Phänomenologie
Die Phänomenologie (griechisch phainomenon „Sichtbares, Erscheinung“; logos „Rede, Lehre“) ist die Lehre bzw. Untersuchung der Erscheinungen, des Phänomens als Gegebenes im Gegensatz zum Logos, der Zugangsart.
Diese formale Beschreibung gibt grundsätzlich den Anspruch aller phänomenologischer Ansätze, seien es philosophische oder naturwissenschaftliche, literarische oder psychiatrische wieder, die den Ursprung ihrer Erkenntnisgewinnung im unmittelbar Gegebenen sehen. Der Umgang mit dem unmittelbar Gegebenen unterscheidet denn dann auch die einzelnen Ansätze.
Begriffsgeschichte
„Phänomen“ beschreibt schon im Altgriechischen die Erscheinung selbst (siehe hierzu die Etymologie von Phänomen). Der Begriff „Phänomenologie“ oder „phänomenologisch“ geht auf das 18. Jahrhundert zurück und findet sich bei Friedrich Christoph Oetinger (Philosophie der Alten), sowie bei Johann Heinrich Lambert in Über die Methode, die Metaphysik, Theologie und Moral richtiger zu beweisen (1762) findet sich der Begriff einer Phaenomenologia oder optica transcendentalis. Gemeint ist hier eine Lehrer des Scheins, im Gegensatz zu der Lehre der Wahrheit. In der Schrift Lamberts Neues Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren und dessen Unterscheidung von Irrtum und Schein. Teil 4: Ph. oder Lehre vom Schein. (1764) Kant gebraucht den Begriff ebenfalls zur Benennung einer Lehre von den Grenzen der Sinnlichkeit. Hieraus erwächst dann die Kritik der reinen Vernunft. Des Weiteren steht der Begriff im Werk Hegels, in der Phänomenologie des Geistes an prominenter Stelle. Die Phänomenologie des Geistes versteht sich als Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins, welches zunächst noch absolute Unmittelbarkeit ist, später zum absoluten Wissen zurückkehrt. Eigenständige philosophische Methode wird die Phänomenologie allerdings erst Anfang des 20. Jahrhunderts durch Edmund Husserl.
Phänomenologie Husserls
Ziel Husserls ist es, die Phänomenologie als "erste Wissenschaft" (Prima philosophia) wieder zu rehabilitieren. Nach Husserl kann nur eine phänomenologische Philosophie den Vorbedingungen einer wahrlich strengen Wissenschaft genügen, weil eine naturalistische oder experimentelle Philosophie auf Vorurteilen und Existenzannahmen basiert, also nicht an den „Sachen selbst” sich orientiert. Diese Orientierung wird die gesamte Strömung der Phänomenologie charakterisieren. Sie soll sicherstellen, dass sich die Wissenschaften nur von Evidenzen leiten lassen, die aus dem unmittelbaren Bewußtseinserleben entstammen. Husserl stellt diesen Zusammenhang in dem Britannica-Artikel 1927 folgerndermaßen dar:
- Phänomenologie bezeichnet eine an der Jahrundertwende in der Philosophie zum Durchbruch gekommene neuartige deskriptive Methode und eine aus ihr hervorgegangene apriorische Wissenschaft, welche dazu bestimmt ist, das prinzipielle Organon für eine streng wissenschaftliche Philosophie zu liefern und in konsequenter Auswirkung eine methodische Reform aller Wissenschaften zu ermöglichen. (Husserliana IX, 277)
Wurzel der Phänomenologie

Husserls Phänomenologie ist stark beeinflusst von Brentanos deskriptiver Psychologie, die ebenfalls psychische Phänomene unabhängig von den sie erzeugenden physischen Reizen beschreibt. In Abgrenzung zu einer empirischen Psychologie hatte Brentano den Begriff des intentionalen Bewusstseins gebildet. Dieser ist Ausdruck der Überzeugung, dass Bewusstsein niemals ohne Bezug auf etwas ist: Bewusstsein ist immer Bewusstsein von etwas. Diese trivial anmutende Entdeckung ebnet aber den Weg zu einem der grundlegenden philosophischen Probleme - der Spaltung der Welt in Subjekt und Objekt. Auf Grundlage des intentionalen Charakters des Bewusstseins konnte dieses Problem aus einer neuen Perspektive bearbeitet werden.
Auch Brentano ging davon aus, dass sich die Grundlagen der Logik nicht in einer naturalistischen Psychologie begründen lassen. Husserl greift diesen Aspekt auf und weitet diesen Gedanken der deskriptiven Psychologie Brentanos auf eine transzendentale Phänomenologie, die die Möglichkeiten von Bewusstseinsakten überhaupt erklären will.
Die Psychologismuskritik
Die philosophische Ausgangslage Husserls war die zu seiner Zeit herrschende Annahme, dass Wahrheiten relativ betrachtet werden müssen und sich nur in ihrer jeweiligen historischen Form zeigen (Historismus), oder aber Produkt einer naturalistisch gedachten Psyche sind (Psychologismus). Philosophie wäre demnach keine Form der Erkenntnisgewinnung mehr - sie hätte somit ihre Aufgabe an die Psychologie abzugeben. Dieser Auffassung setzte Husserl seine Kritik des Psychologismus entgegen. Nach Husserl ist die These des Psychologismus, die Logik sei ein Teil der Psychologie, da diese, als Wissenschaft der Psyche, sich auch mit den Denkgesetzen beschäftige, falsch. Demnach wäre Logik die Lehre vom Denken, Schließen und Urteilen und ein Spezialfall der psychischen Fähigkeiten. Husserl widerspricht dieser Auffassung in doppelter Hinsicht. Zunächst zeigt er auf, dass die Konsequenz des Psychologismus eine bloße Relativität logischer Gesetze zur Folge hätte. So würde der Satz vom Widerspruch zu einer bloßen Wahrscheinlichkeit werden, da empirische Regeln keine Allgemeingültigkeit beanspruchen können. Ein weiteres Problem betrifft die Denkakte und deren Richtigkeit. Wenn die Gesetze der Logik rein empirischer Natur wären, abgeleitet aus den Denkgesetzen, sei damit noch nicht geklärt, dass diese auch richtig wären. So gibt es durchaus logisch falsche Urteile, die ebenfalls dem Denken entspringen. Somit kann das Kriterium der Richtigkeit nicht selber im Denken liegen, es sei denn falsche Urteile würden einer anderen Denkabfolge unterliegen, wobei dann wiederum die Frage bliebe, was denn nun das Kriterium für richtig oder falsch sei. Husserl ist der Überzeugung, dass der Psychologismus letztlich die Denkinhalte, z. B. das Urteil, nicht vom Denkverlauf, dem Urteilen selber unterscheidet. Somit ist das Urteilen selber real, während der Urteilsinhalt ideal ist. Diese Unterscheidung zwischen Inhalt und Denkakt wird in der Folge der Phänomenologie konstitutiv bleiben.
Intentionalität des Bewusstseins
Intentionalität ist der zentrale Begriff der Phänomenologie Husserls überhaupt. Er greift die in der Psychologismuskritik schon angedeutete Problematik von Subjekt und Objekt wieder auf. Mit Intentionalität ist die Tatsache gemeint, dass unser Bewusstsein immer auf etwas gerichtet ist, also ein Bewusstsein "von etwas" ist. Diese Bezeichnung lässt sich in der Betrachtung eines Phänomens verdeutlichen: Alltägliche Wahrnehmungen, wie z.B. das Wahrnehmen von Personen oder Gegenständen, vollzieht sich in einer nicht weiter hinterfragten alltäglichen Einstellung, die nicht die Sinnhaftigkeit der Person oder Sache in Frage stellt. Husserl geht nun davon aus, dass diese Sinnhaftigkeit etwas ist, was wir den Sachen beilegen. Ein Phänomen dieses zu beschreiben ist die Täuschung. Schauen wir uns eine Schaufensterpuppe in einem Schaufenster an, vor dem wir stehen, so kann es geschehen, dass wir überrascht merken, dass es sich nicht um eine Puppe, sondern um einen Menschen gehandelt hat. In diesem Augenblick und dies ist der Zeitpunkt, in der die Täuschung umschlägt, verändert sich um diese Personen der Sinn. So verhalte ich mich z.B. nicht mehr so als sei ich unbeobachtet.

Edmund Husserl spricht in seinen Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie (auch Ideen I) von Noesis und Noema als Grundmomente der Gegenstandskonstitution und somit als Grenze des Sagbaren (siehe auch Ludwig Wittgenstein). "noesis" bedeutet dabei was sich auf den Bewusstseinsakt (glauben, wollen, hassen, lieben) bezieht und "noema" wie der Gegenstand durch diese noetischen Akte erscheint (das jeweils Geglaubte, Gewollte, Gehasste, Geliebte).
So ist z.B das Noema der Wahrnehmung eines Baumes das „Baumwahrgenommene“. Dieses unterscheidet sich aber nun fundamental von dem Baum, der z.B. verbrennen kann, während die Baumwahrnehmung dieses nicht kann, da sie keine realen Eigenschaften besitzt. Allerdings besitzt die Baumwahrnehmung ihre eigene gegenständliche Sinnhaftigkeit: z.B. Bäume können wachsen, sind anzufassen etc. Der Baum wird also als etwas aufgefasst, das so und so strukturiert ist. Das wir etwas als etwas vermeinen, ist der zentrale Gedanken Husserls, die sogenannte Intentionalität. Diese Thematik lässt sich vielleicht am Beispiel von Vexierbildern am besten analog verdeutlichen. (siehe als Beispiel die nebenstehenden Vexierbild).
Ähnlich wie beim Vexierbild ist der Stoff (griech. hyle) unserer Wahrnehmung erst durch den intentionalen Akt als z.B. real, phantasiert, geträumt usw. gemeint. Was bedeutet, wir legen der Hyle einen Sinn bei. Nun bekommen nach Husserl z.B. die Gegenstände der Biologie ebenfalls einen Sinn beigelegt, z.B. bewegt sich von selbst und reproduziert sich. Die dahinter stehende Sinnhaftigkeit ist die sogenannte materielle Ontologie, die Husserl auch als regionale Ontologie bezeichnet. Nach Husserl sind diese regionalen Ontologien die Grundlage für die Wissenschaften, konstituieren sie doch erst den Gegenstandsinn der Themen der einzelnen Wissenschaften.
Wie kann es aber nun sein, dass wir einmal eine Puppe sahen, ein andermal eine Person? Husserl würde sagen, dass wir beide Male eine Wahrnehmung hatten. Auch die Täuschung ist zunächst eine Wahrnehmung, die sich später als Täuschung herausstellt. Was sich nur verändert hat ist die Sinnhaftigkeit, mit der wir die Aspekte unserer Wahrnehmung belegt hatten: unbelebtes Ding - Person. Damit es also Täuschungen geben kann, müssen wir offensichtlich den Gegenständen einen Sinn beilegen können, der sich allerdings auch wieder verändern kann. Ein zentraler Begriff in der Terminologie Husserls ist dabei die Abschattung. Gegenstände sind uns nie als ganze Einheit präsentiert, sondern zeigen sich uns nur in Seitenansicht. Nie haben wir die vollständige Perspektive auf sie, was letztlich der völligen Unwahrnembarkeit des Gegenstandes entsprechen würde. Voraussetzung der Wahrnehmung ist deshalb die Perspektive, die damit aber auch gleichzeitig die Verborgenheit der Sache ausmacht, mithin das Phänomen der Täuschung erst ermöglicht.
Die erkenntnistheoretische Pointe dieses Ansatzes besteht in der Auflösung der Aporie, die nach Husserl der Empirismus und der Rationalismus hinterlassen hat. Da diese sich in Abständigkeit dem Phänomen Welt nähern, die einen, indem sie eine äußere Welt annehmen, die anderen, indem sie sie als Produkt der Vernunft auffassen, gehen sie nicht streng dem Phänomen entsprechend vor. Würden sie dies tun, so Husserl, so würden sie feststellen, dass wir weder zuerst uns wahrnähmen und dann die Welt, noch zunächst die Welt und dann uns, sondern uns immer schon in der Welt gleichursprünglich erfahren. Diese Komplementärität von Welt und Bewusstsein beschreibt die Struktur der Intentionalität. Indem ich die Welt und die Dinge als objektiv intendiere (vermeine), erhalten sie ihre Unabhängigkeit von unserem Bewusstsein. Indem Husserl diese Struktur des Bewusstseins nachzeichnet, gelingt es ihm über die klassischen Probleme der Erkenntnistheorie hinauszugehen. Methodisch geht Husserl in einer strengen, an dem Phänomen orientierten Beschreibung vor. Wichtige Aspekte sind dabei die Epoché und die Freie Variation.
Die Epoché
Die Methode der Epoché (Enthaltung, Innehalten) ist für Husserl die Ausschaltung der Generalthesis der natürlichen Einstellung. Das Einklammern dieser Vormeinungen nannte Husserl auch "eidetische Reduktion". Dabei sollen zunächst alle theoretischen Annahmen (Hypothesen, Beweisführungen, tradiertes Vorwissen ...) über den betrachteten Gegenstand ausgeschaltet werden (vgl. Reduktionismus). In einem zweiten Schritt (die transzendentale eidetische Reduktion) wird die Existenz des Gegenstandes insofern außer Betracht gelassen, dass sich nur die "Washeit" zeigt, also das, was der Gegenstand ist, sein Wesen.
Aus der Perspektive des transzendentalen Bewusstseins wird das Sein nur noch als Korrelat des Bewusst-Seins angesehen, ohne also Annahmen oder Urteile über das tatsächliche Sein oder Nicht-Sein der Bewusstseinsinhalte. Diese Methode nähert sich den Gedankenexperimenten von Descartes und Hobbes über die so genannte "Weltvernichtung" (d.h. was bleibt erhalten, wenn es die physische Welt nicht mehr gäbe?). Hiermit ergibt sich aber auch sofort eines der größten Probleme der Phänomenologie. Husserl hatte nämlich einen Unterschied angebracht zwischen Bewusstseins-Akt (Noesis) und Bewusstseins-Inhalt (Noema). Nun ist dies eigentlich eine Einteilung in was das Bewusstsein ist und was es bedeutet (denn das Bewusstsein ist nach Brentano immer intentional). Wie kann man aber sagen, dass die Inhalte des Bewusstseins noch Bedeutung haben, wenn jegliche Existenz ausgeklammert wurde? Husserl wollte die Existenz ausklammern, da die Objekte das Bewusstsein transzendieren: wenn es sie gibt, so gibt es sie außerhalb des Bewusstseins selber. Daher, um die reinen Ideen gewinnen zu können, muss ihre Existenz ausgeklammert werden. Die Phänomenologie muss verantworten können, wann und wie es möglich sei, dass das Bewusstsein sich auf etwas Bewusstsein-transzendentes bezieht. Husserls Erklärung wird lauten, dass der Inhalt sehr wohl Bewusstsein-transzendent ist, aber dass das Intendieren selber Bewusstsein-immanent sein muss. Also wird etwas immer immanent intendiert, während es als Bewusstsein-transzendent intendiert wird (weil es, wenn es existieren würde, außerhalb des Bewusstseins sein würde).
Freie Variation
Methodisch am weitesten verbreitet ist die freie Variation, die dem deskriptiven Vorgehen der Phänomenologie am nächsten ist. Durch freie Variation in der Fantasie können unterschiedliche, aber einander gleichende Sachen vorgestellt werden. Jede dieser Sachen wird nur von dem logisch Möglichen begrenzt, nicht von Existenzmöglichkeit. In dieser freien Variation können dann Konstanten entdeckt werden, in denen sich die unterschiedlichen Varianten "decken", z.B. Scharlach und Bordeaux sind unterschiedlich, aber doch beide rot. Es ist diese Deckung, diese Identität in der eidetischen Variation, welche die Allgemeinheit ergibt, die Husserl Idee nennt. Das Husserlsche eidos ist eine platonische Idee, aber ohne seine Metaphysik. Es ist das Wesen, eine Allgemeinheit, die anschaulich, intuitiv gegeben ist. Wichtig dabei ist der Unterschied zwischen empirischer Generalisation und dieser Ideation: Empirische Anschauung ist immer begrenzt, während reine eidetische Variation unendlich ist, da sie nicht nur das aktuell Existierende schaut, sondern alle logischen Möglichkeiten in Anspruch nimmt. Wenn nach Husserl die Philosophie strenge Wissenschaft sein soll, so benötigt sie diese Universalität und die durch ihr gegebene Möglichkeit einer letzten Begründung, welche die Phänomenologie liefert.
Wirkungsgeschichte Husserls
Die Phänomenologie wurde zu einer der wichtigsten Strömungen der zeitgenössischen kontinentalen Philosophie. Die Soziologie profitierte von ihr vor allem durch Arbeiten von Alfred Schütz und später in ethnomethodologischen Forschungsansätzen. Die Phänomenologie beeinflusste die Wertethik als Wesensanalytik des Ethischen (Moritz Geiger, Hans Reiner, Max Scheler), fand Eingang in die Psychologie (Alexander Pfänder) und die Rechtswissenschaften (Adolf Reinach). Das phänomenologische Denken hat die Entwicklung des Existenzialismus in Deutschland und Frankreich entscheidend geprägt und voran getrieben. Es zieht sich entsprechend durch die wichtigsten Werke von Jean-Paul Sartre. Bei Maurice Merleau-Ponty stehen Wahrnehmung und Leib im Mittelpunkt des phänomenologischen Schaffens, bei Paul Ricoeur Sprache und Gedächtnis. Besonders treu verfolgte Eugen Fink, ein ehemaliger Assistent Husserls, dessen Linie. Martin Heidegger hingegen, ebenfalls Assistent Husserls und einer der prominentesten Vertreter phänomenologischer Philosophie, entwickelte einen eigenen phänomenologischen Zugang, bei ihm spielt der Begriff des Seins die zentrale Rolle. Husserls Gedanken übten außerdem einen starken Einfluss auf Laura Perls aus, eine der Mitbegründerinnen der Gestalttherapie.
Der Weg von Husserl zu Heidegger
Der Weg von Husserl zu Heidegger kann unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden. Zentraler Aspekt und Vorwurf Heideggers an Husserl ist aber sicherlich der Gedanke, dass der Mensch selber nicht in der phänomenologischen Epoché beschrieben werden kann, da, so Heidegger, gerade dann von dem abgesehen werde, was diesen ausmache: seine Existenz.
Max Schelers Werteethik
Max Scheler hatte einen methodischen Zugang zur Phänomenologie. Im Zentrum seines Denkens steht die materielle Werteethik, die er als einen besonderen Phänomenbereich im Sinne der phänomenologischen Methode beschreibt.
Die späten Überzeugungen Eugen Finks
Eugen Fink war der langjährige Assistent und Schüler Edmund Husserls gewesen und letztlich von Husserl selbst autorisierter Interpret der Phänomenologie. Umso bedeutsamer war dessen Rede auf dem phänomenologischen Kolloquium in Brüssel 1951. Hier verkündete Fink, dass der Husserlsche Ansatz nicht so voraussetzungslos sei, wie Husserl, und in Folge auch Fink, immer wieder betont hatte. Die Überlegungen über Erscheinung, Sein, Objekte, Gegenstand und Seiendes seien der phänomenologischen Methode vorgängig und nicht deren Resultat.
Die Phänomenologie im Denken Michel Foucaults
Michel Foucault war in seinen frühen Schriften stark durch die Phänomenologie, insbesondere durch Heidegger, beeinflusst. Erst in seinen genealogischen Schriften unterwirft er die Phänomenologie einer intensiven Kritik.
Emmanuel Levinas und die Phänomenologie
Der Philosoph Emmanuel Levinas ist einer der Phänomenologen, die sich vielleicht am weitesten vom Ansatz Husserls entfernten und ihm dabei doch treu blieben. Sowohl duch Martin Heidegger als auch seiner jüdischen Tradition beeinflusst, entwickelt Levinas eine Ethik die sich vom Antlitz des Anderen leiten lässt. Da der Andere für Levinas letztlich niemals einzuholen, d.h. in seiner Totalität zu verstehen ist, geht von ihm ein Aspruch aus, der letztlich alles übersteigt. Interessant ist in diesem Zusammenhang der häufig gemachte Vergleich zwischen Martin Buber und Levinas. Obgleich beide in der jüdischen Tradition einen Teil ihrer Wurzeln haben, sieht Buber in dem Gegenüber ein prinzipiel Gleiches, während dieses für Levinas gerade das Ende jeder Ethik bedeuten würde.
Zeitgenössische phänomenologische Theorien
Die Phänomenologie hat viele der gegenwärtigen philosophischen Strömungen beeinflusst. Dabei ist zu bemerken, dass vielfach gerade Philosophen, die sich kritisch zur Phänomenologie stellen, z.B. Michel Foucault und Derrida stark durch sie beeinflusst wurden. Reine phänomenologische Theorien stehen meist im Kontext des universitären Denkens.
Phänomenologie des Fremden
Bernhard Waldenfels hat mit seiner responsiven Phänomenologie, die stark an Merleau-Ponty orientiert ist, eine Phänomenologie des Fremden entwickelt, in der das Fremde als nicht zu übersteigende Grenzregion beschrieben wird. Insbesondere in gesellschaftlich wichtigen Problemfeldern wie Gewalt, Fremde, Krankheit und Tod weist seine Phänomenologie Grenzen des Zugangs aus.
Strukturale Tiefenphänomenologie
Im kritischen Anschluss an Husserl und Heidegger sowie im Überstieg phänomenologischer Grundansätze von 'Transzendentaler oder Horizont-Phänomenologie' bei Husserl und 'Ontologischer oder Daseinsphänomenologie' bei Heidegger, entfaltet Heinrich Rombach mit der Genetischen oder Strukturphänomenologie eine 'Phänomenologie der Je-Welten'.
Neue Phänomenologie
Die Neue Phänomenologie ist ein von dem 1993 emeritierte Kieler Philosophie-Professor Hermann Schmitz initierte und maßgeblich erarbeite Variante der Phänomneologie. Insbesondere die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftsgebieten Medizin und Psychologie sind hier zu nennen.
Phänomenologie in anderen Wissenschaften
Hauptartikel siehe Phänomenologie (Methodik)
In vielen Wissenschaften wird von einer phänomenologischen Grundhaltung gesprochen. Diese unterscheidet sich meist wesentlich von der Phänomenologie Husserls. Die meisten Wissenschaften, die sich mit der Bezeichnung phänomenologisch versehen, greifen meist auf eine ursprünglichere Bedeutung des Begriffs Phänomenologie zurück.
Phänomenologisches Vorgehen in den Naturwissenschaften
Der "erste Blick" auf das empirische Datenmaterial zu einem Forschungsvorhaben, die erste Phase einer systematischen wissenschaftlichen Arbeit (Stoffsammlung) wird häufig auch als Phänomenologie bezeichnet. Phänomenologisch meint hier meist den Sachverhalt, die Sache selber zu beschreiben. So wird ein Versuchsablauf möglichst ohne Zuhilfenahme von Theorien beschrieben, Tierverhalten nur beschrieben, nicht im Sinne menschlichen Verständnisses gedeutet, nur gesehen was passiert. Der Phänomenbegriff, der hier zu Grunde liegt, ist der der naturalistischen Erscheinung, der allerdings eine gesetzmäßige Wahrheit zugrunde liegt. Darin unterscheidet sich der Begriff des Phänomens stark von dem der Phänomenologie Husserls, die im Phänomen das eigentliche Wesen der Sache sieht und dahinter nicht eine wahre Sache, ein Ding an sich vermutet.
Phänomenologische Grundhaltung in therapeutischen Theorien
In humanistisch therapeutischen Theorien, Gestalttherapie, Gesprächstherapie oder auch Logotherapie, steht die Phänomenologie häufig als erkenntnistheoretisches Werkzeug im Vordergrund. Neben Husserl werden auch Philosophen wie Martin Buber oder auch Phänomenologen wie Emanuel Levinas genannt. Gemeinsam ist allen Theorien die Vorsicht bezüglich schneller Interpretation, Theorien nicht verabsolutieren zu wollen, sondern immer dem konkreten Erfahrungsbereich des Alltags verbunden zu bleiben, sowie die Autonomie der Erfahrung des anderen zu achten. Damit betrachten sie die Phänomenologie allerdings nur als methodische Zugangsform. Dass Husserl sehr wohl Theorie betrieb und reflexive Deskriptionen durchführte, steht in diesen therapeutischen Verfahren nicht im Vordergund. Die reflexive Schärfe und transzendentale Problematik werden in diesen Verfahren nicht thematisiert. Somit ist der phänomenologische Sprachgebrauch nur eingeschränkt phänomenologisch im Sinne Husserls, die theoretischen Grundbeziehungen zur Phänomenologie nur assoziativ.
Literatur
Einführungen und Übersichten
- Ferdinand Fellmann: Phänomenologie zur Einführung, Junius-Verlag, Hamburg 2006, ISBN 3-88506-616-5.
- Jean-François Lyotard: Die Phänomenologie. Junius-Verlag, Hamburg 1993, ISBN 3-88506-421-9
- Christian Möckel: Einführung in die transzendentale Phänomenologie. Fink, München 1998, ISBN 3-8252-2007-9 (UTB für Wissenschaft; Bd.2007)
- Helmuth Vetter (Hrsg.): Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe. Meiner, Hamburg 2005, ISBN 3-7873-1689-2
- Bernhard Waldenfels: Einführung in die Phänomenologie. Fink, München 2001, ISBN 3-7705-2790-9 (UTB für Wissenschaft; Bd. 1688)
- Jan Patočka: Úvod do fenomenologické filosofie (1993)
Spezielle Literatur
- Heinrich Rombach: Phänomenologie des gegenwärtigen Bewusstseins. Alber-Verlag, Freiburg/B. 1980, ISBN 3-495-47434-X
Zeitschriften
- Bulletin d'analyse phénoménologique
- Journal of the British Society for Phenomenology
- Newsletter of Phenomenology
- Research in Phenomenology
- Studia Phaenomenologica