ETCS signalgeführt
Als ETCS signalgeführt (ESG) wird von DB Netz die deutsche Umsetzung von ETCS Level 1 in Betriebsart Limited Supervision bezeichnet.
Grundfunktion
Das System ESG wurde so entworfen, dass es eine mit PZB 90 vergleichbare Sicherheit und Streckenleistungsfähigkeit erbringt. Im Gleis werden sogenannte Datenpunkte installiert, die aus zumeist zwei Eurobalisen bestehen. Die erste Balise des Pärchens dient dabei als Markierungsbalise und ist eine ungesteuerte Festdatenbalise, die zweite Balise wird zumeist durch eine LEU gesteuert. Die Anordnung aus zwei Balisen ermöglicht eine Ausfalloffenbarung (wenn eine der beiden Balisen eines Datenpunkts nicht gelesen werden kann, erfolgt eine Sicherheitsreaktion) und eine Richtungserkennung (also ob der Datenpunkt in der aktuellen Fahrtrichtung relevant ist). Wenn beide Balisen eines Datenpunkts nicht lesbar sind, erfolgt keine Reaktion. Dies ist sicherheitlich vergleichbar mit anderen punktförmigen Zugbeeinflussungen, wo ein fehlender Gleismagnet ebenfalls zu keiner Reaktion des Fahrzeugs führt.

Die drei grundlegenden Datenpunkttypen (Vorsignal-Datenpunkt VS, Aufwerte-Datenpunkt AW und Hauptsignal-Datenpunkt HS) spiegeln die Ausrüstung mit PZB-Gleismagneten. Der Vorsignal-Datenpunkt befindet sich am Standort des Vorsignals, der Aufwerte-Datenpunkt am Standort des 500-Hz-PZB-Magnetes etwa 250 m vor dem Signal, und der Hauptsignal-Datenpunkt am Standort des Hauptsignals. Bei einem Hauptsignal mit Vorsignalisierung übernimmt der Hauptsignal-Datenpunkt gleichzeitig die Funktion eines Vorsignal-Datenpunkts und wird dann als Mehrabschnittssignal-Datenpunkt (MS) bezeichnet. Bei unbeeinflusster Fahrt (am Hauptsignal wird Fahrt mit Streckenhöchstgeschwindigkeit oder ab 100 km/h aufwärts zugelassen) übertragen diese drei Datenpunkte eine pauschalierte ETCS-Fahrterlaubnis mit 32,767 km Länge und einer vom Bremswegabstand der Strecke abhängigen Höchstgeschwindigkeit (160 km/h bei 1000 m Bremswegabstand, 140 km/h bei 700 m Bremswegabstand, 80 km/h bei 400 m Bremswegabstand). Dabei wird die tatsächliche Streckenhöchstgeschwindigkeit nicht betrachtet, und die Einhaltung der örtlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit obliegt wie unter PZB 90 dem Triebfahrzeugführer. Verschiedene weitere, innerhalb einer ETCS-Fahrterlaubnis an das Fahrzeug übermittelbare Informationen werden nicht genutzt oder pauschaliert (so wird zum Beispiel immer eine Streckenneigung von 0 Promille und ein Gefahrpunktabstand von einem Meter hinter dem Hauptsignal übermittelt). Dieser Ansatz wurde gewählt, um keine vertiefte Vermessung der Strecke notwendig zu machen.
Vor einem Hauptsignal mit Fahrtbegriff von 70 km/h oder weniger (einschließlich Haltstellung) übermittelt der Vorsignal-Datenpunkt ein ETCS-Paket 52 (Permitted Braking Distance). Dies löst auf dem Fahrzeug die Berechnung einer Bremskurve aus, die in Abhängigkeit vom Bremsvermögen des Zuges beispielsweise bei einem Bremswegabstand der Strecke von 1000 m so beschaffen ist, dass der Zug 725 m hinter dem Vorsignal-Datenpunkt noch 325 m Restbremsweg zum Stillstand hat. Der kommandierte Bremsweg ist somit zunächst etwas länger als der Bremswegabstand der Strecke. Dies ist aus Gründen der Streckenleistungsfähigkeit so gewählt worden. Die vom Fahrzeug überwachte Bremskurve ist nicht mehr wie bei PZB 90 in drei Stufen fest (obere/mittlere/untere Zugart), sondern wird individuell mit dem als Zugdaten eingegebenen Bremsvermögen des Zuges berechnet.
Wird der Aufwerte-Datenpunkt erreicht, so übermittelt dieser, wenn das Hauptsignal einen Fahrtbegriff von 40 km/h oder mehr zeigt, eine Fahrterlaubnis wie bei unbeeinflusster Fahrt und bricht damit eine eventuell laufende Bremskurve ab, so dass gegebenenfalls wieder beschleunigt werden kann. Bei einem Haltbegriff am Hauptsignal kürzt der Aufwerte-Datenpunkt hingegen die Fahrterlaubnis auf 270 Meter hinter seinem Standort ein und übermittelt eine Freigabegeschwindigkeit von 25 km/h, mit der an das Hauptsignal herangefahren werden kann, auch wenn der Fußpunkt der Bremskurve noch vor dem Hauptsignal liegen würde. Im Sonderfall eines Fahrtbegriffs von 30 km/h oder weniger am Hauptsignal übermittelt der Aufwerte-Datenpunkt eine passende Langsamfahrstelle, die 50 m vor dem Hauptsignal beginnt und am Hauptsignal endet.
Ein Hauptsignal-Datenpunkt an einem haltzeigenden Hauptsignal übermittelt eine Fahrterlaubnis, deren Geschwindigkeit auf 0 km/h gesetzt ist, und damit zu einer sofortigen Zwangsbremsung führt. Dies entspricht der Funktion des 2000-Hz-Gleismagneten der PZB 90.
Weitere Funktionen
Transitionen
Transitionen sind von und zur PZB sowie von und zu ETCS Level 2 möglich. ESG-Strecken sind derzeit immer auch mit PZB-Gleismagneten ausgerüstet. Eine Doppelausrüstung mit ESG und ETCS Level 2 ist nicht vorgesehen. Eine "Dreifachausrüstung" mit PZB, LZB und ESG ist konzeptionell möglich. Dabei besteht die Besonderheit, dass die LZB aufgrund ihrer kontinuierlichen Überwachung des Zuges gegenüber ESG als sicherungstechnisch höherwertigeres Zugbeeinflussungssystem gilt und deshalb bevorzugt zu nutzen ist. Da ein direkter Übergang von ESG zu LZB technisch nicht möglich ist, muss ein ESG-Zug mit funktionsfähiger LZB-Fahrzeugeinrichtung vor der möglichen Aufnahme in die LZB-Führung zunächst auf PZB übergehen, und von dort aus dann weiter zur LZB.
Für den Fall einer fehlgeschlagenen Transition von ESG zu einem anderen Zugbeeinflussungssystem müssen Rückfallmaßnahmen vorgesehen werden. Wenn beispielsweise der Wechsel zu ETCS Level 2 scheitert, ist die erste Rückfallebene ein hilfsweiser Übergang zur PZB. Falls es sich um eine Level-2-ohne-Signale-Strecke (L2oS) handelt, würde dann die örtlich vorhandene Zufahrtsicherung der L2oS-Strecke greifen. Falls auch der Übergang zur PZB scheitert, würde der Zug durch Ablauf seiner Fahrterlaubnis am nächsten Hauptsignal gestoppt.
Die Rückfallebene bei einer fehlschlagenden Transition zur PZB wird durch einen sogenannten Stopp-Datenpunkt (ST) gebildet. Dieser Datenpunkt ist der letzte in der ESG-Strecke und wird vom Fahrzeug nur noch ausgewertet, wenn der vorher kommandierte Levelwechsel zur PZB nicht stattgefunden hat.
Absicherung startender Reisezüge

Damit beginnende Reisezüge bei unzulässiger Anfahrt gegen ein haltzeigendes Signal den Gefahrpunkt hinter dem Signal nicht erreichen, werden Bahnsteiggleise mit Aufstart-Datenpunkten (AS) ausgerüstet, wenn sich der Startplatz der Reisezüge zwischen einem Aufwerte-Datenpunkt (AW) und dem zugehörigen Hauptsignal befindet. Wie ein AW-Datenpunkt kürzt auch ein AS-Datenpunkt die Fahrterlaubnis auf den Standort des haltzeigenden Hauptsignals ein. Bei Fahrtbegriff am Hauptsignal verhält sich der AS-Datenpunkt ebenfalls wie ein AW-Datenpunkt und bricht eine laufende Bremskurve ab. Dadurch ergibt sich als Nebeneffekt eine geringe Erhöhung der Streckenleistungsfähigkeit im Vergleich mit der PZB 90, wenn das Hauptsignal für einen durchfahrenden Zug verspätet in Fahrtstellung kommt.
Es existieren sechs verschiedene Untertypen von AS-Datenpunkten, die sich jeweils in der parametrierten Entfernung zum Hauptsignal unterscheiden (zwischen 187 und 24 m). Bei einer unzulässigen Anfahrt gegen Halt soll jeder Reisezug entweder einen AW-Datenpunkt oder mindestens einen AS-Datenpunkt überfahren, damit er vor Erreichen des Gefahrpunkts hinreichend abgebremst wird.
Nationale Werte
Der Emergency Brake Confidence Level (EBCL) ist im ESG auf 3 gesetzt. Damit entstehen bei Zügen im Gamma-Bremsmodell im Vergleich zum deutschen ETCS Level 2 kürzere Bremswege. Die im Lambda-Bremsmodell mögliche Unterscheidung der Bremskurven-Korrekturfaktoren zwischen Reisezügen und Güterzügen wird genutzt, ebenso wie die Unterscheidungsmöglichkeit zwischen besser und schlechter bremsenden Reisezügen. Die Nutzung der Führungskurve für verschleißarmes Bremsen wird per Nationalem Wert aus Leistungsfähigkeitsgründen ausgeschlossen, und auch um keine Bremswege zu erzeugen, die länger als der Vorsignalabstand sind. Ein solcher Zug würde praktisch direkt nach Aufnahme des Vorsignal-Datenpunkts die Schnellbremseinsatzkurve überschreiten und deshalb zwangsgebremst werden. Überschreitungen der Schnellbremseinsatzkurve führen wie unter PZB 90 zu einer Zwangsbremsung bis zum Stillstand (die ersten ESG-Strecken im Grenzgebiet zur Schweiz waren vor Inbetriebnahme zunächst so parametriert, dass es wie im deutschen ETCS Level 2 nur zu einer bei Unterschreitung der Sollkurve sebstlösenden Zwangsbremsung kam – dies wurde noch vor der Inbetriebnahme geändert, um ein einheitliches betriebliches Regelwerk für PZB- und ESG-Zwangsbremsungen zu haben).
Leistungsfähigkeit im Vergleich zur PZB 90
Ausgerüstete Strecken
Im Rahmen eines Gestattungsvertrages installierte Siemens um das Jahr 2010 eine etwa 22 km lange Prototyp-Installation zwischen Hangelsberg und Fürstenwalde auf der Strecke Berlin – Frankfurt (Oder). Hiermit und mit einer ebenfalls von Siemens installierten Teststrecke in der Schweiz konnte der Nachweis korrekter Funktionalität der damals noch in Erarbeitung befindlichen für ESG relevanten Inhalte der ETCS-Baseline 3 erbracht werden.[1] Dieser Prototyp wurde nach Ende der Erpobungen außer Betrieb genommen.
Als erste mit der endgültigen ESG-Version ausgerüstete Strecken in Deutschland wurden am 8. August 2019 Abschnitte im Grenzgebiet zur Schweiz in Betrieb genommen (Knoten Basel, Bahnhof Konstanz, Erzingen – Schaffhausen – Singen). Die dortigen ESG-Balisen enthalten auch Datenpakete für die schweizerischen Zugbeeinflussungssysteme Euro-Signum und Euro-ZUB.[2] Diese Ausrüstung wurde durch die Firma Thales realisiert. Um Erfahrungen für den großräumigen Einbau auf dem ERTMS-Korridor A (Niederländische Grenze – Ruhrgebiet – Rhein/Main – Karlsruhe – Schweizer Grenze) zu gewinnen, wurden drei Vorprojekte mit verschiedenen Signalbaufirmen angestoßen: In Hilden mit der Firma Ansaldo STS, in Ingelheim mit der Firma Thales und in Koblenz-Ehrenbreitstein mit der Firma Siemens. Diese Vorprojekte sind derzeit noch nicht in Betrieb genommen. Im August 2020 wurden die Ausrüstungsaufträge für die Teilprojekte in den Netz-Regionalbereichen West und Mitte des Korridors A vergeben. Dabei gingen je drei Lose an Thales und Siemens.[3][4]
Literatur
- Jochen Trinckauf, Ulrich Maschek, Richard Kahl, Claudia Krahl (Hrsg.): ETCS in Deutschland. 1. Auflage. Eurailpress, Hamburg 2020, ISBN 978-3-96245-219-3.
Weblinks
- Thorsten Büker: ETCS Level 1 LS (ESG) unter dem Aspekt der Leistungsfähigkeit. Abgerufen am 31. August 2020.
- Grundlagenfilme zu ETCS signalgeführt auf Youtube
Quellen
- ↑ Olaf Mense, Henri Feldt: Vorschlag zur Einführung von ETCS Level 1 Limited Supervision bei der DB AG. In: Signal + Draht. Band 102, Nr. 9, 2010, ISSN 0037-4997, S. 6–13.
- ↑ ETCS für Grenzstrecken in die Schweiz. In: Eisenbahn-Revue International. 2017, ISSN 1421-2811, S. 10.
- ↑ Ergebnisse des Vergabeverfahrens Korridor A Teilprojekt West, abgerufen am 4. September 2020
- ↑ Ergebnisse des Vergabeverfahrens Korridor A Teilprojekt Mitte, abgerufen am 4. September 2020