Tonio Kröger
Tonio Kröger ist eine Novelle von Thomas Mann. Entstehungszeit: Dezember 1900 - November 1902.
Inhalt
Erstes Kapitel
Tonio Kröger ist der Sohn des Großkaufmanns Konsul Kröger und dessen schöner, „von drüben“, von jenseits der Alpen kommenden Frau. Von ihr hat der die dunklen Augen und das südlich scharf geschnittene Gesicht. Vom Bruder seiner Mutter, seinem Taufpaten Antonio, stammt der landesfremde Vorname.
Den vierzehnjährigen Tonio beeindruckt der blonde, blauäugige Hans Hansen, ein frischer, unkomplizierter Junge, der auffallend hübsch ist. Ihn „liebt“ Tonio, um seine Freundschaft und Zuneigung wirbt er. Dabei ist Hans Hansen in allen Stücken das Gegenteil Tonio Krögers´, nicht nur im Erscheinungsbild, auch in der Wesensart. Er macht Laubsägearbeiten, rudert, segelt, schwimmt und nimmt Reitstunden. Tonio dagegen liegt in seiner Freizeit einsam am Strand und betrachtet das geheimnisvoll wechselnde Antlitz des Meeres. Er spielt Geige und hat ein Heft mit selbst geschriebenen Versen. Im Schulunterricht schweifen seine Gedanken ab, die persönlichen Schwächen der Lehrer durchschaut er und ihre schlechten Manieren stoßen ihn ab. Nach Hause bringt er die erbärmlichsten Zensuren. Unter den anderen Schülern fühlt er sich fremd, die Lehrer lehnen ihn insgeheim ab. Und doch bemerkt Hans Hansen eine gewisse Überlegenheit an Tonio, eine Fertigkeit, schwierige Dinge in Wort zu fassen.
Ein bisschen beneidet Tonio Hans Hansen um dessen Unkompliziertheit, die ihm soviel Sympathie in ihrer gemeinsamen Umwelt einträgt. Sein Freundschaftswerben duldet Hans Hansen, mehr erreicht Tonio nicht. Beide bleiben sich fremd und Tonio leidet.
Zweites Kapitel
Der sechzehnjährige Tonio hat sich in die blonde, blauäugige Inge verliebt. In der Tanzstunde wagt er aber nicht, sie anzusprechen, und die heitere, unbekümmerte Inge übersieht ihn.
Ihm wesensverwandt ist Magdalena Vermehren, die in der Tanzstunde oft hinfällt. Aus ihren großen, dunklen Augen blickt sie oft von weitem und mit gesenktem Kopf auf Tonio. Sie interessiert sich für seine Verse und hatte ihn schon zweimal gebeten, sie ihr zu zeigen. Bei der Damenwahl geht sie auf ihn zu.
„Aber was sollte ihm das? Er, er liebte Inge Holm, die blonde, lustige Inge, die ihn sicher darum verachtete, dass er poetische Sachen schrieb.“ Und in Tonios Liebe mischte sich „eine neidische Sehnsucht, ein herber, drängender Schmerz, von ihr ausgeschlossen und ihr ewig fremd zu sein.“
Drittes Kapitel
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Tonio Kröger verlässt Lübeck (weiterer Lebensweg) Im dritten Kapitel erfährt man, dass Tonios Großmutter väterlicherseits und bald darauf sein Vater stirbt. Nach Ablauf der Jahresfrist heiratet seine Mutter wieder. Ihr neuer Mann ist Musiker und sie geht mit ihm „in die Ferne“. Daraufhin verlässt Tonio seine Heimatstadt Lübeck und geht nach Italien, wovon er sich ein üppigeres Reifen seiner Kunst verspricht.
Viertes Kapitel
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Der erwachsene Tonio Kröger im Gespräch mit Lisaweta Iwanowna in München Das vierte Kapitel spielt in München. Tonio besucht seine Freundin Lisaweta Iwanowna, der er alles erzählen kann. Sie ist genau wie er jenseits der dreißig. Er trifft sie beim Malen in ihrem Atelier an und erzählt ihr von seinen geheimsten Fantasien. Sie diskutieren ausführlich seine Probleme und das Dilemma, welches er bezüglich seines Körpers empfindet. Hier wird so die eigentliche Problematik Tonios formuliert. Er redet dabei über den Menschen und den Künstler Tonio Kröger, welche für ihn einen Gegensatz darstellen.
Fünftes Kapitel
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Entschluss Tonios zur Reise nach Dänemark Tonio Kröger entschließt sich zu einer Reise nach Dänemark, um Abstand von seinen Sorgen zu gewinnen und einmal seinen väterlicherseits mitgegebenen, nördlichen Wurzeln zu folgen. Er berichtet von seinen Beweggründen, diese Reise zu unternehmen. Er sagt Lisaweta Iwanowna, dass er über Lübeck, seine Heimatstadt, gen Norden reisen wird, und verspricht, ihr einen Brief zu schreiben.
Sechstes Kapitel
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Zwischenstopp in Lübeck, Spaziergang zum Elternhaus In diesem Kapitel wird die Reise Tonio Krögers von München nach Lübeck beschrieben. In Lübeck belegt er ein Hotelzimmer und macht sich am nächsten Tag auf den Weg, um zum ersten Mal, seitdem er Lübeck als Kind verlassen hatte, sein Elternhaus aufzusuchen. Er geht den Weg, den er mit Hans Hansen schon damals gegangen ist. Er betrachtet Lübeck und erkennt die Veränderungen. Die Volksbibliothek verwendet nun die Räumlichkeiten, in der er seine Kindheit verbrachte. Er hält sich kurz in der Bibliothek auf, spricht mit dem Aufseher und besichtigt sein zweckentfremdetes Kinderzimmer. Er hat genug gesehen und ist nun bereit seine Reise fortzusetzen. Bevor er jedoch das Hotel verlassen kann, wird er von dessen Besitzer und einem Polizisten behelligt. Sie haben den Verdacht er könne ein in München gesuchter Betrüger sein, der sich nun auf der Flucht nach Dänemark befindet. Tonio Kröger kann diesen Verdacht jedoch abwenden. Er setzt seine Reise fort.
Siebentes Kapitel
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Reise nach Dänemark Mit der Fähre setzt Tonio Kröger seine Reise nach Dänemark fort. An Deck unterhält er sich mit einem Passagier. Er landet in Kopenhagen und verbringt dort seine Abende im Tivoli. Bald setzt er seine Reise zu einem Seebad fort und bezieht dort sein Zimmer.
Achtes Kapitel
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Wiedersehen mit Ingeborg Holm und Hans Hansen, Tanz Tonio Kröger richtet sich in seiner Pension in Aalsgaard häuslich ein, unternimmt Spaziergänge, beobachtet die Ostsee und schreibt an Lisaweta Iwanowna. Er beteiligt sich an Unterhaltungen mit anderen Gästen beim gemeinsamen Essen der Pension. Die Tischgesellschaft und Tonios Zeit am Meer werden beschrieben. Er verspürt Wehmut. Eines Morgens kommt eine große Gesellschaft Ausflügler zu Tanz und Musik an. Unter ihnen sind auch Hans Hansen und Ingeborg Holm. Tonio beobachtet sie am Abend beim Tanz aus der Ferne. „… plötzlich erschütterte das Heimweh seine Brust…“. Die Quadrille wird gespielt und er denkt an ein peinliches Erlebnis diesen Tanz betreffend zurück. Er geht auf sein Zimmer. „Müde von Eifersucht“ schläft er ein, an die beiden denkend.
Neuntes Kapitel
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Tonio schreibt einen Brief an Lisaweta Iwanowna ,Tonio Kröger schreibt einen Brief an seine Freundin Lisaweta Iwanowna, in dem er seine Gefühle im Zusammenhang mit seinem Leben und jenem Abend schildert. Er sieht die Welt klarer und glaubt einen Weg gefunden zu haben, sein Leben, seine Probleme mit seiner Identität in den Griff bekommen zu können.
Figuren
Tonio Kröger
Tonio Kröger hat sich als Dichter in der literarischen Welt einen Namen gemacht. Aber, was emotionale Spontaneität betrifft, ist er von der Natur stiefmütterlich bedacht worden. Künstlerisch hoch begabt und fähig, in Gelassenheit etwas Ganzes zu schmieden, ist er im Umgang gehemmt. Dass ihm etwas fehlt, nämlich Natürlichkeit und Unbefangenheit, erkennt er an den heiteren und unkomplizierten Protagonisten der Novelle. Sie sind blond, blauäugig und von ansprechendem Äußeren. Sie verkörpern solide, sympathische Mittelmäßigkeit. Zu diesem gänzlich anderen Typus, der den Geist nicht nötig hat, fühlt sich Tonio Kröger hingezogen. Er möchte sein wie sie und sehnt sich - wie er es formuliert - nach den „Wonnen der Gewöhnlichkeit“.
Um Tonio Krögers Dilemma zu verstehen: Thomas Mann hat in Natur und Geist unvereinbare Gegensätze gesehen. Eine ganz andere Weltsicht hatte Goethe."Das menschliche Bestreben" sei es, so Goethe, durch ständigen Perspektivenwechsel Natur und Geist miteinander zu verbinden. Goethes harmonische Anschauung zu teilen, dürfte leichter fallen, als sich Thomas Manns Antinomie anzuschließen.
Hans Hansen
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Hans Hansen ist der Jugendfreund von Tonio Kröger und wie Tonio ebenfalls Sohn eines wohlhabenden Lübecker Kaufmanns. Tonio empfindet eine tiefe Zuneigung zu ihm, der blonde Haare, eine sportliche Figur und einen “taktfesten Gang“ besitzt. Er akzeptiert seine gesellschaftliche Stellung und stellt in Aussehen und Verhalten das komplette Gegenteil zu Tonio Kröger dar. In seinen Kindertagen ist er ein fröhlicher Junge, der sich eher für Pferde als für Tonios Leidenschaft für Literatur begeistern kann. Er weiß um die große Zuneigung, die Tonio ihm entgegenbringt, geht jedoch nicht darauf ein und erwidert sie zu Tonios Leidwesen nicht.
Ingeborg Holm
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Ingeborg Holm wird Tonio Krögers zweite große Liebe nach Hans Hansen. Ingeborg, mit ihrem blonden Zopf und den blauen Augen mit Sommersprossen über der Nase, hat ein humorvolles Wesen und wird nicht nur von Tonio Kröger umworben. Sie geht ebenfalls nicht auf Tonios Zuneigung ein. Er bekennt sich auch hier nie zu seiner Liebe zu ihr, daher weiß sie nicht einmal von seinen Gefühlen. Es besteht keine Beziehung zwischen ihnen, sondern es ist eine stille Liebe seinerseits.
Magdalena Vermehren
Die stille, ernste Magdalena Vermehren mag Tonio Kröger und interessiert sich für seine Gedichte. Tonio Kröger weicht ihr jedoch aus. Sie ist von gleicher Wesenart wie er. Angezogen fühlt er sich von seinem und ihrem Gegenteil, den Heiteren und Schönen.
Francois Knaak
Als Tanzlehrer kommt eigens der Ballettmeister Francois Knaak von Hamburg in Tonio Krögers enge Vaterstadt. Die Tanzstunde findet Reih um in Privathäusern statt, ausschließlich für die Angehörigen der ersten Familien. Auch Tonio Kröger nimmt daran teil. Ihn verblüfft, wie sich dieser affektierte, selbstverliebte Francois Knaak, dem sich der seidig schwarze Gehrock so wunderbar um die fetten Hüften schmiegt, Wirkung verschafft. Bei seinen Unterweisungen spricht er mit Vorliebe französisch "und keine Worte schildern, wie wunderbar er dabei den Nasallaut hervorbrachte"
"Was für ein unbegreiflicher Affe, dachte Tonio Kröger." Doch - unter den Randfiguren der Novelle zählt er zu den einprägsamsten.
Lisaweta Iwanowna
Mit der Malerin Lisaweta Iwanowna ist Tonio Kröger befreundet. Ihr klagt er während seiner Atelierbesuche seinen Mangel an Lebensbegabung. Mehr verbindet ihn mit Lisaweta Iwanowna nicht.
Lisaweta Iwanowna nennt Tonio Kröger einen Bürger auf Irrwegen, einen verirrten Bürger. Mit Bürger oder bürgerlich spielt sie an auf seine Sehnsucht nach Natürlichkeit.
Interpretation
„Ich stehe zwischen zwei Welten“, resümiert Tonio Kröger am Ende, „ich bin in keiner daheim und habe es infolgedessen ein bisschen schwer.“
Für Thomas Mann und seinen Fabelheld ist die Welt zweigeteilt in Geist und Natur, und das unüberbrückbar. Geist und Kunst werden in der Novelle durch die Literatur vertreten, Bürgerlichkeit meint Leben und unbefangene Emotionalität. Dahinter wiederum steht die Trennung von Geist und Sexualität. Für Thomas Mann war seine homoerotische Neigung zwar kein wesensfremder Bereich, aber ein verbotener, ein sich selbst verbotener aufgrund seines Strebens nach Öffentlichkeit und Repräsentanz.
Diese Unvereinbarkeit zu akzeptieren, fällt dem heutigen Leser schwer. Denn überwunden wird die Antinomie von Natur und Geist in der Künstlernovelle nicht. Das Schlusskapitel ist ein Brief an Lisaweta Iwanowna, der mit dem Bekenntnis endet:
„Aber meine tiefste und verstohlenste Liebe gehört den Blonden und Blauäugigen, den hellen Lebendigen, den Glücklichen, Liebenswürdigen und Gewöhnlichen. – Schelten Sie diese Worte nicht, Lisaweta; sie ist gut und fruchtbar. Sehnsucht ist darin und schwermütiger Neid und ein klein wenig Verachtung und eine ganz keusche Seligkeit.“
Literatur
Drucke
- Erstdruck: Neue Deutsche Rundschau Februar 1903, Jg.14, Heft 2, Seite 113 - 151
- Thomas Mann: Die Erzählungen, S. Fischer Verlag - ISBN 3-10-048514-9
Sekundärliteratur
- Kurzke, Hermann - Interpretation. Thomas Mann: Tonio Kröger. ISBN: 315950025X
- Peter Paintner: Erläuterungen zu Tristan Tonio Kröger Mario und der Zauberer. Bange, Hollfeld, 1984, ISBN 3-8044-0307-7
Hörbücher
- Thomas Mann: "Tonio Kröger", 3 CDs, Der HÖR Verlag - ISBN 3895843709
Verfilmungen
- Tonio Kröger (1964), Regie: Rolf Thiele, mit Jean-Claude Brialy, Nadja Tiller, Walter Giller, Werner Hinz, Theo Lingen, Günther Lüders u.a. - Filmmusik von Rolf A. Wilhelm.