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François-Marie Arouet

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Jean-Michel Moreau: Voltaire

Voltaire [vɔlˈtɛːʀ], eigentlich François-Marie Arouet [fʀɑ̃ˈswa maˈʀi aˈʀwɛ] (* 21. November 1694 in Paris; † 30. Mai 1778 in Paris) war einer der einflussreichsten Philosophen der europäischen Aufklärung. In Frankreich nennt man das 18. Jahrhundert deshalb „das Jahrhundert Voltaires“ (le siècle de Voltaire). Mit seiner Kritik an den Missständen des Absolutismus und der Feudalherrschaft sowie auch am Deutungs- und Machtmonopol der katholischen Kirche war er einer der wichtigsten Wegbereiter der Französischen Revolution. Seine wichtigsten Waffen im Kampf gegen seine Gegner waren ein präziser und gemeinverständlicher Stil, Sarkasmus und Ironie.

Leben

Jugend

Voltaire war das jüngste Kind eines vermögenden bürgerlichen Notars, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere zum königlichen Gerichtsgebühreneinnehmer avancierte. Wie viele Angehörige des Beamtenstandes stand er dem Jansenismus nahe. Bereits mit sechs verlor er seine Mutter, die aus einer kleinadeligen Familie stammte. Im Jesuitenkolleg Louis-le-Grand (heute Lycée Louis-le-Grand) erwarb er eine solide humanistische Bildung in lateinischer und griechischer Literatur, Mathematik, Geschichte und Religion. Schon als Schüler verfasste er Gedichte und auch seine Theaterbegeisterung nahm in dieser Zeit ihren Anfang. Zudem gewann er einige Freunde unter seinen überwiegend adeligen Mitschülern, darunter die Brüder d'Argenson, die später hohe Ämter bekleideten. Allerdings lernte er so früh auch den Standesdünkel, aber auch die Privilegien der Oberschicht des Ancien Régimes kennen.

Auf Drängen des sittenstrengen Vaters absolvierte er ein Rechtsstudium an der Pariser juristischen Hochschule (1711-1713). Zugleich ließ er sich von seinem Patenonkel, dem Abbé de Châteauneuf, in verschiedene schöngeistige und literarische Zirkel einführen. So verkehrte er im epikuräisch-freidenkerischen Kreis um Philippe de Vendôme, dem Großprior des Malteserordens (Statthalter des Ordens in Frankreich), und wurde hier für seine eleganten und geistreichen Verse bewundert. Nach Beendigung des ungeliebten Studiums gab er dem Druck des Vaters nach und arbeitete für kurze Zeit in einem Notariat in Caen. Anschließend begleitete er einen Bruder seines Patenonkels als Privatsekretär nach Den Haag, wo jener in diplomatischer Mission zu tun hatte. Er begann dort er eine Liebschaft mit einer jungen Französin, worauf sich deren Mutter bei seinem Vater beschwerte. Dieser erwog daraufhin, ihn zu enterben und nach Amerika deportieren zu lassen.

Erste Veröffentlichungen

Voltaire

Voltaire kam nach Paris zurück und arbeitete nochmals für kurze Zeit in einer Anwaltskanzlei. Er verkehrte jetzt nicht nur in literarisch-schöngeistigen Zirkeln, sondern vermehrt auch in adeligen Häusern, wo man ihn als Autor witziger, häufig spöttischer Gedichte schätzte. Auch beteiligte er sich an den Diskussionen und Streitereien der Pariser Literaten. So machte er sich 1714 mit einer Verssatire über den arrivierten Autor und Literaturtheoretiker Houdar de la Motte lustig, der für die vorrangige Verwendung der Prosa anstelle der Versform in den erzählenden Gattungen eingetreten war - eine Ansicht, die Voltaire später durchaus akzeptieren sollte. Bei der 1715 entstandenen Ode Le vrai Dieu handelt es sich vielleicht um seinen ersten philosophischen Text.

Eine der vornehmsten Adressen Voltaires war der Hof eines unehelichen, aber legitimierten Sohnes von Ludwig XIV., des Duc du Maine. Dieser war von seinem sterbenden Vater testamentarisch zum Regenten für den kleinen Ludwig XV. bestimmt worden, wurde aber zu seinem Ärger verdrängt von seinem Cousin, Herzog Philipp von Orléans. Bei Maine trug Voltaire 1716 ein satirisches Gedicht auf Philipp vor, in dem er dessen mutmaßliches inzestuöses Verhältnis zu seiner Tochter andeutete. Natürlich erfuhr Philipp davon und verbannte Voltaire für mehrere Monate aus Paris, die er größtenteils als Gast auf dem Schloss des Duc de Sully verbrachte. Nach einem Huldigungs- und Bittgedicht an Philipp konnte er zurück, verfasste aber bald eine neue Satire auf ihn. Diesmal war die Reaktion schärfer: Voltaire wurde im Mai 1717 in der Bastille inhaftiert.

Hier stellte er seine mit Sophokles und Corneille wetteifernde erste Tragödie Œdipe (Ödipus) fertig und begann unter dem Titel La Ligue (Die [katholische] Liga), ein Epos über die Religionskriege und ihre Beendigung durch Heinrich IV., der seines Erachtens ein vorbildlicher König gewesen war. Dank der Fürsprache hochstehender Gönner wurde er nach elf Monaten aus der Haft entlassen und nannte sich fortan „Voltaire“ - ein Anagramm aus den Buchstaben seines Namens A-R-O-V-E-T- (mit v statt u) L-I (d.h. le jeune, mit i statt j). Die erfolgreiche Aufführung von Œdipe machte ihn im Herbst 1718 schlagartig berühmt.

Wieder verkehrte er in literarischen Salons und war auch gerngesehener Gast in den Landschlössern des Hochadels rund um Paris. Hierbei lernte er den im Exil lebenden Politiker Lord Bolingbroke kennen, der ihm England näher brachte. In dieser Zeit entstanden die Tragödie Artémire (1720) und die Épître à Uranie (1722). Außerdem arbeitete er weiter an La Ligue.

Als sein Vater 1722 starb, erbte Voltaire seinen Anteil an dessen Vermögen. Da er im gleichen Jahr vom Regenten eine „pension“ (jährliche Gratifikation) aus der königlichen Schatulle zugesprochen bekam, war er finanziell abgesichert. In dieser Zeit liierte er sich zudem mit der verheirateten Adeligen Madame de Bernières.

1723 brachte zwei Misserfolge: Voltaire machte erstmals mit der Zensur Bekanntschaft, als ihm die Druckerlaubnis für La Ligue, ou Henri le Grand verweigert wurde, obwohl er darum ersucht hatte, das Werk dem König widmen zu dürfen. Er publizierte es deshalb anonym in der Stadtrepublik Genf. Überdies stieß seine Tragödie Hérode et Mariamne beim Publikum auf Ablehnung.

1725 war hingegen ein Jahr des Erfolgs. Die Herodes-Tragödie wurde in einer überarbeiteten Version gut aufgenommen. Außerdem erhielt Voltaire Zutritt zum Hof dank der einflussreichen Marquise de Prie, der Geliebten des Ersten Ministers, des Duc de Bourbon. Sie ließ ihn mit der Organisation von Theateraufführungen zur Hochzeit Ludwigs XV. beauftragen. Dies trug ihm eine zweite „pension“ ein, nunmehr aus der Schatulle der jungen Königin. Als einer der gefragtesten Dramatiker und Dichter Frankreichs schien er bestens in das herrschende System integriert.

Voltaire in England

1726 ließ ihn der Chevalier de Rohan, Spross eines alten französischen Adelsgeschlechts, von seinen Dienern verprügeln. Voltaire hatte auf die spöttische Frage Rohans, wie er denn zu seinem neuen Namen komme, sarkastisch geantwortet: „Je commence mon nom, monsieur, vous finissez le vôtre“ (etwa: Ich bin der Erste meines Namens, Sie nur der Letzte). Der über die Prügel empörte Voltaire nahm Fechtunterricht, um den Chevalier zum Duell zu fordern. Die Rohans erwirkten jedoch einen königlichen Haftbefehl gegen ihn, und wieder kam er in die Bastille. Da er inzwischen berühmt war, bot ihm der König die Freiheit an unter der Bedingung, dass er Frankreich verließ.

Voltaire akzeptierte und ging für zweieinhalb Jahre nach England, das dabei war, in die industrielle Revolution einzutreten. Er war fasziniert von der intellektuellen und wirtschaftlichen Aufbruchstimmung sowie von der relativ großen geistigen Freiheit und sozialen Mobilität in dieser multikonfessionellen Gesellschaft, in der die Religion Privatangelegenheit war und die Macht des Königs und die Privilegien des Adels eingeschränkt waren. Besonders beeindruckten ihn das Parlamentarische System und der Schutz der Bürger vor staatlicher Willkür. Lord Bolingbroke führte ihn in die besten gesellschaftlichen und intellektuellen Kreise Londons ein und auch dem König wurde er vorgestellt. Eine überarbeitete Fassung von La Ligue, die er 1728 als La Henriade druckte, durfte er der Königin widmen.

Für einen Franzosen damals durchaus nicht selbstverständlich lernte er die englische Sprache und las englischsprachige Bücher. So studierte er die Werke des Empiristen und Theoretikers des „common sense“ John Locke und die Dramen Shakespeares. Außerdem befasste er sich mit den revolutionären Theorien des Physikers und Astronomen Newton sowie auch den neuesten naturwissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen.

In seinen noch in England verfassten, aber erst später veröffentlichten „philosophischen Briefen“ (Lettres anglaises oder Lettres philosophiques) stellte er England seinen Landsleuten als Vorbild vor Augen.

1729 ging er nach Paris zurück, den Koffer voller fertiger und angefangener Manuskripte, darunter die historiographischen Werke Histoire de Charles XII, roi de Suède (=Karl XII. von Schweden, 1731) und Le Siècle de Louis XIV („Das Jahrhundert Ludwigs XIV.“, fertiggestellt erst 1751), oder die Tragödien Brutus und Zaïre, die 1730 und 1732 erfolgreich aufgeführt wurden. Nebenher vermehrte er mit Hilfe der Brüder d'Argenson geschickt sein Vermögen, so dass er bald mehr als nur wohlhabend war.

Die Jahre mit Émilie du Châtelet

Als 1730 die sterblichen Überreste Adrienne Lecouvreurs, einer befreundeten jungen Schauspielerin, auf den Schindanger geworfen wurde, empörte sich Voltaire mit der Ode sur la mort de Mademoiselle Lecouvreur. Er war entrüstet, dass einer stadtbekannten und bewunderten Persönlichkeit eine würdige Bestattung verwehrt wurde, nur weil sie den traditionell verachteten und vom Klerus angefeindeten Beruf einer Schauspielerin ausgeübt hatte.

1734 erschienen zugleich in London und Paris die Lettres philosophiques, die von den Herrschenden in Frankreich erwartungsgemäß als Affront empfunden wurden. Besonders verärgert waren die meist jansenistisch-frommen Hohen Richter des Pariser Parlaments. Sie stießen sich an einer Diatribe gegen den anthropologischen Pessimismus des Jansenisten Blaise Pascal, die an die Briefe angehängt war. Das Parlament erließ einen Haftbefehl und das Buch wurde verboten, was seiner Verbreitung keinen Abbruch tat.

Voltaire zog sich hieraufhin mit seiner neuen Geliebten Émilie du Châtelet auf das Schlösschen ihres Mannes in Cirey zurück, von wo aus er notfalls schnell ins nahe Lothringen fliehen konnte, das bis 1738 de jure noch zum deutschen Reich gehörte. In den nächsten Jahren führte er ein unstetes Wanderleben. Er hielt sich in Paris auf, wenn es ihm verstattet war; er wich nach Cirey aus, wenn es zu gefährlich wurde. Längere Zeit verbrachte er auch in Brüssel und in Holland, das zur „Druckerei Europas“ aufgestiegen war und wo er viele seiner Werke veröffentlichte.

Madame du Châtelet war Naturforscherin und Autorin wissenschaftlicher und philosophischer Werke und arbeitete u. a. an einer kommentierten Übersetzung von Newtons Philosophiae naturalis principia mathematica. Auch ihrem Einfluss ist es wohl zu verdanken, dass sich Voltaire erneut mit den Naturwissenschaften befasste. In der allgemeinverständlichen Abhandlung Éléments (=Grundzüge) de la philosophie de Newton stellte er die bahnbrechenden, in Frankreich noch wenig bekannten Theorien des englischen Physikers und Astronomen vor. Mit naturphilosophischen und theologischen Fragestellungen setzte er sich 1734 im Traité de métaphysique (= Abhandlung zur Metaphysik) auseinander.

Seine Domänen blieben jedoch die Geschichtsschreibung und die philosophisch inspirierte, d.h. aufklärerische Literatur, beispielsweise in Gestalt der Tragödien Adélaïde du Guesclin (1734) La Mort de César (1735) und Alzire (1736). Die Tragödie Mahomet wurde trotz einer Widmung an den Papst nach der dritten Aufführung 1742 abgesetzt, da die Darstellung des Religionsgründers Mohammed vom katholischen Klerus ganz richtig als Kritik an Priestertum und religiösem Fanatismus überhaupt verstanden wurde. Daneben schrieb er das spöttisch-burleske Epos La Pucelle über die (1920 heilig gesprochene) Kriegsheldin Jeanne d'Arc, das er lange nur in privaten Abschriften zirkulieren ließ.

Versailles

Dank d'Argenson, aber auch dank der Marquise de Pompadour, der einflussreichen Mätresse Ludwigs XV., durfte er nun an den Hof zurückkehren, obwohl er dem König unsympathisch war. Anlässlich der Hochzeit des Dauphin wurde 1745 seine Ballettkomödie La Princesse de Navarre und etwas später das Singspiel Le Temple de la Gloire (=der Ruhmestempel, Musik von Jean-Philippe Rameau) zur Aufführung gebracht. Darüber hinaus wurde er zum Königlichen Chronisten (historiographe du roi) ernannt sowie zum Königlichen Kammerherrn (gentilhomme de la chambre), womit er offiziell in den Adelstand erhoben war. 1746 wurde er Mitglied der Académie française und im gleichen Jahr ließ er eine sechsbändige Gesamtausgabe seiner Werke drucken. Einmal mehr schien er bestens etabliert.

Er fiel jedoch 1749 in Ungnade, als er auf Englisch Madame du Châtelet am Spieltisch der Königin vor hochadeligen Falschspielern warnte. Nachdem er sich außerdem am Hof darüber beschwert hatte, dass man seinen Konkurrenten Crébillon bevorzuge, wurde der König seiner überdrüssig und auch Madame Pompadour, seine bisherige Fürsprecherin und Beschützerin, distanzierte sich von ihm. Voltaire zog sich auf Schloss Sceaux, zur Duchesse du Maine, zurück und unterhielt diese mit seinen ersten erzählenden Werken, u.a. dem Kurzroman Memnon, dem späteren Zadig.

1748/49 lebte er mit Madame du Châtelet meist im Schloss von Lunéville/Lothringen, der Residenz des polnischen Ex-Königs Stanislaus I. Leszczynski. Hier verliebte sich Madame du Châtelet in den Offizier, Höfling und Dichter Saint-Lambert und starb Ende 1749 nach der Geburt eines Kindes von ihm. Voltaire war betroffen, obwohl er inzwischen mit seiner verwitweten Nichte Madame Denis zusammenlebte.

Aufenthalt am Hof Friedrichs von Preußen

Adolph von Menzel: Tafelrunde König Friedrich II. (mitte) in Sanssouci mit Voltaire (rechts) und den führenden Köpfen der Berliner Akademie, 1850, ehemals Nationalgalerie, Berlin, 1945 im Flakturm Friedrichshain verbrannt.

Im Sommer 1750 folgte Voltaire der Einladung Friedrichs II. von Preußen, der ihn in einem regen Briefwechsel schon seit 1736 umwarb. Nach der Thronbesteigung des rund zwanzig Jahre jüngeren Friedrich (1740) war Voltaire außerdem mehrfach von seinem Schulfreund, Kriegsminister d'Argenson, in diplomatischer Mission nach Preußen entsandt worden, das im österreichischen Erbfolgekrieg mit Frankreich verbündet gewesen, dann aber aus der Koalition ausgetreten war.

In Potsdam hatten schon mehrere französische Literaten und Gelehrte Hofämter inne und Voltaire erhielt den Titel eines Königlichen Kammerherrn samt zugehörigem Gehalt. Er wurde behandelt wie ein fürstlicher Gast und konnte relativ frei arbeiten. 1751 brachte er in Berlin sein Siècle de Louis XIV (=Das Jahrhundert Ludwigs XIV.) heraus, eine Darstellung der französischen Geschichte des 17. Jahrhunderts. Darin wies er der Kulturgeschichte eine zentrale Rolle zu und setzte so der Geschichtsschreibung neue Maßstäbe. Die kulturhistorische Ausrichtung wurde noch deutlicher im Abrégé de l'Histoire universelle (=Abriss der Universalgeschichte), der 1750/51 abschnittweise im Mercure de France erschien. Ebenfalls 1751 kam eine dritte, elf Bände umfassende Gesamtausgabe seiner Werke heraus.

Nach zwei Jahren kühlte sich seine Beziehung zu Friedrich jedoch ab. Voltaire stieg in die Niederungen des Berliner Wirtschaftslebens hinab und betätigte sich als Wertpapierhändler. Er lieh sich Geld bei einem Bankier und kaufte sog. Steuerantizipationsscheine des sächsischen Kurfürsten, eine neuartige Wertpapierform. Wie von jedem Kundigen voraussehbar, stieg der Kurs zur Zeit der Steuereintreibung. Als der Bankier Voltaires stattlichen Gewinn bemerkte, beanspruchte er einen Anteil daran und zog vor Gericht. Die überforderten Richter verstanden die Natur der Transaktion nicht und waren geneigt, dem Bankier recht zu geben. Protokollant war ein junger Autor namens Lessing, der die Sache zwar auch nicht begriff, aber ein kleines Spottgedicht ad hoc verfasste. König Friedrich zeigte ebenfalls wenig Verständnis für Voltaires bourgeoise Aktivitäten.

Gespannt war auch dessen Verhältnis zum Akademie-Präsidenten Maupertuis, über den er die spöttische Diatribe du Docteur Akakia verfasste. Als er sie trotz einer Bitte Friedrichs drucken ließ, war die Geduld des Herrschers erschöpft und er äußerte sich in beleidigender Weise über ihn mit dem Satz „On presse l'orange et on jette l'écorce“ (Man presst die Orange aus und wirft die Schale weg). Voltaire bat den König nun um Entlassung aus seinem Hofamt, wurde aber zunächst nur beurlaubt. In Leipzig äußerte er sich nochmals sarkastisch über Maupertuis und wurde daraufhin in Unehren entlassen. In der freien Stadt Frankfurt ließ Friedrich ihn sogar kurz festsetzen und sein Gepäck nach einem eigenen, unbefugt mitgenommnem Manuskript durchsuchen. Erst Jahre später versöhnten sich die beiden Männer und wechselten wieder Briefe.

Neuerliche Wanderjahre

Nach Aufenthalten an kleineren deutschen Höfen (Gotha, Kassel, Mainz, Mannheim) wartete Voltaire in den elsässischen Städten Straßburg und Colmar vergeblich auf die Erlaubnis, in Ehren nach Paris und an den französischen Hof zurückzukehren. 1755 schließlich erwarb er in der Stadtrepublik Genf ein Anwesen am Stadtrand und gedachte sich dort niederzulassen. Doch während in Paris mit Erfolg sein neues Stück L'Orphelin de la Chine (das Waisenkind aus China) aufgeführt wurde, bekam er in Genf ersten Ärger mit dem theaterfeindlichen calvinistischen Kirchenrat, weil er private Aufführungen in seinem Haus organisierte.

In seinem berühmten, 1756 verfassten Gedicht über das Erdbeben von Lissabon (Poème sur le désastre de Lisbonne) setzt er sich mit dem grenzenlosen Optimismus des Schriftstellers Alexander Pope und vieler seiner Zeitgenossen auseinander, wonach alles was ist, gut und recht ist („Whatever is, is right“). Im selben Jahr veröffentlichte er seinen Essai sur l'histoire générale et sur les mœurs et l'esprit des nations (= Versuch über die allgemeine Geschichte und die Sitten und den Geist der Nationen), eine Universalgeschichte der Menschheit, die er insgesamt auf dem Weg des Fortschritts sieht.

Ebenfalls 1756 begann er seine Mitarbeit an dem 1746 von Diderot und d'Alembert initiierten Groß-Lexikon, der Encyclopédie. 1757 brachte ihm d'Alemberts kritischer Encyclopédie-Artikel „Genève“ neuen Ärger in Genf, obwohl er ihn nur als Informant beeinflusst hatte. Wieder ging er auf Reisen und schrieb 1758 die heute als sein bestes Werk geltende philosophische Erzählung Candide ou l'optimisme (teilweise verfasst im Schloss von Schwetzingen). Hierin führt er in einer turbulenten Handlung sarkastisch-ironisch den ihm als unhaltbar erscheinenden Optimismus à la Leibniz („Unsere Welt ist die beste aller möglichen Welten“) ad absurdum, nicht ohne nebenher, z.B. im Lissabon-Kapitel, Seitenhiebe auf die Naturverklärung im Stil Rousseaus auszuteilen.

Bewunderung für Katharina die Große

Voltaire führte eine rege Korrespondenz mit der russischen Zarin Katharina II.. Er sah in ihr eine Philosophin auf dem Thron und nannte sie den „strahlendsten Stern des Nordens“. Auch Katharina bewunderte den Aufklärer und erwarb nach seinem Tod seine Bibliothek. Sie befindet sich heute in der Russischen Nationalbibliothek in Sankt Petersburg.

Sesshaftigkeit und erfüllte letzte Jahre

Im Alter von 64 Jahren erwarb Voltaire die landwirtschaftlichen Güter Ferney und Tourney im französischen Grenzgebiet nahe Genf, die er zum Wohl seiner Lohnknechte und Pächter innovativ und effizient bewirtschaftete. Zusammen mit Madame Denis verbrachte er hier seine letzten zwei Lebensjahrzehnte, die den Zenith seiner Karriere bedeuten sollten.

Nicht nur schrieb und publizierte der „Patriarch von Ferney“ weiterhin fleißig, sondern er empfing als führende Persönlichkeit der Aufklärung Besucher aus ganz Europa und pflegte einen regen Briefwechsel mit vielen herausragenden Geistern seiner Zeit. Vor allem aber kämpfte er mit der Macht seiner stetig wachsenden Autorität gegen staatliche Willkür und religiösen Obskurantismus, so z. B. anlässlich des Justizmordes an Jean Calas, einem Protestanten, der beschuldigt worden war, er habe seinen Sohn ermordet, um ihn vom Übertritt zum Katholizismus abzuhalten. Dieser war erhängt auf dem Dachboden gefunden worden. Calas wurde daraufhin verhaftet und gefoltert. Ohne Beweise wurde er zum Tod auf dem Rad verurteilt und am 9. Mai 1762 hingerichtet. Vieles deutete daraufhin, dass der katholische Klerus das willkürliche Urteil gebilligt hatte. Als Voltaire davon hörte, startete er eine publizistische Kampagne, in deren Verlauf er 1763 unter anderem die Schrift Traité sur la tolérance (Abhandlung über die Toleranz) veröffentlichte. Unter dem Beifall des gesamten aufgeklärten Europas wurde Calas am 9. März 1765 postum rehabilitiert.

Nach dem Erfolg von Candide veröffentlichte Voltaire weitere Erzählungen, so den meisterhaften empfindsamen Kurzroman L'Ingénu (=der Unbedarfte, 1767). Außerdem erschien 1760 und 1763 die Histoire de l'Empire de Russie sous Pierre le Grand (=Geschichte des russischen Reiches unter Peter dem Großen). Er verfasste aber auch philosophische Werke wie das sehr erfolgreiche, seine Bibel- und Religionskritik auf den Punkt bringende Dictionnaire philosophique portatif (1764). Voltaire versorgte damit die Sympathisanten der Aufklärung mit Argumenten und kreierte zugleich den Typ des „tragbaren“ einbändigen Konversationslexikons. Noch im 19. Jahrhundert diente das Lexikon der laizistischen französischen Bourgeoisie als wichtige Informationsquelle zur Aufdeckung von Widersprüchen und Paradoxien in den Lehren der Katholischen Kirche.

Im Februar 1778 reiste Voltaire nach Paris, um der Uraufführung seines neuen Stücks Irène beizuwohnen. Er wurde wie in einem Triumphzug empfangen und konnte sich der Ehrungen und Einladungen kaum erwehren. So wurde er am 7. April in die Pariser Freimaurerloge „Les Neuf Sœurs“ aufgenommen. Stuhlmeister der Loge war zu dieser Zeit der Astronom Jérome Lalande. Voltaires Bürge war der Historiker Abbé Cordier de St. Firmin und Graf Stroganow bereitete ihn auf die Aufnahme vor. In Gegenwart von etwa 250 Freimaurern, unter ihnen sein Freund Elie de Beaumaunt, führte ihn Benjamin Franklin in den Tempel.

Einen Monat später brach der Hochgeehrte entkräftet zusammen und starb. Erst nach seinem Tod wurde nach und nach seine umfängliche Korrespondenz publiziert. Sie umfasst mehr als 22.000 Briefe und erscheint nachträglich als ein bedeutender Teil seines Schaffens.

Leistungen

Voltaire war kein systembildender Denker, sondern ein „Philosophe“ im französischen Sinn, d. h. ein Autor, der sowohl philosophische als auch belletristische, historische und naturwissenschaftliche Schriften verfasste sowie publizistisch tätig war. Typisch für ihn sind die philosophischen Erzählungen (contes philosophiques), in welchen er zentrale und weniger zentrale Gedanken der Aufklärung auf undogmatische und unterhaltsame Weise verbreitet. Er selbst hielt sich vermutlich in erster Linie für einen bedeutenden Dramatiker aufgrund seiner rund vierzig, teilweise sehr erfolgreichen Stücke. Auch seine Zeitgenossen sahen ihn als Nachfolger großer Tragödiendichter wie Sophokles, Seneca, Racine und Corneille. Heute schätzt man ihn vor allem als Erzähler sowie als Begründer einer kulturhistorisch orientierten Geschichtsschreibung. Wissenschaftlich ambitioniert und gemeinverständlich geschrieben, eröffneten seine historischen Werke eine Tradition, die noch heute in Frankreich lebendig ist.

Voltaire und die Religion

Voltaire übte scharfe Kritik an der katholischen Kirche seiner Zeit (bekannt ist seine Parole „Ecrasez l'Infame“). So veröffentlichte er unter dem Pseudonym Corbera ein Pamphlet Epître aux Romains, das praktisch einen Aufruf zur Revolution gegen den Papst darstellt.

Voltaire ist wohl der bedeutendste kirchenkritische Vertreter des 18. Jahrhunderts, aber er war kein Atheist. Vielmehr trat er für einen deistischen, toleranten und von jeglichem Dogmatismus losgelösten Monotheismus ein. Von der Vernünftigkeit und Nützlichkeit eines solchen Glaubens war er überzeugt: „Wenn Gott nicht existierte, müsste man ihn erfinden“ (Voltaire in Épitre à l'auteur du livre des trois imposteurs).

Stilmittel

Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Humor, (Selbst-)Ironie und Sarkasmus kritisiert Voltaire die Missstände seiner Zeit. Dazu dienen ihm vor allem, groteske Namen und Begebenheiten, viele rhetorische Mittel (vor allem der Euphemismus, das Oxymoron und die Antiphrase), aber auch die Anhäufung einer Vielzahl von Naturkatastrophen in einer Erzählung, so in seiner berühmten Erzählung „Candide“. Hier lässt er die Protagonisten des öfteren scheinbar wieder auferstehen. Auch die Hyperbel ist ihm ein willkommenes Mittel. Hierbei scheint ihm nichts heilig gewesen zu sein. Kirche und Staat verschont er ebenso wenig wie seine Gegner.

Werke

Literatur

Wikiquote: Voltaire – Zitate
Commons: Voltaire – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

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Biografien und Gesamtwürdigungen

Organisationen

Sonstiges

Siehe auch