Zum Inhalt springen

Schweizer Réduit

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 12. August 2006 um 17:56 Uhr durch 84.57.42.45 (Diskussion) (Anfänge des Schweizer Réduits). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Während des 2. Weltkriegs wurde das Réduit in den Schweizer Alpen (Réduit National) zum Inbegriff des Widerstands der Schweiz gegen das Dritte Reich. Zum einen ihres Widerstandswillens, zum anderen der militärischen Widerstandsfähigkeit der Schweizer Armee in der Alpenfestung.

Getarnte Turmkanone einer Schweizer Festung
Getarnte Schiesscharten der Sperre Euschels (CH/FR) Zitat: Die Werke auf dem Euschels gehören zum Besten was im Raum der 1. Div. gebaut wurde. (Persönlicher Stab des Generals 19.6.1944)
Datei:Jaunbunker.jpg
Getarnte Schiesscharte (Pak) der verbunkerten Sperre Jaun (CH/FR)

Anfänge des Schweizer Réduits

Der Bau einer Festung am Alpenübergang über den Gotthard begann bereits 1886, kurz nach Eröffnung der Gotthardbahn. Diese Alpenfestung nach den Plänen von Generalstabschef Max Alphons Pfyffer von Altishofen wurde bis 1920 erweitert in den Räumen Airolo, Andermatt, Oberalppass sowie Furka- und Grimselpass. Der Schweizer Generalstab sah nach dem Ende des Ersten Weltkrieges jedoch keine Notwendigkeit mehr, sich auf einen großen Angriff vorzubereiten. In der Zwischenkriegszeit war man mehrheitlich der Meinung, Befestigungen hätten ihre militärische Bedeutung verloren. Die Errichtung der französischen Maginot-Linie von der Schweizer Grenze bis an den Ärmelkanal ab dem Jahre 1930 und ähnlicher Anlagen in der Tschechoslowakei, Holland und Belgien, ließ dann aber auch beim Schweizer Militär den Festungsgedanken wieder aufleben.

1934 folgte die Aufforderung an den Bundesrat, der Befestigungsfrage mehr Beachtung zu schenken. Dies fiel zeitlich zusammen mit einem Arbeitsbeschaffungsprogramm, das der Bundesrat 1934 vorbereitete. Mit dem Bau neuer Befestigungen konnte indes nicht sofort begonnen werden, da das Wissen um den Bau solcher Anlagen nicht mehr auf dem Stand der damaligen Waffentechnik und Strategie war. 1935 wurde darum das Büro für Befestigungsbauten wieder ins Leben gerufen, mit dem Auftrag, entsprechende Baugrundlagen und Techniken zu erarbeiten und zu testen. Ab 1937 war die Schweiz dann wieder bereit, dem Stand der Technik angepasste Befestigungsanlagen in Serie zu errichten. Die spätere Konzentration der Befestigungen auf den Alpenraum war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgesehen.

Errichtung neuer Befestigungen ab 1939

General Henri Guisan hat die Idee der Alpenfestung wiederbelebt und erweitert. Bei seinem Amtsantritt als General am 30. August 1939 gab es keine aktualisierten Operationspläne mehr. Kurz vor dem 2. Weltkrieg entstanden zunächst neue Festungen im Schweizer Grenzgebiet, wie in Vallorbe und am Rhein. Neue Anlagen wurden am Gotthard und in den bestehenden Festungen von St. Maurice und (weitgehend neu) in Sargans errichtet.

Das Réduit National als Antwort der Schweiz auf die Einkreisung 1940

Nach der Umzingelung der Schweiz nach dem Fall Frankreichs im Juni 1940 gab General Guisan am Rütlirapport vom 25. Juli 1940 den Plan bekannt, im Falle eines Angriffs der Achsenmächte die Verteidigung der Schweiz auf das Gebiet der Hochalpen mit den wichtigen Passübergängen, vor allem dem Gotthardmassiv zu konzentrieren und alle Zufahrten zu den Bergen notfalls zu zerstören.

Schon am 23. Juni 1940 - zwei Tage nach der Kapitulation Frankreichs - hatte Guisan den Befehl zur Einstellung der Befestigungsarbeiten in den bisherigen Stellungen erlassen. Nur noch letzte Fertigstellungsarbeiten sollten durchgeführt werden.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Befestigungsbau noch auf die Grenzzonen, Sargans, Linthebene, Limmatstellung, nördlicher Jura mit Hauenstein sowie St. Maurice konzentriert. Die Bauarbeiten umfassten neben eigentlichen Festungen auch Infanteriestände, Geschützstellungen, Panzerhindernisse, Kommandoposten, Militärstraßen, Unterkünfte usw..

Zwei dieser Gebiete - Sargans und St. Maurice - gehören als deren östlicher und westlicher "Eckpfeiler" auch zum Réduit, die übrigen Bereiche gehören zur "vorgeschobenen Stellung", die den größten Teil des Mittellandes umfasst. Diese vorgeschobene Stellung verlief von Sargans im Nordosten entlang Zürichsee und Limmat bis in den Raum Hauenstein von dort weiter westwärts über den Jura zum Jolimont zwischen Neuenburger See und Bielersee, weiter über den Wistenlacherberg und anschließend von Murten an die Saane.

Akzentuierung der Reduit-Strategie im Mai 1941

Mit dem Operationsbefehl Nr. 13 vom 24. Mai 1941 wurde die Konzentration auf die Verteidigung des Réduit noch verstärkt. Mit diesem Befehl wurde die vorgeschobene Stellung als operative Stellung aufgegeben, die endgültige Aufstellung praktisch der gesamten Schweizer Armee sollte fortan im Réduit erfolgen. Die Konzentration der Verteidigung auf das Réduit stand unter dem Eindruck des Balkanfeldzugs vom April 1941. Dabei hatte die deutsche Wehrmacht in nur 23 Tagen Jugoslawien und Griechenland überrannt; der Vorgang bestätigte einerseits die hochgradige Aggressivität des nationalsozialistischen Deutschlands, andererseits aber den geringen Verteidgungswert von Mittelgebirgen als Hindernisse gegen angreifende Panzertruppen. Die Schweizer Armeeführung, die noch über keine nennenswerte eigene Panzerwaffe verfügte, zog mit der weitestgehenden Konzentration der Landesverteidigung auf das Hochgebirge die logische Konsequenz.

Von der Grenze durchs Mittelland sollte im Kriegsfall also nur noch ein Verzögerungskampf geführt werden. Das dichtbevölkerte Mittelland und damit alle wirtschaftlichen Zentren des Landes wären notfalls rasch preisgegeben worden wären. Diese Konzentration der Verteidigung auf den Alpenraum war nicht unumstritten. Sie wurde in den folgenden Jahren nach weitgehender Fertigstellung der zentralen Befestigungen auch wieder abgeschwächt, indem auch im unmittelbaren Grenzgebiet und im Mittelland Tausende Sperren und Geländebestigungen aller Art und Größe erichtet wurden.

Die Grenze des Réduits

Verlauf und Abgrenzung des Schweizer Réduits unterlagen bis Mitte der 1990er Jahre der Geheimhaltung. Seit jeher war aber bekannt, dass das Réduit rund ein Viertel des Schweizer Territoriums umfasste, und de facto war auch der Umriss des Réduits im Großen und Ganzen schon seit langem öffentlich bekannt.

Die Zentralraumstellung umfasste im wesentlichen den Alpenraum ohne den größeren Teil Graubündens und weitgehend auch ohne das Tessin. Die südliche Grenze des Réduits bildete im westlichen Teil der Alpenhauptkamm (Walliser Alpen). Die nördliche Grenze wurde im Berner Oberland durch den Hohgant, Heiligenschwendi und den Thunersee, sowie den Unterlauf der Kander und die Stockhornkette gebildet. Entlang dieser Linie sind viele Geländebefestigungen, etwa Panzergräben und betonierte Höckersperren ("Toberlone-Sperren") noch heute zu sehen. Infolge des Befehls Nr. 13 wurde der eigentliche Festungsbau zunächst fast ganz auf den zentralen Alpenram konzentriert. Vor allem die Eingänge des Réduit im Westen (St. Maurice im Rhonetal) und im Osten (Sargans im Rheintal) wurden mit komplexen Festungssystemen massiv geschützt.

Baukosten bis 1945

Die Baukosten des Réduit bis zum Kriegsende 1945 beliefen sich laut einem Bericht der Luzerner Zeitung vom 10. Juni 2006 auf 657 Millionen Franken, das sind in heutiger Kaufkraft etwa acht Milliarden Franken. Ein großer Teil der dabei errichteten Bauten wurden im Zuge der Armeereformen seit 1995 aufgegeben und ihre Geheimhaltung aufgehoben, einige werden aber weiterhin militärisch genutzt.


Wichtigste Festungen und weitere Ausstattung

Zu den wichtigsten Festungen des Réduits gehörten die genannten Festungswerke Sargans und St-Maurice sowie der Sankt Gotthard als Zentrum des Réduits. Diese Anlagen waren mit aller notwendigen Infrastruktur ausgerüstet. Neben den Waffensystemen wurden auch die Unterkünfte, Küchen, Operationsstellen, Krankenzimmer und Bäckereien in die Festungen mit eingebaut.


Flugplätze im Réduit

Die Réduit-Strategie ließ wichtige Flugplätze außerhalb der zur Verteidigung vorgesehenen Grenzen. Unter großem Zeitdruck wurden darum im Berner Oberland mehrere neue Flugplätze geschaffen, ganz im Westen des Réduit bei Saanen, im Simmental die beiden Flugplätze St. Stephan und Zweisimmen, im Kandertal Reichenbach und Frutigen, schließlich im Zentrum Interlaken und Meiringen.

Die Anlagen Frutigen, Reichenbach, Zweisimmen, St. Stephan und Saanen wurden im Zuge der Armeereform von 1995 entweder aufgelassen oder sie werden seitdem zivil genutzt. Anfang der 1940er Jahre schätzte die Schweizer Bundesregierung die Kosten für die neu zu errichtende Flugplatzgruppe im Berner Oberland mit den fünf Plätzen Frutigen, Reichenbach, Zweisimmen, St. Stephan und Saanen auf 1,88 Millionen Franken. Geplant waren so genannte Feldstützpunkte mit Rasenrollfeldern und -pisten sowie einem kleinen Hangar, auf Flugzeughallen, Tanklager und Munitionsdepots wurde verzichtet. Die Kosten waren wegen der ungünstigeren topographische Bedingungen dennoch deutlich höher als bei den bis dahin gebauten Flugplätzen im Mittelland.

Ende November 1941 meldete das Kommando der Flieger- und Fliegerabwehrtruppen, dass die Flugplätze Reichenbach, Frutigen und Zweisimmen mit Pisten von jeweils 90 bis 100 m Breite und 800 bis 1000 m Länge "jederzeit verwendungsfähig" seien. Tatsächlich war zu diesem Zeitpunkt noch keiner der Plätze ganz fertiggestellt, nur Reichenbach war für alle Flugzeugtypen benutzbar. Noch im November 1942 hieß es, die Plätze seien bei anhaltendem Regenwetter "noch etwas weich und müssten geschont werden".

Änderung der Réduit-Strategie seit 1990/95

Die großen Festungswerke hatten Besatzungen von 100 bis 600 Mann. Diese große Zahl der für den Betrieb notwendigen Leute stand ab ca. 1990 in keiner Relation mehr zur Waffenwirkung aus den Anlagen, vor allem aber zur völlig veränderten Bedrohungslage seit dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts. Viele der Anlagen wurden vor allem seit der Armeereform von 1995 zurückgebaut. Einige wenige wurden in Museen umgewandelt und können besichtigt werden. Neben jenen Werken, in denen Waffen platziert waren, wurden auch Anlagen gebaut, um Verbrauchsgüter aufzunehmen. In diesen Werken wurden und werden zum Teil noch heute Waren und Einrichtungen wie Lebensmittel, Ersatzteile für die Armee, Treibstoff, Reparaturwerkstätten, Produktionsanlagen für Medikamente, Anlagen für die Erstellung von Zeitungen eingelagert oder eingebaut.

Geheimhaltung, Mythos und Legenden

Infolge der strengen Geheimhaltung sind viele Gerüchte und Legenden entstanden. Einem der Gerüchte zufolge existiere auch ein getarnter Flughafen in den Schweizer Bergen. Angeblich gibt es ein riesiges Tor im Gestein, durch das die Kampfflugzeuge heraus- und wieder hineinfliegen können. Eine weitere solche Legende besagt, dass der Gotthard so durchlöchert sei, dass man hinter dem Zeughaus Erstfeld hereinfahren und bei Bodio wieder ans Tageslicht kommen könne.

Das Bild der von allen Seiten eingeschlossenen, aber sich tapfer verteidigenden Schweiz, wie es durch das Réduit symbolisiert wird, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum nationalen, insbesondere von der Aktivdienstgeneration gepflegten Mythos. Dies geschah im Rahmen der geistigen Landesverteidigung, die nunmehr auch gegen die kommunistische Bedrohung angewendet wurde. So diente bei der Schweizerischen Landesausstellung 1964 in Lausanne ein riesiger Igel aus Beton als Sinnbild für die Schweiz im fortdauernden Réduit.