Preußischer Verfassungskonflikt
Unter dem so genannten preußischen Verfassungskonflikt - auch Heereskonflikt genannt - versteht man den Konflikt zwischen König Wilhelm I. als Staatsoberhaupt und dem Abgeordnetenhaus als Volksvertretung, die größtenteils liberale Mitglieder zählte. Der Konflikt fällt in die Zeit zwischen 1858 und 1866. Im Mittelpunkt der Kontroverse stand anfänglich die vom König geplante Reorganisation des Heeres und dabei die Verlängerung der Dienstzeit der Soldaten auf drei Jahre. Dies sahen die Abgeordneten als einen Machtzuwachs der Krone und forderten anstatt dessen ein Volksheer.
Dieser eigentlich oberflächliche Konflikt wurde von den konservativen Mitgliedern, vor allem denen des Herrenhauses, ausgenutzt und zum Grundsatzkonflikt zwischen Königtum und Revolution ausgeweitet. Durch die Mehrheit der Liberalen im Abgeordnetenhaus, die sich 1861 in der ersten deutschen Programmpartei, der "Fortschrittspartei" zusammenschlossen, erwog der König Wilhelm I. abzudanken, zumal er auch durch mehrmalige Neuwahlen die liberale Mehrheit nicht verringern konnte.
Jetzt trat Bismarck in das Geschehen ein. Er bot seine Dienste zur Festigung der königlichen Macht gegen das Parlament an. Der König ging darauf ein und ernannte ihn 1862 zum preußischen Ministerpräsidenten. Bismarck löste den Konflikt durch strikte Verfolgung einer antiparlamentarischen Methode: In seiner Lückentheorie erklärte er, dass dem König im Konflikfall das Notrecht zur letzten Entscheidung zustehe und er ohne Zustimmung des Parlaments handeln dürfe, selbst wenn dieses mit Budgetverweigerung antwortete. Aus verfassungsrechtlicher Sicht war dieses Vorgehen nicht gerechtfertigt.
Den Konflikt löste er aber erst mit seinem Versöhnungsangebot an die Liberalen, nach dem Sieg im Krieg gegen Österreich, der im Kampf um die Führungsrolle erkärt wurde: In der Indemnitätsvorlage von 1866 sollte das Parlament nachträglich den Haushalt der vergangenen Jahre legalisieren, dafür wurde ihnen ein Nationalstaat in Aussicht gestellt. Daraufhin spaltete sich eine neue Partei, die Nationalliberale Partei, von der Fortschrittspartei ab. Diese neue Partei unterstützte Bismarck in seiner nationalen Politik, wohingegen die alte Partei weiterhin in scharfer Opposition zum Ministerpräsidenten blieb. Die Indemnitätsvorlage wurde mit 250:75 Stimmen nachträglich angenommen.