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Proteste in Belarus 2020–2021

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 9. August 2020 um 18:07 Uhr durch de>Lovemankind83 (Bewertung der Wahl: es sind nicht allle kommentatoren gemeint, sondern eben nur einige oder manche). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Standarte des Präsidenten

Die Präsidentschaftswahl in Weißrussland 2020 ist für den 9. August 2020 angesetzt. Bereits ab dem 4. August können Wahlberechtigte jedoch ihre Stimme abgeben. Die Wahl wird begleitet von anhaltenden Protesten im Land sowie der COVID-19-Pandemie.

Sie gilt als Scheinwahl, da bereits im Vorfeld relevante Gegenkandidaten festgenommen sowie Wahlmanipulationen nachgewiesen werden konnten.[1]

Hintergrund

Seit dem Zerfall der Sowjetunion und der Etablierung eines unabhängigen weißrussischen Staates (Belarus) im Jahre 1991 fanden fünf Präsidentschaftswahlen statt (Juni 1994, September 2001, März 2006, Dezember 2010 und Oktober 2015), aus denen stets Aljaksandr Lukaschenka, dem vorgeworfen wird, sein Land diktatorisch zu regieren, als Sieger hervorging. Mit Ausnahme der ersten entsprach keine davon demokratischen Standards.[2][3][4] Erreicht kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit, würde eine Stichwahl notwendig. Dies war bisher jedoch nie der Fall.

Festnahme von Oppositionellen und Proteste

Die ehemalige Flagge Weißrusslands wird als Symbol der Opposition verwendet

Lukaschenka verharmloste im Vorfeld der Wahl die COVID-19-Pandemie und ließ Massenveranstaltungen ohne Vorsichtsmaßnahmen stattfinden. Nach Schätzungen galten bis Ende Juni in Weißrussland fast 62.000 Menschen als infiziert und bis Ende Juli fast 68.000. Dies – und die anhaltende Wirtschaftsschwäche im Land – haben der Opposition einen enormen Zulauf verschafft, der sich zu größeren Massenprotesten ausweitete.[5][6] Die Behörden versuchten, die Demonstrationen sowie Kundgebungen der Opposition zu verbieten, und gingen teils mit Gewalt gegen sie vor.[1] Hunderte Teilnehmer wurden festgenommen.[7]

Die vier aussichtsreichsten Kandidaten, die dieses Jahr gegen den Amtsinhaber Lukaschenka antreten wollten, wurden nicht zur Wahl zugelassen und teilweise verhaftet, obwohl sie im Vorfeld hunderttausende Unterstützer-Unterschriften sammeln konnten.[8] Dazu gehören:

  1. Mikalaj Statkewitsch, sozialdemokratischer Politiker (BSDP NH)[9]
  2. Wiktar Babaryka, Bankmanager und Politiker
  3. Waleryj Zapkala, Diplomat und Geschäftsmann
  4. Sjarhej Zichanouski, Videoblogger und Geschäftsmann

Statkewitsch und Zichanouski wurden im Vorfeld verhaftet und konnten ihre Kandidatur gar nicht erst einreichen. Gegen Babaryka läuft seit Juni ein Strafverfahren wegen angeblicher Geldwäsche, während Zapkalas Unterschriften auf den Unterstützerlisten nicht anerkannt wurden.[10]

Nach der Verhaftung Zichanouskis erklärte seine Frau, Swjatlana Zichanouskaja, an seiner Stelle zur Wahl anzutreten.[11] Zu ihrem ersten Wahlkampfauftritt am 19. Juli in Minsk kamen mehrere Tausend Menschen.[12] Kurz darauf schlossen sich ihr auch die Frauen der verhafteten Kandidaten Babaryka und Zapkala an.[13][14] Lukaschenka reagierte auf die Kandidatur Zichanouskajas mit der Aussage, dass Weißrussland noch nicht reif für eine Frau an der Spitze sei.[10] Bereits im Juni hatte Zichanouskaja berichtet, ihr sei angedroht worden, dass sie verhaftet werde und ihre Kinder weggenommen würden, sollte sie weiter Wahlkampf betreiben. Sie schickte ihre Kinder daraufhin zu ihrer Großmutter ins Ausland.[15] Bereits zuvor waren anderen Oppositionskandidaten das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen und diese stattdessen in staatliche Waisenhäuser verbracht worden.[16]

Bei einer von der Regierung organisierten Kundgebung am 6. August spielten die DJs Kiryl Halanau und Uladzislau Sakalouski unangekündigt das Lied Wir warten auf Veränderungen von Wiktor Zoi, welches als inoffizielle Hymne der 1980er Freiheitsbewegung gilt. Die anwesende Menge begann mitzusingen, doch Sicherheitskräfte schritten ein, beendeten das Konzert und nahmen beide DJs fest. Sie wurden im Eilverfahren zu 10 Tagen Haft verurteilt.[17]

In der Woche vor der Wahl wurde die Wahlkampfleiterin von Swjatlana Zichanouskaja vorübergehend festgenommen.[18][19] Insgesamt waren sieben ihrer Mitarbeiter vor der Wahl festgenommen worden.[19] Laut der weißrussischen Menschenrechtsorganisation Wjasna seien im Rahmen des Wahlkampfes mehr als 1300 Personen festgenommen worden. Davon seien 25 politische Gefangene.[20]

Festnahme russischer Söldner

Darüber hinaus wurden 33 mutmaßliche Söldner der paramilitärischen russischen Wagner-Gruppe in Minsk festgenommen, die regelmäßig verdeckte Operationen für den russischen Geheimdienst durchführt. Lukaschenka warf Russland daraufhin vor, Belarus militärisch destabilisieren zu wollen.[21][22] Dies ist auch deshalb interessant, weil er bisher als enger Verbündeter Putins galt. In letzter Zeit, insbesondere seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine, habe sich dieses Verhältnis jedoch verschlechtert, so Beobachter. Lukaschenka befürchte möglicherweise, dass Russland versuchen könnte, sich als Nächstes Weißrussland einzuverleiben und ihn danach abzusetzen. Tatsächlich besteht sogar bereits seit 1997 ein von ihm unterzeichnetes Abkommen, welches einen Zusammenschluss beider Länder vorsieht. Inzwischen distanziert Lukaschenka sich jedoch davon.[23][24][25]

Eingeschränkte Berichterstattung

Die Berichterstattung zur Wahl wurde eingeschränkt: Mehr als 100 Vertreter internationaler Medien hatten keine Akkreditierung erhalten. Reporter ohne Grenzen zählte am Wochenende der Wahl mindestens 40 Journalistinnen und Journalisten, die festgenommen wurden.[19] Darunter ein Korrespondent der Deutschen Welle, der zu zehn Tagen Haft verurteilt worden war.[26]

Laut Spiegel konnten Journalisten vor der Wahl teilweise nicht live per Videoübertragung berichten; auch Telefonverbindungen seien zusammengebrochen. Am Wahltag meldeten oppositionelle Telegram-Kanäle, dass YouTube und andere Internetseiten kaum erreichbar seien. Auch verschlüsselte VPN-Verbindungen würden nicht funktionieren.[19]

Kandidaten

Die Zentrale Wahlkommission hat fünf Kandidaten zur Wahl zugelassen[27]:

Kandidat Einzelheiten Foto
Aljaksandr Lukaschenka Präsident von Weißrussland
Sjarhej Tscheratschen Weißrussische Sozialdemokratische Hramada (BSDH)
Hanna Kanapazkaja Parlamentsmitglied (2016–2019)
Andrej Dsmitryjeu Co-Vorsitzender von Sag die Wahrheit Datei:Andrey Dmitriev.jpg
Swjatlana Zichanouskaja Frau des abgelehnten Bewerbers Sjarhej Zichanouski

Ergebnisse

Offizielle Wahlergebnisse
Nr. Verwaltungsgebiet Registrierte
Wähler
Abgegebene Stimmen Aljaksandr Lukaschenka Sjarhej Tscheratschen Hanna Kanapazkaja Andrej Dsmitryjeu Swjatlana Zichanouskaja Stimmen gegen
alle 5 Kandidaten
Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl %
1 Oblast Brest
2 Oblast Wizebsk
3 Oblast Homel
4 Oblast Hrodna
5 Oblast Minsk Region
6 Oblast Mahiljou
7 Stadt Minsk
Gesamt

Bewertung der Wahl

Unabhängige Wahlbeobachter stellten bereits am 4. August, dem ersten Tag des vorgezogenen Wahlzeitraums, über 2.000 Verstöße gegen die Wahlgrundsätze fest: So wurden etwa Wähler am Betreten der Wahllokale gehindert, Wahlurnen nicht versiegelt und Vorhänge an Wahlkabinen entfernt.[28] Einige Wahlbeobachter wurden daraufhin festgenommen.[29] Allgemein ist die Beobachtung der Wahl stark eingeschränkt; die OSZE ist daher gar nicht erst angereist. Seit 1995 erkannte die OSZE keine Wahl in Weißrussland als frei und fair an.[30][31] Ein geleaktes Video, das mutmaßlich das Training von Wahlhelfern zeigt, nennt sogar bereits die im Vorfeld festgelegten Endergebnisse der Wahl.[32]

Auch aufgrund des Ausschlusses aussichtsreicher Gegenkandidaten im Vorfeld halten manche Kommentatoren die Wahl daher bereits jetzt für „weder frei noch fair“.[33]

Commons: Präsidentschaftswahl in Weißrussland 2020 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Belarusian Authorities Cancel Opposition Campaigning Ahead Of Election. Abgerufen am 8. August 2020 (englisch).
  2. As Belarus Elects New Parliament, Lukashenka Says He Will Seek Another Presidential Term. In: RadioFreeEurope/RadioLiberty. 17. November 2019, abgerufen am 5. Februar 2020 (englisch).
  3. Opposition Wins No Seats in Belarus Election. In: Civil Rights Defenders. 22. November 2019, abgerufen am 5. August 2020 (amerikanisches Englisch).
  4. Nataliya Vasilyeva: Authorities in Belarus to charge anti-government protesters with rioting for clashing with police, The Telegraph, 14. Juli 2020. Abgerufen im 22 July 2020 
  5. faz.net: Wenn der Dauerherrscher keucht und Schweiß tupft
  6. Belarusians Protest Against Lukashenka's Run For Sixth Term As President. Abgerufen am 8. August 2020 (englisch).
  7. DER SPIEGEL: Belarus: Mehr als hundert Festnahmen bei Protesten – DER SPIEGEL – Politik. Abgerufen am 8. August 2020.
  8. Christina Hebel, DER SPIEGEL: Weißrussland: Präsident Alexander Lukaschenko erlebt neue Protestwelle vor Wahl – DER SPIEGEL – Politik. Abgerufen am 8. August 2020.
  9. Lukaschenko löste vor Präsidentenwahl Regierung auf. In: Der Standard. 4. Juni 2020, abgerufen am 16. Juli 2020.
  10. a b Die mutigen Frauen von Minsk. In: Tagesspiegel. 21. Juli 2020, abgerufen am 24. Juli 2020.
  11. Hunderte Festnahmen bei Protesten in Belarus, Zeit Online, 15. Juli 2020. Abrufdatum: 16. Juli 2020.
  12. Belarusian Opposition Candidate Draws Thousands To Her Campaign Rallies. Abgerufen am 8. August 2020 (englisch).
  13. Wahlkampf in Belarus: Tausende bei Oppositionskundgebung, tagesschau.de, 19. Juli 2020. Abrufdatum: 20. Juli 2020.
  14. Drei Frauen fordern Amtsinhaber Lukaschenko heraus, Zeit Online, 23. Juli 2020. Abrufdatum: 24. Juli 2020.
  15. "Belarus presidential candidate sends her children abroad after threats", Reuters, 20 July 2020
  16. Belarus: The three women on a 'mission' to take on Europe's last dictator, Sky News, 8. August 2020 
  17. Thousands In Belarus Attend 'Canceled' Opposition Rally Despite Pressure. Abgerufen am 8. August 2020 (englisch).
  18. DER SPIEGEL: Wahlkampfleiterin von Oppositionskandidatin erneut festgenommen – DER SPIEGEL – Politik. Abgerufen am 9. August 2020.
  19. a b c d Christina Hebel, DER SPIEGEL: Präsidentschaftswahl in Belarus: Alexander Lukaschenko – mit aller Härte erneut zum Sieg – DER SPIEGEL – Politik. Abgerufen am 9. August 2020.
  20. tagesschau.de: Präsidentenwahl in Belarus: Der angespannte Autokrat. Abgerufen am 9. August 2020.
  21. tagesschau.de: Russische Söldner in Belarus festgenommen. Abgerufen am 8. August 2020.
  22. DER SPIEGEL: Präsidentschaftswahl: Weißrussland wirft russischer Söldnergruppe Planung von Massenprotesten vor – DER SPIEGEL – Politik. Abgerufen am 8. August 2020.
  23. DER SPIEGEL: Lukaschenko geht nach Festnahmen mutmaßlicher Söldner auf Konfrontationskurs zu Russland – DER SPIEGEL – Politik. Abgerufen am 8. August 2020.
  24. Kiew: Weißrussland: Kämpfen, auch wenn der Gegner Putin heißt. In: DIE WELT. 11. Februar 2015 (welt.de [abgerufen am 8. August 2020]).
  25. mdr.de: Greift Putin nach Belarus? | MDR.DE. Abgerufen am 8. August 2020.
  26. Deutsche Welle (www.dw.com): DW-Korrespondent in Belarus verurteilt | DW | 07.08.2020. Abgerufen am 9. August 2020 (deutsch).
  27. Заседание Центральной комиссии | Центральная комиссия Республики Беларусь по выборам и проведению республиканских референдумов. In: www.rec.gov.by. 14. Juli 2020, abgerufen am 16. Juli 2020.
  28. Досрочное голосование. Как мы искали избирателей на участках и кого нашли. In: naviny.by. Abgerufen am 5. August 2020 (russisch).
  29. Independent Election Monitors Detained In Belarus During Early Voting. Abgerufen am 8. August 2020 (englisch).
  30. Nataliya Vasilyeva: Authorities in Belarus to charge anti-government protesters with rioting for clashing with police, The Telegraph, 14. Juli 2020. Abgerufen im 22 July 2020 
  31. Nataliya Vasilyeva: Authorities in Belarus to charge anti-government protesters with rioting for clashing with police, The Telegraph, 14. Juli 2020. Abgerufen im 22 July 2020 
  32. Franak Viačorka: Leaked audio recording of the training for local electoral commissions. In: Twitter. Abgerufen am 8. August 2020 (englisch).
  33. ARD Studio Moskau: Präsidentschaftswahl in #Belarus: Warum heißt es schon jetzt, dass diese Wahl weder frei noch fair sein wird? In: Twitter. Abgerufen am 8. August 2020.

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