Charley Patton
Charley Patton, auch Charlie Patton geschrieben, (* April (?) 1891 bei Bolton, Mississippi, USA, † 28. April 1934 in Indianola, Mississippi) war ein US-amerikanischer Bluesmusiker. Er gilt als „Vater des Delta Blues“ und war der erste Star des noch jungen Genres.
Leben
Patton wurde als Sohn von Bill und Annie Patton geboren, höchstwahrscheinlich im April 1891 bei Bolton, Mississippi. Er war nicht „rein“ afro-amerikanischer, sondern gemischt indianisch-afroamerikanisch-weißer Herkunft.

1895 zog die Familie nach Edwards Depot und 1900 auf die als „Geburtstätte des Delta Blues“ berühmt gewordene Dockery Plantation nahe Ruleville im Sunflower County, Mississippi, wo er die nächsten Jahre aufwuchs und auch arbeitete. Dort begegnete er Henry Sloan, einem der frühesten Vertreter des Blues, dessen Schüler er wurde und den er mehrere Jahre bei Auftritten begleitete. Patton musste sich seine Liebe zum allgemein als sündig betrachteten Blues erst gegen den frommen Vater, Kirchenältester einer Baptistengemeinde, erkämpfen, 1906 verließ er daher sein Elternhaus. Seit 1905 nahm er zusätzlich Gitarrenunterricht. 1908, als Siebzehnjähriger, wurde er Vater einer Tochter, Willie Mae, aus seiner Beziehung mit Millie Barnes.
Um 1910 fand er zunehmend zu einem eigenen Stil. Die ältesten Kompositionen seines (aufgenommenen) Repertoires datieren in diese Zeit zurück (Pony Blues, Banty Rooster Blues, Mississippi Bo Weavil Blues, Down The Dirt Road). Um 1914 spielte er für einige Zeit Square Dance, Walzer, Ragtime, Minstrel und gelegentlich Blues mit der Chatmon Brothers String Band, die später als The Mississippi Sheiks großen Erfolg hatte. Ab 1915 gewann er erste lokale Reputation. 1916 bot ihm W.C. Handy den Eintritt in seine Band an, was Patton aber ausschlug. In den 20er Jahren war er vor allem im Süden der USA bereits ein bekannter und beliebter Solomusiker, der -im Unterschied zu seinen wandernden Kollegen- bereits für Auftritte gebucht wurde.
1924 übersiedelte Patton ins nahe Merigold, 1929 nach Clarksdale. Zu dieser Zeit hatte der Talentscout H.C. Speir, vermutlich durch Bo Carter, von ihm gehört, suchte ihn auf und lud ihn zu einer ersten Aufnahmesession nach Richmond, Indiana ein. Von den am 14. Juni dort aufgenommenen Stücken erschienen vierzehn in den kommenden Jahren bei Paramount Records und etablierten ihn als den bekanntesten Interpreten des Deltablues seiner Zeit. Im Dezember 1929 begleitete Patton den Fiddler Henry „Son“ Sims bei der Aufnahme von vier Stücken für Paramount[1].
Patton führte ein ausgesprochen wildes Leben mit Frauen, Alkohol und Schlägereien. Im Laufe seines kurzen Lebens hatte er acht Frauen (mit denen er allerdings -wie zu dieser Zeit bei schwarzen Paaren häufig- nicht offiziell verheiratet war). 1931 versuchte jemand in Cleveland ihm die Kehle durchzuschneiden, und er überlebte nur knapp. Dieser Mordanschlag, sein Alkoholismus sowie sein unruhiger Lebensstil zehrten seine physischen Ressourcen allmählich auf, und es ging ihm gesundheitlich zunehmend schlechter.

Seit 1930 lebte er in einer gewalttätigen Beziehung mit seiner letzten Frau und gelegentlichen Gesangspartnerin Bertha Lee, die nur ungefähr halb so alt war wie er, eine besonders harte Auseinandersetzung zwischen beiden führte zu einer kurzen Haft für beide im Gefängnis von Belzoni. 1933 ließ er sich mit ihr in Holly Ridge, Mississippi nieder, Anfang 1934 reiste er mit ihr zum zweiten und letzten Mal zu Aufnahmen nach New York und spielte dort zahlreiche Titel ein, von denen sechsundzwanzig in den folgenden Jahren bei den Labels Vocalion und Herwin erschienen. Wenige Wochen später, am 28. April, starb er, nach einwöchigem Todeskampf, in Holly Ridge, wo er auch beerdigt wurde, an Herzversagen. Sein Grabstein bezeichnet ihn als „The Voice of the Delta“ („Stimme des Deltas“) und „The foremost performer of early Mississipi Blues, whose songs became cornerstones of American music.“ („Der führende Künstler des frühen Mississippi Blues, dessen Lieder Ecksteine der amerikanischen Musik wurden.“). Bertha Lee ehelichte noch im selben Jahr Son House, mit dem sie bis zu ihrem Tod in den 50er Jahren zusammenlebte.


Werk
In seinem erhaltenen Werk von etwas über fünfzig Stücken in annähernd sechzig Takes, das in nur zwei Aufnahmesessions 1929 und 1934 entstand, spiegelt sich das wilde Leben Pattons wieder : „I like to fuss and fight, I like to fuss and fight, Lord, and get sloppy drunk of a bottle and ball and walk the streets all night.“, zu deutsch „Ich mag es zu lärmen und zu kämpfen, ich mag es zu lärmen und zu kämpfen, Gott!, und mich liederlich zu betrinken mit einer Flasche, gut drauf zu sein und die ganze Nacht durch die Straßen zu ziehen.“ (Elder Green Blues). Diese und ähnliche Texte sang er mit einer heiseren, knurrenden, doch überraschend voluminösen Stimme, der man nachsagte, sie trüge unverstärkt 500 Yards weit. Sein Gesangsstil führte oft dazu, dass die Texte oft nur fragmentarisch verständlich waren, auch unter Live-Bedingungen. Bis heute sind daher viele der Texte seiner Stücke nicht komplett verstanden oder werden unterschiedlich gedeutet, was durch die schlechte Qualität der erhaltenen Aufnahmen verstärkt wird (was nicht allein auf den Verschleiß der Jahrzehnte zurückzuführen ist, die Firma Paramount verwandte ab Ende der 20er Jahre ein ausgesprochen minderwertiges Material zum Pressen von Platten).
Bemerkenswert war sein extrem perkussiver Gitarrenstil und seine Showmanship, er schlug die Saiten und den Korpus der Gitarre mit Fäusten und Händen, warf sie in die Luft und fing sie -während sein Begleiter den Takt hielt- rechtzeitig zum Wiedereinstieg, spielte sie hinter seinem Kopf, zwischen den Knien oder auf dem Rücken. Sein Bottleneck-Spiel etablierte diesen Stil als festen Bestandteil des Repertoires des Delta-Blues.
Patton veröffentlichte auch einige Stücke unter Pseudonym, so erschien seine zweite Veröffentlichung Screamin' And Hollerin' The Blues unter dem Künstlernamen The Masked Marvel sowie eine religiöse Platte (Prayer of Death) als Elder J.J. Hadley.
Rezeption
Patton war der einflussreichste Künstler zur Hochzeit des Deltablues, zu seinen Schülern und Begleitern zählten so bedeutende Bluesmusiker wie Howlin' Wolf (den ein Auftritt Pattons anregte, selbst Blues zu spielen), Son House, Bukka White, Tommy Johnson, Big Joe Williams und Roebuck Pops Staples sowie viele weitere Bluesmusiker der zweiten Garnitur, wie z.B. Buddy Boy Hawkins, Kid Bailey, David Honeyboy Edwards oder Willie Brown (mit dem er gut befreundet war und der ihn ab 1915 häufig bei Auftritten begleitete). Durch seinen zunehmenden Ruhm wurde die Dockery Plantation ein Treffpunkt all dieser Musiker und berühmt als die "Geburtsstätte des Delta Blues". Auch der junge Robert Johnson hielt sich um 1930 viel im Umfeld von Patton, Brown und House auf, erhielt von diesen aber keinen Zuspruch, da man ihn ihn für einen passablen Bluesharpspieler, aber einen schlechten Gitarristen hielt (ein Urteil, das nach Johnsons berühmtem Wanderjahr allerdings revidiert wurde). Robert Santelli schrieb über ihn: "Pattons Bedeutung in der Geschichte des Blues ist immens; kein Country Blues-Musiker, außer Blind Lemon Jefferson, übte einen größeren Einfluss auf die Zukunft des Genres und seine nachfolgende Generation aus als Patton. Jeder, von Son House, Howlin' Wolf und Robert Johnson bis hin zu Muddy Waters, John Lee Hooker und Elmore James kann seinen Stil auf Patton zurückführen.". 1947 (und ohne Angabe von Patton als Urheber) nahm der Country-Musiker Hank Williams Pattons Stück „Going to Move to Alabama“ unter dem Titel „Move It on Over“ auf und erreichte damit seinen ersten landesweiten Erfolg, Williams' Stück erreichte Platz 4 in den Billboard Country Singles-Charts und wird gemeinhin als Einfluss auf den entstehenden Rock'n'Roll betrachtet.

Wie bei fast allen Country- bzw. Delta Blues-Interpreten wurde sein Werk erst spät wiederentdeckt. Trotz der Veröffentlichung von zwei Compilations in den 60er Jahren wurde insbesondere sein außerordentlicher Einfluss auf nachfolgende Blueskünstler lange Zeit wenig gewürdigt. Vor allem der lange Schatten des "Mythos" Robert Johnson, der in der Rezeption des weißen Publikums einen ungleich höheren Rang einnahm, verstellte lange Zeit den Blick auf Patton. Zwar wurde er bereits anlässlich ihrer Gründung 1980 in die Blues Hall of Fame aufgenommen, seine Bedeutung wurde allerdings erst mit dem Erscheinen erster Werkausgaben Anfang der 90er Jahre zunehmend anerkannt. 2001 veröffentlichte das amerikanische Kleinlabel Revenant nach langjähriger Arbeit eine ausführliche Gesamtausgabe all seiner Aufnahmen inklusive zuvor unveröffentlichter Stücke und zwei umfangreicher Materialbände zu Leben und Werk. Die von der Kritik hochgelobte Ausgabe („It truly is the last word, and one of the most impressively packaged box sets in all of popular music.“, dt. „Das ist wahrlich das letzte Wort und eines der am beeindruckendsten gepackten Box-Sets in der gesamten populären Musik.“, Richie Unterberger, AllMusicGuide) wurde 2003 mit drei Grammys ausgezeichnet (Best Album Notes, Best Boxed Or Special Limited Edition Package, Best Historical Album). Originale 78er von Patton werden auf Auktionen für Preise zwischen 400 und 7500 Dollar gehandelt. [2]
Bob Dylan äußerte sich über Patton mit den Worten „Wenn ich nur zu meinem eigenen Vergnügen Platten aufnähme, dann würde ich nur Charley Patton-Songs aufnehmen.“ und widmete ihm 2001 das Stück „High Water (For Charlie Patton)“. Auch Chris Rea beruft sich auf ihn. In einem Interview beschrieb er sein Schlüsselerlebnis „... da hörte ich zum ersten Mal Charley Patton. Es war eine Art spirituelles Erlebnis für mich. Ich war absolut gefangen davon, wie er sang, spielte und diese spezielle Emotion vermittelte. Ich hatte bis dahin nicht Gitarre gespielt [...] Diese Episode veränderte mein gesamtes Leben!“.[3]
Forschung
Während seiner beginnenden Wiederentdeckung in den 1960er Jahren konzentrierte sich die Forschung vor allem auf Pattons Biographie. Ihr Pionier war Bernard Klatzko, der 1964 für den zweiten Teil der Compilation „The immortal Charlie Patton“ einige grundlegende biographische Angaben über Patton versammelt hatte, die das Ergebnis einer Reise in das Mississippi-Delta waren, während der Klatzko Freunde und Verwandte über Patton befragt hatte. Noch im selben Jahr wurde auch Son House wiederentdeckt, in einem Interview porträtierte er Patton als streitsüchtig, egoistisch, verfressen, trunksüchtig und geizig, nachlässig gegenüber seiner Musik, als einen Analphabeten und Schürzenjäger. In einem das Interview begleitenden Artikel sowie in späteren Veröffentlichungen (bis hin zu einer ausführlichen Biographie 1988) vertieften die Autoren Gayle Dean Wardlow und Stephen Calt das Bild von Patton als „degenerierten Soziopathen“ [4].
Erst John Fahey, Musiker und Bluesliebhaber, wandte sich 1970 in seiner Masterthesis neben einer biographischen auch der Untersuchung von Text und Musik in Pattons Werk zu. Seine Texte bezeichnete er als geprägt von „Unverbundenheit, Zusammenhanglosigkeit und offensichtlicher Irrationalität“ („disconnection, incoherence, and apparent irrationality”), konstatierte „strophische Vereinzelung“ („stanzaic disjunction“) und resümierte, dass in ihnen „verschiedenste unzusammenhängende Teile des Universums per Zufall dargestellt“ würden („various unrelated portions of the universe are described at random“), ein Urteil, daß bereits Son House in einem Interview vorweggenommen hatte, als er sagte, „Charley, er begann von diesem Schuh zu singen und drehte es zu dieser Banane.“ („Charley, he could start singing of the shoe there and wind up singing about that banana.“). Er zeichnete Patton als einen reinen Entertainer, dem Tiefe und Empfindsamkeit abgingen, ein Urteil, das er später, in seinem Begleittext zur Gesamtausgabe 2001, allerdings korrigierte. Für die biographischen Daten griff er zwar weitgehend auf das bestehende Material zu, ergänzte es aber durch eigene Forschungen (u.a. Interviews mit Bertha Lee und Sam Chatmon).
Robert Palmer rückte in seinem Buch „Deep Blues“, in das (Patton betreffend) bisher unberücksichtigte Interviews mit Joe Rice Dockery (damals Besitzer der Dockery Plantation), Hayes McMullen, Howlin’ Wolf und Pops Staples miteinflossen, das biographische Bild von Patton zurecht, in dem er die inkriminierten Charakterzüge in den sozialen Kontext des Mississippi-Deltas Anfang des Jahrhunderts stellte und deutlich machte, daß Promiskuität, Gewalt und Alkohol feste Bestandteile der Subkultur der „Juke Joints“ waren, Patton mit seinem Verhalten also keinesfalls aus der Rolle fiel.
David Evans korrigierte in seinem biographischen Essay zur Werkausgabe das seines Erachtens vor allem von den Äußerungen von Son House ausgehend stark verzerrte Bild von Patton und ergänzte es um zahlreiche neue Informationen. Im Widerspruch zur bisherigen Patton-Forschung attestiert er ihm dabei durchaus künstlerische Ernsthaftigkeit und Sensitivität.
Ungeachtet der meist kritischen bis negativen Sicht auf Pattons Charakter und seine künstlerische Seriösität bestreitet überraschenderweise keiner der genannten Autoren seine Bedeutung für den Blues, selbst Gayle Dean Wardlow bezeichnete ihn als „einen Innovator, den ersten großen Delta-Bluesman“ („an innovator, the first great delta bluesman“) und attestierte „Charlie Patton begründete den Delta-Blues.“ („Charlie Patton founded the Delta blues style.“)[5].
Musikbeispiele
Die folgenden -ungekürzten- Stücke sind im Ogg Vorbis-Format.

Werkausgabe
- "Screamin' and Hollerin' the Blues: The Worlds of Charley Patton", Revenant Records No. 212, 2001 (Sieben CDs mit allen Aufnahmen von Patton und umfangreichem Materialteil)
Literatur
- John Fahey, "Charley Patton", London, 1970, ISBN 0289700302
- Stephen Calt & Gayle Wardlow, "King of the Delta Blues - The Life and Music of Charlie Patton", 1988, ISBN 0961861002
- Robert Santelli, "The Big Book of Blues: A Biographical Encyclopedia", 1993, ISBN 0140159398
- Robert Palmer, "Deep Blues", 1995, ISBN 0140062238
Einzelnachweise
- ↑ Pat Howse, Jimmy Phillips: Godfather Of Delta Blues - H.C. Speir - An Interview with Gayle Dean Wardlow, in: Peavey Monitor, 1995, online: [1]
- ↑ Siehe: Priceguide
- ↑ Dietmar Hoscher, Blues Talk – Folge 27: Roots ohne Grenzen: Chris Rea, Otis Taylor, Willy DeVille. In: Concerto. 2003, Nr. 1
- ↑ David Evans über das Pattonbild von Wardlow und Calt [2]
- ↑ Patrick Howse: An Interview with Gayle Dean Wardlow, in: Peavey Monitor, 1991, online: [3]
Weblinks
Personendaten | |
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NAME | Patton, Charley |
ALTERNATIVNAMEN | Patton, Charlie |
KURZBESCHREIBUNG | US-amerikanischer Bluesmusiker |
GEBURTSDATUM | 1. Mai 1891 |
GEBURTSORT | Bolton, Mississippi, USA |
STERBEDATUM | 28. April 1934 |
STERBEORT | Indianola, Mississippi |