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Islam in Rumänien

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Mit einem Anteil von nur 0,3% an der Gesamtbevölkerung ist der Islam in Rumänien zahlenmäßig zwar klein, aber für die Dobrudscha-Region an der rumänischen Schwarzmeerküste sowie an der ukrainischen Grenze seit über 700 Jahren bedeutend.

Rumänien und der Islam: Geschichte

Dobrudscha-Bezirk Tulcea mit Moslem-Minderheit seit 700 Jahren
Dobrudscha-Bezirk Constanţa mit Moslem-Minderheit seit 600 Jahren

Von 1171 bis 1240 gehörten die Walachei und die Moldau zum Reich der turkstämmigen Kumanen, von denen sich bereits eine Minderheit zum Islam bekannte. Siebenbürgen gehörte zu Ungarn, dessen Könige sich teilweise mit muslimischen Leibgarden und Hilfstruppen umgaben. Den Kumanen folgten die Mongolen bzw. Tataren, die unter Nogai Khan 1285-1300 auch Bulgarien jenseits der Donau beherrschten. In diese Zeit fällt auch die Ansiedlung der ersten muslimischen Nogaier in der Tulcea-Provinz (Norddobrudscha), die auch die ukrainische Nachbarregion Budschak bevölkerten, aber von den Krimtataren unterworfen wurden.

Tataren in der Dobrudscha

Seit 1393 stand die Dobrudscha unter der Herrschaft der osmanischen Türken (kurzes walachisches Intermezzo 1404-19, Tulcea seit 1416 türkisch), die zweihundert Jahre später die Ausbreitung des Islam durch die Ansiedlung zusätzlicher Budschak-Nogaier und Krimtataren förderten. In der Küstenstadt Mangalia (in der südlich Tulcea gelegenen Provinz Contstanta) war bereits 1525 eine Moschee entstanden, die als die älteste erhalten gebliebene Moschee Rumäniens gilt, und noch heute 800 türkischen und tatarischen Familien der Region zur Religionsausübung dient.

Nach der Eroberung des Krim-Khanats (1783), des bessarabischen Budschak (1812) und des Donaudeltas (1829) durch Russland emigierten zahlreiche weitere Krimtataren in die Dobrudscha und unterstützten den türkischen Sultan im Kampf gegen Ägypter, Janitscharen und aufständische Balkan-Christen. Zwar hatte das Osmanische Reich im Ergebnis des Krimkrieges 1856 das Donaudelta nochmals zurückgewonnen, nach der türkischen Niederlage 1878 und dem endgültigen Verlust der Dobrudscha mussten 100.000 Muslime aber erneut fliehen, diesmal nach Anatolien (Kleinasien). Während Tataren und Türken in Rumänien um 1885 enteignet und vertrieben wurden (nach Meyers bekannten sich 1888 nur noch 2.000 Einwohner als Muslime), wuchs die Exilgemeinde der Muhadschir (Flüchtlinge) in der Türkei auch durch den Zuzug einiger Hundert rumänischer Muslime an.

Der Islam in den rumänischen Fürstentümern

Datei:Radu-the-Handsome-kub.jpg
Fürst Radu cel Frumos
Banat-Bezirke Timiş und Caraş, 1551-1718 türkisch-islamisch
Bezirk Arad, 1551-1699 türkisch, nördlich angrenzend Oradea

Ab 1411/15 wurde die Walachei tributpflichtig gegenüber der Hohen Pforte und walachische Fürsten galten fortan als Vasallen des türkischen Sultans. Ab 1503/12 wurden die Fürsten der Moldau ebenfalls Vasallen der Osmanen.

Mit Ausnahme Dobrudschas und z.T. des Banats gibt es in Rumänien keine Spuren islamischer Präsenz. Dies lässt sich auf die zwischen der Hohen Pforte und den rumänischen Fürstentümern abgeschlossenen Vasallität-Staatsverträgen („Kapitulationen") zurückführen.[1] Denen zufolge war den osmanischen Untertanen verboten, sich in den Fürstentümern niederzulassen, dort zu heiraten, Land zu erwerben oder Moscheen zu bauen. Weiterhin durfte die Hohe Pforte weder Truppen oder Garnisonen auf rumänischem Territorium unterhalten noch militärische Bauten errichten.[2]

Immerhin, zwei Herrscher der Walachei traten sogar zum Islam über: Fürst Radu cel Frumos (1462-1475) und Ex-Fürst Mihnea Turcitul (1577-1591) und auch der moldauische Fürst Ilias II. nahm 1546 den Islam an.

Nach zahlreichen Aufständen und österreichisch-russischer Einmischung in die Donaufürstentümer ersetzte der Osmanische Sultan nach seinem Sieg über den russischen Zaren Peter die moldauischen und walachischen Herrscher ab 1711/16 durch griechische Fanarioten, musste den Fürstentümern aber nach dem Griechischen Aufstand und einer Niederlage gegen Russland 1829 wieder eigene Fürstenwahl und mehr Autonomie zugestehen. Die europäischen Revolutionen von 1848 nutzten die Türken 1849-1851 zur Besetzung zumindest der Walachei und glichen somit die Besetzung beider Fürstentümer durch Russland kurzzeitig und teilweise aus. Unter türkischer Schirmherrschaft konvertierten 1849 in Bukarest über 6.000 geflohene polnische und ungarische Revolutionäre zusammen mit einigen Rumänen zum Islam.

Nach der rumänischen Eroberung der Dobrudscha erhielten trotz der einstigen Kapitulationen 1878 auch die Muslime gleiche verfassungsmäßige Rechte, und 1923 wurde auch im Bukarester Parcul Carol (Karlspark, Königspark) eine Moschee errichtet - als offizielles Zeichen einer neuentdeckten rumänisch-türkischen Freundschaft, die zehn Jahre zuvor in einer erfolgreichen Allianz gegen Bulgarien gegipfelt hatte.[3]

Türken im Banat

Neben der Dobrudscha in Ostrumänien standen zwischenzeitlich auch Teile Siebenbürgens in Westrumänien unter direkter türkischer Herrschaft. Nach dem Sieg über Ungarn in der ersten Schlacht bei Mohacs (1526) war 1541 auch Siebenbürgen osmanischer Vasall geworden, 1551 wurden Arad und Temesvar erobert, 1661 sogar Oradea (Großwardein).

Nach der Niederlage der Türken vor Wien (1683) und dem Sieg der Österreicher in der zweiten Schlacht bei Mohács (1687) gingen Ungarn, Oradea und Arad zwar schon 1688 bzw. 1699 wieder verloren, Temesvar und das Banat (die Bezirke Timiş und Caraş-Severin) aber blieben noch bis 1718 türkisch. Danach emigrierten alle vormals dort lebenden Türken in das übrige Osmanische Reich bzw. wurden dorthin vertrieben (allein auf der seit 1918 rumänischen Donau-Insel Ada Kaleh hielt sich bis 1968 ein vergessenes türkisches Dorf), heute leben keine Muslime mehr in dieser Region.

Muslime in Rumänien: Gegenwart

Datei:Dobrudscha-Ethnien-1903.png
Verteilung der Tataren (gelb) und Türken in der Dobrudscha um 1903
Constanta, Moschee im Hintergund

Einhundert Jahre nach Ende der osmanischen Herrschaft (1878) lebten in der rumänischen Dobrudscha noch immer 23.000 Tataren (1977).[4] Nach der Volkszählung vom Jahr 2002 leben in Rumänien 32.000 Türken und 24.000 Tataren, die nur in der Dobrudscha (beide Bezirke) über 5% der Bevölkerung ausmachen.

Im nördlichen Bezirk Tulcea (einstige Zentren Babadag und Isaccea) machen sie heute nur noch 2,4% der Bevölkerung der Region aus – gegenüber einst 21% um 1878. Im südlichen Bezirk Constanta (zwischen Medgidia und Mangalia, wo 85% aller Türken und Tataren leben), sind es heute immerhin noch über 6,6% gegenüber einstmals fast 60% um 1878.

Neben den rund 55.000 Türken und Tataren von denen man annimmt, sie seien alle Moslems, leben etwa 12.000 weitere Muslime in Rumänien: albanische Muslime, muslimische Roma (Zigeuner), tscherkessische Nordkaukasier sowie arabisch-muslimische Immigranten (vor allem aus Syrien und Libanon). Die Moslems in Rumänien sind fast ausschließlich hanafitische Sunniten, Zentrum des Islam in Rumänien ist die Hafenstadt Constanta, die fünftgrößte Stadt des Landes. (In der Nähe Constantas befindet sich die US-Militärbasis Mihail Kogălniceanu).

Seit 1990 ist für 18 Minderheitenparteien jeweils einen Sitz im rumänischen Senat (Oberhaus) und in der Volksversammlung (Unterhaus) garantiert, so z.B. für die Demokratische Union der Türkisch-Muslimischen Tataren Rumäniens (Uniunea Democrată a Tătarilor Turco-Musulmani din România), die Türkische Demokratische Union Rumäniens (Uniunea Democrată Turcă din România) und die Liga der Albaner Rumäniens (Liga Albanezilor din România). Einige weitere Muslime sitzen als Abgeordnete der großen Volksparteien Rumäniens im Parlament und Stadträten. Ihre rein kulturellen und traditionellen Belange vertritt die Islamisch-Kulturelle Liga Rumäniens (Islamică şi Culturală din România).

Anmerkungen

  1. Aus osmanischer Sicht stellten diese Kapitulationen - türk.: "ahdnâme" - eine Art vom Sultan oktroyierter Dekrete dar. In Wirklichkeit waren sie das Ergebnis zäher Verhandlungen vor dem Hintergrund der jeweiligen politisch-militärischen Lage und wechselnder Allianzen der oftmals vertragsbrüchigen Fürsten. Der Sultan behielt es sich daher vor, im Ernstfall dennoch in die Donaufürstentümer einzumarschieren und diese zeitweilig zu besetzen (letztmals 1854) oder ohne Rücksprache mit den Fürsten rumänische Territorien abzutreten (Kleine Walachei, Bukowina, Bessarabien), vereinzelt ließen sich Muslime auch längerfristig in den rumänischen Städten nieder. Die Bedeutung der Kapitulationen ist deshalb in der Geschichtsschreibung umstritten, wird aber vor allem von rumänischer Seite betont.
  2. Dies hing damit zusammen, dass die rumänischen Fürstentümer wegen ihren Status´ als Vertragsparteien der ahdnâme von den Osmanen als Dâr-al'ahd (Haus des Friedens) eingestuft wurden. Nach islamischem Recht wird die Welt in drei Kategorien eingeteilt: muslimische Länder (Dâr al-Islâm - Haus des Islams), Ländern, mit denen Verträge existieren (Dâr-al'ahd - Haus des Friedens) und Ländern, mit denen keine Verträge existieren (Dâr al-Harb - Haus des Krieges)
  3. Schon 1916-18 standen Bulgarien und das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg wieder gemeinsam gegen Rumänien, Russland, Serbien und Griechenland. Nach der Niederlage und dem Untergang des Reiches schloß die türkische Nachfolgerepublik jedoch 1934 erneut einen Balkanpakt (Balkanentente) mit Rumänien, Griechenland und Jugoslawien gegen Bulgarien.
  4. Zwischen 1913 und 1940 gehörten auch die bulgarische Süddobrudscha und die damals in Silistra lebenden rund 40.000 Türken (heute 50.000) zu Rumänien. So konnte Knaurs Weltatlas für 1935 in Rumänien einen moslemischen Bevölkerungsanteil von 1,0% konstatieren. In Baltschik ließ die rumänische Königin eine Moschee errichten.

Siehe auch

Literatur

  • Günter Kettermann: Atlas zur Geschichte des Islam. Darmstadt 2001
  • Bibliographisches Institut: Taschenlexikon Rumänien. Leipzig 1985
  • J.W. Bromljei/A.M. Prochorow: Narodui Mira - istoriko-etnografitscheski Sprawotschnik (Völker der Welt - historisch-ethnographisches Handbuch). Moskau 1988
  • Detlev Wahl: Lexikon der Völker Europas und des Kaukasus. Rostock 1999
  • H.T. Norris: Islam in the Balkans - Religion and Society Between Europe and the Arab World. Charleston 1993
  • H.T. Norris: Religious Quest and National Identity in the Balkans (Studies in Russian & Eastern European History). London 2001

englische Wikipedia

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