Hauptschule
Deutschland
Definition
Die Hauptschule, Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts aus der so genannten Oberstufe der Volksschule hervorgegangen, ist eine allgemeinbildende weiterführende Schule im Rahmen des gegliederten Schulsystems. Sie umfasst in der Regel die Klassenstufen 5-9 bzw. 10 im Bereich der Sekundarstufe I und wird mit dem Hauptschulabschluss abgeschlossen. Die Hauptschule gilt als Regelschule, muss also von den Schulträgern obligatorisch angeboten werden, und ist zugleich Pflichtschule, "weil alle schulpflichtigen Schüler und Schülerinnen, die keine andere [...] Vollzeitschule besuchen, zum Besuch der Hauptschule verpflichtet sind" (Handbuch Hauptschulbildungsgang 1998, S. 9; siehe Literatur).
Laut Statistischem Bundesamt gab es im Schuljahr 2004/05 in Deutschland 5195 Hauptschulen (rund 2,5 % weniger als im Schuljahr zuvor) mit 1,08 Millionen Schülern (-0,7 % im Vergleich zum vorherigen Schuljahr).
Bildungsauftrag, Ziele und allgemeine Organisation
Der Unterricht der Hauptschule zielt auf die Berufsreife der Schülerinnen und Schüler, er ist sehr stark praxisbezogen, handlungs- und methodenorientiert, ohne aber auf Wissenschafts- und Zukunftsorientierung zu verzichten. Die Stundentafel entspricht weitestgehend der der anderen Schulformen. Ausnahme: Das Fach Arbeitslehre wird verstärkt unterrichtet und ist in einigen Bundesländern Hauptfach anstelle der ersten Fremdsprache (in der Regel Englisch).
Neben der Vermittlung von schulfachlichen Inhalten soll den Jugendlichen insbesondere die Problematik der Berufsorientierung in ihrer inhaltlichen Spannbreite als lebenslanger Handlungs- und Entscheidungsprozess vermittelt werden. Im Mittelpunkt steht hierbei das Thema „Berufswahlvorbereitung“, das sich aufgrund seiner Komplexität nicht in die Fachstruktur nur eines Unterrichtsfaches einordnen lässt und daher in verschiedenen Fächern bearbeitet wird. Außerschulische berufsbezogene Erfahrungen sammeln die Schülerinnen und Schüler durch den Besuch regionaler Berufsmessen oder des Berufsinformationszentrums der Bundesagentur für Arbeit sowie durch Betriebserkundungen und mehrwöchige Betriebspraktika.
In der Regel wird nach erfolgreichem Besuch der 9. Klasse der Hauptschulabschluss vergeben. Dieser berechtigt zum Beginn einer beruflichen Ausbildung im Rahmen des dualen Ausbildungssystems.
Um der vielstimmigen Forderung nach der Vergleichbarkeit von Abschlüssen Rechnung zu tragen, verlangen einige Bundesländer (z. B. Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen) mittlerweile verpflichtend eine an den Bildungsstandards der KMK orientierte schriftliche Hauptschulabschlussprüfung in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und erste Fremdsprache sowie eine (in einigen Ländern wiederum verpflichtende, in anderen auf Freiwilligkeit basierende) ergänzende Projektprüfung.
Länderspezifische Schwerpunkte
In Berlin und Nordrhein-Westfalen gibt es eine 10-jährige Vollzeitschulpflicht, das heißt, dass die Schülerinnen und Schüler nach dem Erwerb des Hauptschulabschlusses nach Klasse 9 (in NRW nach erfolgreicher Teilnahme an einer Abschlussprüfung) verbindlich die 10. Klasse der Hauptschule besuchen. Nach erfolgreichem Besuch kann in Berlin der "Erweiterte Hauptschulabschluss" erworben werden. Nordrhein-Westfalen vergibt nach Klasse 10 zwei Abschlüsse: den Sekundarabschluss I – Hauptschulabschluss nach Klasse 10 Typ A und den Sekundarabschluss I – Fachoberschulreife nach Klasse 10 Typ B (entspricht dem Realschulabschluss).
An niedersächsischen Hauptschulen werden die Abschlüsse nach den Klassen 9 und 10 nur nach erfolgreicher Teilnahme an einer zentralen (d. h. landesweiten) Abschlussprüfung vergeben. Unter dieser Maßgabe kann am Ende der 9. Klasse der Hauptschulabschluss erworben werden. Hauptschulabsolventen des 9. Jahrgangs können dann freiwillig in die 10. Klasse der Hauptschule wechseln und am Ende des 10. Schuljahrgangs folgende Abschlüsse erwerben:
Sekundarabschluss I – Hauptschulabschluss, Sekundarabschluss I – Realschulabschluss sowie
Erweiterter Sekundarabschluss I, der u. a. zum Eintritt in die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe (10. Schuljahrgang) oder zum Besuch eines Fachgymnasiums berechtigt.
Im Jahr 2004 startete an Niedersachsens Hauptschulen in der Mittelstufe ein Modellversuch mit dem Anliegen, Jugendliche über einen schuljahrbegleitenden Praktikumstag mit der Arbeits- und Berufswelt vertraut zu machen. An einem Unterrichtstag pro Woche gibt es für Schülerinnen und Schüler des 8. Jahrgangs seitdem einen "Praxistag", an dem sie einen Betrieb in der Umgebung der Schule besuchen und sich so für das Berufsleben qualifizieren können. 2005 wurde dieser Praxistag in "Betriebstag" umbenannt.
In Bayern geraten seit der Einführung der sechsstufigen Realschule (sukzessive ab 1999) die Hauptschulen durch Schülermangel zunehmend unter Druck. Besonders in bevölkerungsarmen Regionen müssen zunehmend wohnortnahe Teilhauptschulen geschlossen werden – die Schülerinnen und Schüler werden in zentralen Hauptschulen zusammengefasst und dort unterrichtet.
Die Hauptschule bietet in Bayern nach der 9. Klasse zwei Schulabschlüsse an: den Hauptschulabschluss und den Qualifizierenden Hauptschulabschluss. Nach Erreichen des Klassenziels in der 9. Klasse Hauptschule wird der Hauptschulabschluss vergeben. Nach Bestehen einer Zusatzprüfung, dem so genannten Quali, erhalten die Schüler den Qualifizierenden Hauptschulabschluss.
Um die Chancen für schwächere Schüler auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, wurden spezielle Praxisklassen (so genannte P-Klassen) für lernschwache und eher praktisch begabte Schüler eingerichtet. Für Hauptschüler, die ihrer Begabung zufolge auch eine Realschule besuchen könnten, existieren M-Klassen, in denen das Erreichen des Mittleren Bildungsabschlusses (Mittlere Reife) nach einem zusätzlichen 10. Schuljahr in der Hauptschule möglich gemacht wird.
Rheinland-Pfalz hat den berufsqualifizierenden Bereich der Sekundarstufe I seit 1992 schrittweise erweitert. Mit der Regionalen Schule und der Dualen Oberschule wurden neben die Hauptschule zwei Schularten gestellt, die den herkömmlichen Haupt- und Realschulbildungsgang integrieren und Schülerinnen und Schülern des Hauptschulprofils nach dem Prinzip der internen Durchlässigkeit das Erreichen des Mittleren Bildungsabschlusses ermöglichen.
In bestimmten Bundesländern ist die Hauptschule als eigenständige Schulform entweder abgeschafft oder, wie im Fall der neuen Bundesländer, gar nicht erst errichtet worden. Sie existiert jedoch weiterhin in Form des Hauptschulabschlusses, d. h. die Bundesländer müssen durch ihr Schulsystem sicherstellen, dass der Hauptschulabschluss erworben werden kann.
Im Saarland wurden die Hauptschulen durch die Erweiterten Realschulen ersetzt, in denen die Schülerinnen und Schüler in den Klassen 5 und 6 gemeinsam unterrichtet und ab der 7. Klasse in verschiedene Zweige aufgeteilt werden (Haupt- bzw. Realschulzweig). Ähnliche Wege gingen Thüringen mit der Einführung der Regelschule, Sachsen mit der Errichtung der Mittelschule, Mecklenburg-Vorpommern mit der Einrichtung Regionaler Schulen sowie Sachsen-Anhalt und Bremen mit der Zusammenlegung des Haupt- und Realschulbildungsganges in so genannten Sekundarschulen.
Schulpädagogische Herausforderungen und Konzepte
In vielen Hauptschulklassen sitzen Schülerinnen und Schüler an der Grenze zur Lernbehinderung neben durchschnittlich begabten und leistungsfähigen Jungen und Mädchen, Kinder und Jugendliche aus gescheiterten Ehen mit zufriedenstellender sprachlicher Kompetenz neben Jugendlichen aus kompakten ausländischen Familienverbänden mit geringem deutschen Sprachvermögen.
Ebenso verschieden sind diese Kinder und Jugendlichen in ihren soziokulturellen Lebenslagen. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihres ethnischen Hintergrundes ebenso stark voneinander wie hinsichtlich der sozialen Situation innerhalb ihrer Familien.
Die Pädagogik in der Hauptschule hat darauf reagiert und diverse didaktische und (sozial-)pädagogische Konzepte in ihren Alltag integriert, um die aus diesen unterschiedlichen Voraussetzungen oftmals erwachsenden Probleme ihrer Schülerschaft aufzufangen. Zu den wichtigsten dieser Konzepte zählen:
- Klassenlehrerprinzip
- Teamteaching
- Jahrgangsübergreifender Unterricht
- Ausbau projektorientierter Unterrichtsmodule
- Deutschkurse für ausländische Schüler
- berufsqualifizierende Sonder- bzw. Jahrespraktika
- Schulsozialarbeit
- Soziale Gruppenarbeit
- Soziales Lernen
- Gewaltprävention
- Streitschlichtung (Schulmediation)
- Suchtberatung.
Kritik und Reformversuche
In der öffentlichen Debatte, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Vorfälle an der Berliner Rütli-Schule im Frühjahr 2006, wird die Hauptschule oft verkürzt als "Restschule" oder – im soziokulturellen Argumentationszusammenhang – oft als "Brennpunktschule" bezeichnet.
Der Hamburger Erziehungswissenschaftler Herbert Gudjons sieht dieses Bild von Schule darin begründet, "dass der Besuch der Hauptschule selten durch freie Entscheidung für ein hauptschulspezifisches Konzept zu Stande kommt, sondern weitgehend Folge eines negativen Ausleseprozesses ist" (2003, S. 285; siehe Literatur).
Die Hauptschule gewinnt Grundschulabgänger selten freiwillig für ihren Bildungsgang, muss als Pflichtschule gleichzeitig aber all diejenigen aufnehmen, die sich in den anderen Bildungsgängen nicht zurechtfinden. Die Zahlen des Satistischen Bundesamtes belegen: Der Anteil der Hauptschüler an allen Schülern eines Jahrgangs nimmt bundesweit seit Jahren ab (2002-05 -2,4 %; im gleichen Zeitraum: Realschule +5,4 %, Gymnasium +4,7 %). Dieser Prozess ist in den Bundesländern – bei großen regionalen Unterschieden – tendenziell einheitlich. Gewinner dieser Abstimmung mit den Füßen sind die Realschulen. Angesichts dieser Entwicklung steht die Hauptschule innerhalb des gegliederten Schulsystems für viele Schulpädagogen mittlerweile in einem Legitimierungsvakuum.
Die Bundesländer haben darauf unterschiedlich reagiert:
- mit der Beibehaltung der Hauptschule als eigenständiger Schulform, erweitert um einen 10. Schuljahrgang, womit der Erwerb des Mittleren Bildungsabschlusses ermöglicht wird,
- mit der Abschaffung der Hauptschule als eigenständiger Schulform hin zu einem gegliederten Schulsystem mit teilintegrierten Sekundarstufenschulen (Zusammenlegung des Haupt- und Realschulbildungsganges) mit interner Durchlässigkeit der Bildungsgänge.
Politischer Wille ist es, die Schullaufbahn nach oben hin durchlässig zu gestalten, um Hauptschülern weiterführende Bildungschancen zu ermöglichen und damit das geringe gesellschaftliche Ansehen des Hauptschulbildungsganges zu verbessern. Für Bildungsforscher, die im Zusammenhang mit der PISA-Studie die Lebenswelt der Jugendlichen und ihre schulische Sozialisation untersuchen, ist das grundlegende Problem aber nicht gelöst, dass die Hauptschule – selbst in einem integrierten Bildungsgang – innerhalb des derzeitigen geliederten Schulsystems eine ausgesprochen schichtspezifische Schule zu werden droht, in der die durch die soziale Herkunft bedingten Bildungsnachteile institutionell verstärkt werden (vgl. Melzer/Adomat 1998, Schümer 2004, 2005; siehe Literatur).
Österreich
Die Hauptschule ist in Österreich eine vierjährige allgemeinbildende Pflichtschule, welche in der Regel im Alter von 10-15 Jahren besucht wird und der Volksschule folgt, sofern sie anstatt einer Gymnasialbildung (auch AHS-Unterstufe; steht als alternative Bildungsmöglichkeit den Schülern zur Verfügung) gewählt wurde. Um sich gegenüber den allgemeinbildenden höheren Schulen (Gymnasien, AHS-Unterstufe) besser zu profilieren und drohenden Schließungen auf Grund sinkender Schülerzahlen entgegenzuwirken, haben sich in den letzten Jahren spezialisierte Formen wie "Sporthauptschule" oder "Musikhauptschule" entwickelt.
In Hauptschulen werden die "Hauptgegenstände" (Deutsch, Mathematik, Englisch) als so genannte Leistungsgruppen geführt, so dass einerseits Begabungen besser gefördert und andererseits Lernschwächen in den einzelnen Fächern vermindert werden können. Weiters besteht in diesem Schultyp das unterrichtende Personal aus so genannten Fachlehrern, d. h. für jedes Fach steht ein eigener Lehrer zur Verfügung (dies schließt allerdings nicht aus, von ein und demselben Ausbilder in zwei unterschiedlichen Fächern unterrichtet zu werden). Die Dauer einer Unterrichtsstunde ist, wie bei anderen Schulen in Österreich, auf 50 Minuten festgesetzt.
In der Regel besuchen Schüler nach Absolvierung der Hauptschule den Polytechnischen Lehrgang oder ein Jahr einer berufsbildenden Schule (wie die Handelsschule), um die 9-jährige Pflichtschulzeit zu erfüllen. Jedoch ist es auch nach der Hauptschule möglich, mittels Besuch eines Oberstufen(real)gymnasiums (4 Jahre) oder einer berufsbildenden höheren Schule (5 Jahre, z. B. Höhere Technische Lehranstalten oder Handelsakademien) den Weg zur Matura zu gehen.
Schulerhalter sind wie bei den Volksschulen die Gemeinden, während die Lehrer von den Bundesländern gestellt werden.
Durch einerseits insgesamt weniger Kinder und andererseits stetige Imageschwächen der Hauptschulen flammen immer wieder Diskussionen über die Einführung einer Gesamtschule auf.
Literatur
- Burkel, Anja: Eine Schule lernt um. Der Alltag in Klassen mit 50 Prozent Ausländeranteil (Süddeutsche Zeitung 14. März 2003).
- Gudjons, Herbert (2003): Pädagogisches Grundwissen. 8., aktual. Aufl. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
- Handbuch Hauptschulbildungsgang (1998). Hg. v. Dietmar J. Bronder/Heinz-Jürgen Ipfling/Karl G. Zenke, Bd. 1: Grundlegung, Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
- Handbuch Hauptschulbildungsgang (1999). Hg. v. Dietmar J. Bronder/Heinz-Jürgen Ipfling/Karl G. Zenke, Bd. 2: Praxisberichte, Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
- Handbuch Hauptschulbildungsgang (2004). Hg. v. Dietmar J. Bronder/Heinz-Jürgen Ipfling/Karl G. Zenke, Bd. 3: Länderberichte, Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
- "Irgendwer muss ja mal anfangen". Ein Streitgespräch über den Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit zwischen Ute Erdsiek-Rave und Jürgen Oelkers (Die Zeit Nr. 50, 02.12.2004).
- Melzer, Wolfgang/Adomat, Dirk (1998): Der Hauptschulbildungsgang in den neuen Bundesländern – Entwicklungen. In: Handbuch Hauptschulbildungsgang. Hg. v. Dietmar J. Bronder/Heinz-Jürgen Ipfling/Karl G. Zenke, Bd. 1: Grundlegung, Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 41-54.
- Rekus, Jürgen/Hinz, Dieter/Ladenthin, Volker (1998): Die Hauptschule: Alltag, Reform, Geschichte, Theorie. Weinheim, München: Juventa.
- Rühle, Alex: Ausgeblutet - Apropos Pisa II: Ein Besuch an einer Münchner Hauptschule (Süddeutsche Zeitung 23. November 2004).
- Schümer, Gundel (2004): Zur doppelten Benachteiligung von Schülern aus unterprivilegierten Gesellschaftsschichten im deutschen Schulwesen. In: Schümer, Gundel/Tillmann, Klaus-Jürgen/Weiß, Manfred (Hg.): Die Institution Schule und die Lebenswelt der Schüler. Vertiefende Analysen der PISA-2000-Daten zum Kontext von Schülerleistungen. Wiesbaden: Verlag f. Sozialwiss. S. 73-114.
- Schümer, Gundel (2005): Bildung und soziale Ungleichheit. In: Die Deutsche Schule, 97 (3), S. 266-284.
Weblinks
- Initiative Hauptschule e. V.
- Die Hauptschule behauptet sich (dpa-Bericht)
- Endstation Hauptschule?
- Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband
- Umfassende Informationen über Hauptschularbeit