aminosäuren durch Na+ gekoppelte Symporter (Glukose) bzw. Antiporter (Bicarbonat)

Resorption oder Sekretion u. a. von Harnsäure durch Anionentransporter mit Hilfe der proximalen Tubuluszellen

hoher Bürstensaum, deutliches Lumen, hohe Dichte an Mitochondrien
Proximaler Tubulus, Pars recta Henle-Schleife Proximal Straight Tubule (PST) Oberflächliche Nephrone: Markstrahlen

Mittlere Nephrone: Markstrahlen, Außenstreifen äußeres Mark Juxtamedulläre Nephrone: Außenstreifen äußeres Mark

Überleitungsstück Intermediärtubulus, Pars descendens Absteigender dünner Teil (Schenkel) der Henle-Schleife,
Pars descendens tubulus attenuatus
Descending Thin Limb (DTL) Oberflächliche Nephrone: Markstrahlen

Juxtamedulläre und mittlere Nephrone: Innenstreifen äußeres Mark, inneres Mark

Konzentrierung des Harns mithilfe des Gegenstromprinzips flaches Epithel
Intermediärtubulus, Pars ascendens Aufsteigender dünner Teil (Schenkel) der Henle-Schleife,
Pars ascendens tubulus attenuatus
Ascending Thin Limb (ATL) Inneres Mark, nur bei juxtamedullären Nephronen vorhanden Konzentrierung des Harns mithilfe des Gegenstromprinzips
Mittelstück Distaler Tubulus, Pars recta Dicker aufsteigender Teil (Schenkel) der Henle-Schleife Thick Ascending Limb (TAL) Oberflächliche Nephrone: Markstrahlen, Übergang Rinde

Juxtamedulläre und mittlere Nephrone: Äußeres Mark, Übergang Rinde

Konzentrierung des Harns mithilfe des Gegenstromprinzips kubisches, einheitliches Epithel, runde Zellkerne, große Mitochondrien
Distaler Tubulus, Pars convoluta Distales Konvolut,
frühdistaler Tubulus
Distales Nephron Distal Convoluted Tubule (DCT) Rinde Aldosteron-abhängige Konzentrierung des Harns,
enthält die Macula densa
Sammelrohr Verbindungstubulus spätdistaler Tubulus, Tubulus reuniens Connecting Tubule (CNT) Rinde, Übergang Markstrahlen Konzentrierung des Harns durch Wasserentzug, ADH-abhängig kubisch bis prismatische Zellen, Schaltzellen und Hauptzellen, heterogen, großes Lumen
Sammelrohr Collecting Duct (CD) Beginn oben in Markstrahlen, verläuft durchs ganze Mark bis zur Papille Konzentrierung des Harns durch Wasserentzug, ADH-abhängig

Hauptstück

Lichtmikroskopische Aufnahme der Nierenrinde. 1 Nierenkörperchen, 2 Hauptstück, 3 Mittelstück

Das Hauptstück (Tubulus proximalis) verläuft zunächst geschlängelt (Tubulus contortus proximalis) und dann gerade (Tubulus rectus proximalis) in das Nierenmark.

Hier werden die im Primärharn enthaltenen wertvollen Verbindungen (z. B. Glucose, Aminosäuren, Elektrolyte) zurückgewonnen. Außerdem werden hier einige Schadstoffe aktiv abgegeben.

Überleitungsstück

Das Überleitungsstück (Tubulus attenuatus) zieht zunächst weiter in Richtung Nierenmark und biegt dann wieder in Richtung Rinde um. Hier wird dem Harn vor allem Wasser entzogen.

Mittelstück

Das Mittelstück (Tubulus distalis) beginnt noch im Nierenmark und zieht zunächst als gerades Röhrchen (Tubulus rectus distalis) in die Nierenrinde. Hier schließt sich wiederum ein gewundener Abschnitt (Tubulus contortus distalis) an, der in ein Sammelrohr mündet.

Im distalen Tubulus wird dem Harn NaCl entzogen und ins Nierenmark abgegeben, wo das NaCl über die Kapillaren wieder in den Blutkreislauf gelangt. Hier findet ein aktiver Transport über Ionenkanäle statt: Na+ wird aktiv heraustransportiert, Cl wandert passiv nach.

Tubuluskrankheiten

Alle Diuretika verkleinern die tubuläre Rückresorptionsquote und vergrößern so den Sekundärharnfluss mit der Folge einer Polyurie. Tubuluskrankheiten (Tubulusnekrosen, Tubulopathien, Tubulonephrosen, "schwere Läsionen der Tubulusepithelien"[6]) würden den aktiven Transport bei der Rückresorption verkleinern und deshalb wie Diuretika wirken. Tatsächliche Tubulopathien mit diuretischer Wirkung sind sehr selten. Ein Beispiel ist der Diabetes insipidus renalis als Spezialfall des Diabetes insipidus.

Noch seltener sind isolierte Tubuluskrankheiten mit vergrößerter Rückresorptionsquote und infolgedessen mit dem Symptom einer Anurie. Hier ist das Liddle-Syndrom ein Beispiel.

Die tubulointerstitielle Nephritis ist nur in seltenen Fällen so ausgeprägt, dass es zu einer Polyurie kommt. "Andererseits führen toxische reine tubuläre Schädigungen ohne gleichzeitige Beeinträchtigung der Nierendurchblutung nicht zur Insuffizienz oder Anurie."[7]

Literatur

Siehe auch

Commons: Nierenkanälchen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Nierenkanälchen – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Robert F. Schmidt, Florian Lang, Manfred Heckmann: Physiologie des Menschen: mit Pathophysiologie; mit 85 Tabellen; mit herausnehmbarem Repetitorium. 31., überarb. und aktualisierte Auflage. Springer-Medizin-Verlag, Heidelberg 2010, ISBN 978-3-642-01650-9.
  2. Karl Julius Ullrich, Klaus Hierholzer (Hrsg.): Normale und pathologische Funktionen des Nierentubulus, Verlag Hans Huber, Bern 1965, 466 Seiten.
  3. K. H. Gertz: Die Anpassung der transtubulären Resorption an die glomeruläre Filtrationsrate, in: Karl Julius Ullrich, Klaus Hierholzer (Hrsg.): Normale und pathologische Funktionen des Nierentubulus, Verlag Hans Huber, Bern 1965, S. 141–145.
  4. Johanna Bleker: Die Geschichte der Nierenkrankheiten, Boehringer Mannheim 1972.
  5. H. Straub, K. Beckmann: Allgemeine Pathologie des Wasser- und Salzstoffwechsels und der Harnbereitung, in: Lehrbuch der inneren Medizin, 4. Auflage, 2. Band, Verlag von Julius Springer, Berlin 1939, S. 8.
  6. O. Spühler: Die interstitiellen Nephritiden und die Bedeutung Franz Volhards für deren Lehre, in: Hans Erhard Bock, Karl-Heinz Hildebrand, Hans Joachim Sarre (Hrsg.): Franz Volhard – Erinnerungen, Schattauer Verlag, Stuttgart 1982, ISBN 3-7845-0898-X, S. 169.
  7. O. Spühler: Die interstitiellen Nephritiden und die Bedeutung Franz Volhards für deren Lehre, in: Hans Erhard Bock, Karl-Heinz Hildebrand, Hans Joachim Sarre (Hrsg.): Franz Volhard – Erinnerungen, Schattauer Verlag, Stuttgart 1982, ISBN 3-7845-0898-X, S. 169.