Korruption in der Europäischen Union
Korruption wird in der EU unter anderem von der Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF und dem Europäischen Rechnungshof bekämpft.
Jahr für Jahr gehen der Europäischen Union viele hundert Millionen Euro durch rechtswidrige Handlungen und "nicht bestimmungsgemäße Förderungen" verloren.
Viele der Mittel werden gar nicht von Brüssel aus verteilt. Die Strukturausgaben und die Agrarsubventionen werden von den Mitgliedstaaten selbst verteilt. Sie machen gemeinsam etwa 80% des Haushalts aus. Von Brüssel aus verteilt werden Gelder der Forschungsförderung sowie die eigenen Verwaltungsausgaben der Europäischen Kommission. Der Europäische Rechnungshof prüft den Umgang mit den Mitteln jährlich und bewertet ihn in seinem Jahresbericht. Dabei deckt er regelmäßig auf, dass sowohl in den Mitgliedstaaten als auch in den Organen der EU Handlungsbedarf besteht.
Entwicklung der Zahlen
Im Jahr 2004 beläuft sich der Haushalt der EG (denn die EU hat keine Rechtspersönlichkeit) auf 111 Mrd. Euro - für 25 Mitgliedstaaten. Als Vergleich: Der Haushalt der Bundesrepublik Deutschland belief sich 2003 auf 250 Mrd. Euro.
Die erkannten Unregelmäßigkeiten stiegen 2002 um 66 Prozent auf 2,12 Milliarden Euro. Dabei wurden 1,18 Milliarden Euro von den Mitgliedstaaten selbst und knapp eine Milliarde Euro bei Ermittlungen der Betrugsbekämpfungsbehörde der EU, OLAF (Office européen de lutte antifraude), festgestellt.
Dabei haben die Betrugsfälle in der Strukturpolitik um 200 Prozent auf 614 Millionen Euro zugenommen, wozu fehlende Unterlagen oder nicht zweckmäßig verwendete Projektmittel zählen.
Im Bereich der Landwirtschaft stehen die Exportförderungen von 3,6 Milliarden Euro in einem schiefen Licht. So stieg zum Beispiel 2002 der Export von lebenden Rindern in den Libanon auf 226.867 Rinder, wobei für Europarlamentarier fest steht, dass diese Menge nicht allein im Libanon geschlachtet werden kann und der Libanon als Scheinziel gedient haben muss, um die Förderungen zu bekommen. Dennoch fand die EU-Kommission auf Anfrage keinen Grund für Ermittlungen.
OLAF
Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) wurde 1999 unter dem Eindruck einer Serie von Korruptionsaffären in der EU-Kommission (zum Beispiel die EUROSTAT-Affäre) auf Druck des Europaparlaments gegründet.
1999 war auch das Jahr des kollektiven Rücktritts der EU-Kommission unter Kommissionspräsident Jacques Santer, an dem das Europaparlament und nicht zuletzt die Berichte des Abgeordneten Herbert Bösch maßgeblichen Anteil hatten.
Aufgaben von OLAF:
- Aufdeckung und Verfolgung von Betrug im Zollbereich
- Aufdeckung der missbräuchlichen Verwendung von Subventionen
- Steuerhinterziehung (soweit sie sich auf den Gemeinschaftshaushalt auswirkt)
- Bekämpfung von Korruption, einschließlich der Auswirkungen von Interessenskonflikten
- Sonstige Gesetzesverstöße, die die Gemeinschaft schädigen
Bekannt wurde OLAF jedoch mehr als Kämpfer gegen Zigarettenschmuggler und Zollbetrüger (alles Fälle, bei denen OLAF nur den Behörden der Mitgliedstaaten assistiert oder sie koordiniert) denn als Speerspitze gegen Korruption in der EU-Kommission. OLAF erklärt das mit seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Vertraulichkeit der Ermittlungen und weist auf die Tatsache hin, dass nur etwas über 50 der mehr als 500 jährlichen OLAF-Fälle Korruption in den EU-Behörden betreffen. Für Untersuchungen bei Kommission und anderen europäischen Einrichtungen sind knapp 30 OLAF-Ermittler abgestellt. Insgesamt sind bei OLAF rund 160 Mitarbeiter mit Ermittlungen befasst. OLAF hat alles in allem etwa 390 Bedienstete, da die Behörde auch andere Aufgaben als Betrugs- und Korruptions-Ermittlungen wahrnimmt.
OLAF wird weiterhin von der EU-Kommission getragen; auch wenn keine direkte Einflussmöglichkeit der Kommission besteht, ist es der Kommission dadurch durchaus möglich, Druck auszuüben, auch wenn der Europäische Rechnungshof hier nach einer Prüfung im Jahr 2005 kein Problem gesehen hat.
OLAF veröffentlicht jährlich Berichte seiner Arbeit.
Eine Bilanz der ersten sechs Jahre OLAF zog das Europäische Parlament bei einer öffentlichen Anhörung im Juli 2005.
Nach den Enthüllungen des EU-Beamten Paul van Buitenen, die unter anderem 1999 zum Rücktritt der Kommission Santer führten, wurde deutlich, dass Informanten innerhalb der EU-Behörden nicht ausreichend geschützt sind: van Buitenen sah sich massiven Repressalien ausgesetzt. Die EU-Kommission führte daher neue Vorschriften ein, die Whistleblower - also Bedienstete, die Missstände in der eigenen Behörde ans Licht bringen - besser vor Nachteilen bewahren sollen. Das Europäische Parlament ließ hierzu im Mai 2006 eine Studie erstellen, die den internen Regeln für EU-Whistleblower kein gutes Zeugnis ausstellt.
Eurostat
Der Chef des Statistischen Amtes (EUROSTAT) der EU musste zurücktreten, weil er schwarze Kassen geführt hatte, aus denen Aufträge ohne vorhergehende Ausschreibung finanziert wurden. Nach Angaben des "Stern" geht es dabei um mindestens 8 Millionen Euro, wobei Abgeordnete einen zweistelligen Millionenbetrag erwarten. [1]
Berichterstattung in den Medien
Am 19. März 2004 fanden in Brüssel beim Stern-Reporter Hans-Martin Tillack, der von vielen Korruptionsaffären der EU berichtet hatte, Hausdurchsuchungen in Büro und Wohnung statt. Die belgischen Behörden beschlagnahmten seine Unterlagen mit der Begründung, er habe 2002 einem EU-Beamten Geld für Informationen bezahlt. Die Aktion der Belgier geht auf eine interne Untersuchung von OLAF züruck. Tillack klagte bei belgischen Gerichten bis in die oberste Instanz ohne Erfolg gegen die Durchsuchungen und verklagte Belgien daraufhin beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Seine Klagen gegen OLAF beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg blieben bislang ohne Erfolg.
Bericht 2003
375 mal leitete die Europäische Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF im Zeitraum vom Juli 2002 bis zum Juni 2003 neue Untersuchungen ein. 805 Fälle konnten von der Behörde abgeschlossen werden. Der verursachte Schaden beläuft sich auf über 850 Mio. €, hervorgerufen vor allem durch Unregelmäßigkeiten bei Ausschreibungs- und Zuschussverfahren.
Europäisches Parlament
Im März/April 2004 gab es Vorwürfe gegen eine unbekannte Anzahl von Abgeordneteten. Ihnen wurde zum einen vorgeworfen, sie hätten ungerechtfertigt Tagegelder eingestrichen. Zum anderen bestand der Vorwurf, dass Reisekosten nicht korrekt abgerechnet wurden. Allerdings werden Reisekosten pauschalisiert abgerechnet, es werden nicht die tatsächlich anfallenden Kosten erstattet.
Siehe auch
- Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung
- Hans-Peter Martin
- Paul van Buitenen
- Ashley Mote
- Édith Cresson
- Europa Transparant
- Transparency International
Weblinks
- Europäischer Rechnungshof
- Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF)
- room/pr/2003/24_de.html Bericht 2003
- Die EbS-Mediatheque enthält ein Video(16 min) über OLAF.
- Geschichte der Korruptionsbekämpfung in der EU auf Europa-digital.de
- Entgleisungen in der EU
Bücher zur Korruptionsbekämpfung in der EU
Neuhann, Florian: Im Schatten der Integration. OLAF und die Bekämpfung von Korruption in der Europäischen Union. Baden-Baden: Nomos-Verlag 2005. * [2]
Pressefreiheit und Korruption
- Europäischer Gerichtshof, Beschluss in der Sache Tillack gegen EU-Kommission/OLAF
- International Federation of Journalists (IFJ) und OLAF
- International Federation of Journalists (IFJ) zum Tillack Fall
- OLAF zum Tillack Fall
- 17.März 2004: Razzia im Stern-Büro (aus dem Stern)
- EU-Kommission: Spesen aus der schwarzen Kasse (aus dem Stern)
- Artikel aus dem und über das Brüsseler Stern-Büro mit Hans-Martin Tillack: