Oswald von Wolkenstein

Oswald von Wolkenstein (* um 1377 vermutlich auf Burg Schöneck im Pustertal/Südtirol; † 2. August 1445 in Meran) war ein Sänger, Dichter und Komponist sowie ein mehr als nur regional bedeutender Politiker und Diplomat in Diensten des deutschen Kaisers Sigismund I.
Leben
Das Leben Oswalds ist – im Gegensatz zu vielen anderen Minnesängern – in vielen Dokumenten detailliert überliefert. Er selbst sorgte mit seinen häufig autobiografischen Liedern, die er in zwei Prachthandschriften veröffentlichte, dafür, dass sein Leben nicht vergessen werden würde.
Oswald war der zweite von drei Söhnen (und vier Töchtern) des Friedrich von Wolkenstein und der Katharina von Villanders.
Im Alter von zehn Jahren (also um 1387–1399/1400) verließ er sein Elternhaus, um als Knappe zu dienen und die Welt zu bereisen:
Es fuegt sich da ich was von zehen Iaren alt |
Ich wolt besehen, wie die Welt wär gestalt. |
Mehrere Jahre lang reist Oswald, wie es für den Sohn eines Edelmanns üblich war, wohl im Gefolge eines fahrenden Ritters in vielen Ländern umher. Sein autobiografisches Lied „Es fuegt sich...“ nennt Preußen, Rumänien, Türkei, Persien, Ungarn, Böhmen, Spanien, im „Hauensteinlied“ nennt er noch weitere Länder. Charakteristisch für Oswalds Dichtung ist der komische Gegensatz zwischen seinem bewegten Reiseleben und seinem Dasein als verheirateter Familienvater, der auf der Heimatburg festsitzt.
Durch Barbarei, Arabia |
---|
|
|
Nach dem Tod des Vaters (1399) kehrte Oswald nach Tirol zurück und ist dort 1400 wieder urkundlich nachweisbar. 1401–1402 nimmt Oswald am erfolglosen Italienfeldzug des deutschen Königs Ruprecht von der Pfalz teil; in diese Zeit fällt ein Streit mit seinem älteren Bruder Michael, der das väterliche Erbe verwaltet. 1407 wird das Erbe zwischen den Brüdern Michael, Oswald und Leonhard geteilt. Oswald erhält ein Dritteil der Burg Hauenstein bei Seis am Schlern. Besitzer der anderen zwei Drittel ist der Ritter Martin Jäger. Oswald lässt die Kapelle seines Namenspatrons im Dom zu Brixen ausbauen (Fresko von seinem Schiffbruch auf dem Schwarzen Meer – Thema auch eines Liedes, Oswald hatte sich auf einem Fass Malvasier-Wein retten können). 1408 gab er als Vorbereitung auf eine Palästinareise den Denkstein am Brixener Dom in Auftrag, der Oswald als Kreuzritter mit langem Pilgerbart zeigt. Oswald besingt seine Liebe zur Frau oder Tochter des Brixener Bürgers Hans Hausmann (die „Hausmannin“). Nach seiner Rückkehr (1409/10 aus dem Heiligen Land erwarb er 1411 das Wohnrecht im Augustiner-Chorherrenstift Neustift bei Brixen. Höhepunkt seines Lebens ist die Teilnahme 1415 im Gefolge Herzog Friedrichs IV. von Tirol auf dem Konzil von Konstanz; eine Abbildung Oswalds findet sich auch in der Konzilschronik des Ulrich von Richental. Oswald wird in den Dienst König Sigmunds (des deutschen Königs und Königs von Ungarn) aufgenommen; als Jahresgehalt gibt er 300 ungarische Gulden an. Eine Gesandtschaftsreise (zur Beseitigung des Schismas) führt ihn über England und Schottland nach Portugal. Oswald erlebt die Eroberung der maurischen Stadt Ceuta im heutigen Marokko. Im Gefolge König Sigmunds hält sich Oswald bis zum Frühjahr 1416 in Frankreich auf. Eine Darstellung, die Oswalds Nähe zum König widerspiegelt, findet sich auf dem Retabel des Hochaltars in der Dortmunder Reinoldikirche, wo Oswald kniend vor Sigismund abgebildet ist.
1417 ist Oswald wieder in Konstanz, später in Tirol. Er schließt sich dem Adelsbund gegen den Landesherrn Friedrich IV. von Tirol an.
Um die (wahrscheinlich unrechtmäßig angeeignete) Burg Hauenstein bei Seis im Jahr 1418 führte er eine mehrjährige erbitterte Auseinandersetzung, die ihn auch für einige Jahre in den Kerker seiner Feinde brachte, da er gleichzeitig in einem langjährigen Konflikt zum Tiroler Landesherren lag. Oswald als Vertreter des niederen aber ursprünglich reichsunmittelbaren Adels suchte letztlich erfolglos, dem Bestreben der Landesfürsten um mehr Macht Einhalt zu bieten. Frei kam Oswald erst, nachdem er die so genannte Urfehde, also die Aufgabe seines Widerstandes gelobt und dem Landesfürsten die Anerkennung der landesherrschaftlichen Mittelbarkeit geleistet hatte.
1421 sieht Oswald in Gefangenschaft: Er wurde von der Hausmannin in einen Hinterhalt gelockt, als Gefangener nach Schloss Forst bei Meran geführt und gefoltert. Er berichtet, er habe danach lange an Krücken gehen müssen. Am 17. Dezember wird er in die Gefangenschaft Herzog Friedrichs IV. nach Innsbruck überliefert, aus der er erst 1422 gegen eine Bürgschaft von 6000 Dukaten für fünf Monate freikommt. Weil er sich nicht mit seinen Gegnern einigen kann, muss er zurück in die Gefangenschaft.
1423 löst sich der Adelsbund auf. Oswald kommt aus der Haft frei. Der Herzog von Tirol besteht aber auf seiner Forderung von 6000 Dukaten. In den nächsten Jahren sucht Oswald vergeblich um Hilfe bei Sigmund und anderen Fürsten nach, vor allem bei Pfalzgraf Ludwig III. in Heidelberg. 1427 wird Oswald vor den Landtag in Bozen geladen, verlässt heimlich das Land, wird aufgegriffen und als Gefangener auf die Burg Vellenberg bei Axams, dann nach Innsbruck gebracht. Das Eingreifen seiner Freunde bringt einen Kompromiss zustande. Martin Jäger erhält eine Abfindung, Hauenstein bleibt im Besitz Oswalds, der allerdings Urfehde schwören muss. 1429 mischt sich Oswald mit einem Faustschlag, den er dem neuen Bischof von Brixen, Ulrich Putsch versetzt, in den Streit zwischen diesem und dem Domkapitel.
1431 zieht Oswald zusammen mit Bruder Michael zum Reichtstag von Nürnberg. Er wird in den Drachenorden aufgenommen. Ob er am Hussiten-Feldzug in diesem Jahr teilgenommen hat, ist nicht belegt. 1432 hält er sich am Hof König Sigmunds in Piacenza und Parma auf; Ende Mai begleitet er den königlichen Gesandten nach Basel. 1439 stirbt Herzog Friedrich IV. von Tirol; Oswald gehört der Kommission von fünf angesehenen Männern an, die ein Inventar des Erbes erstellt und dieses unter gemeinsamem Verschluss für den minderjährigen Sohn Sigmund aufbewahrt. 1445 tritt Oswald letztmals in der Politik auf: er nimmt am Landtag in Meran teil, wo er am 2. August 1445 stirbt. Sein Grab befindet sich im Dom zu Brixen.
Ach senliches Leiden |
---|
|
|
Überlieferung der Lieder
Oswald ließ Handschriften seiner Lieder anfertigen, von denen drei auch erhalten sind:
- 1425 bzw. 1427–1436: Wiener Pergamenthandschrift A (Texte mit Noten): Grundsammlung von 42 Liedern (1425 abgeschlossen); 1427–1436: Hinzufügung von 66 weiteren Gedichten durch einen anderen Schreiber [Schreiber 2]).
- 1432 Innsbrucker Pergamenthandschrift B (Texte mit Noten; Schreiber 2)
- 1450 Innsbruck-Trostburger Handschrift C (Texte ohne Noten): im Wesentlichen eine Abschrift von B.
Die Handschriften A und B ließ Oswald selbst anfertigen und versah sie mit seinem Portrait (Hs. B) bzw. Vollbild (Hs. A). Diese Bilder stellen die erste authentische Abbildung eines deutschen Dichters dar.
Zur Interpretation
Oswald zeichnet sich künstlerisch dadurch aus, dass er einerseits sein eigenes Leben (sowohl die guten wie die schlechten Zeiten) ausführlich in seinen Liedern behandelte, dass er bemüht war, sein Wirken personenbezogen zu überliefern: Andererseits verband Oswald diese künstlerischen Fähigkeiten bewusst und geschickt mit seinen staatsmännischen und persönlichen Ambitionen. Man kann sagen, er instrumentalisierte geschickt Dichtung und Sangesvortrag für seine persönlichen Ziele.
Hervorzuheben ist noch, dass Oswald neben dem so genannten "Mönch von Salzburg" ein früher Vertreter des mehrstimmigen deutschsprachigen Liedes ist.
Die persönlichen Mitteilungen, welche über ihn vor allem in seinen Liedern enthalten sind, lassen den Schluss zu, dass es sich in Oswald um einen alles andere als zimperlichen, um nicht zu sagen gewalttätigen Menschen gehandelt haben mag. Über seine Kindheit gibt insbesondere das Lied "do ich was von zehen iaren" Aufschluss. Diebstahl und Gewalt sind in Oswalds Sphären nichts Ungewöhnliches.
Seine oft humorvolle, lebensfrohe aber auch derbe Lyrik in frühneuhochdeutscher Sprache stand bereits an der Schwelle zur Renaissance und ist damit naturgemäß nicht mit der klassischen Minnelyrik der Minnesänger des Hochmittelalters gleichzusetzen. Zu seinen Liedern sind originale Melodien überliefert.
Literatur
Ausgaben
- Handschrift A. Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat des Codex Vindobonensis 2777 der Österreichischen Nationalbibliothek. Mit einem Kommentar von Francesco Delbono. (= Codices selecti; Band 59). Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1977. ISBN 3-201-00995-4
- Anton Schwob (Hrsg.): Die Lebenszeugnisse Oswalds von Wolkenstein. Edition und Kommentar. Böhlau, Wien u.a. 1999-2004. ISBN 3-205-99050-1, ISBN 3-205-99370-5, ISBN 3-205-77274-1
Neuhochdeutsche Übertragungen
- Beda Weber (Hg.): Die Gedichte Oswalds von Wolkenstein. Mit Einleitung, Wortbuch und Varianten. Innsbruck 1847.
- Lieder. Mittelhochdeutsch und neuhochdeutsch. Auswahl. Hrsg., übersetzt und erläutert von Burghart Wachinger. Langewiesche-Brandt, Ebenhausen 1964. Lizenzausgabe: Reclam, Stuttgart 1995. ISBN 3-15-002839-6
- um dieser welten lust. Leib- und Lebenslieder. Übertragen und hrsg. von Hubert Witt. Insel, Leipzig 1968 (Lizenzausgabe: Herbig, Berlin 1968)
- Die Lieder Oswalds von Wolkenstein. Hrsg. von Karl Kurt Klein. Unter Mitwirkung von Walter Weiss und Notburga Wolf. 2. neubearbeitete und erweiterte Auflage. Niemeyer, Tübingen 1975. ISBN 3-484-20029-4 oder ISBN 3-484-20084-7
- Oswald von Wolkenstein. Die Lieder. In Text und Melodien neu übertragen und kommentiert von Klaus J. Schönmetzler. Vollmer, München 1979. ISBN 3-87876-319-0
- Sämtliche Lieder und Gedichte. Ins Neuhochdeutsche übersetzt von Wernfried Hofmeister. Kümmerle, Göppingen 1989. ISBN 3-87452-749-2
Biographisches und Sekundärliteratur
- Jahrbuch der Oswald-von-Wolkenstein-Gesellschaft. Begründet in Marbach am Neckar 1981, erscheint heute in Frankfurt am Main. ISSN 0722-4311
- Karen Baasch und Helmuth Nürnberger: Oswald von Wolkenstein. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. 2. Auflage. Rowohlt, Reinbek 1995. ISBN 3-499-50360-3
- Dirk Joschko: Oswald von Wolkenstein. Eine Monographie zu Person, Werk und Forschungsgeschichte. Kümmerle, Göppingen 1985. ISBN 3-87452-617-8
- Dieter Kühn: Ich Wolkenstein. Eine Biographie. Erweiterte Neuauflage. Insel, Frankfurt am Main 1988. ISBN 3-458-15044-7
- Ulrich Müller (Hrsg.): Oswald von Wolkenstein. (= Wege der Forschung; Band 526). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1980. ISBN 3-534-07516-1
- Gesammelte Vorträge der 600-Jahr-Feier Oswalds von Wolkenstein, Seis am Schlern 1977: „Dem Edeln unserm sunderlieben getrewn Hern Oswaltten von Wolkchenstain“. Hrsg. von Hans-Dieter Mück und Ulrich Müller. Göppingen 1978 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik. 206.)
- Anton Schwob: Oswald von Wolkenstein. Eine Biographie. (= Schriftenreihe des Südtiroler Kulturinstitutes; Band 4). Athesia, Bozen 1977. ISBN 88-7014-073-3
- Hans-Dieter Mück: Oswald von Wolkenstein zwischen Verehrung und Vermarktung. Formen der Rezeption 1835-1976. Mit einem Anhang: Dokumentation des Wolkensteinjahres 1977. In: Gesammelte Vorträge der 600-Jahrfeier Oswalds von Wolkenstein. Seis am Schlern 1977. Göppingen 1978.
- Oswald von Wolkenstein. Beiträge der philologisch-musikwissenschaftlichen Tagung in Neustift bei Brixen 1973. Im Auftrag des Südtiroler Kulturinstituts hrsg. von Egon Kühebacher. Innsbruck 1974 (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Germanistische Reihe.
- Joseph Freiherr von Hormayr: Üeber Oswald von Wolkenstein und sein Geschlecht. In: Tiroler Almanach auf das Jahr 1803. Wien 1803. S. 85-125. Hrsg. von Hans Moser und Ulrich Müller. Göppingen 1972 (= Litterae. 12.)
Tonträger
- Studio der Frühen Musik London, Thomas Binkley (dir.): Oswald von Wolkenstein. CD; EMI, Köln 1972/2000
- Bärengässlin: Oswald von Wolkenstein – Frölich geschray so well wir machen. CD; pläne, Dortmund 1978/2001
- Ensemble für Frühe Musik Augsburg: Oswald von Wolkenstein – Eine Auswahl von 24 Liedern. CD; Christophorus, Freiburg 1988
- Sequentia: Oswald von Wolkenstein. Lieder. CD; deutsche harmonia mundi, München 1993
- New London Consort, Philip Pickett (dir.): Oswald von Wolkenstein. Knightly Passions. CD; Decca, London 1996
- Ensemble Alta Musica, Berlin: Wolkenstein CD; carpe diem, 2001
Weblinks
Quellen
Sekundäres
- W. Focke: Oswald von Wolkenstein
- Oswald-von-Wolkenstein-Gesellschaft
- Friedhelm Schneidewind: Oswald von Wolkenstein
- Nachweise von Lyrik im Internet
- Burg Hauenstein (historisch nicht ganz korrekt)
Personendaten | |
---|---|
NAME | Oswald von Wolkenstein |
KURZBESCHREIBUNG | mittelalterlicher Dichter, Komponist und Diplomat |
GEBURTSDATUM | um 1377 |
GEBURTSORT | vermutlich Burg Schöneck, Pustertal/Südtirol |
STERBEDATUM | 2. August 1445 |
STERBEORT | Meran |