Deutscher Monistenbund
Der Deutsche Monistenbund wurde 1906 von Ernst Haeckel gegründet. Er trat für die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und allgemein einer monistischen Weltanschauung, also dem Prinzip der Einheit des Wirklichen, ein. Zudem stand er für eine weltliche Ethik, die gegen christliche Dogmen in Stellung gebracht wurden. Der Bund wurde 1933 von den Nationalsozialisten aufgelöst.
Gründung des Monistenbundes
Die Gründung des Deutschen Monistenbundes wurde am 11. Januar 1906 in Jena vollzogen. Ernst Haeckel hatte einen solchen Gründungsakt bereits im September 1904 in Rom vorgeschlagen, wo er am Internationalen Freidenker-Kongress teilnahm. Dort wird Haeckel anlässlich eines gemeinsamen Frühstücks feierlich zum "Gegenpapst" aufgerufen.
Mit dem Monistenbund fanden die bestehenden, sehr heterogenen monistischen Bestrebungen einen übergreifenden organisatorischen Rahmen, der sich dezidiert auf eine naturwissenschaftliche Basis im Sinne Haeckels stellte, in den aber nicht alle Vertreter des Monismus eingebunden wurden. Mit dem Monistenbund entstand mit Unterstützung freidenkerischer Verbände eine neue freigeistige Bewegung, die einen betont philosophisch-naturwissenschaftlichen Bildungscharakter hatte. Der Monistenbund hatte auch zahlreiche jüdische Mitglieder[1]. Wie andere Organisationen der freireligiösen und freigeistigen Bewegung entwickelte er eine eigenständige weltliche Feierkultur.
Die Zielrichtung des Monistenbundes kommt im Gründungsaufruf zum Ausdruck:
- "Tausende und Abertausende finden keine Befriedigung mehr in der alten, durch Tradition oder Herkommen geheiligten Weltanschauung; sie suchen nach einer neuen, auf naturwissenschaftlicher Grundlage ruhenden einheitlichen Weltanschauung."
Erster Vorsitzender wurde der Bremer Reformtheologe Albert Kalthoff. Generalsekretär wurde Heinrich Schmidt.
Zu den Gründungsmitgliedern und Persönlichkeiten, die den Gründungsaufruf unterzeichneten, gehörten neben den bereits genannten Persönlichkeiten unter anderen die Schriftsteller Wilhelm Bölsche, Albrecht Rau und Bruno Wille, der Philosoph und Dichter Bartolomäus von Caneri, der Zoologe und Schriftsteller Carl Hauptmann, der freireligiöse Prediger Karl Scholl, der Prediger Oskar Mauritz, die Zoologen Konrad Keller, Ludwig Plate, Richard Semon und Heinrich Ernst Ziegler, der Botaniker Arnold Dodel, der Psychiater Auguste Forel, der Arzt Wilhelm Schallmayer, der Verleger Wilhelm Breitenbach, der Verlagsbuchhändler Walther Keller (Francksche Verlagsbuchhandlung) und der Privatsekretär Haeckels, Heinrich Schmidt..[2]
In der Folge kam es mit dem Österreichischen Monistenbund (1909), dem Schweizer Monistenbund (1913) und dem Tschechischen Sozialistischen Monistenbund (1913) zu weiteren Gründungen monistisch orientierter Organisationen.
Wilhelm Breitenbach, der von 1877 bis 1880 bei Haeckel Zoologie studierte und für den Monistenbund dessen Zeitschrift „Der Monismus“ als Verleger und Redakteur betreute, trat wegen Meinungsverschiedenheiten mit anderen Mitgliedern 1908 aus dem Monistenbund aus und gründete im selben Jahr die Zeitschrift „Neue Weltanschauung“ sowie 1911 den Humboldtbund als eigenständige monistische Organisation.
Wissenschaftliche und gesellschaftspolitische Orientierung des Monistenbundes
Der Monistenbund vertrat neben der Propagierung der Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften auf der Grundlage eines materialistischen Monismus sozialreformerische, ökonomische und bildungspolitische Anliegen (wie z.B. Bodenreform, Mütterschutz, massive Förderung der Volksbildung, Abstinenzlerbewegung). Ein Schwerpunkt war der Kampf gegen kirchlichen und ideologischen Dogmatismus.
Politisch war der Monistenbund äußerst heterogen. Der amerikanische Historiker Richard Weikart stell fest: „Die Monisten stimmten in politischen Anschauungen überhaupt nicht überein“.[3]
Neben neolamarkistischen und neomalthusianischen Positionen wurden auch sozialdwarwinistische Positionen in Fragen der Vererbungslehre (Genetik) und der Eugenik vertreten.
Laut der „Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie“ entfalteten sich im Monistenbund von Haeckel initiierte und mit der Autorität des Naturwissenschaftlers vertretene rassistische und sozialdarwinistische Anschauungen, die in der nationalsozialistischen Ideologie einen starken Niederschlag fanden.[4]
„Die Verflechtung des Monistenbundes mit .. fortschrittlichen sozialreformorientierten Organisationen“ zeigen die Einseitigkeit der Darstellung des Monistenbundes als „protofaschistische oder protonazistische Organisation“, wie sie z.B. durch den amerikanischen Historiker Daniel Gasman vertreten wird. Bei der Interpretation des Monistenbundes als protofaschistisch wird auch die starke Präsenz von Sozialisten im Monsitenbund übersehen. Helene Stöcker vom Deutschen Bund für Mutterschutz und Sozialhygiene beschrieb die Zusammenarbeit mit dem Monistenbund als „Kulturblock der Linken“.[5]
Weitere Entwicklung des Monistenbundes
Der Monistenbund beteiligte sich 1907 an der Gründung des Weimarer Kartells. Hierin fanden sich mehrere freidenkerische und freigeistige Organisationen zusammen. Neben dem Monistenbund beteiligten sich der Deutsche Freidenkerbund, der 1881 von Ludwig Büchner gegründet wurde, die Deutsche Gesellschaft für ethische Kultur (1892 gegründet), der Bund für weltliche Schule und Moralunterricht, der Deutsche Bund für Mutterschutz und Sexualreform der Frauenrechtlerin Helene Stöcker sowie einige weitere kleinere Verbände. Der Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands trat nicht bei, stand dem Weimarer Kartell jedoch nahe. Zwecke des Weimarer Kartells waren die "freie Entwicklung des geistigen Lebens und Abwehr aller Unterdrückung", die Trennung von Schule und Kirche und die vollständige Verweltlichung des Staates (Trennung von Staat und Kirche, Laizismus).
Zur Jahreswende 1910/1911 wurde der Naturwissenschaftler und Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald zum Vorsitzenden gewählt. Vor allem seinem Einsatz war es zu verdanken, daß der Monistenbund vor dem Ersten Weltkrieg sich erfolgreich entwickelte. So oragnisierte Ostwald verschiedene, sehr erfolgreiche internationale Kongresse. Bereits der erste Kongreß 1911 mit 850 aktiven Teilnehmern und mehr als dreitausend Zuhörern war ein großer Erfolg. Ostwald schloß diesen mit den Worten: "Hiermit schließe ich den internationalen Monistenkongreß und eröffne das monistische Jahrhundert. Seit 1911 verstärkte sich auch die sozialreformerische Orientierung des Monistenbundes.
Trotz der bürgerlich-elitären Orientierung des Monistenbundes kooperierte er auch mit Organisationen der Arbeiterbewegung und forderte in einem gemeinsamen Komitee Konfessionslos des Weimarer Kartells zum Kirchenaustritt auf. So traten auf vier Berliner Versammlungen am 28. Oktober 1913 mit insgesamt 8.000 Teilnehmern Karl Liebknecht und Wilhelm Ostwald als gemeinsame Redner auf.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs verteidigten Haeckel und Ostwald, die bisher pazifistische und kosmopolitische Positionen vertraten, die deutsche Beteiligung am Krieg und äußerten sich zunehmend nationalistisch. Haeckel und Ostwald unterzeichneten im Oktober 1914 den Aufruf „An die Kulturwelt“ gegen „Englands Blutschuld“, der auch von Max Planck und weiteren 90 Professoren unterschrieben wurde[6]. Der pazifistische Flügel übte jedoch massiven Druck auf Ostwald aus. Forel, Kammerer und Goldscheid bliebeb auch während des Krieges strikt pazifistisch. Die hierdurch aufgekommenen Konflikte führten zum Rücktritt Ostwalds 1915.[7] 1870 trat Ostwald unter Protest auch aus der Deutsche Friedensgesellschaft aus[6]. 1920 erfolgte auf der Basis der „Hamburger Thesen“ auf einer Tagung in Weimar eine sozialistische Orientierung des Monistenbundes.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Monistenbund wieder deutlich pazifistisch. Die sozialistische Orientierung verstärkte sich, was unter anderem an dem Einfluß des ehemaligen Präsidenten des Österreichischen Monistenbundes Rudolf Goldscheid und des Schweizer Psychiaters und Neuroanatoms Auguste Forel lag.[8]
Vorsitzende des Deutschen Monistenbundes
- Albert Kalthoff (1906), evangelischer Theologe, seit 1888 Pfarrer in Bremen
- Eduard Eigner (1906/1907), Nervenarzt in Freiburg
- Heinrich Koerber (1907-1910), Psychologe, Vorstandsmitglied in der Ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik/Konstitutionsforschung
- Johannes Unold (1910/1911), Pädagoge und Soziologe
- Wilhelm Ostwald (1911-1915), Chemiker und Philosoph, Professor in Riga und Leipzig, Nobelpreis für Chemie 1909
- Franz Karl Müller-Lyer (1915/1916), Psychologe, Soziologe, Praktischer Arzt
- Heinrich Schmidt (1919/1920), Biologe und Naturphilosoph
- Georg Graf von Arco (1921/1922), Elektrotechniker, Technischer Direktor, Hochfrequenztechniker
- Carl Riess (1923-1929),
- Immanuel Herrmann (1929-1933), Universitätsprofessor für Elektrotechnik, württembergischer Kriegsminister 1919, SPD-Politiker
Ehrenpräsidenten des Deutschen Monistenbundes waren Ernst Haeckel (ab 1906), Wilhelm Ostwald (ab 1915) und Rudolf Goldscheid. 1913 wurde Wilhelm Knaupp (1835-1916) durch die 7. Hauptversammlung des D.M.B. in Düsseldorf zum Ehrenmitglied des Deutschen Monistenbundes ernannt.
Das genaue Datum der Gründung des "Österreichischen Monistenbundes" ist nicht bekannt. Die Entstehung datiert zwischen 1906 und 1909. Er hieß anfangs nicht "Österreichischer Monistenbund", sondern "Ortsgruppe Wien des Deutschen Monistenbundes" [9] Zwischen 1912 und 1917 war der Soziologe, Sozialreformer und Sozialdemokrat Rudolf Goldscheid (1870-1931), der 1911 dem Monistenbund beitrat, Präsident des Österreichischen Monistenbundes.
Gegner
Als Reaktion auf das Wirken des Deutschen Monistenbundes wurde 1907 der evangelische Keplerbund gegründet, in dem sich die „theistischen“ naturwissenschaftlichen Gegner von Darwins Evolutionstheorie und des Haeckelschen Materialismus formierten.
Nachfolgeorganisation
1946 wurde in München der Monistenbund als Freigeistige Aktion - Deutscher Monistenbund neu gegründet. Die Freigeistige Aktion / Deutscher Monistenbund e.V. ist Mitglied im Dachverband freier Weltanschauungsgemeinschaften und in der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union.
Quellen
- ↑ Rolf Groschopp, Dissidenten, 1997, S. 394
- ↑ Liste der Gründungsmitglieder in: Heiko Weber, Monistische und antimonistische Weltanschauung, S. 20 f.
- ↑ Richard Weikart, „Evolutionäre Aufklärung“? Zur Geschichte des Monistenbundes, 2002, S. 145
- ↑ Jürgen Mittelstraß (Hrsg.), Haeckel, Ernst in Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie Bd. 2., Wissenschaftsverlag, 1984, S. 22
- ↑ Richard Weikart, „Evolutionäre Aufklärung“? Zur Geschichte des Monistenbundes, 2002, S. 142
- ↑ a b Rolf Groschopp, Dissidenten, 1997, S. 393
- ↑ Richard Weikart, „Evolutionäre Aufklärung“? Zur Geschichte des Monistenbundes, 2002, S. 143 f.
- ↑ Richard Weikart, „Evolutionäre Aufklärung“? Zur Geschichte des Monistenbundes, 2002, S. 144
- ↑ Rudolf Goldscheid und Wilhelm Ostwald in ihren Briefen, S. 20f.
Literatur
- Wilhelm Breitenbach: Die Gründung und erste Entwicklung des Deutschen Monistenbundes. Brackwede 1913.
(Ein Bericht aus "erster Hand", Breitenbach war Mitbegründer des Bundes und engagierter Kämpfer für die "Bewegung", schied dann aber nach internen Querelen aus.) - Horst Groschopp: Dissidenten. Freidenkerei und Kultur in Deutschland, Dietz Verlag, Berlin 1997 ISBN 3-320-01936-8
- Karl Hansel (Hrsg.): Rudolf Goldscheid und Wilhelm Ostwald in ihren Briefen. Großbothen 2004 (Mitteilungen der Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft zu Großbothen e.V., Sonderheft 21)
- Horst Hillermann: Der vereinsmäßige Zusammenschluss bürgerlich-weltanschaulicher Reformvernunft in der Monismusbewegung des 19. Jh. Kastellaun 1976. (Schriftenreihe zur Geschichte und politischen Bildung; Bd.16).
- Wolfgang Mattern: Gründung und erste Entwicklung des Deutschen Monistenbundes 1906-1918. Diss. med. Berlin 1983. (Hervorragende, klare Darstellung)
- Heiko Weber,: Monistische und antimonistische Weltanschauung: Eine Auswahlbibliographie. Berlin 2000. (Ernst-Haeckel-Haus-Studien; 1) (Eine Zusammenstellung hunderter von Monographien und Aufsätzen, die in mehr oder weniger enger Verbindung mit dem Monistenbund und der Monismusbewegung des 19./20. Jh. stehen, hervorragendes Hilfsmittel!)
- Richard Weikart: „Evolutionäre Aufklärung“? Zur Geschichte des Monistenbundes, in: Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit: von der Wiener Moderne bis zur Gegenwart, hrsg. von Mitchell G. Ash, WUV Universitätsverlag, Wien 2002 ISBN 3-85114-664-6 (Wiener Vorlesungen, Bd. 12)
- Paul Ziche: Monismus um 1900: Wissenschaftskultur und Weltanschauung. Berlin 2000. (Ernst-Haeckel-Haus-Studien; 4)
Zeitschriften
- Die Freigeistige Aktion. Für Freiheit des Geistes und Humanität. Gegen Aberglauben und Klerikalismus, Hannover 1957 bis 1990 ISSN 1615-6641
Weblinks