Betazerfall
Der Betazerfall ist ein radioaktiver Zerfallstyp eines Atomkerns. In Folge des Zerfallvorgangs verlässt ein energiereiches Betateilchen – Elektron oder Positron – sowie ein zugehöriges Neutrino den Kern. Das Aussenden von Betateilchen einer radioaktiven Probe bezeichnet man als Betastrahlung.
Betazerfall wird nach der Art der emittierten Teilchen unterschieden: Bei abgestrahltem Elektron handelt es sich um Beta-minus-Zerfall (β−), bei abgestrahltem Positron um Beta-plus-Zerfall (β+).
Die beim Zerfall freigesetzten Teilchen (Elektron, Positron, Neutrinos) kommen vor dem Zerfall nicht als freie Teilchen im Atomkern vor. Die schwache Wechselwirkung vermittelt die Umwandlung eines der im Neutron oder Proton vorhandenen Quarks in ein anderes Quark, wobei die freigesetzten Teilchen erzeugt werden.
Geschichte
Ernest Rutherford und Frederick Soddy entwickelten 1903 eine Hypothese, nach der die bereits 1896 von Antoine Henri Becquerel entdeckte Radioaktivität mit der Umwandlung von Elementen verknüpft ist. Der Betazerfall wurde demnach als Quelle der Betastrahlung ausgemacht. Davon ausgehend formulierten 1913 Kasimir Fajans und Soddy die so genannten radioaktiven Verschiebungssätze mit der die natürlichen Zerfallsreihen durch aufeinander folgende Alpha- und Betazerfälle erklärt werden.
1911 zeigten Lise Meitner und Otto Hahn, dass die Energien der emittierten Elektronen über ein kontinuierliches Spektrum verteilt sind. Da die beim Zerfall freiwerdende Energie aber konstant ist, hatte man ein diskretes Spektrum, wie es auch beim Alphazerfall beobachtet wird, erwartet. Um diesen scheinbaren Energieverlust (und eine ebenfalls auftretende Verletzung von Impuls- und Drehimpulserhaltung) zu erklären, schlug Wolfgang Pauli 1930 in einem Brief die Beteilung eines neutralen, extrem leichten Elementarteilchens am Zerfallsprozess vor, welches er „Neutron“ taufte. Enrico Fermi änderte diese Bezeichnung 1931 in Neutrino, als Verkleinerungsform des nahezu zeitgleich entdeckten wesentlich schwereren Neutrons. Der erste experimentelle Nachweis des Neutrinos gelang erst 1956 durch Clyde Cowan und Frederick Reines an einem der ersten großen Kernreaktoren.
Der β+-Zerfall wurde 1934 von Irène und Frédéric Joliot-Curie entdeckt.
Im Jahre 1956 gelang es mit einem von Chien-Shiung Wu durchgeführten Experiment die kurz zuvor von Tsung-Dao Lee und Chen Ning Yang postulierte Paritätsverletzung des Betazerfalls nachzuweisen.
Beta-minus-Zerfall

Neutronenreiche Isotope zerfallen über den Beta-minus-Prozess. Ein Neutron des Kerns wandelt sich in ein Proton um und sendet dabei ein Elektron sowie ein beinahe unmessbares Elektron-Antineutrino aus. Sowohl Elektron als auch Anti-Neutrino verlassen den Atomkern, da beide Leptonen sind und nicht der starken Wechselwirkung unterliegen.
Formelschreibweise eines β−-Zerfalls:
Da sich nach dem Zerfallsprozess ein Neutron weniger aber ein Proton mehr im Kern befindet, bleibt die Massenzahl unverändert, während sich die Kernladungszahl um 1 erhöht. Das Element geht in seinen Nachfolger im Periodensystem über.
Ein typischer β−-Strahler ist 198Au. Hier lautet die Kernreaktiongleichung:
Beta-plus-Zerfall
Der Beta-plus-Zerfall tritt bei protonenreichen Isotopen auf. Hierbei wird ein Proton des Kerns in ein Neutron umgewandelt. Dabei entsteht zusammen mit einem Positron ein Elektron-Neutrino.
Formelschreibweise eines β+-Zerfalls:
Wie beim β+-Zerfall bleibt die Massenzahl unverändert, jedoch erniedrigt sich die Kernladungszahl um 1. Das Element geht in seinen Vorgänger im Periodensystem über.
Der einzige natürlich vorkommende β+-Strahler ist 40K. Hier lautet die Formel:
Ein Konkurrenzprozess zum β+-Zerfall ist der sogenannte Elektroneneinfang. Hierbei wandelt sich ein Proton des Kern durch Einfangen eines Elektron auf einer kernnahen Schale in ein Neutron und ein Neutrino. Dieser Prozess tritt insbesondere auf, wenn die freiwerdende Umwandlungsenergie klein ist.
Zerfall des freien Neutrons
Im Gegensatz zu diesem kerngebundenen Zerfall des Neutrons gibt es auch noch den Betazerfall eines freien Neutrons, dessen Halbwertszeit nicht genau bekannt ist. Sie liegt bei rund 615 Sekunden, also etwa 10 Minuten. Der Grund für die Ungenauigkeit der Halbwertszeit ist deren schwierige Messung: Freie Neutronen lassen sich zwar mit Neutronenquellen, Kernreaktionen oder durch Kernspaltung gewinnen. Sie werden jedoch in kürzester Zeit von Materie eingefangen, bevor der Zerfall stattfindet. Für wissenschaftliche Berechnungen ist die Lebenszeit freier Neutronen aber eine elementare Konstante, die einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des Kosmos hatte. In einer frühen Phase des Universums machten nämlich freie Neutronen einen bedeutenden Teil der Materie aus. So könnte man die Entstehung besonders der leichten Elemente (und deren Isotopenverteilung) besser nachvollziehen, wenn die Zerfallskonstante des Neutrons genau bekannt wäre. Außerdem erwartet man ein besseres Verständnis der Schwachen Wechselwirkung, die für den Betazerfall verantwortlich ist. Weltweit arbeiten verschiedene Arbeitsgruppen daran, die Zerfallszeit des freien Neutrons genauer zu messen. Dabei werden Neutronen in einer dreidimensionalen magnetischen Falle eingeschlossen. Die Wechselwirkung des Neutrons mit den Magnetkräften des Käfigs erfolgt über den schwachen magnetischen Dipol des Neutrons. Dies bedingt eine besonders ausgefeilte Gestaltung des Feldes im Käfig. Die Neutronen, die aus einem Forschungsreaktor in die Falle gelangen, werden von superflüssigem Helium in der Kammer abgebremst und eingefangen. Das aus dem Zerfall stammende hochenergetische Elektron dient als Nachweis in der Kammer. Es ionisiert auf seiner Flugbahn mehrere Heliumatome, die über Molekülprozesse (Excimere) ein messbares Lichtsignal aussenden.
Ein freies Proton kann nicht unter Emission eines Positrons in ein Neutron zerfallen, denn die Ruheenergieen des Neutrons und des Positrons sind zusammen größer als die des Protons. Bei einem in einem Kern gebundenen Proton können jedoch Effekte der Bindungsenergie den Zerfall ermöglichen.