Die Vernichtung der weisen Frauen
Gunnar Heinsohn (* November 1943 in Gotenhafen, heute Gdynia) ist Hochschullehrer, Soziologe, Ökonom und Zivilisationstheoretiker.
Leben
Heinsohn kam im vom nationalsozialistischen Deutschland besetzten Gdynia als Kind des deutschen U-Boot-Kommandanten Heinrich Heinsohn zur Welt, der am 6. Mai 1943 beim Kriegseinsatz vor Neufundland als Kommandant von U 438 ums Leben gekommen war.
Wirken
Gunnar Heinsohn studierte an der Freien Universität Berlin Soziologie, Psychologie, Geschichte, Publizistik, Wirtschaftslehre und Theologie. 1974 promovierte er in Soziologie und 1982 in Wirtschaftswissenschaften. Dazwischen lebte er von 1976 bis 1978 in Israel. 1984 erhielt Heinsohn eine Professur für Sozialpädagogik an der Universität Bremen. Seit 1993 ist er Sprecher des von ihm gegründeten und so benannten Instituts für vergleichende Völkermordforschung (Raphael-Lemkin-Institut für Xenophobie- und Genozidforschung).
Heinsohn hat zu Problemen der Demographie, in jüngster Zeit zum Phänomen des Youth Bulge, zum „Erfundenen Mittelalter“, und der „Hexenforschung“ gearbeitet. Ein Schwerpunkt bildet dabei die Geschichte und Theorie der Zivilisation. Im Zentrum der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungen, die er mit seinem Bremer Kollegen Otto Steiger seit 30 Jahren durchführt, steht die Theorie der „Eigentumsökonomik", die ein alternatives Paradigma darstellen will, in der Wirtschaftswissenschaft allerdings keine Beachtung findet. Danach ist das Eigentum elementare Kategorie, aus dem sie Zins, Geld, Märkte und technischen Fortschritt ableiten.
Von der Gründung (1982) bis zur Selbstauflösung 1988 war er Vorsitzender der Gesellschaft zur Rekonstruktion der Menschheits- und Naturgeschichte.
Heinsohn ist Mitherausgeber und regelmäßiger Autor der Zeitschrift „Zeitensprünge“ (vor 1995 „Vorzeit, Frühzeit, Gegenwart“). Darin verfasste er u.a. 2001 einen Artikel zu Heribert Illigs These vom „Erfundenen Mittelalter“ (Karl der Einfältige - Imitator oder Urmuster, 4/01, S. 631-661), in dem er diese am Problem karolingischer Münzen zu überprüfen versucht und zu der Vermutung gelangt, dass alle Carolus-Münzen von Karl dem Einfältigen stammen und der Urheber der karolingischen Münzreform Pippin der Ältere war.
Rezensionen
Der Philosoph Peter Sloterdijk, der Heinsohn als „höchst anregenden Gelehrten, der die engeren Fachdisziplinen immer wieder zu wissenschaftlichem Nutzen überschreitet“[1] beschreibt, lobte Heinsohns Buch „Söhne und Weltmacht“, in welchem er die These publizierte, ein Überhang an jungen Männern mache eine Gesellschaft gewaltbereit und prädestiniere sie für kriegerische Handlungen, als „Pflichtlektüre für Politiker und Feuilletonisten“[2]. Reiner Klingholz rezensierte das Buch in der Wochenzeitung Die Zeit vom 26. Februar 2004 sehr negativ.[3] Mit dem Hinweis auf die fehlende „statistische Grundlage für die Theorie des kriegsträchtigen Überhangs an jungen Männern“, fand er Heinsohns Ausführungen „dem Stammtisch näher (...) als der Wissenschaft“ und stellte ihnen die erst nach Heinsohns Buch publizierten Erkenntnisse des Berliner Demografen Steffen Kroehnert entgegen. Ähnlich scharf kritisierte Mohssen Massarrat Heinsohns Buch in der Frankfurter Rundschau vom 31. Januar 2007.[4] Er stellt dort fest, dass Heinsohn „viele ahistorische Phrasen (...) passend zu seiner These herausgefiltert“ habe, aber Beispiele, die – wie etwa die Bevölkerungsentwicklung in Bangladesch, China und Brasilien – zu seiner Theorie nicht passten, unterschlage. Heinsohns Postulat, dass internationale Hilfsorganisationen aufhören müssten, durch ihren Einsatz die „Kinderproduktion“ in Krisengebieten und Entwicklungsländern zu fördern, bezeichnet er als zynisch.
Auch die von ihm und Steiger vertretene und von einigen Feministen unterstützte These, die Hexenverfolgungen hätten Staat und Kirche dazu gedient, die Hebammen ("weisen Frauen") zu beseitigen, um sie so an der Weitergabe und Anwendung von Techniken zur Geburtenkontrolle zu hindern, ist mit den Mitteln der Geschichtswissenschaft widerlegt worden.[5]
Bibliographie
Auswahl der wichtigsten Buchpublikationen:
- 1974 Theorie des Familienrechts : Geschlechtsrollenaufhebung, Kindesvernachlässigung, Geburtenrückgang, Frankfurt am Main, ISBN 351810747X
- 1975 Theorie des Kindergartens und der Spielpädagogik, Frankfurt am Main, ISBN 3518108093
- 1979 Menschenproduktion : allg. Bevölkerungstheorie d. Neuzeit, Frankfurt am Main, ISBN 3518109146, gemeinsam mit Rolf Knieper und Otto Steiger
- 1982 Das Kibbutz-Modell : Bestandsaufnahme e. alternativen Wirtschafts- u. Lebensform nach 7 Jahrzehnten, Frankfurt am Main, ISBN 3518109987
- 1984 Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft, Frankfurt am Main (suhrkamp)
- 1985 Die Vernichtung der weisen Frauen: Beiträge zur Theorie und Geschichte von Bevölkerung und Kindheit, Herbstein, ISBN 3888800579 (2005 4., erweiterte Ausgabe mit einem ausführlichen, aktualisierten Nachwort zur erweiterten Neuausgabe, Erftstadt, ISBN 3899963407)
- 1988 Die Sumerer gab es nicht : von d. Phantom-Imperien d. Lehrbücher zur wirklichen Epochenabfolge in d. „Zivilisationswiege“ Südmesopotamien ; Darst. d. Probleme u. Vorschläge für ihre Lösung in e. chronolog. Überblick, Frankfurt am Main, ISBN 3821804114 / ISBN 3821804106
- 1990 Wann lebten die Pharaonen? : Archäologische und technologische Grundlagen für eine Neuschreibung der Geschichte Ägyptens und der übrigen Welt, Frankfurt am Main, ISBN 382180422X (1999 3., korrigierte Auflage, Gräfelfing, ISBN 3928852205)
- 1991 Wie alt ist das Menschengeschlecht? : Stratigraphische Grundlegung der Paläoanthropologie und der Vorzeit, Gräfelfing, ISBN 3928852256 (2003 4., korrigierte Auflage, Gräfelfing, ISBN 3928852256)
- 1995 Warum Auschwitz? : Hitlers Plan und die Ratlosigkeit der Nachwelt, Reinbek bei Hamburg, ISBN 3499136260
- 1996 Eigentum, Zins und Geld : Ungelöste Rätsel der Wirtschaftswissenschaft, Reinbek bei Hamburg, ISBN 3895184942 (2004 3., nochmals durchgesehene Auflage, Marburg ISBN 3895184942)
- 1997 Die Erschaffung der Götter : das Opfer als Ursprung der Religion, Reinbek bei Hamburg, ISBN 3498029371
- 1997 Anfang und Ende des Klimawahns, St. Gallen (Vorwort)
- 1998 Lexikon der Völkermorde, Reinbek bei Hamburg, ISBN 3499223384
- 2003 Söhne und Weltmacht : Terror im Aufstieg und Fall der Nationen, Zürich, ISBN 3280060087 (PDF-Datei)
- 2006 Eigentumsökonomik, Marburg (metropolis) ISBN 3895185345
Einzelnachweise
- ↑ http://www.petersloterdijk.net/german/aktuell/aktuell.html
- ↑ Kölner Stadt-Anzeiger, 1. August 2006
- ↑ Machen junge Männer Krieg?, in: Die Zeit, 26. Februar 2004, Nr 10, S. 49.
- ↑ Schuld an Kriegen sind die Mütter, Frankfurter Rundschau, 31. Januar 2007.
- ↑ Walter Rummel: Weise Frauen und weise Männer im Kampf gegen Hexerei. Die Widerlegung einer modernen Fabel. in: Christoph Dipper et al. (Hrsg.), Europäische Sozialgeschichte, Festschrift für Wolfgang Schieder, Berlin 2000, S. 353-376;
Gerd Schwerhoff: Rezension zu "Die Vernichtung der Weisen Frauen"in: Geschichtsdidaktik 11 (1986), S. 95-97 (Erwiderung von Heinsohn/Steiger im selben Heft S. 420-422), ISSN 0341-8987;
Robert Jütte, Die Persistenz des Verhütungswissens in der Volkskultur. Sozial- und medizinhistorische Anmerkungen zur These von der Vernichtung der weisen Frauen, in: Medizinhistorisches Journal 24 (1989), S. 214-231
Weblinks
Personendaten | |
---|---|
NAME | Heinsohn, Gunnar |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Soziologe, Ökonom und Zivilisationstheoretiker |
GEBURTSDATUM | November 1943 |
GEBURTSORT | Gdynia, Polen |