Benutzer:Wandervogel/Die Schweiz zur Zeit des Sklavenhandels und des Kolonialismus
Die Schweizerische Eidgenossenschaft war zu keiner Zeit eine Seefahrernation oder eine Kolonialmacht. Trotzdem war die Schweiz zur Zeit des Sklavenhandels und des Kolonialismus vom 17. bis 19. Jahrhundert durch Schweizer Handelsfamilien und Handelsfirmen vollständig in das weitreichende europäische Netz an Finanz- und Handelsbeziehungen integriert. Zürich und Bern waren durch Finanzgeschäfte am Sklavenhandel beteiligt. Schweizer Söldner kämpften zu dieser Zeit in fremden Diensten in kolonialen Kriegen und gegen Sklavenaufstände.
Mit der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit tat sich die Schweiz bis in die Gegenwart schwer.[1] Nach der Jahrtausendwende hat eine neue Generation von Historikerinnen und Historikern begonnen, diesen Teil der Schweizer Geschichte zu erforschen.[2] 2019 erteilte die Stadt Zürich der Universität Zürich den Auftrag, die Verstrickung der Stadt in die Sklaverei zu untersuchen.[3] Erst im Zuge der weltweiten Black Lives Matter-Kundgebungen nach dem gewaltsamen Tod von Georg Floyd in den USA im Frühjahr 2020 wurde die koloniale Vergangenheit der Schweiz einer breiten Bevölkerungsgruppe bewusst.[4]
Historischer Überblick und Begriffserklärung
Atlantischer Sklavenhandel


Im sogenannten atlantischen Sklavenhandel oder auch atlantischer Dreieckshandel, wurden ab dem 16. Jahrhundert Menschen vom afrikanischen auf den amerikanischen Kontinent zwangsverschleppt und dort als gratis Arbeitskräfte auf den Plantagen eingesetzt. Der Dreieckshandel kam mit der Besiedlung der Kolonien in Übersee auf. Über die Seefahrernationen Portugal, Spanien, Frankreich, Niederlande und Grossbritannien war der gesamte europäische Kontinent in den Dreieckshandel über den Atlantik einbezogen. Die Europäer konnten sich in Afrika auf bereits bestehende Strukturen von Sklavenhändlern stützen, um versklavte Menschen an den afrikanischen Küsten zu «kaufen». Diese Menschen waren teils Kriegsgefangene oder Häftlinge, oft aber einfach aus ihren Dörfern entführte Frauen, Männer und Kinder, die von arabischen Sklavenhändlern zur Küste gebracht wurden. Europäische Händler beluden ihre Schiffe an den Atlantikhäfen mit Textilien, Metall- und Glaswaren, Branntwein, Gewehren und Schiesspulver. Besondere an den afrikanischen Fürstenhöfen waren Indiennesstoffe aus der Schweiz und Frankreich beliebt. In den Häfen Westafrikas tauschte man die Waren gegen Sklaven ein. Auf engstem Raum im Schiffsbauch zusammengepfercht und aneinandergebunden, wurden die versklavten Menschen in die Neue Welt (Nordamerika, Karibik und Südamerika) verfrachtet. In den Kolonien verkauften die Händler die Menschen an Plantagen- und Minenbesitzer und erwarb mit dem Erlös die von Sklaven produzierten Güter wie Zuckerrohr, Baumwolle, Kakao, Tabak, Kaffee, Reis und Gewürze. Die Schiffe brachten anschliessend die Güter zurück nach Europa.
Schätzungen gehen davon aus, dass insgesamt ab dem 16. Jahrhundert elf bis zwölf Millionen Menschen als Sklaven verschleppt wurden. Zehn bis fünfzehn Prozent überlebten die Überfahrt nicht. Der atlantische Dreieckshandel kam Mitte des 19. Jahrhunderts zum Erliegen.[5][6]
Kolonialismus
Unter Kolonialismus versteht man die meist staatlich geförderte Inbesitznahme auswärtiger Territorien und die Unterwerfung, Vertreibung oder Ermordung der ansässigen Bevölkerung durch eine Kolonialherrschaft. Bei den Kolonialherren im neuzeitlichen Kolonialismus herrschte der Glaube an eine kulturelle Überlegenheit über die sogenannten „Naturvölker“ und teils an die eigene rassische Höherwertigkeit.[7] Diese Vorstellung wurde durch frühe Theorien einer soziokulturellen Evolution gestützt. Die Kolonisierung der Welt durch europäische Nationen leistete der Ideologie des Eurozentrismus Vorschub.[8] Zu den Kolonialmächten zählt man: Grossbritannien, Frankreich, Spanien, Portugal, Niederlande, Deutsches Reich, Osmanisches Reich, Belgien, Russland, Japan, China (Qing-Dynastie), Österreich-Ungarn, Dänemark, Schweden-Norwegen, USA, Italien. Die Schweiz besass zu keiner Zeit Territorien ausserhalb von Europa.
Schweizer Beteiligung am atlantischen Sklavenhandel
Die Schweiz vermied es lange Zeit, sich seiner kolonialen Vergangenheit zu stellen. Schülerinnen und Schüler erfuhren im Geschichtsunterricht nichts von der kolonialen Vergangenheit der Schweiz.
Schweizer Familien und Handelsgesellschaften gehörten gemäss Harald Fischer-Tiné, Professor für die Geschichte der modernen Welt an der ETH Zürich, zu wichtigen Akteuren im atlantischen Sklavenhandel. Zahlreiche Schweizer Handelsleute, aber auch Firmen wie das Geldinstitut Zinskommission Leu et Compagnie (die spätere Bank Leu)[9] hielten Aktien der französischen Ostindienkompanie, die eine wichtige Rolle im globalen Handel mit Sklavinnen und Sklaven spielten. In der Blütezeit des Sklavenhandels hielten sie bis zu 30 Prozent des Aktienkapitals und damit mehr als der französische König. [10]
Die Autoren des 2005 erschienen Standardwerks «Schwarze Geschäfte», Thomas David, Bouda Etemad und Janick M. Schaufelbuehl, gehen davon aus, dass rund 172'000 Afrikaner durch die direkte oder indirekte Teilnahme von Schweizer Händlern am Sklavenhandel deportiert und versklavt wurden. Dies entspricht rund 1,5 Prozent der elf bis zwölf ¬Millionen Sklaven, die Afrika im Rahmen des transatlantischen Handels entrissen wurden.[11]
Wirtschaftlicher Hintergrund
In der Zeit vor der Industrialisierung, also vor der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, waren die Möglichkeiten Geld anzulegen, begrenzt. Investitionen in den Handel bot sich als Ausweg an. Zwischen 1719 und 1734 besass der Staat Bern Anteile an der britischen Handelsgesellschaft South Sea Company[12] und war damit für eine gewisse Zeit der grösste Aktionär der Gesellschaft, noch vor der Bank of England und vor dem englischen König George I. Auch die Stadt Zürich erwarb 1727 120 Aktien dieser Gesellschaft.[13]. Die South Sea Company verkaufte u.a. 64 000 afrikanische Sklaven nach Südamerika. Während der Zeit des Sklavenhandels spielten in der Alten Eidgenossenschaft und der späteren Helvetischen Republik die Kantone nur eine untergeordnete Rolle. Es waren vor allem Kaufleute, Financiers und Offiziere, die im Sklavenhandel und der Niederschlagung von Sklavenaufständen tätig waren.
Ein wichtiges Exportgut im Dreieckshandel waren die mit orientalischen oder indischen Motiven bedruckten, relativ günstigen Baumwollstoffe. Die sogenannten Indiennes waren in Afrika ein begehrtes Importgut. Die aufkommende Mechanisierung des Stoffdrucks bedrängte die traditionellen Produzenten von Seidenstoffen, besonders in Frankreich. König Ludwig XIV. verbot deshalb zwischen 1686 und 1759 die Herstellung und die Einfuhr von Indiennes. Die französischen Hugenotten verlegten daraufhin die Baumwollindustrie nach den Niederlanden, nach Deutschland und auch in die Schweiz. Ende des 18. Jahrhunderts arbeiteten in der Schweiz achttausend bis zehntausend Menschen in den Indiennes-Betrieben. Nach Aufhebung des Verbots liessen sich einige der Indiennes-Hersteller in den französischen Hafenstädte Marseille, Bordeaux und Nantes nieder, die Hochburgen des Sklavenhandels waren.
Schweizer Handelsfamilien
Nach der Jahrtausendwende wurde die Geschichte der Schweizer Beteiligung am Sklavenhandel und an der Plantagenwirtschaft von Historikerinnen und Historikern einer neuen Generation intensiv aufgearbeitet. Die Schweiz war über ihre Textilhandelsfamilien und über Finanzhäuser mit dem Sklavenhandel verflochten. Die Stiftung Cooperaxion hat sich zur Aufgabe gemacht, die Verstrickung der Schweiz in den traditionellen Dreiecks- und Sklavenhandel aufzuzeigen und zu dokumentieren. Der europäische Sklavenhandel wurde von den Kolonialmächten Frankreich und England dominiert. Die Stiftung unterhält eine umfangreiche Datenbank von Schweizern, die am Sklavenhandel beteiligt waren. Mehr als 260 Personen, Familien und Handelsgesellschaften hat die Stiftung bereits identifiziert. Die Datenbank liest sich wie ein Who’s who der damaligen bürgerlichen Schweiz: Darin finden sich bekannte Namen wie beispielsweise die Burckhardts und Merians in Basel, die De Purys und Pourtalès aus Neuenburg, die Picot-Fazys in Genf oder die Familie Hottinger und die Bank Leu in Zürich. Die Ausbeutung von Abertausenden Sklaven hat die Schweiz und einige Familien sehr reich gemacht. Die Spuren sind heute noch sichtbar, z.B. die prunkvollen Paläste der Familien DuPeyrou oder de Pourtalès in der Stadt Neuenburg[14] oder die herrschaftlichen Häuser in Trogen.
Familien DuPeyrou

Pierre Alexandre DuPeyrou wurde in Surinam geboren und erbte von seinem Vater Pierre, der dort Gerichtsrat war, einige Plantagen; darunter die am Fluss Cottica gelegenen Zuckerplantagen „Libanon“ und „La Nouvelle Espérance“, die Kaffeeplantage „Perou“ und die Holzplantage „L'Espérance“ am Fluss Para. Der jährliche Erlös aus diesen Plantagen betrug zwischen 24'000 - 40'000 Pfund. Als Vergleich; ein Neuenburger Lehrer verdiente in der damaligen Zeit etwa 30 Pfund pro Jahr. Von diesem Geld liess er das Hôtel DuPeyrou in Neuenburg bauen. Zusammen mit einem Konzertsaal, dem späteren Stadttheater, vermachte er das Hôtel DuPeyrou der Stadt Neuenburg. Die Familie DuPeyrou hielt noch bis in die 1840er Jahre Sklaven. [15][16]
Familie Pourtalès

Jacques-Louis de Pourtalès (1722–1814) entstammte der durch Friedrich dem Grossen geadelten Hugenottenfamilie Pourtalès und wurde auch als "König der Kaufleute" oder "König des Indienne-Handels" bezeichnete. 1753 gründete er die Firma Pourtalès & Cie., welche bis 1801 in Europa und in den überseeischen Kolonien Handel betrieb. Die Textilbranche und besonders die Indienne-Fabrikation um Neuenburg war ganz in seiner Hand. Das spülte ihm derart viel Geld in die Kassen, dass er 1770 fünf Plantagen auf Grenada in der Karibik kaufte. Die Plantagen hiessen „Bellair“, „Mont Saint-Jean“, „La Conférence“, „Clavier“ und „Larcher“. Dort liess er Zuckerrohr, Kaffee, Baumwolle und Kakao anbauen und je 100 bis 200 Sklaven für sich arbeiten. Durch seinen aussergewöhnlichen Geschäftssinn häufte er ein riesiges Vermögen an. 1799 galt er als der reichste Mann auf dem Gebiet der heutigen Schweiz. 1808 stiftete er der Stadt Neuenburg das Hôpital Pourtalès, das noch heute diesen Namen trägt und aus der noch immer bestehenden Stiftung von Jacques-Louis Pourtalès finanziert wird. Daneben stehen in Neuenburg noch heute einige stattliche Herrenhäuser aus seiner Zeit.[17][18]
Familie Burckhardt
Die Basler Patrizierfamilie Burckhardt beteiligte sich von 1783 bis 1815 aktiv am System der Sklaverei. Insbesondere Christoph Burckhardt (1766–1815), er nannte sich ab 1789 Christophe Bourcard, erhoffte sich vom Menschenhandel das grosse Geschäft. Mit 23 Jahren zog er 1789 nach Nantes. Die Stadt in Frankreich war zu dieser Zeit der grösste Umschlagplatz für Sklaven in Europa. Ein Fünftel des transatlantischen Handels lief über die Stadt in der Bretagne. Das Geschäft der Familie Burckhardt bestand primär im Handel mit hochwertigen Indienne-Stoffen. Sie wurden in der Schweiz verarbeitet, aus französischen Häfen verschifft und in Afrika gegen Sklaven gehandelt. Christophe Bourcard engagierte sich aber auch ganz direkt an Sklavenexpeditionen. Er gründete 1790 in Nantes die Firma „Bourcard Fils & Cie.“, mit welcher er sich hauptsächlich im Indiennes-, Sklaven- und Kolonialwarenhandel betätigen wollte – ein lukratives, wenn auch risikoreiches Geschäft. 21 Sklavenexpeditionen unter Beteiligung der Familie Burckhardt sind dokumentiert. Durch sie wurden über 7000 afrikanische Sklaven auf den amerikanischen Kontinent verschleppt. Mehr als 1000 von ihnen kamen bei der Überfahrt ums Leben. Finanziell am Ende beging Christophe Bourcard im Oktober 1815 Selbstmord. Der Familie Burckhardt gelang es, die unrühmliche Familiengeschichte lange Zeit zu vertuschen. Erst 2004 berichteten die Historiker Niklaus Stettler, Peter Haenger und Robert Labhardt umfangreich über die Verflechtungen von Basler Industriellen und den weltweiten Menschenhandel.[19][20].[21]
Familie Escher

Alfred Escher (1819–1882) gilt als die einflussreichste Persönlichkeit in Politik und Wirtschaft der Schweiz im 19. Jahrhundert. Er war die treibende Kraft hinter der Schweizerischen Nordostbahn, den Gründungen der heutigen ETH Zürich, der Schweizerischen Kreditanstalt (heute Credit Suisse), der Schweizerischen Lebensversicherungs- und Rentenanstalt (heute Swiss Life) sowie der Gotthardbahn-Gesellschaft. Schon zu seinen Lebzeiten wurden Vorwürfe laut, dies alles sei nur möglich gewesen, da sein geerbtes Familienvermögen aus Sklavenarbeit stamme. 2017 veröffentlichte der deutsche Historiker Michael Zeuske Dokumente die beweisen, dass die Familie Escher auf Kuba im Besitz einer Kaffeeplantage war, zu der auch über 80 Sklaven gehörten, die jährlich 300 Tonnen Kaffeebohnen produzierten. Nach dem Tod des Onkels 1845 ging die Plantage in den Besitz von Eschers Vater Heinrich über. Der verkaufte die Plantage für 40'000 Silberpesos – heute ungefähr 1,2 bis 1,4 Millionen Franken. Heinrich Escher starb 1853 und Alfred Escher erbte das Vermögen. Es ist darum sehr wahrscheinlich, dass Alfred Escher zumindest auf diese Weise direkter Nutzniesser von Sklavenarbeit war. .[22] Der frühere Chefhistoriker der Credit Suisse und Escher-Biograph Joseph Jung verteidigte Escher stets, indem er eine moralische Trennlinie zwischen Sklavenhaltung und Sklavenhandel zog und so Heinrich Eschers Tätigkeiten relativierte.[23] Weitere Untersuchungen zur historischen Verantwortung der Eschers stehen noch aus. Viele Quellen aus dieser Zeit sind über die Jahre verloren gegangen.[24]
Familie Zellweger

Noch heute zeugen die imposanten und mächtigen Zellweger-Paläste auf dem Dorfplatz von Trogen, einem Ort im Appenzellerland, vom ehemaligen Reichtum ihrer Erbauer. Die angesehene Ostschweizer Familie prägte im 17. Jahrhundert den Leinwandhandel[25], später verarbeitete sie Baumwolle aus Sklavenarbeit. Einzelne Familienmitglieder profitierten dabei direkt von Investitionen in Sklavereiunternehmungen oder der Plantagenarbeit in Kuba. Das Rückgrat des wirtschaftlichen Aufschwungs der Familie bildeten die Brüder Johannes Zellweger-Hirzel (1730–1802)[26] und Jacob Zellweger-Wetter (1723–1808)[27]. Sie hielten Niederlassungen in Genua, Lyon, London und Lissabon. Von dort verschifften sie ihre Waren über den Atlantik. Ihr Vermögen belief sich auf mehrere Millionen Gulden. Damit gehörten sie zeitweise zu den wohlhabendsten Händler der alten Eidgenossenschaft. Ihr Ansehen war so hoch, dass einige Familienmitglieder im Jahr 1804 persönlich zur Krönung Napoleon Bonapartes zum Kaiser nach Paris eingeladen wurden.
Söldnertum / Militär
Die Schweiz hatte nie selbst Kolonien erworben oder besessen, doch haben, ganz in der Reisläufer-Tradition früherer Jahrhunderten, im 18. und 19. Jahrhunger Schweizer Söldner in fremden Diensten in kolonialen Kriegen in Afrika, Amerika und Asien gekämpft. Besonders gefragt waren die Haudegen aus der Republik Bern, die Sklavenaufstände in Übersee brutal niederschlugen. 1763 half der Genfer Oberst Louis Henri Fourgeoud bei der Niederschlagung von Sklavenaufständen in der niederländischen Kolonie Berbice (Guyana) und Suriname (1773-78). 1783 wurde das Regiment de Meuron im Dienst der Niederländisch-Ostindischen Kompanie am Kap der Guten Hoffnung stationiert. Später wurde es auch in Ceylon und Indien eingesetzt. Für Napoleon kämpften 1798 Söldner in Ägypten und für das Vereinigte Königreich die Regimenter von Wattenwyl und von Roll im Nildelta.
Während dem Siebenjährigen Krieg in Nordamerika kämpften die Kolonialmächte Grossbritannien und Frankreich von 1754 bis 1763 gegeneinander. Grossbritannien gewann schliesslich und setzte sich u.a. auch dank des Waldkampf-Know-hows des Schweizer Obersten Bouquet gegen den indianischen Pontiac-Aufstand durch. Trotz des 1882 erlassenen bundesrätlichen Verbots liessen sich 420 Schweizer für die Europäer-Garde des Khediven Tawfik (Gouverneur der osmanischen Provinz Aegypten) in Kairo anwerben. Rund 20 Söldner dienten in der Force publique des belgischen Königs Leopold II. im Kongo-Freistaat, unter ihnen Erwin Federspiel. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz verteidigte er die koloniale Raubwirtschaft. Im Auftrag der Algeciras-Konferenz organisierten Schweizer zwischen 1907 und 1911 für Frankreich die Polizei in ihrer Kolonie Marokko. 1831 wurde der Thurgauer Christoph Anton Stoffel der erste Kommandant der frisch gegründeten französischen Fremdenlegion. Über viele Jahre hatte die Legion zwei Schweizer Bataillone, welche v.a. in den französischen Kolonialkriegen zum Einsatz kamen.[28] Während dem Aceh-Krieg der Niederlande in Sumatra von 1873 bis 1904 haben Schweizer Söldner gekämpft.[29]
1. Bataillon der 3. Helvetischen Halbbrigade
Zwischen dem 28. Januar 1798 und dem 28. Mai 1799 marschierten Truppen der Ersten Französischen Republik unter Napoleon in das Gebiet der heutigen Schweiz ein und besetzten es. Der Franzoseneinfall brachte das Ende der Alte Eidgenossenschaft und die Gründung der Helvetischen Republik als französische Tochterrepublik mit sich. Auf Befehl Napoleons musste 1803 die Regierung der Helvetischen Republik 635 Schweizer Soldaten für die Niederschlagung des Sklavenaufstands in der französischen Kolonie Saint-Domingue, dem heutigen Haiti, rekrutieren. Unter dem Kommando des Schaffhausers Jean Gaspard Wipf (dem Bündner Oberst André Ragettli wurde die Leitung verweigert) lief das Schiff „Le Redoutable“ Richtung Saint-Domingue aus. Auch die Schweizer Soldaten konnten das Blatt nicht mehr für Frankreich wenden. Am 1. Januar 1804 wurde die französische Kolonie unabhängig und der Staat Haiti gegründet – der erste unabhängige Staat in Lateinamerika und der erste, der durch ehemalige Sklaven geformt wurde. Von den 635 Schweizer Soldaten überlebten nur deren 11. [30]
Schweizer Sklavenhalter während dem Kolonialismus
1818 wurde vom deutschen Naturforscher Georg Wilhelm Freyreiss die Kolonie Leopoldina in Brasilien gegründet. Brasilien war damals ein Sehnsuchtsland für viele Europäer, vor allem, da der portugiesische König Johann VI. (portugiesisch: João VI) das Entwicklungspotential des unter portugiesischer Herrschaft stehenden Brasilien sah und diesen fördern wollte. Rund 2000 Schweizer Auswanderer folgtem dem Ruf des portugiesischen Königs. Sie gründeten u.a. die Stadt Nova Friburgo und den Weiler Helvécia. Zu den ersten Kolonisten gehörten die Neuenburger Pierre-Henri Béguin und Philippe Huguenin. Bei seinem Tod 1835 hinterliess Huguenin die Plantage Pombal Second mit Kaffeesträuchern über eine Strecke von 13 Kilometern und 36 Sklaven. Sein Gesamtbesitz belief sich auf etwa 80'000 Franken. Dies entsprach dem Jahreslohn von ca. 75 Schlossern in der Schweiz. [31] In der Region liessen sich auch Familien namens Langhans, Montandon, Pache, Jaccard, Maulaz und Flach nieder. Der Schaffhauser Johann Martin Flach führte einen der grössten Gutshöfe der Kolonie. Die Quellenlage über Flach ist unklar: Sicher ist, dass er enge Kontakte zur österreichischen Prinzessin Leopoldine, die 1817 durch Heirat Kaiserin von Brasilien wurde, pflegte. Er besass 151 Sklaven und über 100 Kilometer Kaffeebaumreihen im Wert von über 200'000 Franken.[32] Die Region wurde so wichtig, dass die Schweiz es für nötig erachtete, eine konsularische Zweigstelle in der Nachbarstadt Caravelas zu schaffen. Zu dieser Zeit war gemäss den Beschlüssen des Wiener Kongresses von 1815 der Sklavenhandel bereits verboten (siehe Abschnitt Aufarbeitung: Schweizer Politik und Justiz). 1888 versetze das Verbot der Sklaverei in Brasilien der Kolonie einen schweren Schlag. Die Schweiz beruft 1895 ihren konsularischen Vertreter ab.[33]
Profitierte die Schweiz vom Sklavenhandel und dem Kolonialismus?
Westeuropa und auch die Schweiz durchliefen zwischen 1500 und 1850 eine historisch beispiellose Wachstumsperiode.[34] Besonders Länder mit Zugang zum Atlantik konnten vom Wachstum profitieren und an Wohlstand zulegen. Es wäre naheliegend, diese Entwicklung mit dem Kolonialismus und dem transatlantischen Handel in Verbindung zu setzen. In welchem Ausmasse der Wohlstand der modernen Schweiz unmittelbar aus dem Sklavenhandel und dem Kolonialismus resultiert, ist in Fachkreisen umstritten. Dass einzelne Familien dadurch zu grossem, für damalige Verhältnisse unermesslichen Reichtum kamen, ist unumstritten. Die Frage lautet vielmehr: Wie stark profitierte die Schweiz, die Schweizer Wirtschaft und schliesslich die Schweizer Gesellschaft vom Sklavenhandel und den Geschäften mit den europäischen Kolonien?
- Eric Eustace Williams, Historiker und erster Premierminister von Trinidad und Tobago, machte in seinem 1944 erschienene Buch Capitalism and Slavery zusammenfassend folgende, als Williams-These bekannte Aussage: Die Gewinne aus dem Sklavenhandel sowie die billigen Rohstoffe hätten die europäische Entwicklung massgeblich vorangetrieben und die Industrielle Revolution erst ermöglicht. Seine These wurde seither von vielen Historikern als einseitig kritisiert. Wohl wird von allen Historikern anerkannt, dass Williams zu einem frühen Zeitpunkt eine wichtige Diskussion entfacht hat, aber seine These findet kaum noch Anhänger.[35]
- In einer vielbeachteten Studie aus dem Jahre 2005 argumentierten die Ökonomen Daron Acemoglu, Simon Johnson und James Robinson gegen die von Williams aufgestellte These. Das Volumen und die Gewinne, die im transatlantischen Handel erzielt wurden, seien zu gering gewesen, als dass sie eine grosse direkte Rolle für das Wirtschaftswachstum Europas hätten spielen können. Die drei Ökonomen betonten in ihrer Studie vielmehr, dass dadurch ein fundamentaler institutioneller Wandel angestossen worden sei. Die Gewinne aus dem Hochrisiko-Geschäft „Sklavenhandel“ seien konzentriert angefallen und hätten einige wenige zu reichen Leuten gemacht. Dadurch stieg besonders in Ländern wie Grossbritannien oder den Niederlanden – mit Abstrichen auch in der Schweiz – der Einfluss der kommerziellen Interessen ausserhalb der höfischen oder etablierten Zirkel. Über diesen Kanal festigten sich vermehrt politische und rechtliche Institutionen, welche die königliche Macht einschränkten.[36]
- In ihrem neuen Übersichtswerk vom Februar 2020 The Origins of Globalization: World Trade in the Making of the Global Economy, 1500–1800.[37] fassen die beiden auf die historische Globalisierungsforschung spezialisierten Niederländer Pim de Zwart und Jan Luiten van Zanden den aktuellen Stand der Forschung wie folgt zusammen: «Die meisten Forschungsarbeiten, welche die Gewinne aus dem Sklavenhandel und dem Plantagensystem untersucht haben, bestreiten, dass diese Gewinne deutlich höher waren als die Erträge aus anderen Geschäftstätigkeiten und dass diese Gewinne in denjenigen Branchen investiert wurden, die für die industrielle Revolution wichtig waren, nämlich in der Eisen-, Kohle- und Textilindustrie.»
- Gemäss dem Schweizer Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann entspricht die Aussage, dass der Reichtum der modernen Schweiz ohne den Sklavenhandel nicht möglich gewesen wäre, nicht der gängigen aktuellen Lehrmeinung. Grundlage des europäischen Reichtums sei die Industrialisierung mit einer im 19. Jahrhundert sprunghaft angestiegenen Innovationsrate gewesen. Die moderne Forschung habe gemäss Straumann errechnet, dass der Anteil des Sklavenhandels und der Sklavenwirtschaft an der britischen Gesamtwirtschaft relativ gering war. Die beiden Wirtschaftszweige machten weniger als zehn Prozent aus, sowohl was die Beschäftigung als auch den Beitrag zur Wertschöpfung anbelangte. Ausserdem gibt Straumann noch zwei weitere Punkte zu Bedenken: 1. Wenn die Williams-These richtig wäre, hätte in Portugal die Industrialisierung sehr früh einsetzen müssen. Der Sklavenhandel und die kolonialen Zuckerplantagen hatten für die portugiesische Wirtschaft jahrhundertelang eine viel grössere Bedeutung als für die britische. 2. Während dem Sklavenhandel profitierten auch die afrikanischen und arabischen Sklavenverkäufer davon und erzielten über Jahrhunderte hohe Gewinne. Trotzdem kam an den westafrikanischen Küstengebieten und im arabischen Raum keine Industrialisierung in Gang.[38][39]
- Harald Fischer-Tiné, Professor für die Geschichte der modernen Welt an der ETH Zürich sieht den Zusammenhang zwischen Sklaverei und heutigem Wohlstand der Schweiz enger. Er geht davon aus, dass die Gewinne aus dem Sklavenhandel zur Entstehung einer prosperierenden Textilwirtschaft und somit zur Industrialisierung beigetragen haben. Da viele Finanzinstitute und Industriebetriebe ihre Archive nach wie vor unter Verschluss halten, sei es schwierig, diese Einflüsse konkret zu beziffern. Da zahlreiche Quellen vernichtet wurden, sei es für Historiker schwierig nachzuvollziehen, wohin das Geld aus dem Sklavenhandel geflossen sei. Um das ganze Ausmass der kolonialen Verstrickungen der Schweiz sichtbar zu machen, müssten die Unternehmen und Familien, die durch den Sklavenhandel reich wurden, ihre Archive öffnen.[40]
Aufarbeitung
Das Zeitalter des Kolonialismus ist längst vorbei, doch mit der Aufarbeitung tun sich die Schweizer Gesellschaft, die Schweizer Politik und die Schweizer Wirtschaft bis heute schwer. Die Schweiz hatte zwar nie Kolonien – eine koloniale Vergangenheit aber schon. Da es keine eigenen Kolonien gab, gibt es in der Schweiz auch, ganz im Gegensatz zu z.B. Grossbritannien, wenig sichtbare Spuren der kolonialen Vergangenheit. Doch wenn man sucht, findet man sie in den Archiven. Junge Historiker und Historikerinnen haben nach der Jahrtausendwende angefangen, genauer hinzuschauen. Sie förderten Akten zutage, die belegen, wie stark die Schweiz am Sklavenhandel verdient hatte
Schweizer Politik und Justiz
- Bereits 1605 wurden Sklaventransporte durch das Engadin verboten.[41]
- Auf britischen Druck hin wurde 1815 am Wiener Kongress in Artikel 118[42] der Kongressakte die Ächtung des Sklavenhandels (Die Declaration der Mächte über die Abschaffung des Negerhandels, vom 8. Februar 1815) festgelegt. Das Übereinkommen verzichtete auf ein konkretes Umsetzungsdatum. Mit dem Beschluss der europäischen Grossmächte wurde das Ende eines der ältesten und unmenschlichsten Geschäftszweige der Geschichte eingeleitet. Es dauerte noch einige Jahrzehnte, bis die letzten Länder auf den Sklavenhandel verzichteten. Nach den USA im Jahr 1865 schaffte Brasilien 1888 als letzter Staat der Neuen Welt die Sklavenhaltung ab.[43]
- Seit den 1830er Jahren wurde Sklaverei in den meisten Kolonien abgeschafft. Brasilien, Kuba und die US-Südstaaten wollten von einer Abschaffung der Sklaverei zu dieser Zeit noch nichts wissen. Händler und Firmen die dort investierten, wusste jedoch sehr wohl, dass ihre Geschäfte international geächtet und zutiefst unmoralisch waren. Wenn Schweizer Unternehmer trotzdem als Sklavenhalter auftraten, handelten sie folglich bereits nach zeitgenössischen Massstäben kriminell. Es ist interessant, dass sie dafür in der Schweiz nicht strafrechtlich verfolgt wurden, obwohl Sklaverei in der Schweiz schon damals verboten war.
- Schwarze Sklaven waren auch auf Plantagen von Schweizern zu finden. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts, als in den meisten Kolonien die Sklaverei schon verboten war, arbeiteten hunderte von Sklaven für Schweizer Gutsbesitzer in Brasilien. Man könnte meinen, dass so Etwas in der alten Heimat als anstössig betrachtet werden würde, dem war aber nicht so.
- Im Bewusstsein, dass die Sklaverei ein Unrecht war, reichte der Schaffhauser Nationalrat Wilhelm Joos 1863 eine Motion ein, in der er anfragte, wie man denn mit Schweizern umzugehen gedenke, die im Ausland noch immer Sklaven hielten. Joost forderte, dass «derjenige Schweizer, welcher Sklaven erwirbt oder veräussert […] sich eines Vergehens schuldig» mache und so «jeden Schutz der eidgenössischen Behörden und Konsulate» verlieren solle. Der Schweizer Bundesrat war der Ansicht, dass die Exil-Schweizer dazu ein Recht hätten. So schreibt er im Jahr 1864 in der Antwort auf die Motion-Joost: «Die gemietheten Neger sind in der Regel verdorbene Individuen». «Deshalb sei es», so der Bundesrat weiter, «von den in Brasilien niedergelassenen schweizerischen Handwerkern vorteilhaft und zeitgemäss, sich Negerknaben zu kaufen und ihnen das Handwerk zu lehren. Für gute Sklaven muss man einen höheren Ankaufspreis bezahlen, will man Jahre lang verlässige Dienstboten besitzen.» [44] Und weiter: «So wenig als der Fabrikbesitzer ohne Arbeiter den Betrieb seines Etablissements fortsetzen kann, eben so wenig kann der Plantagenbetreiber in Brasilien seine Ländereien ohne Sklaven bebauen.»[45] Die Motion wurde am 10. Dezember 1864 mit 56 zu 21 Stimmen durch den Nationalrat abgelehnt.[46]
Die Antwort der Landesregierung und der Entscheid des Nationalrats können als charakteristisch für die Geisteshaltung bezeichnet werden, die damals in der Schweiz zum Thema Sklaverei herrschte, obwohl die Sklaverei in Europa vom Wiener Kongress schon ein halbes Jahrhundert zuvor abgeschafft worden war. In der Schweiz betrachtete man den «Neger» auch noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zumindest für die Auslandschweizerkolonien noch immer als begehrte Arbeitskraft und wichtige Einkommensquelle. Finanzielle Aspekte überwogen anscheinend die humanistische Forderungen nach Ächtung der Sklavenhaltung. «Die Reaktion der Bundesbehörden war von den Normen geprägt, die in den 1860er Jahren vorherrschten», erklärte der Bundesrat 2018 als Antwort auf eine kleine Anfrage zum Thema «Sklaverei-Vergangenheit der Schweiz und ihrer Banken» durch die Nationalrätin Claudia Friedl von der SP. - Nach dem 1. Weltkrieg unterzeichnete die Schweiz eine Reihe von internationaler Abkommen gegen die Sklaverei, so 1926 das Sklavereiabkommen des Völkerbunds sowie 1956 ein Zusatzabkommen der UNO über die Abschaffung der Sklaverei, den Sklavenhandel und sklavereiähnlichen Praktiken. 1974 unterzeichnete die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention, die in Art. 4 ein Verbot der Sklaverei enthält. 1992 ratifizierte die Schweiz den UNO-Pakt II über bürgerliche und politische Rechte von 1966, welcher in Art. 8 die Sklaverei ebenfalls untersagt.
- 1994 stimmte das Schweizer Stimmvolk dem Artikel 261bis StGB, dem sogenannten Antirassismusgesetz oder Rassismusartikel zu. Er stellt öffentliche Rassendiskriminierung und Volksverhetzung unter Strafe.
- Im Herbst 2001 wurde Sklavenhandel anlässlich der UNO-Konferenz gegen Rassismus zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit erklärt. Zu den 163 unterzeichnenden Ländern gehörte auch die Schweiz.
- In Antworten auf parlamentarische Anfragen brachte der Bundesrat 2003, 2006, 2014 und 2018 zum Ausdruck, dass er aus heutiger Perspektive zutiefst bedaure, dass in der Vergangenheit Schweizer Bürger, Unternehmen und Organisationen an der Sklaverei beteiligt waren.[47]
- 2019 erteilte die Stadt Zürich, im Zuge des 200. Geburtstag von Alfred Escher, der Universität Zürich den Auftrag, die Verstrickung der Stadt in die Sklaverei zu untersuchen. Der Bericht wurde im Herbst 2020 vorgestellt. Zürich war durch die Baumwolldruckereien, den Finanzinvestitionen in die South Sea Company sowie durch die Familie Escher in die Sklaverei verstrickt. Sie war jedoch nie ein "big player" im Sklavengeschäft.[48] [49] Die Studienautoren schreiben: "Festzuhalten bleibt, dass Zürcher Kapital einen kleinen aber nicht unbedeutenden Teil des Sklavenhandels und der transatlantischen Plantagenwirtschaft finanzierte".[50][51]
Gesellschaft
- Patricia Purtschert, Schweizer Philosophin und Kulturwissenschaftlerin spricht von einer «koloniale Amnesie», die in der Schweiz herrsche, dem aktiven Vergessen machen der eigenen Kolonialgeschichte. Diese Amnesie schlage sich auch im Geschichtsunterricht nieder und wird auf diese Weise von Generation zu Generation weitergegeben. Purtschert vergleicht die Aufarbeitung der Schweizer Kolonialgeschichte mit der, allerding erst auf starken äusseren Druck hin erfolgte Aufarbeitung der Rolle der Schweiz im zweiten Weltkrieg (→ Abkommen über deutsche Vermögenswerte in der Schweiz und Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg). Auch damals gab es dagegen viel Widerstand im Land. Irgendwann wurde dann jedoch verstanden, dass die Schweiz zu Europa gehöre und keine Insel sei. Nun gehe es darum, zu erkennen, dass die Schweiz auch zu einer globalisierten Welt gehöre, und dazu gehört der Kolonialismus.[52]
- De Pury und Jacques-Louis de Pourtalès, die beiden durch Sklaven sehr reich gewordenen Händler, hinterliessen der Stadt Neuenburg ein grosses Vermögen, das heute dem eines Milliardärs entsprechen würde. Sie sind deshalb als Wohltäter in die Geschichte und in das Bewusstsein der Bewohner eingegangen und nicht als Sklavenhändler. In Neuenburg steht noch immer eine Statue von David de Pury auf dem Hauptplatz der Stadt und das Kantonsspital trägt den Namen Pourtalès.
- 1789 wandte sich der Waadtländer Pfarrer Benjamin-Sigismond Frossard in seiner Schrift "La Cause des esclaves nègres et des habitants de la Guinée" gegen die Sklaverei. Die im Jahre 1815 gegründete Evangelische Missionsgesellschaft in Basel (Basler Mission) trat ab 1828 in Ghana gegen den Sklavenhandel ein. Die Gegner des Sklavenhandels begannen in der Schweiz in den 1860er Jahren sich zu organisieren, nachdem Henri Dunant 1857 in einer Broschüre die Sklaverei kritisiert hatte. In Lausanne und Genf bildeten sich Komitees für die Befreiung der Sklaven. Während dem Aberikanischen Bürgerkrieg sypathisierte die Schweizer Öffentlichkeit v.a. auf der Seite der Nordstaaten. Ausgewanderte Schweizer die selbst Klaven hielten, unterstützten selbstredend die Südstaaten.
- Ab den 1870er Jahren fanden in der Schweiz sogenannte Völkerschauen statt. Neben anderen Anlässen wurde beispielsweise im Sommer 1925 in Altstetten zur «Volksbelustigung» eine Siedlung errichtet, in der 74 Menschen aus Westafrika lebten; 1930 baute der Zoo Zürich auf der Flamingowiese ein «Senegalesendorf». Auch der Circus Knie[53] zeigte bis 1964 in seinen Vorstellungen Völkerschauen. 1955 lautete ein Plakat «Afrika ruft, Sitten- und Völkerschau. Neger aus dem Sudan. Sechs Männer, drei Frauen, zwei Kinder.».[54]
Literatur
- Thomas David, Bouda Etemad, Janick M. Schaufelbuehl: Schwarze Geschäfte. Die Beteiligung von Schweizern an Sklaverei und Sklavenhandel im 18. und 19. Jahrhundert. Limmat, Zürich 2005, ISBN 978-3-85791-490-4.
- Hans Fässler: Reise in Schwarz-Weiss. Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei. Rotpunktverlag, Zürich, 2005, ISBN 978-3-85869-303-7.
- Ronald Segal: The Black Diaspora: Five Centuries of the Black Experience Outside Africa. Farrar, Straus and Giroux, New York 1995, ISBN 0-374-11396-3.
- Niklaus Stettler, Peter Haenger, Robert Labhardt: Baumwolle, Sklaven und Kredite. Die Basler Welthandelsfirma Christoph Burckhardt & Cie. in revolutionärer Zeit (1789–1815). Christoph Merian, Basel 2004, ISBN 978-3-85616-212-2.
- Joseph Jung: Alfred Escher 1819–1882. Aufstieg, Macht, Tragik. 6. Auflage. NZZ Libro, Zürich 2007, ISBN 978-3-03810-274-8.
- Michael Zeuske: Handbuch Geschichte der Sklaverei. Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis heute. 2 Bände, stark überarbeitete und erweiterte 2. Auflage. De Gruyter, New York/Berlin 2019, ISBN 978-3-11-055884-5.
Weblinks
- Website der Stiftung Cooperaxion mit Datenbank
- Rudolf von Albertini, Albert Wirz: Kolonialismus. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Peter Walliser: Sklaverei. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
Einzelnachweise
- ↑ Die Sklaverei und die Schweiz - «Rassismus ist die DNA Europas» In: Schweizer Radio und Fernsehen vom 26. Januar 2018
- ↑ Adrian Ritter, Universität Zürich Die Sklaverei wirkt nach
- ↑ Neue Studie zeigt: Die Stadt Zürich und viele Unternehmerfamilien haben von der Sklaverei profitiert In: Neue Zürcher Zeitung vom 29. September 2020]
- ↑ Thinertagblatt 172’000 Versklavte mit Schweizer Beteiligung – woher kommt diese Zahl? Seit dem Mord an George Floyd, den weltweiten Black-Lives-Matter-Protesten und einigen Denkmalstürzen ist in der Schweiz ein neues öffentliches Interesse am Kolonialismus, der Geschichte des Rassismus und des Sklavenhandels entstanden.
- ↑ Ronald Segal: The Black Diaspora: Five Centuries of the Black Experience Outside Africa. Farrar, Straus and Giroux, New York 1995, ISBN 0-374-11396-3, S. 4.
- ↑ Noëmi Crain Merz: Der transatlantische Sklavenhandel Auf: Schweizerisches Nationalmuseum
- ↑ Osterhammel, Jürgen (1995): Kolonialismus. Geschichte – Formen – Folgen, München: Beck, S. 19–21.
- ↑ Hans Köchler: Demokratie und neue Weltordnung: ideologischer Anspruch und machtpolitische Realität eines ordnungspolitischen Diskurses. AG Wissenschaft und Politik, 1992. S. 9, 26.
- ↑ cooperaxion.ch: Leu & Co., Bank Leu (Firma)
- ↑ Marc Tribelhorn, Lea Haller: «Tatsache ist, dass Schweizer Akteure signifikant am Geschäft mit den Kolonien beteiligt waren und dass es eine Debatte darüber braucht» In: Neue Zürcher Zeitung vom 10. Juli 2020
- ↑ Thomas David, Bouda Etemad, Janick M. Schaufelbuehl: Schwarze Geschäfte - Die Beteiligung von Schweizern an Sklaverei und Sklavenhandel im 18. und 19. Jahrhundert. Limmat Verlag, Zürich 2005, ISBN 978-3-85791-490-4.
- ↑ cooperaxion.ch: Staat Bern
- ↑ cooperaxion.ch: Stadt Zürich
- ↑ Anneliese Tenisch: Die schwarze Seite von Neuenburg. Schweizer Radio und Fernsehen SRF, 1. November 2013, abgerufen am 5. Oktober 2016 (Schweizer Hochdeutsch).
- ↑ cooperaxion.ch: Pierre-AlexandreDuPeyrou
- ↑ Lucienne Hubler: Pierre-AlexandreDuPeyrou. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- ↑ cooperaxion.ch: Pourtalès & Cie. (Firma): Pourtalès Jacques-Louis (de)
- ↑ Myriam Volorio Perriard: Jacques-Louis dePourtalès. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- ↑ cooperaxion.ch: Bourcard Christophe
- ↑ Christoph Burckhardt: Wie ein Basler Daigler mit Sklaven handelte und wie seine Nachfahren alles vertuschen wollten In: Bz Basel vom 13. Juni 2020
- ↑ Niklaus Stettler, Peter Haenger, Robert Labhardt: Baumwolle, Sklaven und Kredite die Basler Welthandelsfirma Christoph Burckhardt & Cie. in revolutionärer Zeit (1789–1815). Christoph Merian, Basel 2004, ISBN 978-3-85616-212-2.
- ↑ Zeuske, Michael, author.: Handbuch Geschichte der Sklaverei : eine Globalgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2019, ISBN 978-3-11-055884-5.
- ↑ Jung, Joseph, 1955- Verfasser.: Alfred Escher 1819–1882 : Aufstieg, Macht, Tragik. 2007, ISBN 978-3-03810-274-8.
- ↑ cooperaxion.ch: Escher-Zollikofer Heinrich
- ↑ Marcel Mayer: Leinwand. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- ↑ cooperaxions.ch: Johannes Zellweger-Hirzel
- ↑ cooperaxions.ch: Jacob Zellweger-Wetter
- ↑ Rudolf von Albertini, Albert Wirz: Kolonialismus. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- ↑ «Tatsache ist, dass Schweizer Akteure signifikant am Geschäft mit den Kolonien beteiligt waren und dass es eine Debatte darüber braucht» In: Neue Zürcher Zeitung vom 10. Juli 2020
- ↑ cooperaxion.ch: 1. Bataillon der 3. Helvetischen Halbbrigade
- ↑ cooperaxion.ch: Huguenin Philippe
- ↑ cooperaxion.ch: Flach Johannes (Hans)
- ↑ Als Schweizer Sklaven hielten In: Neue Zürcher Zeitung vom 2. März 2018
- ↑ Sven Beckert und Pepijn Brandon: NZZ am Sonntag Mit Blut und Schweiss: Wie Amerika und Europa dank der Sklaverei reich wurden
- ↑ Gerald Hosp: Was der transatlantische Sklavenhandel mit der Schweiz und dem Aufstieg Westeuropas zu tun hat. In: Neue Zürcher Zeitung vom 22. Juni 2020
- ↑ The Rise of Europe: Atlantic Trade, Institutional Change,and Economic Growth By Daron Acemoglu,Simon Johnson and James Robinson.
- ↑ The Origins of Globalization: World Trade in the Making of the Global Economy, 1500–1800. by Pim de Zwart and Jan Luiten van Zanden
- ↑ Tobias Straumann: Europas Wohlstand basiert nicht auf dem Sklavenhandel In: NZZ am Sonntag vom 20. Juni 2020
- ↑ Tobias Straumann: Sind wir so reich, weil die andern so arm sind?
- ↑ Unsere koloniale Vergangenheit - Auch die Schweiz verdiente Geld mit Sklaven In: Blick online vom 20. Juni 2020
- ↑ Peter Walliser: Sklaverei. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- ↑ Die Wiener Kongressakte (1815)
- ↑ Am 8. Februar 1815 wurde auf dem Wiener Kongress der Sklavenhandel abgeschafft - die Sklaverei existierte weiter. Auf: TU Graz - Graz University of Technology]
- ↑ Schweizer Sklavenhandel: Die Schweizer Sklavenhändler In: Bilanz (Zeitschrift) vom 30. Juni 2004
- ↑ Als Schaffhauser Sklaven hielten In: Schaffhauser Nachrichten vom 23. August 2019] (kostenpflichtig)
- ↑ Admin.ch: Bericht des Bundesrates an den h. Nationalrat, betreffend Strafbestimmungen gegen Schweizer in Brasilien, welche Sklaven halten. (Vom 2. Dezember 1864.)
- ↑ Parlament.ch: Sklaverei-Vergangenheit der Schweiz und ihrer Banken vom 6. März 2018
- ↑ Neue Studie - Wie Zürich von der Sklaverei profitierte In: Schweizer Radio und Fernsehen vom 29. September 2020
- ↑ Neue Studie zeigt: Die Stadt Zürich und viele Unternehmerfamilien haben von der Sklaverei profitiert In: Neue Zürcher Zeitung vom 29. September 2020]
- ↑ Medienmitteilung Universität Zürich: Zürich war in Sklaverei verstrickt durch Staatsanleihen, Handel und Plantagen vom 29. September 2020
- ↑ Prof. Dr. Gesine Krüger, Marcel Brengard, Frank Schubert und Lukas Zürcher, Universität Zürich: Die Beteiligung der Stadt Zürich sowie der Zürcherinnen und Zürcher an Sklaverei und Sklavenhandel vom 17. bis ins 19. Jahrhundert, Zürich, 2. September 2020
- ↑ «Die Schweizer Beteiligung am Kolonialismus war sehr viel stärker, als viele annehmen» In: Watson (Nachrichtenportal) vom 21. Juni 2020
- ↑ SRF: Dynastie Knie
- ↑ Marc Tribelhorn:Menschenzoos In: Neue Zürcher Zeitung vom 23. Dezember 2013
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