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Spiritismus

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Der Spiritismus (auch spiritistische Lehre genannt) ist eine spiritualistische Lehre, zu deren Grundlagen zählt, dass die Seelen Verstorbener, sogenannte Geister, sich mit Hilfe eines Mediums und unter gewissen Umständen durchaus mitteilen können. Die Nachrichten, die auf diesem Weg empfangen wurden, bilden die Lehre des Spiritismus. Seine ursprüngliche Form geht auf die Studien und Beobachtungen Allan Kardecs zurück, der dessen Grundlagen ordnete und von 1857 bis 1868 in fünf Büchern veröffentlichte.

Lehre

Ursprung

Der Spiritismus beruft sich auf die Prinzipien und Gesetze, die von höheren Geistern durch verschiedene Medien durchgegeben und von Allan Kardec gesammelt und thematisch geordnet wurden. Da er nicht der wahre Autor solcher Werke war, sondern diese bloß sammelte, ordnete und mit seinen auf Beobachtungen beruhenden Kommentaren veröffentlichte, beschloss er das Pseudonym Allan Kardec zu verwenden. Er behauptete, dass die Übereinstimmung der Nachrichten, die in verschiedenen Ländern von verschiedenen oft jugendlichen Medien empfangen wurden, die Glaubwürdigkeit der Werke belegte. So schrieb er:

Nicht der Meinung eines einzelnen Menschen vertraut man sich an, sondern der vereinten Stimme der Geister; nicht ein Mensch, sei ich es oder ein anderer, begründet den Spiritismus; auch nicht ein einzelner Geist, der sich jemandem aufdrängt, sondern die Gesamtheit der Geister, die auf der Erde entsprechend dem Willen Gottes wirken. Dies ist der essenzielle Charakter des Spiritismus, dort liegt seine Stärke. Gott wollte, dass sein Gesetz auf einer unerschütterlichen Basis ruht und deshalb überließ er es nicht dem schwachen Kopf eines einzelnen Menschen.

Allan Kardec: Das Evangelium nach dem Spiritismus", Einführung, Abschnitt II

Grundlegende Werke

Die so entstandenen Bücher bilden die Grundwerke der Spiritistischen Lehre:

  1. Das Buch der Geister (1857) — stellt die Grundzüge der Lehre dar und beschäftigt sich mit Themen wie Gott, Seele, Universum, Mensch, Tieren, Kultur, Moral und Religion.
  2. Das Buch der Medien (1861) — stellt die der Kommunikation über Medium zu Grunde liegende "Mechanik" der Geisterwelt dar, Techniken, die von Medien entwickelt werden können usw.
  3. Das Evangelium nach dem Spiritismus (1864) — Kommentiert die Evangelien und geht besonders auf Stellen ein, die nach Ansicht von Kardec ein ethisches Fundament zeigen, das von allen Religionen und philosophischen Systemen geteilt wird. Es war das erste religiöse Buch, das Leben auf anderen Planeten annimmt. Dabei wird Jesus Aussage "Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen." (Johannes 14:2) entsprechend interpretiert
  4. Der Himmel und die Hölle (1865) — Eine didaktisch aufbereitete Serie von Gesprächen mit den Seelen Verstorbenener, die eine Verbindung zwischen den Leben, die sie führten, und ihrem Befinden im Jenseits herstellen soll.
  5. Die Genesis nach dem Spiritismus (1868) — versucht Religion und Naturwissenschaft in Einklang zu bringen und beschäftigt sich mit drei Hauptproblemfeldern: Dem Ursprung des Universums und des Lebens, Wundern und Hellsehen.

Obwohl diese Bücher von 1857 bis 1868 veröffentlich wurden, stellen sie auch heute noch die Grundlage der spiritistischen Lehre dar. Sie wurden in 30 Sprachen übersetzt.

Kardec schrieb auch eine kurze Einführung ("Was ist der Spiritismus?") und gab ab Januar 1858 eine monatliche spiritistische Zeitschrift mit verschiedenen spiritistischen Themen heraus ("Revue Spirite"). Seine Aufsätze und Artikel wurden gesammelt und posthum veröffentlicht.

Glaubenselemente

Das Universum sei von Gott als dem höchsten Geist geschaffen. Es bestehe aus den materiellen Dingen und den spirituellen Wesen. Die Geister bilden als geistige, intelligente Wesen eine geistige Welt, die sich von den rein materiellen Dingen unterscheide und dieser in der Schöpfung zeitlich vorangehe als auch diese überdauern werde. Inkarnierte Geister sollen mit der geistigen Welt über Medien kommunizieren können. Inkarnationen sollen auch auf anderen Planeten außer der Erde stattfinden.

Wichtiger Bestandteil des Kardecianismus ist eine Seelenwanderungslehre. Geister leben in zwei Zuständen: inkarniert und nicht inkarniert. Die Geister seien unwissend erschaffen und bedürfen einer stufenweisen geistig-moralischen Entwicklung, die sie besser im inkarnierten Zustand erfahren können, in welchem die Erinnerungen an vorherige Inkarnationen und den nichtinkarnierten Zustand jedoch verdrängt seien. Dabei gehe die geistige Entwicklung stets in Richtung auf eine höhere Stufe oder stagniere. Einen Fall auf eine niedrigere Stufe gebe es nicht. Beim Aufstieg helfen die bereits höher entwickelten Geister (z.B. Schutzengel), zu denen auch Jesus als Wesen, das verantwortlich für die Erde sei und das den gesamten Aufstieg vollständig durchlaufen hat, gezählt wird.

Die christliche Ethik und der Dekalog sind in den Spiritismus integriert. Abtreibung, Selbstmord, Todesstrafe, Euthanasie und Sucht sind nicht mit der spiritistischen Lehre vereinbar. Moralisch richtiges Handeln im Einklang mit dieser Ethik wird als wichtiger angesehen als Gebete. Gebete werden jedoch als wichtig angesehen um mit Schutzengeln und befreundeten Geistern in Kontakt zu bleiben. Es gibt keine vorgeschriebenen Gebetsformen. Das Vater Unser gilt als vollkommenes Gebet.

Ein wichtiges Element sind spiritistische Sitzungen, die der geistigen "Höherentwicklung", nicht der Vorhersage künftiger Ereignisse, dienen sollen. Die Fähigkeit, Medium zu sein, wird als natürliche menschliche Gabe betrachtet, die jeder hat und entwickelt werden kann. Die besondere Stellung beschränkt sich dabei auf das Wirken in der Séance und entspricht keinem priesterlichen Stand und darf auch nicht gegen Entgelt ausgeübt werden.

Organisation

Der Spiritismus wird nicht immer als Religion betrachtet, da er

  • keine formale Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft erfordert
  • kein Aufsuchen bestimmter Orte erfordert
  • alle anderen Religionen akzeptiert, solange diese mit der Ethik Jesu im Einklang sind
  • der Wissenschaft nicht entgegengestellt ist, sondern mit dieser im Einklang sein will
  • keine formalen Rituale außer Gebeten erfordert
  • sich nicht als einzig wahre Lehre ansieht
  • sich nicht um einen Konfessionswechsel anderer Gläubiger bemüht (kein Proselytismus)

Es gibt keine religiöse Hierarchiestruktur wie in abrahamitischen Religionen, ebensowenig ein religiöses Oberhaupt. Es gibt keine spiritistischen Tempel. Viele Spiritisten treffen sich in spiritistischen Zentren um sich über die Lehre auszutauschen oder Séancen abzuhalten. Spiritistische Zentren sind in der Regel aktiv in der Wohlfahrt und Fürsorge engagiert.

In Brasilien ist der Spiritismus in der Federação Espírita Brasileira auf nationaler Ebene organisiert. Internationaler Dachverband ist der "Internationale Spiritistische Rat" mit Sitz in Paris.

Verbreitung

Die meisten Anhänger hat der Spiritismus in Südamerika. In Brasilien ist der Spiritismus am meisten verbreitet, eine staatlich anerkannte Religion und hat rund 4,6 Mio. Anhänger. Noch verbreiteter ist dort Umbanda, eine Religion die den Kardecianistischen Spiritismus mit Vorstellungen afrikanischer Herkunft verbindet.

Insgesamt bekennen sich auf der Welt rund 15 Mio. Menschen zum Spiritismus. Siehe auch Religionen in Zahlen

Bewertung

Die gesamte Glaubwürdigkeit des Spiritismus beruht auf der Existenz von Medien, die mit dem "Jenseits" kommunizieren können und der Echtheit der so übermittelten Nachrichten.

Brasilianischer Standpunkt

Während diese Möglichkeit in Europa und den USA sehr umstritten ist und von der großen Mehrheit für unmöglich gehalten wird, stellt es in Brasilien ein staatlich anerkanntes Faktum dar: In der brasilianischen Rechtsprechung werden schriftliche Aussagen von Medien, die unter Aufsicht eines Notars erstellt wurden, in vielen Fällen anerkannt. So wurden zum Beispiel in den Fällen

  • eines Mordes in Goiânia de Campina, Goiás, Mai 1976, der von José Divino Gomes an Maurício Garcez Henriques begangen wurde,
  • eines Mordes in Campo Grande, Mato Grosso do Sul, im März 1980, der von José Francisco Marcondes de Deus an seiner Ehefrau Cleide Maria begangen wurde,
  • eines Mordes in Goiânia , Goiás, 1975, an Henrique Emmanuel Gregoris

Schriftstücke, die ein Medium unter notarieller Aufsicht aufgeschrieben hatte, vor Gericht als Aussagen des Verstorbenen und somit als Beweise anerkannt. Ein Fall vom Mai 2006 wird in [1] auf Portugiesisch beschrieben.

In der Verfassung des brasilianischen Bundesstaates Pernambuco [2] wird in Art. 174 Medien der besondere Schutz des Staates versichert:

O Estado e os Municípios, diretamente ou através do aŭilio de entidades privadas de caráter Assistencial, regularmente constituídas, em funcionamento e sem fins lucrativos, prestarão Assistência aos necessitados, ao menor abandonado ou desvalido, ao superdotado, ao paranormal e a velhice desamparada. (Der Bundesstaat und seine Gemeinden helfen Bedürftigen, Waisen, Straßenkindern, Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, Menschen mit paranormalen Fähigkeiten (Medium) und bedürftigen Senioren direkt oder mittels eingetragener, nicht profitorientierter, privater Unternehmen.)“

Art.174: Verfassung von Pernambuco

Religionshistorisch

Der Kardecianistische Spiritismus nimmt in vielerlei Hinsicht eine Sonderstellung ein. Zum einen ist er eines der wenigen Beispiele, an denen beobachtet werden kann, wie aus einem zunächst als Schreibtischprodukt entstandenen schriftlichen Werk eine kultische, sozusagen "schamanistische" Religion entstehen kann. Zum anderen steht er an einem relativ frühen Punkt der Entwicklung spiritistischer Vorstellungen. Bei späteren Richtungen ist immer von direkter oder indirekter Kenntnis des Werks Kardec auszugehen, so dass man mit einer gewissen Berechtigung von einer "reinen" Form des Spiritismus sprechen kann, während die anderen Richtungen als Ableger unter Aufnahme anderer Vorstellungen zu betrachten sind.

Spiritismus und Esperanto

Mehrere Nachrichten, die im Rahmen spiritistischer Sitzungen empfangen worden sein sollen, weisen auf eine besondere Rolle der Plansprache Esperanto in der Welt hin. Demnach bestehe in der geistigen Welt der nichtinkarnierten Geister ebenfalls ein Sprachproblem, da nur bereits weit fortgeschrittene Geister ausschließlich mit Gedanken kommunizieren können, während einfache und mittlere Geister noch eine Art Sprache dazu benötigen. Zur Lösung dieses Sprachproblems soll Esperanto erschaffen worden sein. Der Geist L. L. Zamenhof sei dann inkarniert um Esperanto auf der Erde zu verbreiten.

Esperanto stellt für Spiritisten jedoch kein Objekt religiöser Verehrung dar, sondern ist für sie nur ein Werkzeug um andere Menschen besser zu verstehen. Die zwischenmenschliche Verständigung durch die Anwendung und Verbreitung von Esperanto zu ermöglichen, gilt als Akt der Nächstenliebe.

Die große Mehrheit der Esperantosprecher weiß nichts von der Bedeutung von Esperanto für den Spiritismus. In Brasilien sind die meisten Esperantosprecher gleichzeitig Spiritisten, in anderen Teilen der Welt nur eine verschwindend geringe Minderheit. Siehe auch Esperanto und Religion

Bekannte Spiritisten

Allan Kardec, Daniel Dunglas Home, Arthur Conan Doyle (der Erfinder von Sherlock Holmes), Helena Petrovna Blavatsky, Sir Oliver Lodge, Theodate Pope Riddle, Alexander Aksakov, Léon Denis, Johannes Greber,

Bekannte Antispiritisten

John Nevil Maskelyne, Harry Houdini, James Randi

Sonstiges

Siehe auch

Spiritualismus, Reinkarnation, Reinkarnationsforschung, Nahtod-Erfahrung, Okkultismus, Séance, Portal:Religion

Quellen