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André Müller sen.

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André Müller sen., * 1925 in Köln unter dem bürgerlichen Namen Fetz. Dichter, Publizist, Theaterkritiker und Theaterpraktiker, Dozent für Dramaturgie.

André Müller sen. ist nicht zu verwechseln mit dem österreichischen Journalisten André Müller.

Datei:Andre Mueller sen 2003.jpg




Leben

Ausgebildeter Tischler. Verfiel nach eigenen Worten mit knapp dreißig Jahren dem Theater Bertolt Brechts. Von Brecht zog es ihn später zu den Dichtungen von Peter Hacks hin, mit dem ihn seit den fünfziger Jahren eine enge Freundschaft verband. Viele Jahre arbeitete André Müller sen. als dramaturgischer Berater, so für Heyme in dessen Kölner Zeit und für Benno Besson.

André Müller sen. war als Theaterkritiker und Redakteur mehrerer Kulturzeitschriften tätig, bis er selbst mit Stücken, Erzählungen, Satiren, Romanen, Anekdoten und Kinderbüchern hervortrat.

Seit 1977 unterrichtet André Müller sen. an der Otto-Falckenberg-Schule, der Fachakademie für darstellende Kunst in München.

André Müller sen. ist mit der Fachjournalistin Anja Weintz verheiratet. Er lebt in Köln und Juntersdorf.


Werk

André Müller sen. war Zeit seines Lebens ein im Westen wie im Osten heftig umstrittener Autor. Sein streckenweise radikaler Realismus und sein klassisches Kunstideal provozierten in beiden Systemen.

Ein konstantes Thema im Schaffen von Müller ist seine Auseinandersetzung mit der Kochkunst.


Shakespeare

André Müller sen. ist Shakespeare-Spezialist. Es gilt als sein besonderes Verdienst, mit einer unakademischen Herangehensweise die Inhalte der Shakespeare-Stücke der elisabethanischen und der jakobinischen Zeit völlig neu erschlossen zu haben, sowohl für die inhaltliche Interpretation Shakespeares als auch für die Praxis des Theaters.

Seine Methode ist, Shakespeare beim Wort zu nehmen und die in Poesie verschlüsselten gesellschaftlichen Hintergründe verständlich zu machen. Damit legt er übersehene, unterbewertete, vergessene oder auch zugeschüttete Bedeutungsschichten frei, was zu verblüffenden Einsichten in die Welt Shakespeares, seiner Figuren, aber auch des künstlerischen Schaffensprozesses führt. Müller betont: „Die aufgezeigten Vorgänge und ihre Bedeutung können nur die Grundlage bilden, auf der die Poesie ihre eigentümliche Schönheit entfalten muss“. Damit ist zugleich gesagt, dass ohne diese Art der Wahrnehmung und des Begreifens der Kunstgenus nur ein eingeschränkter sein kann.

Peter Hacks schrieb hierzu: „Der Vorteil von André Müllers Methode liegt in ihrer Beweiskraft. Er spricht nicht: soundso interpretiere ich den »Hamlet«, er spricht: das und das steht drin. Sorgfalt, die Tugend der Dummköpfe, erweist sich bei diesem denkenden Mann als ein Hilfsmittel von unschätzbarem Wert. Es kommt an den Tag, dass Shakespeare selber Ideen hatte und deren der Ausleger vielleicht so sehr nicht bedarf.“

Diese Sicherheit des Urteils löste erhebliches Befremden aus. Der zentrale deutsche Bibliothekseinkauf empfahl 2005 seinen Mitgliedern in einer fast polemischen Stellungnahme, das Buch nicht zu erwerben: „Die Schwäche der Beweisführung liegt in ihrer Einseitigkeit, die alle anderen möglichen Zugänge zu Shakespeares Spätwerk in heftiger Polemik gegen 'die Literaturwissenschaft' für ungültig erklärt und Müllers These nicht nur fragwürdig, sondern in ihrer verbissenen Redundanz auch zu einer mühseligen, zähen Lektüre macht.“


Dramatik

Besonderen Erfolg hatte Müllers zeitgenössische Neufassung von „Daphnis und Chloe“ nach Clairville / Cordier und Jacques Offenbach, uraufgeführt bei den Musikfestspielen in Dresden 1985.


Epik

Der Roman „Am Rubikon. Die schaudervollen Vorkommnisse in der Kommune V“ wurde 1975 abgeschlossen. Er ist nicht „modern“ geschrieben und knüpft in seiner Erzählweise gegen den Trend der Zeit statt bei James Joyce bei Heinrich Mann an. Da das Buch zeitgenössische Vorgänge, hier die westdeutsche 68er-Bewegung, im Heineschen Stil behandelt, hatte es größte Schwierigkeiten überhaupt veröffentlicht zu werden, selbst in Ostdeutschland, wo zunächst eine Verlagszusage ergangen war. Das Buch wurde erst 1987 bei *Pahl-Rugenstein in Köln verlegt.

1985 erschien „Die Partei der Knoblauchfreunde“, eine satirische Auseinandersetzung mit Dogmatismus und Revisionismus in marxistischen Parteien, in einem Kleinverlag.

Für 2007 ist angekündigt der Roman „Anne Willing, oder: Die Wende vor der Wende“, eine umfassende Darstellung der Entwicklung der DDR seit den frühen sechziger Jahren.


Anekdoten

André Müller sen. ist ein anerkannter Meister der anekdotischen Erzählung. Seine Brecht-Anekdoten (1980, Neuauflage 2006) und Marx-Anekdoten (1977) sind weithin bekannt. Viele Sekundärtexte beziehen sich auf im Umlauf befindliche Anekdoten aus Müllers Sammlungen, meist ohne es zu merken.


Freundschaft mit Peter Hacks

André Müller sen. kann als der engste Freund des Dichters Peter Hacks bezeichnet werden. Seit den späten fünfziger Jahren bestand ein ununterbrochener Briefwechsel und persönlicher Austausch. Die wechselseitige Einflussnahme von Hacks und Müller ist vielfältig nachweisbar. Von Müller ist bekannt, dass er eine Sammlung von Hacks-Anekdoten verfertigt hat, die nur im Privatdruck erschien. Der Briefwechsel von Hacks und Müller aus den Jahren 1989 / 1990 erschien 2001 unter dem Titel „Nur daß wir ein bischen klärer sind“ in Berlin.


Veröffentlichungen

Dramen

Zumeist als Bühnenmanuskripte (BM) beim Drei Masken Verlag, München.

  • Das letzte Paradies. Komödie in acht Bildern (BM 1970; Separatdruck Berlin 1973);
  • Friedrich Ludwig Jahn. Ein Festspiel. Satirische Komödie (BM 1973);
  • 1945. Eine Szenenfolge (BM 1984);
  • Daphnis und Chloe. Operette für Schauspieler, nach dem Libretto von Clairville und Cordier und der Musik von Jacques Offenbach (BM 1985, UA 1985);
  • Mobuto. Komödie in drei Akten (BM 1991);
  • Felix, der Pinguin. Ein Märchen für Kinder (BM 1992, Separatdruck 1979);
  • Die Epikuräer von Köln. Lustspiel (1994)


Bücher

  • Kreuzzug gegen Brecht. Die Kampagne in der Bundesrepublik 1961 / 62, Berlin: Aufbau 1962, 128 S.;
  • Der Regisseur Benno Besson. Gespräche, Notate, Aufführungsphotos, Berlin: Henschel 1967, 116 S.;
  • Lesarten zu Shakespeare 1969;
  • Anekdotisches Spectaculum 1970;
  • Der Schauspieler Fred Düren 1972;
  • Das letzte Paradies. Komödie, Berlin: Eulenspiegel 1973, 85 S., mit Illustrationen von Hans Ticha;
  • Halten Sie den Kopf hin!. Marx-Anekdoten, Berlin: Eulenspiegel 1977, 99 S.;
  • Über das Unglück, geistreich zu sein, oder 450 Anekdoten über geistreiche Philosophen, Künstler, Könige, Päpste und Politiker, Berlin: Eulenspiegel 1978, 232 S., mit Illustrationen von Peter Laube;
  • Dalli, der Haifisch, Berlin: Kinderbuchverlag 1978, mit Illustrationen von Klaus Ensikat;
  • Felix, der Pinguin, 1979;
  • Shakespeare ohne Geheimnis, Leipzig: Philipp Reclam jun. 1980, mit einem Vorwort von Peter Hacks, Neuauflage: Berlin: Eulenspiegel Verlag 2006 (Verlagsshop);
  • Geschichten von Herrn B.. Gesammelte Brecht-Anekdoten, Leipzig: Philipp Reclam jun. 1977, 82 S., zusammen mit Gerd Semmer, Neuauflage: Berlin: Eulenspiegel Verlag 2006 (Verlagsshop);
  • Die Partei der Knoblauchfreunde, Stuttgart: Loipfing-Press 1985, 120 S., mit Illustrationen von Eckard Alker;
  • Die Rosenschule, Berlin: Kinderbuchverlag 1987, mit Illustrationen von Andreas J. Mueller;
  • Am Rubikon. Die schaudervollen Vorkommnisse in der Kommune V, Köln: Pahl Rugenstein 1987, 412 S., mit einem Essay von Armin Stolper und einem Streitbrief von Perter Hacks;
  • Nur daß wir ein bischen klärer sind. Der Briefwechsel mit Peter Hacks 1989 / 90, Berlin: Eulenspiegel 2001;
  • Shakespeare verstehen. Das Geheimmnis seiner späten Tragödien, Berlin: Eulenspiegel Verlag 2004 (Verlagsshop).


Essays, Erzählungen, Kritiken

Soweit nicht in den o.a. Druckwerken enthalten.

  • Erfahrungen in Sète (o.J.);
  • Fasanenland (o.J.);
  • Der erste Paukenschlag (1996)(Internetquelle).


Zitate

  • “Ach!”, sagte mein goldgefiederter Gast, “es heißt schon ein widerwärtiges Schicksal bestehen müssen, wenn man zum Dasein in einem Lande verurteilt ist, in dem die Kochkunst die Steinzeit nie wirklich überwunden hat und sich nun bereits den Abscheulichkeiten der Großküchenkultur zuwendet.“ (Fasanenland)
  • LOLOTTE: Die modernen Vampire saugen kein Blut mehr, sie saugen den Menschen das Hirn aus. (Die Epikuräer von Köln)
  • Aber gerade das ist es, was den Herodot so spannend macht, daß ihn die Menschen noch zweieinhalb Jahrtausende später mit nie erlahmender Lust lesen, während die fünfzigtausend Werke, in denen nachgewiesen wird, wie es wirklich war, so langweilig sind, daß meistens nur die Freunde und Geliebten der Verfasser sie überhaupt zur Kenntnis nehmen. (Am Rubikon)
  • Hamlets berühmter Todestrieb ist nichts anderes als die Lust, endlich dort zu sein, wo ihm Theorie und Praxis keine Kopfschmerzen mehr bereiten können. (Shakespeare ohne Geheimnis)