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Walter Markov

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Walter Markov (* 5. Oktober 1909 in Graz; † 3. Juli 1993 in Summt; eigentlich Walter Mulec) war ein deutscher Historiker und Widerstandskämpfer.

Leben

Markov stammte aus einer österreichischen Familie mit Vorfahren verschiedener Nationalitäten. Er beherrschte eine Vielzahl von Sprachen. 1910 bis 1925 lebte er in Ljubljana und Kranj, dann auch in Belgrad und Sušak, wo er das Abitur ablegte. Er promovierte 1934 in Bonn über serbische Außenpolitik und wurde im gleichen Jahr Mitglied der KPD. Markov gründete 1934 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn eine studentische Widerstandsgruppe. 1935 wurde die Gruppe zerschlagen und die Beteiligten wurden verhaftet. Vom Volksgerichtshof wurde er zu zwölf Jahren Zuchthaus, davon sechs in Einzelhaft, verurteilt. Die Verurteilung erfolgte wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens. Er wurde in Siegburg im Gefängnis inhaftiert. Zu den Aktivitäten der „Markov-Gruppe“ gehörte z. B. die politische Zeitung Sozialistische Republik.

1945 organisierte er die Selbstbefreiung der politischen Häftlinge. In Bonn gehörte er zu den Mitbegründern der Freien Deutschen Jugend und des AStA der Universität Bonn. Vergeblich versuchte er, sich in Bonn beruflich zu betätigen. Wegen fehlender Aussichten auf eine akademische Laufbahn siedelte er 1946 nach Leipzig über. 1947/48 beteiligte er sich an Debatten der Gesellschaft Imshausen über einen gesamtdeutschen „Dritten Weg“ bei der Erneuerung Deutschlands. Er habilitierte sich an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit einer Arbeit über die Balkandiplomatie (gedruckt 1999).

An der Universität Leipzig wurde ihm 1949 eine Professur mit einem Lehrstuhl für Neuere Geschichte übertragen. Außerdem war er Direktor des Instituts für Universal- und Kulturgeschichte. 1951 wurde er u. a. wegen seiner „recht unabhängigen Denkweise“ und des Vorwurfs des angeblichen „Titoismus“ aus der SED ausgeschlossen. Trotzdem konnte er seine wissenschaftliche Arbeit in Leipzig fortsetzen. Seine Schwerpunkte lagen in der Französischen Revolution und der danach folgenden Revolutionsgeschichte. In besonderem Maße befasste er sich mit den Jakobinern und den Sansculottes. Über seine Beschäftigung mit der äußersten Linken der Französischen Revolution fand er sein großes Thema, die Biografie von Jacques Roux. Zu ihm veröffentlichte er mehrere Arbeiten und forschte dafür auch in Frankreich. Er knüpfte intensive Kontakte zu französischen Historikern. Er erhielt als Anerkennung für seine Arbeiten zahlreiche nationale und internationale Ehrungen.

In den Jahren 1962/1963 war er in Nigeria als Erster Direktor des Fachbereichs Geschichte der University of Nigeria in Nsukka tätig. Von 1970 bis 1971 lehrte er an der Universität von Santiago de Chile. Als einen weiteren Schwerpunkt seiner Arbeit wählte er die Geschichte der Befreiungsbewegungen und der Dritten Welt. Von daher wandte er sich der Weltgeschichte zu, über die er ebenfalls mehrere Arbeiten veröffentlichte. 1968 wurde er Gründungsdirektor der neu gegründeten Sektion für Afrika- und Nahostwissenschaften der Leipziger Universität. Zu seinen akademischen Schülern gehört auch Klaus Mylius, der als Indologe international bekannt wurde.

1974 ging Markov in den Ruhestand. Von da an publizierte Markov regelmäßig in der Weltbühne. Seine Professur übernahm Manfred Kossok, der auch die Tradition der vergleichenden Revolutionsforschung weiterführte.

Nach der Wende 1989/90 engagierte sich Markov für die PDS. Die Zeitschrift Comparativ und die Karl-Lamprecht-Gesellschaft, die unter seiner Mitwirkung gegründet wurden, sehen sich in Markovs Tradition. Die Lamprecht-Gesellschaft verleiht den nach Markov benannten Walter-Markov-Preis für Geschichtswissenschaften. In Bonn ist ein Antiquariat nach Markov benannt. In Leipzig-Holzhausen trägt die Straße Walter-Markov-Ring seinen Namen.

Walter Markov ist der Vater des Politikers Helmuth Markov.

Werke

Als Autor:

  • Serbien zwischen Österreich und Russland 1897–1908. Kohlhammer, Stuttgart 1934 (Dissertation, Universität Bonn, 1934).
  • Grundzüge der Balkandiplomatie. Ein Beitrag zur Geschichte der Abhängigkeitsverhältnisse. 1947 (Habilitationsschrift, Universität Leipzig, 1947); Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 1999, ISBN 3-933240-97-2.
  • Die Freiheiten des Priesters Roux. Akademie, Berlin 1967; Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2009, ISBN 978-3-86583-396-9.
  • Exkurse zu Jacques Roux. Akademie, Berlin 1970.
  • mit Albert Soboul: 1789, die große Revolution der Franzosen. Akademie, Berlin 1973.
  • mit Heinz Helmert: Schlachten der Weltgeschichte. Edition Leipzig, Leipzig 1977.
  • mit Ernst Werner: Geschichte der Türken von den Anfängen bis zur Gegenwart. Akademie, Berlin 1978.
  • Weltgeschichte im Revolutionsquadrat. Hrsg. von Manfred Kossok. Akademie, Berlin 1979.
  • Kognak und Königsmörder. Historisch-literarische Miniaturen. Aufbau, Berlin/Weimar 1979.
  • Grand Empire. Sitten und Unsitten der Napoleonzeit. Edition Leipzig, Leipzig 1984.
  • Zwiesprache mit dem Jahrhundert. Dokumentiert von Thomas Grimm. Aufbau, Berlin 1989, ISBN 3-351-01512-7 (Autobiografie).
  • Wie viele Leben lebt der Mensch. Eine Autobiographie aus dem Nachlass. Faber & Faber, Leipzig 2009, ISBN 3-867-30092-5.

Als Herausgeber:

  • mit Albert Soboul: Die Sansculotten von Paris. Dokumente zur Geschichte der Volksbewegung 1793–1794. Akademie, Berlin 1957.
  • mit Alfred Anderle, Ernst Werner: Weltgeschichte. Die Länder der Erde von A–Z (= Kleine Enzyklopädie). Bibliographisches Institut, Leipzig 1964.
  • Jacques Roux: Scripta et acta. Akademie, Berlin 1969.
  • Revolution im Zeugenstand. Frankreich 1789–1799. 2 Bände. Reclam, Leipzig 1982.
  • Jacques Roux: Freiheit wird die Welt erobern. Reden und Schriften. Reclam, Leipzig 1985.
  • mit Katharina Middell und Matthias Middell: Die Französische Revolution. Bilder und Berichte 1789–1799. Reclam, Leipzig 1989.

Literatur

  • Ralf Forsbach: Walter Markov (1909–1993). NS-Widerstandskämpfer und Historiker. In: Rheinische Lebensbilder. Bd. 19, Düsseldorf 2013, S. 309–329.
  • Sven Heitkamp: Walter Markov. Ein Leipziger Historiker zwischen Parteilichkeit und Professionalität. In: Die Hochschule. 1/2002, S. 148–158 (PDF).
  • Sven Heitkamp: Walter Markov. Ein DDR-Historiker zwischen Parteidoktrin und Profession. Leipzig 2003.
  • Ilko-Sascha Kowalczuk: Markov, Walter. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 2. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
  • Matthias Middell (Hrsg.): „Lust am Krimi“. Beiträge zu Werk und Wirkung Walter Markovs. Leipzig 2011.
  • Volker Ullrich: Zum Tode von Walter Markov. Kommunist ohne Partei online, abgerufen 30. Januar 2015. In: Die Zeit, Nr. 29 vom 16. Juli 1993, S. 41.
  • Manfred Neuhaus u. a. (Hrsg.): „Wenn jemand seinen Kopf bewusst hinhielt …“ Beiträge zu Werk und Wirken Walter Markovs. Leipzig 1995 (2., durchgesehene Auflage 1998).
  • Markov, Walter. In: Collegium Politicum an der Universität Hamburg, Arbeitsgruppe Historiographie (Hrsg.): Geschichtswissenschaftler in Mitteldeutschland. Ferd. Dümmlers Verlag, Bonn 1965, S. 67 f.