Arbeiterbewegung
Der Begriff Arbeiterbewegung hat zwei Bedeutungsebenen.
- Unter Arbeiterbewegung in einem weiteren Sinn versteht man soziale Massenbewegungen in sich industrialisierenden oder industrialisierten Gesellschaften, die getragen von Lohnabhängigen und ihren Familien die Emanzipation der Arbeiterschaft oder die konkrete Verbesserung der Lebensbedingungen anstrebt. In diesem weiten Sinn gehören auch soziale Unruhen, Proteste, wilde Streiks u.ä. ohne organisatorische Verfestigung zur Arbeiterbewegung.
- Arbeiterbewegung im engeren Sinn meint den organisatorischen Zusammenschluss von Arbeitern zur Verbesserung ihrer sozialen Lage und der Erkämpfung politischer Rechte.
Organisationsformen
Die Arbeiterbewegung im engeren Sinn besteht insbesondere in Mitteleuropa typischerweise aus vier Grundtypen: 1. Die Gewerkschaften sind die Interessenvertretungen der Beschäftigten in den Betrieben und kümmern sich um Löhne, Arbeitsbedingungen u.ä. 2. Arbeiterpartei als politische Organisationen. In den meisten Fällen haben diese u.a. marxistische Wurzeln (sozialistische, sozialdemokratische oder kommunistische Parteien), 3. Genossenschaften (z.B. Konsumgenossenschaften, Wohnungsbaugenossenschaften) als Selbsthilfeorganisationen. 4. Freizeit- und Bildungsvereine (z.B. Arbeiterbildungsvereine, Arbeitersportvereine u.ä.)
Voraussetzungen
Eine zentrale Voraussetzung für das Entstehen der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen waren die den Arbeitern gemeinsamen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Erfahrungen. Dazu zählen vor allem die Erfahrung der Industriearbeit und die innerbetrieblichen Machtverhältnisse aber auch die Lebenserfahrung in den proletarischen Wohnquartieren der rasch wachsenden Städte.
Geschichte
Den Anfang der Arbeiterbewegung bildeten die Maschinenstürmer der Luddites im England der Industriellen Revolution.
Die Entstehung der Arbeiterbewegung ist eng mit den Barrikadenkämpfen der Revolutionen der 1840er Jahre in verschiedenen europäischen Ländern verbunden. Karl Marx und Friedrich Engels waren die Theoretiker der sozialistisch-kommunistischen Strömung innerhalb der Arbeiterbewegung. Sie führten den 1847 in London aus dem Bund der Gerechten hervorgegangenen Bund der Kommunisten an, in dessen Auftrag sie im Februar 1848 das Manifest der Kommunistischen Partei veröffentlichten. Dieses Manifest wurde mit seinem internationalistischen Anspruch unter dem Motto „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ zur Grundlage der parteipolitisch organisierten sozialistischen bzw. später explizit kommunistischen Arbeiterbewegung.
Im Deutschen Bund gründete Ferdinand Lassalle 1863 mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) die erste, noch genossenschaftlich orientierte Arbeiterpartei Deutschlands. Wilhelm Liebknecht und August Bebel begründeten 1869 mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) eine an der marxistischen Theorie ausgerichtete sozialdemokratische Partei. ADAV und SDAP vereinigten sich 1875 zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), aus der 1890 die SPD hervorging. Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts war die Sozialdemokratie in Deutschland und den meisten anderen Staaten noch eng mit der noch jungen Gewerkschaftsbewegung verknüpft, und in ihren wesentlichen Inhalten noch deutlich an der marxistischen Theorie ausgerichtet.
Am Anfang des 20. Jahrhunderts gab es sozialdemokratische, kirchliche, sowie sozialistische, kommunistische und anarchistische Arbeiterinnenvereine. Zu ihren wichtigen Begründerinnen gehören Rosa Luxemburg, Clara Zetkin, Luise Zietz und Marie Juchacz.
Forderungen
Zu den wichtigsten Forderungen der frühen Arbeiterbewegung gehörten ein menschenwürdiges Dasein, also Mindestlöhne, der "Achtstundentag", die "Fünf-Tage-Woche", Arbeitsschutz, der Kündigungsschutz und die Absicherung bei Krankheit und Arbeitslosigkeit. Diese Errungenschaften wurden durch Verhandlungen, Öffentlichkeitsarbeit, aber auch durch Streiks Stück für Stück erkämpft.
Siehe auch
- Arbeiterpartei, Kapitalismuskritik, Kapitalismus, Arbeitersport in Deutschland, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung, Museum der Arbeit, Arbeiterbildung
Nach Ländern
Literatur
- Wolfgang Abendroth: Einführung in die Geschichte der Arbeiterbewegung. Von den Anfängen bis 1933 Distel Verlag, 3. Auflage, Heilbronn 1997, ISBN 3-929348-08-X
- Brecher, Jeremy: Streiks und Arbeiterrevolution : amerikan. Arbeiterbewegung 1877 - 1970 - Gekürzte Ausg. (Vom Verf. autoris.). Dt. Erstausg.. - Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1975 Original: Strike!: Revised and Updated Edition (South End Press Classics) 1997
- Peter Decker / Konrad Hecker: Das Proletariat, ISBN 3-929211-05-X
- Dieter Dowe: Aktion und Organisation : Arbeiterbewegung, sozialistische und kommunistische Bewegung in der preußischen Rheinprovinz 1820- 1852 Hannover : Verlag für Literatur und Zeitgeschehen, 1970 (Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung ; 78)
- Ders.: Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, sozialistischen und kommunistischen Bewegung von den Anfängen bis 1863 unter Berücksichtigung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen : Mit einer Einleitung. Berichtszeitraum 1945-1971 (1975), Bonn-Bad Godesberg : Verl. Neue Gesellschaft, 1976.(Archiv für Sozialgeschichte : Beiheft ; 5)
- Arno Klönne: Die deutsche Arbeiterbewegung. Geschichte - Ziele - Wirkungen, Broschiert - 390 Seiten - DTV, Mchn. ISBN 3423110732
- Beverly Silver: Forces of Labor. Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870. Assoziation A, Berlin 2005, ISBN 3-935936-32-X
- Stefan Berger, Die europäische Arbeiterbewegung und ihre Historiker. Wandlungen und Ausblicke in: Jahrbuch für europäische Geschichte 6 (2005), S. 151-181