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Günter Grass

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Günter Grass, 2004

Günter Grass (eigentlich: Graß; * 16. Oktober 1927 in Danzig) ist ein deutscher Schriftsteller, Bildhauer, Maler und Grafiker. Grass gilt als zentraler Vertreter des insbesondere von Nachkriegsautoren der Gruppe 47 vertretenen Paradigmas der littérature engagée. Im Jahr 1999 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

Lebenslauf

Günter Grass wurde am 16. Oktober 1927 als Günter Graß in Danzig-Langfuhr geboren. Er stammt aus einer Kaufmannsfamilie. Im Zweiten Weltkrieg meldete er sich als 15-jähriger freiwillig zur Wehrmacht und wollte U-Boot-Soldat werden. Nach Ableistung des Arbeitsdienstes 1944 wurde er in die Division „Frundsberg“ der Waffen-SS eingezogen. Nach Kriegsende verblieb er bis 1946 in US-amerikanischer Gefangenschaft.

Grass hatte seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS erst im August 2006 eingeräumt, zuvor hieß es in den veröffentlichten Biografien des Schriftstellers stets, er sei 1944 Flakhelfer geworden und danach als Wehrmachtssoldat einberufen worden.[1] Mit dem Bekenntnis zu seiner Vergangenheit begann im deutschen Feuilleton eine Debatte um Grass' Rolle als moralische Instanz im Nachkriegsdeutschland.

In der Kriegsgefangenschaft im Lager Bad Aibling, so Grass' Erinnerung, habe er den heutigen Papst Benedikt XVI. kennengelernt - als Freund und Kumpan beim Knobeln.

In den Jahren 1947/48 absolvierte er ein Praktikum bei einem Steinmetz in Düsseldorf. Danach studierte er von 1948 bis 1952 an der Kunstakademie Düsseldorf Graphik und Bildhauerei. Seinen Lebensunterhalt verdiente er zusammen mit dem später bekannten Maler Herbert Zangs als Türsteher im Lokal Ciskos auf der Andreasstraße in der Düsseldorfer Altstadt. Später verewigte er Herbert Zangs, der wie Grass im Krieg Soldat war, als eigenwilligen Maler Lankes in der Blechtrommel. Das Studium setzte er von 1953 bis 1956 an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin als Schüler des Bildhauers Karl Hartung fort. Danach lebte er bis 1959 in Paris. 1960 zog er erneut nach Berlin-Friedenau, wo er bis 1972 wohnen blieb. Von 1972 bis 1987 lebte er in Wewelsfleth in Schleswig-Holstein.

1954 heiratete Grass die Schweizer Ballettstudentin Anna Schwarz. Die Ehe wurde 1978 geschieden. 1979 heiratete er in zweiter Ehe die Organistin Ute Grunert.

In den Jahren 1956/57 begann Grass neben ersten Ausstellungen von Plastiken und Graphiken in Stuttgart und Berlin schriftstellerisch tätig zu werden. Bis 1958 entstanden vor allem Kurzprosa, Gedichte und Theaterstücke, die Grass dem poetischen oder absurden Theater zuordnet. In einer sehr bildlichen Sprache ist auch der 1959 erschienene Roman Die Blechtrommel geschrieben, der später von Volker Schlöndorff verfilmt wurde.

Für den Roman erhielt er 1958 den Preis der Gruppe 47, deren Mitglied er seit 1957 war. 1960 wollte die Jury des Bremer Literaturpreises Grass für die Blechtrommel prämieren, was aber vom Bremer Senat verhindert wurde. In diesem Jahr und dem folgenden wurde der Preis nicht verliehen.

Mit der Blechtrommel, in der er erstmals historisch reale Ereignisse mit seiner surreal-grotesken Bildersprache konfrontiert, hatte Grass seinen Stil gefunden. Als einer der ersten deutschsprachigen Schriftsteller stellte er sich den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs, entschied sich bewusst für die gegenständliche Beschreibung des historischen Kontexts, anstatt gemäß dem damals herrschenden Trend ins rein Formale auszuweichen. So schaffte er gleich mit seinem ersten Roman den Durchbruch und wurde international wahrgenommen und gefeiert.

Sein ebenfalls im Danzig des Zweiten Weltkriegs spielendes zweites Buch Katz und Maus, in dem er die Geschichte des Jungen Joachim Mahlke erzählt, wurde dagegen zunächst Anlass eines Skandals. Hauptsächlich wegen einer „Onanierszene“ beantragte der Hessische Minister für Arbeit, Volkswohlfahrt und Gesundheitswesen 1961 bei der Bundesprüfstelle, die Novelle wegen unsittlichen Inhalts zu indizieren. Auf Protest der Öffentlichkeit und anderer Schriftsteller wurde der Antrag allerdings wieder zurückgezogen.

1967: In der Wohnung von Grass' Nachbarn und Freund Uwe Johnson in Berlin-Friedenau, der sich zu jener Zeit in New York aufhielt, nistete sich die Kommune 1 ein, die von dort aus das Pudding-Attentat auf US-Vizepräsident Hubert H. Humphrey plante. Das Attentat scheiterte zwar, führte aber immerhin zu einem beachtlichen Medienspektakel. Auf Bitte Johnsons, der zu der Zeit nicht in Deutschland weilte, ließ Günter Grass die Wohnung von der Polizei räumen.

Grass unterstützte oft die SPD in den Wahlkämpfen und wurde 1982 deren Mitglied. Mit seinen Ansichten eckte er jedoch auch innerhalb der SPD oftmals an. So äußerte er sich in Kurze Rede eines vaterlandslosen Gesellen (Die Zeit, 9. Februar 1990, S. 61) ablehnend zur Form der Vereinigung der DDR mit der Bundesrepublik Deutschland und schlug einen dritten Weg vor, der auf einen konföderierten Zweistaatenbund zielte und die einstige DDR vor "Vereinnahmung" durch den Westen "schützen" bzw. ihr eine originär eigene demokratische Entwicklung auf Grundlage bewahrenswerter Aspekte der DDR-Lebenswirklichkeit ermöglichen sollte. 1992 kündigte Grass seine SPD-Mitgliedschaft wieder auf.

Seine ungewöhnliche Zusammenarbeit mit dem Jazzmusiker Günter Sommer ab 1985 brachte mehrere Tonträger hervor, auf denen der Schriftsteller zur Perkussionsmusik Sommers aus seinen Werken liest.

Günter Grass ist offizieller Unterstützer der LSVD-Aktion 1:1, die sich für gleiche Rechte und Pflichten bei einer Lebenspartnerschaft einsetzt.

Tadeusz Różewicz und Günter Grass, 2006

Grass war 1996 Mitunterzeichner der Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform. Auch in neueren Werken verwendete Grass weiterhin die „alte“ Rechtschreibung.

1999 erhielt Günter Grass im Alter von 72 Jahren den Nobelpreis für Literatur für sein Lebenswerk.

2005 gründete er den Autorenzirkel "Lübecker Literaturtreffen"/"Lübeck 05".

2006 erhielt er den Brückepreis

Günter Grass lebt heute in der Nähe von Lübeck. In der Hansestadt selbst befindet sich das Günter-Grass-Haus mit dem überwiegenden Teil seiner literarischen und künstlerischen Originalwerke.

Gegen das Vergessen

Grass' Intention seiner Werke ist das "Schreiben gegen das Vergessen", weswegen seine Werke das Thema des Nationalsozialismus thematisieren bzw. vor dessen Hintergrund handeln. Auch die Werke Grass', die in der Nachkriegszeit handeln (beispielsweise Im Krebsgang (2001)), behandeln immer wieder die Thematik des Vergessens und die der Schuld.

Durchgehend kommentiert Grass das gesellschafts-, wirtschafts-, außen- und innenpolitische Tagesgeschehen. Auch bei komplexen politischen Sachverhalten hält Grass stets einfache Antworten bereit, bei denen Opfer (z.B. DDR-Bürger, Moslems) und Täter (z.B. Amerikaner) leicht identifiziert werden können, Zweifel sind seine Sache nicht. Deutlich wird dies z.B. bei der Kommentierung aktuellerer Ereignisse wie die Das Gesicht Mohammeds: "Woher nimmt der Westen diese Arroganz, vorzugeben, was gemacht werden muß und was nicht?" [2].

Verhältnis zum Springer-Konzern

Um das seit 1967 bestehende Missverhältnis zwischen der Gruppe 47 und der Axel Springer AG beizulegen, unternahm deren Vorstandschef Mathias Döpfner 2006 einen Vorstoß bei Grass. Dieser hielt sich weiterhin an den von der Gruppe im Oktober 1967 beschlossenen Boykott von Springer-Zeitungen. Die Schriftsteller befürchteten eine "Einschränkung und Verletzung der Meinungsfreiheit" und eine "Gefährdung der Grundlagen der parlamentarischen Demokratie in Deutschland" durch die Marktmacht des Konzerns.

Grass hatte nach Jahrzehnten zu verstehen gegeben, von dem Boykott abzurücken, wenn sich der Konzern für die verletzende Art entschuldige, mit der die Zeitungen des Konzerns das Werk von Heinrich Böll begleitet hätten. Grass erklärte sich bereit, Döpfner in seinem Haus in Behlendorf bei Lübeck zu empfangen. Das Treffen fand am 27. März 2006 statt. Es blieb nach Angaben von Grass' Büro ohne Ergebnis, doch solle das Gespräch fortgesetzt werden.

Rezeption

Grass' Werk wurde und wird vielfach angefeindet, besonders die Darstellung sexueller Vorgänge oder politische Äußerungen verursachten Empörung. Dennoch werden manche seiner Werke durchaus als Teil des literarischen Kanons betrachtet.

Grass' Äußerungen in jüngster Zeit zur Reaktion von Muslimen auf Karikaturen dänischer und französischer Zeitungen sind umstritten.

Auszeichnungen

Neben dem Nobelpreis für Literatur (1999) hat Grass noch etliche Auszeichnungen erhalten, von denen im Folgenden einige genannt werden.

1965 wurde Grass der Georg-Büchner-Preis verliehen, „für sein Werk in Lyrik und Prosa, worin er kühn, weitausgreifend und kritisch das Leben unserer Zeit darstellt und gestaltet.“ 1967 wurde er mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet. 1994 verlieh ihm die Bayerische Akademie der Schönen Künste ihren Großen Literaturpreis. 1995 wurde Grass mit der Hermann-Kesten-Medaille ausgezeichnet, im Jahr darauf mit dem Thomas-Mann-Preis der Stadt Lübeck und dem Samuel-Bogumil-Linde-Preis. 1999 ehrte ihn Spanien mit dem Prinz-von-Asturien-Preis für Geisteswissenschaften und Literatur. Seit 2005 ist er Ehrendoktor der Freien Universität Berlin.
Er ist Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Danzig.

Zitate

„Entsetzt sehen wir, dass der Kapitalismus, seitdem sein Bruder, der Sozialismus, für tot erklärt wurde, vom Größenwahn bewegt ist und sich ungehemmt auszutoben begonnen hat.”
(Günter Grass in der Nobelpreisrede).

„Mein Blick vom Grubenrand ist der Blick auf eine offene, nicht mehr verheilende Wunde.”
(Günter Grass beim Besuch eines Braunkohletagebaus)

„Halt's Maul! Trink deinen Rotwein, fahr' in die Ferien, such' dir eine sinnvolle Beschäftigung.”
(Oktober 1999 zu Oskar Lafontaine, der die rot-grüne Koalition kritisiert, zitiert nach Berlin-Online)

„Bin Laden ist von der CIA ausgebildet worden, beziehungsweise mit Geldern von dort, gemeinsam mit anderen Mudschahidin.” (Spiegel-Online, 10. Oktober 2001)

„Wir alle wissen, dass die USA mit ihrem Geheimdienst CIA eine kriminelle Organisation unterhalten, aber nur wenige sagen dies auch.”
(21. Januar 2006 auf einer Diskussion der spanischen Prinz-von-Asturíen-Stiftung, zitiert nach n-tv)

„Im Westen wird derzeit selbstgefällig die Diskussion über den Grundsatz geführt, daß wir das Recht auf eine freie Presse genießen. Aber wer hier nicht Selbstbetrug betreibt, weiß genau, daß die Zeitungen von Anzeigen leben, und daß sie Rücksicht darauf nehmen, was bestimmte wirtschaftliche Kräfte diktieren. Die Presse selbst ist Teil enormer Unternehmensgruppen, welche die öffentliche Meinung monopolisieren. Wir haben das Recht verloren, unter dem Recht auf freie Meinungsäußerung Schutz zu suchen.” (El PAIS Interview, zitiert nach Die Welt, 10. Februar 2006)

„Gegenwärtig sind wir – was sich nicht als Gewinn erwiesen hat – nur noch der Hybris einer einzigen Großmacht ausgeliefert, die auf der Suche nach einem neuen Feind fündig geworden ist. Den von ihr mitverschuldeten, weil – siehe Bin Laden – gezüchteten Terrorismus will sie mit Waffengewalt besiegen. Doch der von ihr gewollte und die Gesetze der zivilisierten Welt mißachtende Krieg fördert den Terror und kann nicht enden.”
(Günter Grass bei der Eröffnung des 72. Internationalen P.E.N.-Kongresses am 23. Mai 2006 in Berlin)

Werke

Erzählendes Werk

Dramen

  • Die bösen Köche. Ein Drama. (1956)
  • Hochwasser. Ein Stück in zwei Akten (1957)
  • Onkel, Onkel. Ein Spiel in vier Akten. (1958)
  • Die Plebejer proben den Aufstand. (1966)

Lyrik

  • Die Vorzüge der Windhühner (1956)
  • Gleisdreieck (1960)
  • Ausgefragt (1967)
  • Gesammelte Gedichte (1971)
  • Lyrische Beute (2004)

Sonstiges

  • (mit Pavel Kohout) Briefe über die Grenze. Versuch eines Ost-West-Dialogs. (1968)
  • Über das Selbstverständliche. Reden - Aufsätze - Offene Briefe - Kommentare. (1968)
  • Der Bürger und seine Stimme. Reden Aufsätze Kommentare. (1974)
  • Denkzettel. Politische Reden und Aufsätze 1965-1976. (1978)
  • Widerstand lernen. Politische Gegenreden 1980–1983. (1984)
  • Zunge zeigen. Ein Tagebuch in Zeichnungen. (1988)
  • Rede vom Verlust. Über den Niedergang der politischen Kultur im geeinten Deutschland. (1992)
  • Ein Schnäppchen namens DDR. Letzte Reden vorm Glockengeleut. (1993)
  • Rede über den Standort (1997 Rezension)
  • Zeit, sich einzumischen. Die Kontroverse um Günter Grass und die Laudatio auf Yasar Kemal in der Paulskirche (1998 Rezension)
  • Vom Abenteuer der Aufklärung. Werkstattgespräche mit Harro Zimmermann. (1999 Rezension)
  • Günter Grass - Helen Wolff. Briefe 1959 - 1994. (2003 Rezension)
  • Hans Christian Andersens Märchen - gesehen von Günter Grass (2005 Rezension)

Literatur

  • Volker Neuhaus: Günter Grass. 2. Auflage. Metzler-Verlag, Stuttgart 1993. ISBN 3-476-12179-8
  • Heinrich Vormweg: Günter Grass. 9. Auflage. Rowohl-Verlag, Reinbek 2002. ISBN 3-499-50559-2
  • Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Günter Grass. TEXT + KRITIK. Zeitschrift für Literatur, H. 1, 7., revidierte Aufl. 1997. edition text + kritik. ISBN 3-88377-564-9

Zeugnisse

„Grass' Geheimnis liegt in dem prekären und einzigartigen Gleichgewicht, das er zwischen seiner anarchischen Einbildungskraft und seinem überlegenen Kunstverstand herzustellen vermocht hat.“ Hans Magnus Enzensberger

Siehe auch

Quellen

  1. Günter Grass war Mitglied der Waffen-SS. Die Welt, 11. August 2006
  2. Beitrag in der FAZ