FMEA
FMEA (Failure Mode and Effects Analysis oder auch deutsch: Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse) ist eine analytische Methode, um potenzielle Schwachstellen zu finden. Im Rahmen des Qualitätsmanagements wird die FMEA zur vorbeugenden Fehlervermeidung eingesetzt. Die FMEA wird insbesondere in der Design- bzw. Entwicklungsphase neuer Produkte oder Prozesse angewandt.
FMEA folgt dem Grundgedanken einer vorsorgenden Fehlerverhütung anstelle einer nachsorgenden Fehlererkennung und -korrektur (Fehlerbewältigung) durch frühzeitige Identifikation potenzieller Fehlerursachen bereits in der Entwurfsphase. Damit werden ansonsten anfallende Kontroll- und Fehlerfolgekosten in der Produktionsphase oder gar im Feld (beim Kunden) vermieden und die Kosten insgesamt gesenkt. Durch eine systematische Vorgehensweise und die dabei gewonnenen Erkenntnisse wird zudem die Wiederholung von Designmängeln bei neuen Produkten und Prozessen vermieden.
Die FMEA ist seit 1980 als Ausfalleffektanalyse in die DIN 25448 aufgenommen. Die Methodik der FMEA soll schon in der frühen Phase der Produktentwicklung (Planung und Entwicklung) innerhalb des Produktlebenszyklusses angewandt werden, da eine Kosten-/Nutzenoptimierung in der Entwicklungsphase am wirtschaftlichsten ist. Denn je später ein Fehler entdeckt wird, desto schwieriger und kostenintensiver wird seine Korrektur sein.
Arten
Die FMEA kann in drei Arten unterteilt werden:
- Die System-FMEA untersucht das Zusammenwirken von Teilsystemen in einem übergeordneten Systemverbund bzw. das Zusammenwirken mehrerer Komponenten in einem komplexen System. Sie zielt dabei auf die Identifikation potenzieller Schwachstellen, insbesondere auch an den Schnittstellen, die durch das Zusammenwirken der einzelnen Komponenten entstehen könnten.
- Die Konstruktions-FMEA zielt auf die Konstruktion einzelner Produkte oder Bauteile und untersucht diese auf potenzielle Schwachstellen oder Ausfallmöglichkeiten.
- Die Prozess-FMEA stützt sich auf die Ergebnisse der Konstruktions-FMEA und befasst sich mit möglichen Schwachstellen im Fertigungs- oder Leistungsprozess.
Dabei werden die System-FMEA und die Konstruktions-FMEA zur sogenannten Produkt-FMEA zusammengefasst, da das zu betrachtende System meist nicht eindeutig aufgelöst werden kann.
Die SYSTEM-FMEA Produkt wird innerhalb des Entwicklungsprozesses angewendet. Ihre Aufgabe ist es, das Produkt auf Erfüllung der im Pflichtenheft festgelegten Funktionen hin zu untersuchen. Dabei sind für alle risikobehafteten Teile eines Produktes geeignete Maßnahmen zur Vermeidung oder Entdeckung der potenziellen Fehler zu planen. Die SYSTEM-FMEA auf Bauteilebene entspricht der bisherigen Definition der Konstruktions-FMEA. Sie dient zur Analyse aller Bauteilmerkmale, die zur Erfüllung der geforderten Bauteilfunktion notwendig sind.
Die System-FMEA Prozess wird noch innerhalb des Produktionsplanungsprozesses angewandt. Sie baut logisch auf den Ergebnissen der Konstruktions-FMEA auf. Ein Fehler der SYSTEM-FMEA Produkt, dessen Ursache im Herstellungsprozess liegt, wird folgerichtig als Fehler in die Prozess FMEA übernommen. Aufgabe der System-FMEA Prozess ist es, den gesamten Herstellungsprozess eines Produktes auf die Eignung zur Herstellung des Produktes hin zu untersuchen. Dabei sind für alle Fehler, die bei der Herstellung des Produktes auftreten können, geeignete Maßnahmen zu deren Vermeidung oder Entdeckung zu planen.
Anwendung
Bei der Anwendung wird zunächst ein Team aus Mitarbeitern verschiedener Unternehmensfunktionen (Interdisziplinäres Team) gebildet. Einzubeziehen sind insbesondere Konstruktion, Versuch, Fertigungsplanung, Fertigungsausführung, Qualitätsmanagement etc. Der Analyseprozess selbst wird dann mit Hilfe von Formblättern (QS-9000) oder entsprechender Software in formalisierter Weise (VDA4.2) durchgeführt.
Die FMEA beinhaltet
- eine Eingrenzung des betrachteten Systems,
- eine Strukturierung des betrachteten Systems,
- Definitionen von Funktionen der Strukturelemente,
- eine Analyse auf potenzielle Fehlerursachen, Fehlerarten und Fehlerfolgen, die sich direkt aus den Funktionen der Strukturelemente ableiten,
- eine Risikobeurteilung,
- Maßnahmen- bzw. Lösungsvorschläge zu priorisierten Risiken
- eine Verfolgung vereinbarter Vermeidungs- und Entdeckungsmaßnahmen und
- eine Restrisikobeurteilung bzw. -bewertung.
Potentielle Fehler werden analysiert, indem der Fehlerort lokalisiert wird, die Fehlerart bestimmt, die Fehlerfolge beschrieben und anschließend die Fehlerursache ermittelt wird. Zur Ermittlung denkbarer Fehlerursachen wird häufig ein sogenanntes Ursache-Wirkungs-Diagramm erstellt. Es ist möglich, dass schon aufgrund einer erkannten Fehlerursache unmittelbar Hinweise auf mögliche Maßnahmen zur Fehlervermeidung abgeleitet werden können.
Die Risikobeurteilung erfolgt durch Ermittlung einer sogenannten Risiko-Prioritätszahl (RPZ). Die RPZ quantifiziert in einer Kennzahl die Auftretenswahrscheinlichkeit (der Fehlerursache), Bedeutung (der Fehlerfolge) und Entdeckungswahrscheinlichkeit (des Fehlers oder seiner Ursache). Hierfür werden diese drei Aspekte jeweils mit einer Zahl zwischen eins und zehn beurteilt. Durch Multiplikation dieser drei Zahlen errechnet sich die RPZ, die dementsprechend Werte zwischen eins und tausend annehmen kann. () Ziel ist es, die Bedeutung und den Rang eines Fehlers abzuschätzen, um hieraus Prioritäten für die zu ergreifenden Maßnahmen abzuleiten.
Maßnahmen
Maßnahmen sind darauf gerichtet,
- die Auftretenswahrscheinlichkeit einer Fehlerursache zu reduzieren (z.B. durch den Einbau verbesserter Bauteile).
- die Entdeckenswahrscheinlichkeit für eine potentielle Fehlerursache zu erhöhen, indem bspw. zusätzlich Prüfungen vorgesehen werden.
Die Risikobewertung findet in der aktuellen FMEA nicht mehr alleine durch die bereits genannte RPZ statt sondern vielmehr nach folgendem Ablauf:
Höchste Prioritäten haben hohe Bedeutungen (10), danach wird das Produkt aus Bedeutung und Auftretenswahrscheinlichkeit betrachtet (B*A), dieses wird auch als Kritikalität bezeichnet (Zu berücksichtigen sind die den Bewertungszahlen hinterlegten Kataloge, A=x gibt einen Bereich und keine feste ppm-Zahl für die Auftretenswahrscheinlichkeit des Fehlers an).
Erst dann greift zur Priorisierung der restlichen Punkte die RPZ.
Bewertung
Die Bewertung erfolgt durch interdisziplinäre Teams, die jeweils Punkte von "1" bis "10" vergeben.
- Auftretenswahrscheinlichkeit (gering = "1" bis hoch ="10")
- Entdeckenswahrscheinlichkeit (hoch = "1" bis gering ="10")
- Bedeutung der Fehlerfolge wird aus der Sicht des Kundens bewertet (gering = "1" bis hoch ="10").
Der Kunde kann hierbei sowohl der Endkunde als auch ein (z. B. firmeninterner) Zwischenkunde sein, der die FMEA fordert. Risikoprioritätszahlen können zur Rangfolge für Gegenmaßnahmen genutzt werden. Verschiedene Firmen haben verschiedene Kataloge und Kriterien zur Definition von Maßnahmen zur Risikoreduzierung. Auch hohe Einzelwerte (8 - 10) können trotz geringer Risikoprioritätszahl Aktivitäten nach sich ziehen.
Nach der Erstbewertung und abgearbeiteten Maßnahmen erfolgt eine erneute Risikobewertung: Es wird durch nochmalige Ermittlung einer Risiko-Prioritäts-Zahl RPZ geprüft, ob die geplanten Maßnahmen ein befriedigendes Ergebnis versprechen. (Die Bedeutung der Fehlerfolge bleibt unverändert.) Entspricht das Ergebnis noch nicht den geforderten Qualitätsansprüchen des Kunden, so müssen weitere Vermeidungs- oder Entdeckungsmaßnahmen ergriffen und/oder Lösungsansätze entwickelt werden.
Die FMEA ist des weiteren in der DIN 25448 *Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse* verankert. Die VDA Band 4, Kapitel 3 empfiehlt detailliert eine systematische Vorgehensweise.
Historisches
Erstmals wurde eine Beschreibung zur FMEA-Methode als United States Military Procedure veröffentlicht: MIL-P-1629 - Procedures for Performing a Failure Mode, Effects and Criticality Analysis; November 9, 1949. Der flächendeckenden Einsatzes der FMEA im Bereich der Automobilindustrie wurde von Ford initiiert, nachdem es in den 70er Jahren beim Model Ford Pinto aufsehenerregende Probleme gab [[1]].
Die Anfang der 1980er Jahre erschienenen Ford Veröffentlichungen zur FMEA bildeten die Grundlage für die QS-9000 FMEA Methodenbeschreibung. 1996 wurde vom Verband der Automobilindustrie (VDA) eine verbesserte FMEA-Systematik veröffentlicht. In der seit 2002 verfügbaren dritten Auflage der QS-9000 FMEA Methodenbeschreibung wurden einige Elemente des VDA-Ansatzes übernommen.
Die Einsatzfelder der FMEA haben sich im Laufe der Zeit ausgeweitet. Ursprünglich im militärischen Bereich angesiedelt hat die FMEA über eine Zwischenstufe "Luft- und Raumfahrt" die Anerkennung im Automotive Bereich gefunden. Da der FMEA ein universelles Methoden-Modell zugrunde liegt, findet sie auch in anderen Bereichen, in denen systematisch gearbeitet wird, ihre Einsatzfelder, z.B. Medizintechnik, Lebensmittelindustrie (als HACCP-System), Anlagenbau, Software-Entwicklung.
Derivate
Von Toyota wurde die auf Änderungen fokussierte FMEA Methode unter der Bezeichnung Design Review Based on Failure Mode (DRBFM) weiterentwickelt. DRBFM soll die Trennung zwischen Entwicklungs- und Qualitätsprozess aufheben und den Entwicklungs-Ingenieur direkter in den Qualitätsprozess mit einbinden.
Auf Lebensmittel ist das Hazard Analysis and Critical Control Points-Konzept (Abgekürzt: HACCP-Konzept, deutsch: Gefährdungsanalyse und kritische Kontrollpunkte) ausgerichtet. Ursprünglich von der Nasa zusammen mit einem Lieferanten entwickelt, um die Sicherheit der Astronautennahrung gewährleisten, wird es heute von der US-amerikanischen National Academy of Sciences sowie von der Food and Agriculture Organization der UNO empfohlen.
Software
Die FMEA kann mit einem Formblatt als Hilfsmittel durchgeführt werden. Es bietet sich aber an, moderne Hilfsmittel zu nutzen, die die Übersichtlichkeit erhöhen (Produkte in alphabetischer Reihenfolge).
- Marktübersicht zu CAQ-Systemen und FMEA-Software von Qualitainer
- APIS IQ-FMEA von APIS Informationstechnologien GmbH
- Byteworx
- CAQ=QSYS FMEA von IBS AG
- CIMOS FMEA von MBFG GmbH + Co. KG
- FMEA / FMECA von BQR
- FMEA von exida.com GmbH
- IFP (Integrierter Fertigungsplan) von iqs Software GmbH
- QDA-FMEA von ddw
- QUIPSY-FMEA von QUIPSY QUALITY GmbH
- RQM-FMEA von Pickert & Partner GmbH
- SCIO FMEA von PLATO
- SINIC::FMEA von IBS SINIC GmbH
- Q+ FMEA von Harpco Systems
- Icap/4 für Windows Intusoft/Thomatronik für elektronische Schaltungen
Literatur
- QS-9000: FMEA - Fehler-Möglichkeits- und -Einfluss-Analyse, 3. Aufl. 10.2001, Carwin Ltd.
- VDA: Sicherung der Qualität vor Serieneinsatz - System-FMEA, 1. Aufl. 1996, ISSN 0943-9412
- DGQ: Band 13-11 FMEA - Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse, 2. Aufl. 2001, ISSN 0949-4782
- Dieter H. Müller, Thorsten Tietjen: FMEA-Praxis, 2000, ISBN 3-446-21236-1
- Barbara J.Czerny, u.a.: Effective Application of Software Safty Techniques for Automotive Embedded Control Systems[2]
Weiterbildung
- VDI-Wissensforum Weiterbildungseinrichtung des Verein Deutscher Ingenieure