Inselzelltransplantation
Die Inselzelltransplantation oder auch Inseltransplantation ist ein chirurgisches Therapieverfahren zur Behandlung des insulinpflichtigen Diabetes mellitus. Dabei werden den Patienten Langerhanssche Inseln aus der Bauchspeicheldrüse von Organspendern implantiert, in der Regel in das Blutgefäßsystem der Leber. Die Inselzelltransplantation ist, neben der Transplantation der vollständigen Bauchspeicheldrüse, derzeit das einzige Therapieverfahren, das im Erfolgsfall die behandelten Patienten von der Pflicht zur äusseren Zufuhr von Insulin befreit. Es kommt damit einer Heilung des insulinpflichtigen Diabetes mellitus am nächsten. Aufgrund bestimmter Nebenwirkungen und Nachteile sowie wegen fehlender Erkenntnisse zu den Langzeitauswirkungen gilt die Inselzelltransplantation jedoch noch als experimentelle Therapie. Von 1974 bis August 2002 sind rund 493 Patienten weltweit behandelt worden.
Langerhanssche Inseln
Bei den Langerhansschen Inseln in der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) handelt es sich um kompakte und mikroskopisch erkennbare Zellagglomerate mit einem Durchmesser von 50 bis 500 Mikrometern. Sie bestehen jeweils aus rund 1.000 bis 2.000 Zellen. Rund 60 bis 80 Prozent davon sind insulinproduzierende Betazellen. Deren Aufgabe ist die vom Blutzuckerspiegel und vom Hormon Glukagon regulierte Freisetzung des blutzuckersenkenden Hormons Insulin.
Eine gesunde Bauchspeicheldrüse eines Erwachsenen enthält rund eine Million Langerhanssche Inseln mit einer Gesamtmasse von einem bis 1,5 Gramm. Dies entspricht rund zwei bis vier Prozent der Masse des Pankreas. Die Gesamtheit aller Inseln einer Bauchspeicheldrüse wird auch als endokrines Pankreas oder Inselorgan bezeichnet, da sich die Inseln hinsichtlich ihrer Funktion deutlich vom Rest der Bauchspeicheldrüse, dem sogenannten exokrinen Pankreas, unterscheiden. Die Aufgabe des exokrinen Gewebes der Bauchspeicheldrüse ist die Produktion von Verdauungsenzymen.
Beim Vorliegen eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus sind die Betazellen in den Inseln irreparabel geschädigt. Dies ist beim Typ-1-Diabetes, der rund 90 Prozent der insulinpflichtigen Diabetiker betrifft, auf eine autoimmunologische Zerstörung der Betazellen zurückzuführen. Beim Vorliegen eines insulinpflichtigen Typ-2-Diabetes ist die Ursache für den Untergang der Betazellen wahrscheinlich eine chronische Überlastung in Folge einer lang andauernden erhöhten Insulinproduktion. Der exokrine Teil des Pankreas ist bei Diabetikern von der Erkrankung nicht betroffen und damit in der Regel gesund. Eine alleinige Transplantation der Inseln ist deshalb eine mögliche Alternative zur Übertragung einer vollständigen Bauchspeicheldrüse.
Durchführung
Für die Übertragung der Inseln ist es zunächst notwendig, diese aus der Bauchspeicheldrüse zu isolieren. Dies geschieht durch einen enzymatischen Verdau des Pankreasgewebes mittels Kollagenase und einer anschließenden Abtrennung der Inseln durch eine Dichtegradientenzentrifugation. In der Regel schliesst sich zur Regeneration der Inseln eine Kultivierung für eine bestimmte Zeit in einem Zellkulturansatz an. Die eigentliche Implantation erfolgt minimal-invasiv durch Injektion in die Pfortader der Leber unter lokaler Betäubung. Mit dem Blutstrom verteilen sich die Inseln im Gefäßsystem der Leber und verbleiben dort. Die Lebergefäße haben sich, vor allem hinsichtlich der Nährstoffversorgung und der Reaktion auf den Blutzuckerspiegel, bisher als überlegen gegenüber anderen Implantationsorten erwiesen. Pro Kilogramm Körpergewicht werden mindestens 6.000 Inseln transplantiert. Dabei wird von sogenannten Inseläquivalenten ausgegangen, also einem durchschnittlichen Durchmesser von 150 Mikrometern.
Wie bei anderen Organtransplantationen üblich, erfolgt auch bei der Inselzelltransplantation eine Auswahl von Empfänger und Spender nach bestimmten Gewebemerkmalen, um eine größtmögliche Kompatibilität zu erreichen. Die bisherigen Inselzelltransplantationen wurden nahezu alle in Kombination mit einer Nierentransplantation durchgeführt, entweder als gleichzeitige Transplantation der Inselzellen und der Niere oder nach einer bereits vorher erfolgten Nierentransplantation. Diabetes-Patienten mit dialyse-pflichtiger Niereninsuffizienz sowie Patienten, die bereits eine Nierentransplantation erhalten haben, sind deshalb neben Patienten mit einem instabilen Diabetes und einem damit einhergehenden häufigem Auftreten von schweren Unterzuckerungen gegenwärtig die Zielgruppen der Inselzelltransplantation.
Vorteile
Gegenüber der Transplantation einer kompletten Bauchspeicheldrüse bietet eine Inselzelltransplantation zwei wesentliche Vorteile.
Zum einen ist ist das Verfahren aufgrund der Injektion methodisch sehr viel einfacher durchzuführen. Das Risiko bestimmter Operationskomplikationen ist dadurch deutlich geringer, da beispielsweise die körpereigene Bauchspeicheldrüse nicht entfernt werden muss. Dies reduziert vor allem das Risiko von schwerwiegenden Blutungen und von Infektionen. Auch eine mehrfache Behandlung im Fall des Funktionsverlustes der Inseln, ebenso wie eine stufenweise Implantation zur optimalen Abstimmung der Zahl der Inseln, ist vergleichsweise einfach möglich.
Zum anderen wird, wie bereits erwähnt, nur der bei einem Diabetiker betroffene Teil der Bauchspeicheldrüse implantiert. Dies reduziert die Menge an körperfremdem Gewebe und damit auch die entsprechenden immunologischen Komplikationen. Auch von einem möglichen Ausfall des Implantats aufgrund einer Abstoßungsreaktion ist das exokrine Pankreasgewebe des Patienten nicht betroffen.
Im Erfolgsfall führt eine Inselzelltransplantation zur völligen Befreiung des Patienten von der Notwendigkeit der äusseren Zufuhr von Insulin und der ständigen Blutzuckerkontrolle. Darüber hinaus wird auch eine deutliche Reduktion des Insulinbedarfs und der Häufigkeit des Auftretens von Stoffwechselkomplikationen als Teilerfolg gewertet.
Nachteile und Nebenwirkungen
Hauptnachteil der Inselzelltransplantation ist, wie bei allen Organtransplantationen, die Notwendigkeit einer dauerhaften Unterdrückung der Abstoßungsreaktion, die vom Immunsystem des Körpers gegen das körperfremde Gewebe ausgeht. Hierzu müssen die Patienten regelmäßig sogenannte Immunsuppressiva einnehmen, also Medikamente, welche die Immunantwort abschwächen. Die immunsuppressive Behandlung erhöht mittel- und langfristig die Anfälligkeit für Infektionen sowie das Risiko bestimmter Krebserkrankungen. Als weiterer Nachteil hat sich nach den bisherigen Erfahrungen erwiesen, dass mit den derzeit verfügbaren Immunsuppressiva in den meisten Fällen keine vollständige Unterdrückung des Autoimmunprozesses möglich ist, der zur Zerstörung der körpereigenen Inseln geführt hat.
Aus methodischer Sicht ist die Ausbeute an Inseln mit den derzeitigen Isolierungsprotokollen nicht optimal. Für die Gewinnung der für eine Inselzelltransplantation notwendigen Anzahl an Inseln werden in der Regel zwei bis drei Bauchspeicheldrüsen benötigt. In nur wenigen Fällen ist bisher eine Insulinfreiheit des Patienten nach Transplantation von Inseln aus nur einem Spenderorgan gelungen. Da aus verschiedenen Gründen vergleichsweise wenig Pankreastransplantationen durchgeführt werden, führt dies momentan nicht zu Einschränkungen in der Verfügbarkeit von Spenderorganen. Einer Anwendung der Inselzelltransplantation in größerem Umfang steht dieses Problem jedoch entgegen.
Aufgrund der geringen Zahl der weltweit bisher durchgeführten Inselzelltransplantationen liegen noch keine gesicherten Erkenntnisse zu den Langzeitfolgen und zum therapeutischen Nutzen vor. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob die Transplantation das Leben der Patienten verlängert oder die Häufigkeit und Schwere der diabetischen Spätkomplikationen verringert, und ob der mögliche therapeutische Nutzen die mit der immunsuppressiven Therapie verbundenen Risiken und Nebenwirkungen rechtfertigt. Auch eine gesicherte Kosten-Nutzen-Analyse steht noch aus.
Statistik und wichtige Forschungsrichtungen
An der Universität Gießen besteht seit dem Beginn der 1990er Jahre ein Internationales Register für Inselzelltransplantationen (International Islet Transplant Registry, ITR). Diesem werden rund 95 Prozent aller weltweit durchgeführten Transplantationen gemeldet. Von 1974 bis August 2002 wurden diesen Daten zufolge weltweit 493 Inselzelltransplantationen durchgeführt, davon mehr als 80 Prozent nach 1990. Zu den führenden Zentren in Europa für diese Methode gehören neben Giessen noch Mailand und Genf, in den USA Minneapolis, Miami, St. Louis und Pittsburgh sowie in Kanada Edmonton. Die Ein-Jahres-Überlebensrate der Patienten betrug 96 Prozent. In rund 40 Prozent der Fälle war nach einem Jahr noch eine Funktion der transplantierten Inseln nachweisbar, bei etwa jedem vierten Patient wurde das Ziel der Insulinunabhängigkeit erreicht. Der längeste registrierte Fall von Insulinfreiheit betrug im Jahr 2003 sechs Jahre.
Die Forschung zur Optimierung der Inselzelltransplantation konzentriert sich auf mehrere Bereiche. Zum einen wird versucht, die Ausbeute der Isolation zu verbessern und ein Verhältnis von "Ein Spenderorgan, ein Empfänger" zu erreichen. Darüber hinaus werden neben der Leber weitere Implantationsorte hinsichtlich ihrer Eignung und möglicher Vorteile untersucht, insbesondere hinsichtlich einer Abschirmung vor immunloogischen Reaktionen und damit dem Langzeitüberleben der Inseln. Durch die Einkapselung der Inseln mit verschiedenen Biomaterialien soll ein Schutz vor Abstoßungsreaktionen und Autoimmunprozessen erreicht werden. Auch die Verringerung der Nebenwirkungen der Immunsuppressiva durch eine Optimierung der Therapie und die Entwicklung neuer, spezifisch wirkender Medikamente ist ein wesentlicher Teil der Forschung.
Mögliche Alternativen zur Transplantation von Inseln aus Spenderorganen, die sich derzeit im Forschungsstadium befinden, sind unter anderem
- die Verwendung von tierischen Inseln im Rahmen einer sogenannten Xenotransplantation
- die Transplantation von Stammzellen beziehungsweise aus Stammzellen gezüchteten Betazellen
- die genetische Manipulation von patienteneigenen Leberzellen, um diese zur Produktion und Speicherung von Insulin anzuregen (sogenannte PDX-1 Leberzellen)
- die Induktion einer Betazellregeneration in der Bauchspeicheldrüse des Patienten
Historische Informationen
Die erste experimentelle Übertragung von Pankreasgewebe wurde am 18. Dezember 1891 von Oskar Minkowski im Rahmen eines Vortrages vorgestellt. Er hatte dazu einem Hund, der nach Entfernung der Bauchspeicheldrüse diabetisch geworden war, Fragmente des Pankreas unter die Bauchhaut transplantiert[1]. Bereits am 20. Dezember 1893 versuchte der Arzt P. Watson Williams zusammen mit einem Kollegen am Royal Infirmary Hospital in Bristol erstmals eine entsprechende Operation an einem Menschen[2]. Sie transplantierten dazu einem 15-jährigen Jungen mit Typ 1-Diabetes drei Stücke eines Pankreas von einem frisch geschlachteten Schaf. Trotz einer vorübergehenden Verbesserung der diabetischen Symptome verstarb der Junge wenige Tage später, wahrscheinlich an der hyperakuten Abstoßung des tierischen Gewebes.
Nach Erfolgen mit der Transplantation von Inseln in experimentellen Studien an Ratten zum Beginn der 1970er Jahre wurde davon ausgegangen, dass die Inselzelltransplantation die Pankreastransplantation in der klinischen Praxis in naher Zukunft ablösen würde. Möglich geworden waren diese Ergebnisse durch die Entwicklung entsprechender Methoden zur effektiven Isolierung der Inseln aus dem Pankreasgewebe in der Mitte der 1960er Jahre. Die erste erfolgreiche experimentelle Inselzelltransplantation erfolgte 1972[3]. 1973 konnte gezeigt werden, dass eine Implantation in das Gefäßsystem der Leber von Vorteil war gegenüber einer Transplantation in den Bauchraum.
Die erste erfolgreiche Inselzelltransplantation beim Menschen gelang allerdings erst 1990 am Washington University Medical Center in St. Louis[4]. Am 26. November 1992 wurde an der Universität Giessen die erste erfolgreiche Transplantation im Bereich von Eurotransplant durchgeführt. Die erste auf einer Lebendspende basierende Inselzelltransplantation, bei der einer 27jährigen Patientin Inseln ihrer gesunden Mutter übertragen wurden, fand am 19. Januar 2005 am Universitätskrankenhaus Kyoto statt.
Quellen
- ↑ O. Minkowski: Weitere Mitteilungen über den Diabetes mellitus nach Exstirpation des Pankreas. In: Berliner Klinische Wochenschrift. 29/1892, S. 90-94
- ↑ P.W. Williams: Notes on diabetes treated with extract and by grafts of sheep´s pancreas. In: British Medical Journal. 2/1894, S. 1303
- ↑ W.F. Ballinger et al.: Transplantation of intact pancreatic islets in rats. In: Surgery. 72(2)/1972. Elsevier, S. 175–186, ISSN 0039-6060
- ↑ D.W. Scharp et al.: Insulin independence after islet transplantation into type I diabetic patient. In: Diabetes. 39/(4)/1990. American Diabetes Association, S. 515-518, ISSN 0012-1797
Literatur
- J.R. Lakey JR, M. Mirbolooki, A.M. Shapiro: Current status of clinical islet cell transplantation. In: Methods in Molecular Biology. 333/2006. Humana Press, S. 47-104, ISSN 1064-3745
- A.N. Balamurugan, R. Bottino, N. Giannoukakis, C. Smetanka: Prospective and challenges of islet transplantation for the therapy of autoimmune diabetes. In: Pancreas. 32(2)/2006. Lippincott Williams & Wilkins, S. 231-243, ISSN 0885-3177