Messie-Syndrom
Mit dem Begriff Messie-Syndrom (von engl. mess = Unordnung, Dreck, Schwierigkeiten; auch „Diogenes-Syndrom”) werden schwerwiegende Defizite in der Fähigkeit bezeichnet, die eigene Wohnung ordentlich zu halten und seine Alltagsaufgaben zu organisieren. Diese Defizite beruhen auf einer Störung psychischer Funktionen (s. psychische Störung).
Der von dem Hamburger Mediziner und Psychoanalytiker Peter Dettmering 1984 geprägte Begriff Vermüllungssyndrom für extreme Ausprägungen des Messie-Syndroms wird heute kaum noch verwendet.
Symptomatik
Messies leiden an einer Störung der Fähigkeit, ihre Handlungen geplant und zielgerichtet an der Bewältigung ihrer alltäglichen Aufgaben auszurichten, die sich äußern kann in
- Unordentlichkeit bis zu Geruchsbelästigung und hygienischen Problemen
- zwanghaftem Sammeln wertloser oder verbrauchter Dinge
- chronischen Problemen mit Zeiteinteilung und Pünktlichkeit
- "Lähmung" der Handlungsfähigkeit auch in wichtigen Situationen
- Versäumen bzw. Nicht-Erledigen normaler sozialer Verpflichtungen (es kann beispielsweise vorkommen, dass die gesamte Post - ob Werbung, wichtige Briefe oder Mahnungen - ungeöffnet in einer Schublade landet)
- eingeschränktem sozialen Umgang, der u.A. durch eine extrem unordentliche Wohnung hervorgerufen wird
- Hilflosigkeit unter dem Druck des Chaos.
Messies neigen zum Sammeln bzw. Horten von Sachen, die ihre Mitmenschen oft als wertlos ansehen und wegwerfen würden. Die Betroffenen sind meistens unfähig, den realen Wert dieser Gegenstände einzuschätzen, zwischen wichtig und unwichtig, brauchbar und unbrauchbar zu unterscheiden. Oft sehen sie die Irrationalität ihres Hortens zwar ein, sind aber nicht in der Lage, dieser Einsicht entsprechend zu handeln. Im Extremfall führt die Unordnung dazu, dass größere Bereiche der Wohnung nicht mehr betretbar sind. Manchmal verbleiben nur noch enge „Fußwege“ zwischen großen Haufen, Kisten und Säcken. Schließlich kann es zur Unbewohnbarkeit der Wohnung kommen.
Darüber hinaus haben Messies häufig Schwierigkeiten, Prioritäten zu setzen, Notwendiges zu erledigen und ihre Handlungen gemäß eigener Zielsetzungen effektiv zu steuern. Insbesondere die Umsetzung geplanter Handlungen, die nicht aktuell befriedigend sind, fällt ihnen schwer, ebenso eine aufgabengerechte Zeiteinteilung. Ähnlich wie bei einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung sind also die sogenannten exekutiven Funktionen gestört.
Messies schämen sich ihrer Unordnung in der Regel und leiden darunter. Auch infolge sozialer Isolation halten es viele Betroffene nicht für möglich, dass andere unter denselben Schwierigkeiten leiden. Dies erschwert ihnen häufig, ihr Problem zu erkennen und Hilfe zu suchen. Nach außen sind Messies meistens unauffällig. Sie erscheinen oft als offene, optimistische, vielseitige und kreative Menschen. Manchmal haben sie - scheinbar paradox - eine Tendenz zum Perfektionismus.
Messie-Symptomatik und andere psychische Störungen
In der psychotherapeutischen Fachwelt wird der Begriff Messie-Syndrom wenig verwendet. Psychotherapeuten orientieren sich bei der Diagnose psychischer Störungen in aller Regel an den gängigen Klassifikationssystemen ICD-10 oder DSM IV, die den Begriff Messie-Syndrom nicht enthalten.
Die dem Messie-Syndrom zu Grunde liegende psychische Störung kann unterschiedlich sein. Es kann sich um eine Störung der exekutiven Funktionen im Rahmen einer Zwangskrankheit, einer Depression, von Persönlichkeitsstörungen oder anderer psychischer Erkrankungen handeln.
Viele Experten gehen heute davon aus, dass das Messie-Syndrom (in Fällen, in denen keine Psychose, schwere Depression oder Senilität vorliegt) eine ähnliche Grundlage hat wie die Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS) bzw. eine Variante dieser Störung ist. Die Abklärung einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung sollte also Bestandteil einer fachärztlichen oder psychologischen Diagnosestellung bei einem Messie-Syndrom sein. Depressionen (mit 42,6% gegenüber 1 bis 9% in der Normalbevölkerung), Essstörungen (34% gegenüber 1 bis 3%) und Angststörungen (24,8% gegenüber 3 bis 13%) kommen bei Messies überproportional häufig vor.
Es hat sich gezeigt, dass sich die charakteristischen Probleme vieler Betroffener bei einer medikamentösen Therapie mit Methylphenidat oder anderen bei ADS verwendeten Medikamenten häufig erheblich bessern. Eine andere oder ergänzende Therapiemöglichkeit ist Verhaltenstherapie.
Hilfe und Behandlung
Eine Haushaltshilfe empfinden Messies häufig als nicht nützlich, da sie oft besondere Scham bezüglich ihrer Privatsphäre empfinden und zudem in der Regel ein starkes Bedürfnis haben, selbst die Kontrolle und Übersicht über ihre gehorteten Gegenstände zu behalten.
Viele Experten halten Coaching für ein geeignetes Mittel, Messies zu unterstützen. Ein Coach greift nicht persönlich ein, sondern berät lediglich. Die Erstellung von Arbeitsplänen und die Unterstützung bei deren Einhaltung helfen den Betroffenen oft, ihre täglichen Aufgaben besser zu strukturieren. Hilfreich kann auch ein sogenannter Peer sein, der dem Messie beim Aufräumen Gesellschaft leistet, ihn ermutigt, und ihn beim Aussortieren, Verstauen und Ablegen unterstützt, ihm nützliche Hinweise gibt oder ihn einfach bei Laune hält. Da Messies ohnehin unter Scham- und Schuldgefühlen leiden, sind Ermahnungen in aller Regel nicht hilfreich. Stattdessen sollten bereits kleine Fortschritte gewürdigt werden.
Oft ist eine unterstützende medikamentöse Behandlung angezeigt, je nach zugrundeliegender psychischer Störung z.B. mit Stimulanzien (bei ADS) oder einem Antidepressivum (bei Depressionen oder Zwangskrankheit).