Italowestern
Italowestern (abwertend auch Spaghettiwestern oder schlicht Eurowestern genannt) ist ein ab den 1960er Jahren entstandenes Sub-Genre des Western, welches vor allem von italienischen Produktionsfirmen und Regisseuren an europäischen Drehorten entwickelt wurde.
Der amerikanische Western wurde darin sowohl persifliert als auch weiterentwickelt. Obwohl oft nach Schema und mit kleinem Budget gedreht, bestechen diese Filme nicht zuletzt durch die Respektlosigkeit, wie darin mit den traditionellen (US-amerikanischen) Western-Elementen (insbesondere Heldentum, Ritterlichkeit, Altruismus) umgegangen wird.
In den frühen 1970ern nimmt die Produktion spürbar ab und kommt bald zum nahezu vollkommenen Erliegen. Es folgen nurmehr vereinzelte italienische Western, die oft von einem melancholischen Grundton und einer gewissen Reflexivität gezeichnet sind (Beispiel: Keoma – Melodie des Sterbens (1976)).
Inhalt und Stilmerkmale
Der Italowestern ist oft von markigen Anti-Helden vor oft schmutzig-schäbiger Kulisse bestimmt. Gerechtigkeitssinn und selbstloses Handeln, die die Helden der amerikanische Western bis dahin oft auszeichneten, weichen hier Eigennutz und Habgier. Der Held des Italowestern wird zumeist durch Rache oder dem Streben nach Geld angetrieben. Diese Figuren sind gleich im doppelten Sinne ein zeitlicher Abgesang auf die US-Westernhelden. Einmal filmintern als späte Bewohner des Wilden Westens und einmal real als Ausläuter der gesamten Westernära.
Nicht selten fanden auch eher unübliche Kreuzungen von Filmgenres ihren Weg auf die Leinwand: zum Beispiel mit dem Horrorfilm (Satan der Rache), mit klassischem Schauspiel (Django - Die Totengräber warten schon) oder Kriminalfilm (1000 Dollar Kopfgeld).
Optisch kennzeichnet den Italowestern u.a. der Einsatz von extremen Nah- bis Detailaufnahmen. Nahaufnahmen von Gesichtern, die bis zur italienischen Einstellung (in der nur noch die Augen einer Person die Leinwand füllen) reichen, intensivierten u.a. auch die Darstellung des Pistolen-Duells im Italowestern, welches vor allem Leone in seinen Filmen als unausweichlichen Showdown inszenierte. Es ist der schnelle Schnitt zwischen Gesichtern, Händen und Pistolen, untermalt mit der typischen Musik des Italowestern, der heute als typische Sequenz eines Western gilt, jedoch erst hier begründet wurde.
Ähnlich wie im amerikanischen Western wurde auch im Italowestern schnell geschossen, und bis auf die Hauptfiguren hatten die Halunken keine persönliche Beziehung zueinander, wurden wie Fliegen abgeknallt und fielen in den älteren Filmen augenblicklich tot zu Boden. Fast alle Filme zeigen im Handlungsverlauf dutzende Erschießungen. Dabei nahm der Italowestern die internationale Entwicklung ab Mitte der 1960er Jahre auf, den Tod immer realistischer und brutaler darzustellen. Fielen zu Anfang die von Pistolenschüssen Getroffenenen noch ohne Einschußlöcher zu Boden, so wurde der Tod rasch immmer brutaler dargestellt.
Im Italowestern treten vermehrt Mexikaner auf und weniger Konflikte mit Indianern. Dies ist zum einen durch die Drehorte u.a. in Spanien und die leichter als Mexikaner auszugebenden südländischen Schauspieler begründet, zum anderen aber auch durch die zeitliche Einordnung der meisten Italowestern, die vermehrt nach der ersten Besiedlung des Westens spielen. Neben diesem Wegfallen der Indianer als Gefahr für die Besiedlung Amerikas fehlt dem europäischen Western auch die Notwendigkeit, sich mit der bisherigen falschen und rassistischen Darstellung der Indianer auseinanderzusetzen. So versuchte der amerikanische Western bereits ab den 1950ern und bis heute immer wieder, das klischeehafte Bild älterer amerikanischer Western zu begradigen. Dieser im Gegensatz zum amerikanischen Western unverkrampfte Umgang mit Indianern führt zu einer oft gleichberechtigen Darstellung von Indianern. So hilft z.B. in Black Killer von 1971, einem der Filme mit Klaus Kinski, ein Indianermädchen, die Rechnung zu begleichen, ohne dass es nationalistischer Anspielungen bedarf. Andererseits wurde aber auch oft auf klischeebehaftete Bilder des Indianers im Italowestern zurückgegriffen.
Musik
Der Filmmusikstil italienischer Western wurde in den frühen Filmen Sergio Leones festgelegt. Ennio Morricones Musik, die markante Themen mit experimentellen Arrangements kombinierte, wurde zum Markenzeichen des Italowestern und unterschied sich dramatisch von orchestralen Soundtracks amerikanischer Western der 1950er. Morricones Soundtracks stachen besonders durch die Verwendung von bis dahin in der Filmmusik unüblicher Instrumente und Geräusche hervor. E-Gitarre, Blockflöte, menschliche Geräusche wie Pfiffe oder Schreie, Peitschenschläge oder Glocken sind hier vor allem zu nennen.
Mit seinen Soundtracks zu den beiden Klassikern des Italowesterns Spiel mir das Lied vom Tod und Zwei glorreiche Halunken schuf Ennio Morricone nicht nur für das Sub-Genre sondern auch – neben dem Thema der glorreichen Sieben – für den Westernfilm an sich Erkennungsmelodien, die in Zitaten und Parodien auf das Genre gerne bemüht werden.
Wertschätzung
Nach dem Erfolg vor allem an den europäischen Kinokassen erlangte der Italowestern auch langsam eine Wertschätzung durch Kritiker und Filmhistoriker. Trotz des Fließbandcharakters der Produktion entstanden Filmklassiker, die auch über das Westerngenre hinaus als wichtige künstlerische und die Filmästhetik prägende Filme in die Filmgeschichte eingangen sind. Leones Spiel mir das Lied vom Tod und Zwei glorreiche Halunken sowie Corbuccis Leichen pflastern seinen Weg bilden dabei eine Gruppe von Kultfilmen, die aus der Fülle an Italowestern hinausstechen. Neben der innovativen Inszenierung Leones und der Musik Morricones (Komponist der drei zuvor genannten Filme) spielen auch erzählungsstrategische Experimente wie in Leichen pflastern seinen Weg eine Rolle für die anhaltende Begeisterung sowohl bei Filmfans als auch Filmkritikern.
Deutsche Titel-Verfälschung
Figuren wie Django, Ringo oder Sabata werden zu Ikonen des Sub-Genres, die regelmäßig auf der Leinwand (wie auch im Titel) eine Rückkehr erleben. Dabei entwerfen die wenigsten Filmreihen übergreifend kontingente Erzählungen oder bilden gar ein verbindliches Personal heraus. Ganz im Gegenteil werden ganze Reihen erst von deutschen Filmverleihern mittels verfälschender Synchronisation und irreführender Titelgebungen ins Leben gerufen, um durch die Anlehnung an besonders erfolgreiche Schlüsselfilme die Bilanz an der Kasse aufzubessern: Hierbei entwickelt man eine erstaunliche Flexibilität und kann einem Erfolgstitel oft schon in den nächsten Wochen ein vermeintliches Sequel mit dem populären Titelhelden anhängen. Berühmtestes Beispiel ist die Django-„Serie“, die nur auf dem deutschen Markt mittels spekulativer Titel in den Status einer solchen erhoben wurde. Offiziell erfuhr Sergio Corbuccis Klassiker mit Franco Nero in der Hauptrolle erst 1987 die bis dato einzige Fortsetzung.
Persiflierung durch Bud Spencer und Terence Hill
Wie viele andere zeitweilig populäre Genres ereilte auch den Italowestern nach Einüben der Konventionen eine Phase der Ironisierung und Verschiebung ins Komödiantische. Vor allem das Duo Bud Spencer und Terence Hill trat gemeinsam in einer Reihe burlesker Westernfilme mit schwankendem humoristischen Erfolg auf, in denen ausgiebig „gefressen“, gefurzt und gerauft wurde. Doch soll dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass beide auch unabhängig voneinander durchaus ernst angelegte Western in ihren Filmografien anlegen konnten. Vor allem Terence Hill trat mithin als eine an die großen schweigsamen Anti-Helden des Italowesterns erinnernde Figur auf, wohingegen Bud Spencers Versuche meist von einer erbarmungslos „verwitzelnden“ deutschen Synchronisation mit entsprechendem Ergebnis sabotiert wurden. Terence Hill bleibt vor allem als die Spätwesternfigur Nobody in Erinnerung, die in ihrer ersten Inkarnation – unter Co-Regie von Sergio Leone – trotz komödiantischer Ausrichtung einige melancholische Akzente im Genre zu setzen wusste, die von einem hauptsächlich humoristisch angelegten Sequel indes kaum weiter entwickelt wurden. 1991 versuchte er – wie auch der Italowestern – in einer Real-Adaption des Comics Lucky Luke mit nur geringem Erfolg an seine alten Rollen anzuschließen.
Bud Spencer und Terence Hill drehten auch eine ganze Reihe an Nicht-Western zusammen, die jedoch häufiger auf einige Italowestern anspielten.
Ausgewählte Beispiele
Wichtige Regisseure
- Enzo G. Castellari
- Enzo Barboni
- Sergio Corbucci
- Sergio Leone
- Sergio Sollima
- Tonino Valerii
- Giuliano Carnimeo
- Duccio Tessari
Wichtige Schauspieler
- Clint Eastwood als erster und bekanntester Held des Italowesterns in den drei Dollar'-Filmen
- Lee van Cleef als Verkörperer des Bösen und erster Darsteller des Sabata
- Franco Nero als Django und in ähnlichen Rollen ein weiterer bekannter Vertreter des typischen Italowestern-Helden
- Giuliano Gemma zahlreiche Filme des Genres
- Terence Hill zunächst in ernsten Rollen (u. a. in einer Django-Version, später vor allem als Persiflage auf den typischen Italowestern-Helden
- Bud Spencer ähnlicher Karriere-Verlauf wie bei Terence Hill
- Klaus Kinski als verrückter, brutaler Verkörperer des Bösen in vielen Filmen des Genres (Ausnahme: Unschuldiges Opfer in Satan der Rache)
- William Berger
- Tomas Milian als eigenwilliger Typus des Italowestern-Helden
- Eli Wallach
- Charles Bronson
- Henry Fonda zum einen als brutaler Bösewicht in Spiel mir das Lied vom Tod und zum anderen als älterer, amerikanischer Westernheld in Mein Name ist Nobody
- Jason Robards
- Claudia Cardinale
- Antonio de Teffè
- Gian Maria Volontè durch seine Verkörperungen von Bösewichten in Sergio-Leone-Filmen
- Gianni Garko zahlreiche Auftritte in Filmen dieses Genres
- George Hilton zahlreiche Filme des Genres
- Frank Wolff
Wichtige Nebenrollen
- Mario Brega
- Fernando Sancho
- Horst Frank
- Rik Battaglia
- Roberto Camardiel
- Piero Lulli
- Gordon Mitchell
- Luigi Pistilli
- Nello Pazzafini
- Aldo Sambrell
- Charles Southwood
- Woody Strode
Wichtige Komponisten
- Ennio Morricone
- Francesco De Masi
- Luis Enríquez Bacalov
- Bruno Nicolai
- Guido & Maurizio De Angelis
- Riz Ortolani
Wichtige Filme
- „Die Dollar-Trilogie“
- „Die Amerika-Trilogie“
- Spiel mir das Lied vom Tod
- Todesmelodie
- Es war einmal in Amerika (kein Italowestern, nur der Vollständigkeit halber angeführt)
- „Sergio Sollima-Trilogie“
- „Die Sartana-Filme“
- „Die Sabata-Trilogie“
- Leichen pflastern seinen Weg
- Zwei Companeros
- Die gefürchteten Zwei (Mercenario, der Gefürchtete)
- Django
- Djangos Rückkehr
- Keoma – Melodie des Sterbens
- Töte Amigo! (Quien Sabe?)
- Die Rechnung wird mit Blei gezahlt
- Bandidos
- Mein Name ist Nobody
- Der Tod ritt dienstags
Weblinks
- Italowestern-Special mit Schwerpunkt Filmmusik
- Ausführliche Abhandlung über das Genre des Italowesterns
- Archiv bekannter Italowestern
- The Spaghetti Western Database Umfangreiche Italowestern Datenbank
- Zahlreiche Trailer
- Italowestern Klassiker
- Fanseite