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Samisdat

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Datei:BiuletynDolnoslaski1981wrzesien.jpg
Das Bulletin Niederschlesien von Solidarność-Aktivisten 1981 auf einem Matritzendrucker produziert

Samisdat (russisch: сам - selbst, издательство/isdatel'stwo - Verlag) bezeichnete in der UdSSR und später auch in anderen so genannten realsozialistischen Staaten die Verbreitung von alternativer, nicht systemkonformer Literatur auf nichtoffiziellen Kanälen, zum Beispiel durch Handschrift, Abtippen oder Fotokopie und das Weitergeben der so produzierten Exemplare. Bei nichtkonformen Sängern wie Wyssozki wurden Konzertaufnahmen mitgeschnitten und per Tonbandkopie weiterverbreitet.

Samisdat gab es in nennenswertem Umfang in der Sowjetunion, Polen, der DDR, Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn. Schriftsteller, Dichter, Publizisten und Sänger konnten kritische oder auch von der Gattung des Sozialistischen Realismus abweichende Texte nur in Ausnahmefällen im staatlich kontrollierten Verlagswesen veröffentlichen. So war der Samisdat neben privaten Lesungen oft der einzige Weg, nichtkonforme Texte einem breiteren Publikum im eigenen Land zugänglich zu machen.

Russland

Vorgeschichte

Da die Zensur missliebiger Inhalte schon im zaristischen Russland üblich war, gab es auch schon vor der Oktoberrevolution privat, meist als Handschrift verbreitete Texte. Der Slawist Wolfgang Kasack gibt als ersten historisch verbürgten Fall von Samisdat die Verbreitung von Radischtschews Reise von Moskau nach Petersburg (Путешествие из Петербурга в Москву, 1790) an. Weitere Beispiele lassen sich mühelos finden: So besaß Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts fast jeder gebildete Russe eine Abschrift der Komödie Verstand schafft Leiden (Горе от ума) des Dichters Alexander Gribojedow.

Wurden kurz nach der Revolution - vor allem aus organisatorischen und ökonomischen Gründen - noch handschriftlich kopierte Gedichte von Andrei Bely, Nikolai Gumiljow, Maximilian Woloschin und anderen auf der Straße verkauft, so war der Verbreitungsweg später eher privater Natur. Unter Stalin wurde die Aufbewahrung und Verbreitung verbotener Texte mit bis zu 25 Jahren Lagerhaft bestraft; oftmals lernten Menschen deshalb verbotene Gedichte auswendig und gaben sie nur mündlich weiter, um sich nicht zu kompromittieren. Nichtsdestotrotz kann in dieser Zeit der Ursprung des Samisdats im engeren Sinne gefunden werden.

Samisdat zu Sowjetzeiten

Erstmals verwendet wurde ein Samisdat ähnlicher Begriff in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, als der russische Dichter Nikolai Glaskow seine Gedichte in wenigen handgeschriebenen Exemplaren unter der Bezeichnung Samsebjaisdat (Самсебяиздат, "Sichselbstverlag") verteilte. Er parodierte damit die Namen der Staatsverlage, die zum Beispiel Goslitisdat ("Staatsverlag für Literatur"), Detisdat ("Kinderverlag"), Politisdat oder Wojenisdat ("Militärverlag") hießen. Der Begriff verkürzte sich in der weiteren Verwendung auf Samisdat und wurde zum Inbegriff für unzensierte Literatur.

Das wohl bekannteste Werk, das in der Sowjetunion nur im Samisdat erscheinen konnte, war Archipel Gulag (russisch Архипелаг Гулаг, 1968) von Alexander Solschenizyn. Großen Einfluss hatte auch die seit 1971 als Samisdat herausgegebene Chronik der laufenden Ereignisse (russisch Хроника текущих событий) von Sergei Kowaljow.

Die Verbreitung von Literatur ohne offizielle Druckgenehmigung galt gemäß Artikel 70 des Strafgesetzbuches der RSFSR als antisowjetische Agitation und Propaganda und wurde mit Lagerhaft, Verbannung und Ausweisung bestraft.

DDR

In der DDR gab es bis zum Ende der achtziger Jahre über 30 künstlerisch-literarische Periodika mit Auflagen zwischen 20 und 200 Exemplaren und ca. 50 Zeitschriften, Informationshefte und Periodika, die von Bürgerrechts-, Friedens-, Oppositions- und Umweltgruppen in zum Teil hohen Auflagen (bis 5.000 Ex.) verbreitet wurden. Über Bestände dieser Zeitschriften verfügen u.a. die Umweltbibliothek Berlin, das Osteuropa-Institut der Universität Bremen, das Deutsche Literaturarchiv Marbach, die Deutsche Bücherei Leipzig und die Sächsische Landesbibliothek. Digitalisiert wurden literarische und künstlerische Samisdatzeitschriften durch die TU Dresden , eine Digitalisierung der Samisdatzeitschriften aus dem Spektrum der Oppositions- und Bürgerrechtsgruppen wie Grenzfall, Grubenkante, Kopfsprung, Lausitzbotin, Plattform, Umweltblätter ist in Vorbereitung. Wichtig erscheint das, weil sie aufgrund ihrer schlechten Papierqualität schon bald unlesbar zu werden drohen. Ein Teil dieser Zeitschriften wurde von der DDR-Staatssicherheit unterwandert. So wurde z.B. die Probenummer des Friedrichsfelder Feuermelders von Stasispitzeln als Lockvögel verfasst.

Der Samizdat Telegraph (Zeitschrift) (ehem. Umweltblätter) gehörte vor der Wende zu den grössten Untergrundzeitschriften der linken DDR-Opposition und wird auch heute noch herausgegeben.

Tamisdat

Eine weitere Variante der Verbreitung verbotener Literatur war der sogenannte Tamisdat - "Dortverlag" (Tam russisch там - dort). Die Bücher wurden im Ausland, am häufigsten in westeuropäischen und amerikanischen Verlagen (z.B. Ann Arbor, YMCA-Press oder Ardis), auf Russisch gedruckt und in die Sowjetunion geschmuggelt. So wurde zum Beispiel Boris Pasternaks Doktor Schiwago zuerst 1957 auf Italienisch veröffentlicht, 1959 aber in Paris auch auf Russisch publiziert. Weitere bekannte Beispiele für Tamisdat-Literatur sind die Werke Ossip Mandelstams sowie Nadeschda Mandelstams Memoiren.

Auch das Aufbewahren von Tamisdat-Büchern und -Zeitschriften war alles andere als ungefährlich. In der Sowjetunion drohten dem Besitzer bei Entdeckung mindestens fünf Jahre Haft.