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Mord von Greifensee

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Als Mord von Greifensee ging das Massaker der Eidgenössischen Truppen an der Besatzung der Zürcher "Festung" Greifensee während des Alten Zürichkriegs in die Geschichte ein. Am 27. Mai 1444, nach 4 Wochen Belagerung, mussten sich die überlebenden 62 (nach anderen Quellen 64 oder 61) Verteidiger unter der Führung von Wildhans von Breitenlandenberg ergeben. Mach ihrer Kapitulation sind am 28. Mai 1444 bis auf zwei (ein Zeitzeuge nennt zehn) alle mehrheitlich bäuerlichen Verteidiger von Greifensee, ohne Gnade gewährt zu erhalten, von den "siegreichen" Innerschweizern auf der «Blutmatt» in Nänikon enthauptet - und damit vermutlich der Grossteil der männlichen Bevölkerung des Amts Greifensee im Mannesalter massakriert worden.

Das Massaker aus Sicht der Chronisten und im Volksmund

Mehrere Chronisten haben die Belagerung und Hinrichtung der Zürcher Besatzung von Greifensee im Mai 1444 beschrieben. Die ausführlichsten Beschreibungen hinterliessen Hans Fründ - Landschreiber von Schwyz und auf Seite der Eidgenossen Augenzeuge der Belagerung - und Gerold Edlibach (geb. 1454!) - Ratsherr und 1504-1506 Landvogt von Greifensee der Nachwelt.

Edlibach fasste die Überlieferungen von Zeitgenossen in einer umfassenden Chronik zum Alten Zürichkrieg zusammen, aus Sicht der unterlegenen Zürcher. Seine Chronik ist stärker emotional geprägt und gibt den Schock, den das Massaker in der Bevölkerung hinterliess, gleichwertig mit den historischen Fakten wieder. Fründs Schilderung ist kurz und sachlich, dennoch mit unverhohlener Anteilnahme am Schicksal der Belagerten und ihrer Familien.

Greifensee 1444: Belagerung - Mordnacht von Greifensee am 28. Mai 1444 - Gedenkkapelle. Aus der «Zürcher Chronik» 1485-1486 von Gerold Edlibach (1454-1530)
Greifensee 1444: Belagerung - Mordnacht von Greifensee am 28. Mai 1444 - Gedenkkapelle. Aus der «Zürcher Chronik» 1485-1486 von Gerold Edlibach (1454-1530)

Auch die «Die Grosse Freiburger Chronik des Franz Rudella» geht kurz auf die Belagerung und das Massaker an der Zürcher Besatzung von Greifensee ein: « ... Das ward uffgeben und Wildhans von der Breyten Landenberg, deren von Zürich houptman, unnd mitt im einundsechzig man, so darinn lagend, gfangen und alle enthouptet am donstag vor pfingsten ... »

Nur drei Monate nach der Bluttat von Greifensee, am 26. August 1444, wurden die bei der Schlacht bei St. Jakob an der Birs gegen die Armagnaken kämpfenden Eidgenossen bis auf den letzten Mann aufgerieben. Strafe Gottes für die Untat von Greifensee, interpretierte der Volksmund, und jedesmal wenn das "Kriegsglück" die Eidgenossen im Stich liess, glaubten selbst diese abgebrühten Kriegsleute, vom schlechten Gewissen für ihr Verhalten in Greifensee geplagt, von Gottes Hand bestraft zu werden.

Wenige Jahre nach dem Massaker wurde auf der Richtstätte eine hölzerne Kapelle errichtet, eine spätere Pilgerstätte, in der am Dienstag vor Pfingsten eine Totenmesse gelesen wurde.

Bereits vier Jahrzehnte später, als Edlibach seine «Zürcher Chronik» 1485-1486 niederschrieb, wurde das Massaker auf der Blutmatte in Nänikon glorifiziert und ist von Legenden umrankt: So soll über jedem der 62 enthaupteten Verteidiger von Greifensee ein schneeweisser Vogel erschienen sein und dort, wo die Häupter der geköpften Besatzung in einem Kreis aufgereiht wurden, sei lange kein Gras mehr gewachsen.

Gottfried Keller verarbeitete 1877 den Stoff von Wildhans von Breitenlandenberg, des «sagenhaften Helden von Greifensee» und seines Innerschweizer Kontrahenten, Ital Reding, dem Salomon Landolt gewidmeten «Der Landvogt von Greifensee» im ersten Band der Züricher Novellen.

Am Standort der einstigen Kapelle kennzeichnenen heute eine Linde und einfache Steinpyramide mit einer Bronzetafel den Ort des Massakers in Nänikon.

Belagerung von Greifensee

Die Eidgenössischen Heerhaufen fielen nach den erfolglosen Friedensverhandlungen in Baden abermals in die Zürcher Landschaft ein, und am 1. Mai 1444 wurde der Flecken (Städtchen) Greifensee, die letzte ausserhalb der Stadt Zürich befestigte Zürcher Bastion erreicht.

Die zahlenmässig nicht bezifferte Streitmacht der Eidgenossen stammte aus der Waldstätte (Uri/Schwyz/Nidwalden), aus Zug, Luzern, Glarus, Bern und Appenzell und wurde bereits beim Anrücken auf Städtchen und Schloss Greifensee am 1. Mai 1444 entdeckt. Die Zürcher Besatzung, unter dem Kommando von Hauptmann Wildhans von Breitenlandenberg, soll sich schon beim ersten Angriff tapfer verteidigt haben und eine unbekannte Zahl der Angreifer sei durch Beschuss getötet und viele seien verwundet worden - berichtet der Schwyzer Chronist und Augenzeuge Fründ.

Die zu Beginn der Belagerung rund 70 Verteidiger sahen sich angesichts der feindlichen Übermacht zahlenmässig nicht in der Lage, Städtchen und Burg Greifensee zu halten - die Besatzung legte nach 12 Tagen Belagerung im Städtchen Feuer, um es nicht in die Hände der Angreifer fallen zu lassen und «verbrantent das in grund und was darinne was von rossen, rindren, kuyen, und anders vich und vil guotz von korn und habern, das die lüt darin geflöknet hattend».

Frauen und Kinder sollen zwar vor dem Anrücken der innerschweizerischen Angreifer in die Stadt Zürich evakuiert worden zu sein, jedoch bei weitem nicht alle, wie nochmals in der Chronik des Augenzeugen Fründ zu lesen ist: «die armen frowen mit den kinden zuo den löchern, kellern und venstern herus mit iren kinden und hulfend einandren herus, als sy mochtent, und kamen also arm, nakend und blos in bösen kleidern herus zuo den eidgenossen in grosser betrüobnusse» und «und wer das gross jämerlich elend sach, der muost wol erbärmende und mitlyden mit inen han». Mit den Familien der Verteidiger zeigten die angreifenden Eidgenossen immerhin Erbarmen und brachten diese 46 Kriegsopfer nach Uster in Sicherheit, mit zwei Mann Begleitschutz, darunter der Chronist Fründ.

Die Verteidiger zogen sich in das damals noch direkt am Greifensee gelegene Burganlage zurück und verbarrikadierten sich. Weitere zwei Wochen wurden sie erfolglos belagert, und im gegenseitigen Beschuss erlitten die Angreifer empfindliche Verluste, aber die Beschiessung blieb angesichts der 4-4,5 Meter dicken Burgmauern wirkungslos, so eine Aussage aus der Chronik Edlibach «den alles schiessen wz nüt anders den het man mit einner schneballen daran geworffen».

Ein "Verräter" aus dem Amt Greifensee habe den Eidgenossen geraten, Schloss Greifensee zu untertunneln - die damalige Burg wurde auf einem rund 3 Meter hohen Molassefelsen errichtet - um damit das Gemäuer zum Einsturz zu bringen und gezeigt, dass die Mauern auf der Seeseite am dünnsten seien.

Während die eidgenössischen Mineure zutage waren, lösten die Verteidiger den massiven Altarstein aus der Schlosskapelle, kippten ihn auf das Schutzdach der Mineure und erschlugen damit die darunter befindlichen Eidgenossen.

Dieser neuerliche Misserfolg bei der Belagerung erregte "Wut und Zorn" bei den Angreifern, und sie setzten ihre Mineurarbeiten mit einem neuen hölzernen Schutzdach fort. Die an dieser Stelle ca. 4 Meter breite Mauer gab nach, und die Belagerer standen kurz davor, den auf diese Weise unter dem Schloss vorgetriebenen Tunnel und damit das Schloss zum Einsturz zu bringen - im Schloss fand sich kein genügend grosser Stein mehr, um die Mineure damit nochmals an ihrem Vorhaben zu hindern.

Gemäss dem Chronisten Fründ sollem an diesem Dienstag vor Pfingsten, dem 26. Mai 1444, die Belagerten die Kapitulation angeboten haben, ja mit den Angreifern sogar erstmals überhaupt verhandelt haben, als ihre Lage aussichtslos wurde.

Die Bitte der Verteidiger, sie «auf Gnade» (ungeschoren) davonkommen zu lassen, lehnten die Eidgenossen ab, wütend über die erlittenen schweren Verluste. Nach einer anderen Quelle soll ihnen hingegen der freie Abzug zugesichert worden sein.

Am Abend des 27. Mai 1444 ergab sich die Zürcher Besatzung des Schlosses, nachdem sie wohl in Erwartung ihres Schicksals gebeichtet hatte, und musste das Schloss mit einer Leiter durch ein Fenster verlassen, da sie das Eingangstor des Schlosses für die Angreifer unüberwindbar verbarrikadiert hatte.

Die 62 (andere Quellen nennen 64 oder 61) überlebenden Verteidiger wurden gefangen genommen, gebunden und für die Nacht auf die «Örter», d.h. auf die Kontingente der an der Belagerung beteiligten Kantone aufgeteilt. Die Beutemeister der Eidgenossen plünderten «gros guot darin was von korn, haber, mel, fleisch, husplunder, bettgwand, harnasch (Harnische) büxsen (Mörser) und von andrem züg, armbrest (Armbrüste), pulver und desglich, doch lützel wins (nur wenig Wein!), die teiltend das in die örter der eidgenossen». und verwüsteteten daraufhin das Schloss.

Am 28. Mai 1444 wurden die gefangenen Verteidiger von Greifensee nach Nänikon auf die heutige «Blutmatte» gebracht und man liess sie dort beichten.

Das Blutbad

Der Chronist Fründ (als Augenzeuge unter den Eidgenossen) schildert die Hinrichtung von 62 Greifenseer Verteidigern nur mit drei Sätzen, Edlibach berichtet ausführlicher über die offenbar längeren Beratungen der Eidgenossen vor Beginn der Enthauptungen und über den ganzen Ablauf des grausigen Geschehens.

Ital Reding, der Anführer der Eidgenossen, soll dafür plädiert haben, alle ausser dem in Schwyz geborenen Zürcher Stadtknecht Ueli Kupferschmid, dessen Bruder sich unter den Eidgenossen befand, umzubringen. Ein anderer (Anführer) habe vorgeschlagen, alle Verteidiger (mehrheitlich Bauern und wohl einige Fischer) aus dem Amt Greifensee laufen zu lassen, da diese nur ihre Pflicht getan hätten, die Söldner hingegen umzubringen. Eine besonnene Stimme trat für die Begnadigung aller ein, auch des Hauptmanns Wildhans von Breitenlandenberg.

Gegen den Rat der Vernunft gewann der Hass schliesslich die Oberhand, zu gross war wohl der Groll über die während der Belagerung erlittenen schweren Verluste und das Gefühl der Demütigung ob der einen Monat lang währenden Belagerung gegen nur 70 wohl mehrheitlich aus bäuerlichen Familien stammende Verteidiger.

Mit Mehrheitsbeschluss wurde entschieden, die ganze Schlossbesatzung umzubringen. Als erste wurden Wildhans von Breitenlandenberg und seine beiden Stadtknechte enthauptet.

Edlibach schreibt, der Scharfrichter beanspruchte sein zehntes Opfer gemäss kaiserlichem Recht für sich und wolle ihn verschonen. Ital Reding habe ihm jedoch befohlen weiterzufahren, denn hier gelte Landrecht und nicht kaiserliches Recht. Die gleiche Szene habe sich beim zwanzigsten und beim dreissigsten Opfer abgespielt.

Ob diese Schilderung der historischen Realität entspricht, wurde vom Historiker Dändliker bezweifelt, in der Annahme, Edlibach als Zürcher habe den Berner Scharfrichter (aus bündnispolitischen Gründen) als humaner dargestellt, um den Schwyzer Reding in einem umso schwärzeren Licht erscheinen zu lassen. Ungeachtet dessen gingen die Enthauptungen unentwegt weiter, die letzten wurden bei Fackellicht vollzogen.

Auf dem Schauplatz des Massakers müssen sich erschütternde Szenen abgespielt haben, denn Väter, Mütter und Ehefrauen samt Kindern der Todgeweihten flehten die Anführer der Eidgenossen weinend an, Gnade mit ihren Opfern zu zeigen, Erbarmen mit der Not der Hinterbliebenen zu haben, denn mit der Hinrichtung raubten sie den Familien ihre Ernährer. Alles Bitten sei umsonst gewesen. Ob es an der erbarmungslosen Härte von Reding lag, der die Hinrichtungen vielleicht gar gegen den Widerstand der Vernünftigen unter den Eidgenossen weiter durchgesetzt haben könnte, bleibt ungeklärt.

Es muss allen Beteiligten aber bewusst gewesen sein, mit ihrer Tat wohl die Mehrheit der Amtsbevölkerung im Mannesalter hinzurichten und die hinterbliebenen bäuerlichen Familien einem ungewissen Schicksal zu überlassen.

Vielleich gerieten die "Siegreichen" ob des grossen Blutzolls für die Erstürmung von Schloss Greifensee in einem Blutrausch und waren sich ihres Tuns nicht mehr bewusst. Immerhin gab es unter den anwesenden Innerschweizern manchen, den das Geschehen auf der Richtstätte erschütterte. «Dann es was wol ein harte klegliche not, es war ouch nit mänglichem glich lieb, das man so vil lüt töt nach gestalt und gelegenheit der sach... »

62 Verteidiger starben bis zum Abend des 28. Mai 1444 durch das Schwert des Scharfrichters, nur die ältesten Männer «mit grisen bärten» (Fründ) und die jüngsten, noch im Knabenalter stehenden, insgesamt zehn (andere Quellen sprechen von zwei Überlebenden), blieben gemäss Chronist Fründ verschont.

Es sei das Erbärmlichste gewesen, das man je gesehen habe, schreibt der Augenzeuge Fründ. Die Hingerichteten seien zu einem guten Teil nur arme und am Krieg unschuldige Bauersleute gewesen.

Die Leichen von Hauptmann Wildhans von Breitenlandenberg und seiner beiden Stadtknechte wurden am 30. Mai 1444 nach Turbenthal, in die Heimat der Landenberger, gebracht und dort begraben. Alle andern Leichen wurden nach Uster überführt, wo der residierende und im Alten Zürichkrieg neutrale Freiherr von Bonstetten für sie die letzte Ruhestätte zur Verfügung stellte.

Am 31. Mai 1444 verbrannten und schleiften die Eidgenossen Schloss Greifensee und am Pfingstmontag, dem 1. Juni 1444, zogen sie ab, um nach weiteren Verwüstungen des Zürcher Umlands die Stadt Zürich (erfolglos) zu belagern und nur einige Wochen später dem Tod an der Birs zu begegnen ...

Greifensee blieb während 70 Jahren eine Ruine und Steinbruch, und die Reste der Burg wurden ab ca. 1514 oder 1520 als Schloss Greifensee und Amtssitz der Landvogtei wiederaufgebaut. Vom ehemaligen Städtchen überstanden die Gallus-Kapelle (ca. 1330-1340 erbaut) - die heutige reformierte Pfarrkirche - und das in unseren Tagen als Gemeindezentrum genutzte Landenberghaus - um 1250 vermutlich als Wohnhaus der Burgherrschaft erbaut - die Tragödie von Greifensee, über das Schicksal der Hinterbliebenen schweigen die Chronisten. Eine tragende Rolle beim Wiederaufbau von Greifensee spielte übrigens wiederum Gerold Edlibach.


Quellen

  • Chronik von Hans Fründ, Augenzeuge der Belagerung von Greifensee auf Seite der Eidgenossen (Druck 1875)
  • Chronik von Gerold Edlibach, 1504-1506 Vogt von Greifensee (Druck 1847)
  • «Die Geschichte der Gemeinde Nänikon», Pfr. Heinrich Bühler, 1922
  • «Die Grosse Freiburger Chronik des Franz Rudella» Edition nach dem Exemplar des Staatsarchivs Freiburg, Freiburg, 2005
  • Die Schweizer Schlösser
  • Historisches Lexikon der Schweiz
  • «Schweizergeschichte», Karl Dändliker, 1885
  • «Zürich 600 Jahre im Bunde der Eidgenossen», Alfred Cattani, 1951.

Webseiten

  • Website der Gemeinde Greifensee - "Die Bluttat von Greifensee" von Diethelm Zimmermann war eine grosse Hilfe mit Zitaten der Chronisten und weiteren Quellenangaben