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Dom zu Halberstadt

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Der Dom zu Halberstadt (rechts ein Turm der Martinikirche)
Stadtansicht von Halberstadt (vor 1900), mit den Hauptkirchen Martinikirche (links), Dom und Liebfrauenkirche
Blick von der Martinikirche zum Dom
Domplatz, Blick nach Osten
Innenansicht des Halberstädter Doms

Der Dom St. Stephanus und St. Sixtus in Halberstadt ist einer der wenigen großen Kirchenbauten des französischen Kathedralschemas[1] in Deutschland. Er befindet sich inmitten eines Ensembles von romanischen, barocken, neogotischen und modernen Bauten am Rande des historischen Kerns der im nördlichen Harzvorland gelegenen, im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Stadt. Der Dom befindet sich im Eigentum der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt.

Baugeschichte

Das Bistum Halberstadt wurde im 9. Jahrhundert als Missions- und Verwaltungsmittelpunkt im neu eroberten sächsischen Stammesgebiet errichtet.

Als erste Bischofskirchen dienten kleinere Steinbauten, denen ein 859 geweihter karolingischer Neubau in Form einer dreischiffigen kreuzförmigen Basilika folgte. Dieser Dom stürzte im Jahr 965 ein, unmittelbar danach begann der Bau des ottonischen Doms, der 992 geweiht wurde und schon fast die Ausmaße des späteren gotischen Neubaus erreichte. Im 10. Jahrhundert trat das nahe Magdeburg, das immer mehr als Zentrum ottonischer Herrschaftspolitik diente und in dem Otto I. 968 ein Erzbistum auf Kosten der hiesigen und der Merseburger Diözese installierte, zunehmend in Konkurrenz zu Halberstadt. Die (ottonische) Kathedrale wurde im Zuge der Zerstörung der Stadt 1179 durch Heinrich den Löwen schwer beschädigt, aber anschließend rasch restauriert und neu eingewölbt; die Weihe war 1220.

1209 begann das konkurrierende Magdeburger Erzstift mit dem Bau eines Domes, der stark von der Architektur der französischen Kathedralgotik beeinflusst war. Das Domkapitel Halberstadt beschloss nun seinerseits den sukzessiven Bau einer „modernen“ gotischen Kathedrale, der ungewöhnlicherweise mit dem Westbau begonnen wurde. Das Kapitel wollte den bestehenden Dom noch möglichst lange weiter nutzen, war doch noch kurz zuvor für die Einwölbung viel Geld investiert worden.

Der Westbau verbindet die lokale spätromanische Bautradition mit den modernen frühgotischen Einflüssen, insbesondere der Architektur der Zisterzienser. Der obere Teil der heutigen Westfassade ist allerdings größtenteils dem 19. Jahrhundert zuzuordnen.

Um 1260 begann der Bau des hochgotischen Langhauses, dessen Dimensionen – wohl wieder als Konkurrenz zu Magdeburg, gegenüber der ursprünglichen Planung wesentlich gesteigert wurden. Das Mittelschiff erreicht die für damalige Verhältnisse beeindruckende Höhe von 27,0 m, die Seitenschiffe sind 14,0 m hoch. Allerdings wurden in dieser zweiten Bauphase nur die ersten drei Joche des Langhauses gebaut, man musste ja den alten Dom funktionsfähig erhalten. Im Gegensatz zu Magdeburg orientieren sich diese ersten Joche wesentlich näher an den französischen Vorbildern, besonders das offene Strebesystem ist hier voll entwickelt, allerdings in „deutscher“ Reduktion. Als Vorbild dürfte hier die Kathedrale von Reims gedient haben. Wegen der notorisch schlechten Finanzsituation des Domkapitels zog sich der Bau allerdings über etwa 50 Jahre hin.

Da sich die finanzielle Lage des Bistums so schnell nicht besserte, beschloss man, den alten Dom noch eine Weile weiter zu nutzen, und begann um die Mitte des 14. Jahrhunderts am entgegengesetzten Ende mit der Errichtung der Marienkapelle. Um 1350 begannen die Abbrucharbeiten für den Chorbau, der sich an den Maßverhältnissen der westlichen Langhausjoche orientierte. Dieser Bauabschnitt dauerte wiederum etwa 60 Jahre bis zur Weihe im Jahre 1401. Später wurden noch einige Kapellen hinzugefügt.

Der Dom muss nun ein etwas seltsames Bild geboten haben, denn zwischen den gotischen West- und Ostteilen lag ja noch das ottonische Langhaus. Diesen Zustand wollte man nicht lange hinnehmen, die Bauarbeiten für die fehlenden gotischen Ostjoche des Langhauses und das Querhaus dürften wohl kurz nach der Chorweihe begonnen haben. Nach weiteren 90 Jahren, 1491, konnte die gesamte Kathedrale geweiht werden.

Als letzte spätgotische Ergänzung wurde 1514 der neue Kapitelsaal fertiggestellt (Gewölbe 1945 zerstört), und 1516 kam der bronzene Radleuchter im Mittelschiff hinzu.

Durch den ersten protestantischen Halberstädter Bischof Heinrich Julius wurde 1591 am Halberstädter Dom die protestantische Lehre eingeführt. Es hielt sich zunächst über den Dreißigjährigen Krieg hinaus ein gemischtkonfessionelles Domkapitel. Erst nach dessen Aufhebung im Jahre 1810 ist der Dom eine evangelische Pfarrkirche.

Die folgenden Jahrhunderte – bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges – bewahrten im Wesentlichen das mittelalterliche Erscheinungsbild; die größte Baumaßnahme war hier die erwähnte Neuaufmauerung der Westtürme.

Der 8. April 1945 brachte schließlich den Untergang des alten Halberstadt mit seinen über tausend erhaltenen Fachwerkhäusern. Auch der Dom wurde von 12 Bomben schwerst getroffen. Während die Altstadt nach dem Krieg weitgehend dem Verfall preisgegeben wurde, unternahm die DDR-Denkmalpflege umfangreiche Maßnahmen zur Sicherung und Wiederherstellung der großen gotischen Kathedrale:

Unter anderem erfolgten sehr aufwändige Stabilisierungsmaßnahmen an den drei zuerst, zwischen 1250 und 1276 errichteten Strebepfeilern an der Nordseite. Diese waren damals, mangels Erfahrungen in der Dimensionierung von Strebewerk, noch sehr schlank gebaut worden (die später errichteten Pfeiler des Domes sind dicker). Zudem verminderten unerwüschte chemische Prozesse im Kalkmörtel, das sog. „Sulfattreiben“, deren Tragfähigkeit. Im Pfeilerinneren war teilweise gar kein Stein verwendet worden. Es war dort nur Kalkschutt, der mit Mörtel überstrichen wurde, eingefüllt worden. Die Pfeiler waren von Rissen durchzogen, es drohte aufgrund ihrer Schlankheit und eines ungleichmäßigen Kräfteeintrags ein seitliches Ausknicken, und somit ein Teileinsturz des Kirchenschiffs.

Zuerst wurden in den 1950er Jahren Zementinjektionen eingebracht, um das 700 Jahre alte, durch das Sulfattreiben angegriffene Fugenmaterial zu stabilisieren. Weil das nicht ausreichte, tauschte man dann in den 1960er bis 1980er Jahren ganze Bereiche der Pfeiler aus. Hierzu mussten massive Stahlkonstruktionen, welche das Langhaus als Pfeilerersatz temporär stützten, aufgestellt und verankert werden.[2]

Die Restaurierung wurde nach der Wende fortgesetzt.

Am 15. September 2010 wurde wieder ein Dachreiter über der Vierung angebracht.

Beschreibung

Frühgotisches Erdgeschoss der Westfassade

Der Dom ist eine langgestreckte, dreischiffige, hoch- bis spätgotische Basilika über kreuzförmigem Grundriss. Südlich schließen sich die Klausurgebäude mit dem vierflügeligen Kreuzgang und der Neuenstädter Kapelle an. Die eindrucksvolle Doppelturmfront des Westbaues musste gegen Ende des 19. Jahrhunderts abgetragen und neuerrichtet werden. Der untere Teil mit dem frühgotischen Hauptportal ist jedoch noch weitgehend original.

Der Typus der klassischen französischen Kathedrale wurde in Deutschland nur bei wenigen Großbauten so konsequent übernommen, wie es hier deutlich wird. Besonders das offene Strebewerk trägt zu diesem Gesamteindruck bei, wenn auch die Einzelformen gegenüber den Vorbildern deutlich reduziert wurden. Die Strebebögen wurden in Halberstadt nur einfach ausgeführt, während französische Dome meist doppelte oder gar dreifache Strebesysteme aufweisen. Durch dieses offene Strebewerk wirkt der Halberstädter Dom auf Betrachter moderner und prächtiger als der Magdeburger Dom, bei dem vollständig auf dieses typischen Kennzeichen einer gotischen Kathedrale verzichtet wurde.

Der Innenraum blieb von nachmittelalterlichen Veränderungen weitgehend verschont. Der überwiegend mit einfachen Kreuzrippen eingewölbte Sakralraum weist nur in den Seitenschiffen und dem Querschiff reichere (spätgotische) Gewölbeformen auf. Chor und Gemeinderaum werden durch einen spätgotischen Lettner getrennt.

Wie bei den französischen Vorbildern sind die Seitenschiffe als Umgang um den Hochchor herumgeführt, auf einen Kapellenkranz wurde allerdings – bis auf die Scheitelkapelle (Marienkapelle) – verzichtet.

Klausur und Kreuzgang

Blick vom Kreuzgang auf den Chor

Die Klausur des ottonischen Vorgängerdoms lag bereits in etwa an der heutigen Stelle. Es haben sich noch zwei Räume aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts erhalten, darunter der zweischiffige, kreuzgratgewölbte sogenannte Alte Kapitelsaal.

Der vierflügelige, zweigeschossige Kreuzgang stammt aus dem 13. Jahrhundert und weist ebenfalls durchgehend einfache Kreuzgratgewölbe auf. Die „frühgotischen“ Arkadenfüllungen sind allerdings eine Zutat des 19. Jahrhunderts. Im Obergeschoss sind Teile des bedeutenden Domschatzes untergebracht.

Die kreuzgewölbte Neuenstädter Kapelle (1503) ist vom westlichen Kreuzgangflügel aus zugänglich und birgt einen schönen spätgotischen Flügelaltar.

Über dem Nordflügel liegt der große „Neue Kapitelsaal“, dessen herrliches Schlingrippengewölbe nach der Kriegszerstörung durch eine flache Betondecke ersetzt werden musste.

Ausstattung

Johannesfenster, im Maßwerk ergänzt von Ch. Crodel (1959)

Der Halberstädter Dom überrascht durch seine in ungewöhnlicher Vollständigkeit erhaltene mittelalterliche Ausstattung. Aus nachmittelalterlicher Zeit stammen im Wesentlichen nur einige Grabmäler und Epitaphien, der barocke Orgelprospekt und die Renaissancekanzel.

Besonders in der Marienkapelle haben sich trotz Kriegsverlusten noch einige bedeutende gotische Glasfenster erhalten. Das Gesamtbild wurde durch moderne Ergänzungen von Charles Crodel wiederhergestellt, der auch das durch das gesamte Südschiff wirkende Maßwerk des Johannesfensters im Duktus des Bestandes erneuerte.[3]

Von den sonstigen Kunstwerken können nur die bedeutendsten kurz erwähnt werden. Aus dem alten, ottonischen Dom sind noch der romanische Taufstein und die eindrucksvolle Triumphkreuzgruppe über dem Lettner erhalten.

Der Lettner selbst ist eine elegante, fialengekrönte spätgotische Arbeit mit schönem Skulpturenschmuck.

Der Reichtum an plastischen gotischen Bildwerken ist auch sonst bemerkenswert. In der Marienkapelle beten die Heiligen Drei Könige die Jungfrau mit dem Kinde an (um 1360), die Chorpfeiler sind mit den zwölf Aposteln und den beiden Bistumspatronen geschmückt (um 1425 bis etwa 1470). Auch das Quer- und das Langhaus tragen reichen Skulpturenschmuck.

Im Chorraum sind noch das gotische Chorgestühl (um 1400) und ein spätgotischer Schrank bemerkenswert.

Der Lettner mit der Triumphkreuzgruppe

Lettner im Halberstädter Dom

Der Halberstädter Dom besitzt eine ganze Reihe bedeutender Kunstwerke. Der Innenraum ist sehr in die Höhe gestreckt, und diese Höhentendenz des Raumes wird in dem riesigen spätgotischen Lettner aufgegriffen, der ungefähr in der Mitte des Langhauses steht.

Der Lettner selbst wurde 1505 hergestellt. Den oberen Teil der ganzen Konstruktion bildet aber eine Triumphkreuzgruppe, die älter ist als die ganze Kirche. Sie stammt aus dem ottonischen Vorgängerbau aus der Zeit um 1210/20. Sie wurde aus Eichen-, Linden- und Fichtenholz hergestellt und hat eine Höhe von 5,15 m bei einer Breite von 3,50 m. Die Einzelfiguren haben eine Höhe von ca. 2,40 m. Die ganze Gruppe war ursprünglich – wie meistens im Mittelalter – farbig gefasst. Sie gehört zu den wichtigsten plastischen Kunstwerken auf deutschem Boden aus dieser Zeit. Die Gruppe der fünf Figuren steht auf dem sogenannten Apostelbalken, der die zwölf Apostel als Träger des christlichen Glaubens zeigt und mit seinen 8,50 m Länge das ganze Mittelschiff überspannt. Der gekreuzigte Christus steht außerdem noch symbolisch auf dem Grab Adams. Christus ist hier im Typus des leidenden Erlösers dargestellt, neben der trauernden Maria und Johannes, und außen flankiert von zwei Cherubim auf Feuerrädern.

Die Darstellung des gekreuzigten Christus hat in der mittelalterlichen Kunst einige entscheidende Wendungen durchgemacht, die typisch sind für die jeweilige Auffassung, in welcher Funktion man den Gottessohn sehen wollte. Hier haben wir einen Übergangsstil vor uns. Christus ist nicht mehr nur „stehend“ abgebildet wie in der Plastik der Zeit davor, sondern schon leicht s-förmig, „hängend“. Die ältere, stehende Haltung entsprach dem Bild vom Herrscher, daher auch der Name Triumphkreuz. Hier um 1210/20 ändert sich die Sichtweise allmählich vom Herrscher zum gekreuzigten Menschen, zum Leidenden. Gleichzeitig verweist die Kombination der Apostel auf dem tragenden Balken zusammen mit den seitlichen Cherubim der Apokalypse auf das Einssein von Kreuzigung und Jüngstem Gericht.

Die Kreuzigung ist das wichtigste Thema des christlichen Bildkreises. Richtiger wäre die Bezeichnung „Christus am Kreuz“, da ja nicht der Akt der Kreuzigung, sondern sein Ergebnis dargestellt wird. Die Entstehungsgeschichte der Kreuzigungsdarstellung in der Kunst ist in manchen Punkten noch strittig. Christus wird zu Anfang des frühen Christentums noch in der Stellung des Oranten, also des Anbetenden zwischen den beiden Schächern gezeigt, also eigentlich nicht als Gekreuzigter. Das Kreuz ist in diesen alten Darstellungen nur angedeutet, als Symbol oder als Zeichen dazugegeben.

Erst im 6. Jahrhundert entstehen die ersten historischen Kreuzigungsbilder, auf denen Christus deutlich erkennbar an das Kreuz genagelt ist. Später wird es immer üblicher, Maria zur Rechten Christi und Johannes zu seiner Linken unter dem Kreuz aufzustellen. Christus wird anfangs als Lebendiger am Kreuz dargestellt mit langem Haar und einem engen, ärmellosem Gewand. In karolingischer und ottonischer Zeit hat Christus oft einen Lendenschurz. Er wird zunehmend von symbolischen Nebenfiguren begleitet, hier in Halberstadt von den Cherubim.

In romanischer Zeit, aus der diese Plastik stammt, entstehen zuerst in Italien die Triumphkreuze, die diesseits der Alpen nur als plastische Gruppen erscheinen. Die Halberstädter Gruppe gehört neben Wechselburg und Freiberg zu den drei bedeutendsten Beispielen in Deutschland. Zum Namen Triumphkreuz passt auch, dass es stets sehr hoch im Raum angebracht ist.

In der Gotik änderte sich das Schema der Kreuzigungsdarstellung, und diese Veränderung sieht man hier schon wirksam werden. Aus dem Christus als göttlichem Sieger wird der neue Typus: Christus als leidender Mensch. Und damit hängt zusammen, dass sich die einstmals stehende Haltung zu einer hängenden verändert. Man muss hier auch auf die Fußstellung achten: Christus steht mit beiden Füßen auf einer Schlange, die Füße sind nicht angenagelt. Das wird sich später ändern.

Nach 1220 entwickelte sich der Typus des „hängenden Christus“. Ein erster Schritt dazu war, dass die Füße übereinander gelegt und mit einem Nagel an das Kreuz geschlagen sind (Entwicklung vom „Zwei-Nagel-Typus“ zum „Ein-Nagel-Typus“), was einen Verlust an Symmetrie bedeutet und damit an Strenge und auch an Repräsentation. Aber damit sind auch sehr viel größere Bewegungsmöglichkeiten in der Gestaltung des Körpers gegeben, der jetzt als Leidender und nicht mehr als Herrschender dargestellt wird.

Eine Ausnahme von dieser Regel stellt das berühmte hölzerne Gero-Kreuz aus der Zeit um 970 im Kölner Dom dar, es ist das einzige erhaltene monumentale Christusbild am Kreuz aus dem 10. Jahrhundert. Hier ist Christus im „Zwei-Nagel-Typus“ dargestellt.

Cherubim, Engel und ihre „Flügel“

Cherubim sind in der mittelalterlichen Kunst eigentlich Engel mit vier Flügeln, im Unterschied zu den Seraphim, die sechs Flügel haben.

Die Fachliteratur führt dazu aus: Engel haben ursprünglich keine Flügel. Wo immer diese Gottesboten im Alten oder Neuen Testament erscheinen, ist von Flügeln keine Rede: »Der Engel des Herrn fand Hagar in der Wüste« (Genesis 16,7); »Der Engel Gottes, der den Zug anführte, erhob sich und ging an das Ende des Zuges« (Exodus 14,19); »Der Engel des Herrn kam und setzte sich unter die Eiche bei Ofra« (Richter 6,11); »im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazareth (...) gesandt« (Lukas 1,26) usw. Die einzigen biblischen Gestalten mit Flügeln sind die Serafim und Cherubim, aber das sind keine Boten Gottes, sondern Mitglieder des göttlichen Hofstaates, die auch schon durch ihre Löwenleiber etwas aus der Rolle fallen.

Demzufolge werden Engel in der frühchristlichen Kunst auch durchweg ohne Flügel abgebildet. Erst ab Ende des 4. nachchristlichen Jahrhunderts sieht man Engel auch mit Flügeln, vermutlich um ihr plötzliches Erscheinen und Verschwinden wie auch die Auffahrt in den Himmel für die Menschen nachvollziehbarer zu machen. In der Renaissance entwickeln sich dann zusätzlich die beflügelten Mädchen- oder Kinderengel (Putten; bis dato waren Engel durchweg junge Männer), und heute gehört der Flügel zum Engel wie der Zylinderhut zum Schornsteinfeger.[4][5][6]

Dieser Unterschied Engel-Cherubim wird in der Kunst aber nicht immer genau beachtet. Diese hier in Halberstadt heißen trotzdem Cherubim, obwohl sie sechs Flügel haben. Auf dem Rücken befindet sich nämlich nochmals ein Paar. Die Cherubim stehen auf Feuerrädern, deren Rotation ein Sinnbild der ewigen göttlichen Kraft ist. Die Cherubim verkörpern die Visionen des Jesaja und Ezechiel, denen zufolge die geflügelten Wesen den Thron Gottes umstehen. Ihre Darstellung hier hat zweifellos apotropäische („unheilabwehrende“) Bedeutung: Sie beschützen das Heiligtum gegen den Zutritt des Bösen und Unreinen. Alle fünf Gestalten sind überlebensgroß und auf Fern- und Untersicht berechnet. Gebärden und Gesichtsausdruck sind in diesem Sinne vereinfacht, die sparsamen traditionellen Gesten von Maria und Johannes als Ausdruck der Trauer auch von weitem kenntlich.

Die Vorstufen für den Stil dieser Figuren wird man kaum in dieser Gegend, in Sachsen oder in Thüringen aufzeigen können. Hier baut man eindeutig auf Errungenschaften der frühgotischen Skulptur an den französischen Kathedralen auf.

Orgel

Bilder vom Dom

Fenster

Im Jahr 2012 konnte das neu gestaltete Südquerhausfenster im Dom, vorwiegend durch Spenden finanziert, in Dienst gestellt werden. Es entstand als Ergebnis eines Auswahlverfahrens nach dem Entwurf des Wernigeröders Günter Grohs und wurde von den Glaswerkstätten F. Schneemelcher, Quedlinburg, gefertigt. Auch der Entwurf des gegenüberliegenden Fensters im Nordquerhaus war Thema des Wettbewerbes. Es ist geplant, auch dieses Fenster ausführen zu lassen.

Glocken

Glocke Dunna im Südturm
Glocke Osanna im Nordturm
Chorglocken im Mittelbau
Glocke „Maria Magdalena“ im zweiten Glockengeschoss des Nordturms
Laurentiusglocke im zweiten Glockengeschoss des Nordturms

Der Dom besitzt 13 Glocken. Das Geläut zählt zu den wertvollsten, mit einer wechselvollen Geschichte und einer überaus hohen Anzahl alter Glocken versehenen, Domgeläute überhaupt.

Die fünf größten Glocken bilden das Hauptgeläut mit der Domina/Dunna als Fundament.[7] Bei der inzwischen sechsten Rekonstruktion der Dunna gab es Probleme beim Guss auf dem Domplatz[8] (zu hohe Zinnversiedung), dadurch fiel der geplante historische Schlagton (ges0 +1/16) zu hoch aus, die Abklingdauer liegt mit rund 100 Sekunden weit unter den für eine Glocke dieser Größe üblichen 200–250 Sekunden und die Krone wurde aufgrund fehlender Glockenspeise nicht vollständig gegossen.[9] Wegen des Termindrucks, die Glocke zur Jahrtausendwende zu läuten, wurde ihre Haube zweimal durchbohrt, um mit einer zusätzlich eingebauten Aufhängung die Glocke sicher und rechtzeitig am Joch aufhängen zu können, anstatt die fehlenden Teile durch eine eventuelle Restaurierung anzuschweißen oder die Glocke neuzugießen. Die Dunna gilt als keine würdige Nachfolgerin gleichnamiger Vorgängerglocken.[10] Seit Herbst 2018 darf die Dunna nicht mehr geläutet werden, sie hat einen Riss. Da eine Reparatur sehr aufwändig wäre, soll sie für 200 000 € neu gegossen werden. Es wird erwogen, die unbrauchbar gewordene Glocke vor dem Dom aufzustellen.[11][12]

Die Osanna, 1454 von Johannes Floris in überschwerer Rippe gegossen, gilt als außergewöhnlich klangschöne Glocke mit charakteristischem Teiltonaufbau. Ihr ebenbürtig ist die in ebenfalls in sehr schwerer Rippe gegossene Glocke Micha, die zu den besten Glocken der jüngsten Glockengussleistungen gezählt werden kann. Sie wurde ebenfalls von der Glocken- und Kunstgießerei Lauchhammer gegossen und dient sowohl als tonliche Überbrückung zwischen Laurentius und Osanna (Tritonus) als auch zur Entlastung des Altbestandes.

Laurentius und Maria Magdalena sind die beiden kleinsten Glocken des Hauptgeläuts und stammen aus der Hand Hinrik van Kampens.

Der Uhrschlag wird auf zwei Gussstahlglocken des Bochumer Vereins, die starr im Südwestturm aufgehängt sind, ausgeführt.

Am ersten Samstag eines jeden Monats in der Sommerzeit erklingt um 17:30 Uhr das Vollgeläut. Zum Mittagsläuten um 12 Uhr sowie zum Abendläuten um 18 Uhr läutet Micha. Zum Sonntagsgottesdienst rufen Maria Magdalena, Laurentius und Micha.

Hauptgeläut und Uhrglocken in den Westtürmen

Nr.
 
Name
(Funktion)
Gussjahr
 
Gießer
 
Durchmesser
(mm)
Masse
(kg)
Schlagton
(HT-1/16)
Turm
 
Vorgängerinnen
 
1 Domina/Dunna 1999 Kunst- und Glockengießerei Lauchhammer 2255 8320 g0 +6 Süd 1195, vor 1454, 1457, 1860, 1876, 1928
2 Osanna 1454 Johannes Floris 1985 4820 b0 −1 Nord ?
3 Micha (Betglocke) 1997 Kunst- und Glockengießerei Lauchhammer 1523 2228 d1 −7 1365, 1454 (vgl. Gl. 2), [1576?]
4 Laurentius 1514 Hinrik van Kampen 1245 1080 e1 −4 ?
5 Maria Magdalena 1070 790 fis1 −9 ?
I Stundenschlag-Glocke 1908 Bochumer Verein 1254 850 gis1 −7 Süd 1845
II Viertelschlag-Glocke 1015 460 ais1 −9 1845

Chorglocken im Mittelbau

Zu den täglichen Horen des Stundengebets riefen fünf kleinere Glocken aus dem 13. Jahrhundert, sogenannte Zuckerhutglocken, die im Mittelbau aufgehängt sind. Dazu gehörte ursprünglich eine weitere Glocke mit dem Namen Stinkstank, die aber verschollen ist. Ihr Ton soll zwischen den Glocken Sauerkohl und Stimpimp gelegen haben. Die Chorglocken mit den volkstümlichen Namen werden heute meist in Kombination mit den großen Glocken verwendet.[10]

Name
 
Gusszeit
 
Durchmesser
(mm)
Masse
(kg)
Schlagton
(HT-1/16)
Bratwurst 13. Jh. 737 199 c2 −2
Sauerkohl 792 291 des2 −7½
Stimpimp 696 229 fis2 −6
Langhals um 1200 646 228 fis2 +7
Lämmchen 388 45 d3

Adämchen im Dachreiter

Mit der Wiederherstellung des Dachreiters kehrte die Glocke Adämchen 2010 an ihren ursprünglichen Ort zurück.[13]

Name
 
Gusszeit
 
Gießer
 
Durchmesser
(mm)
Masse
(kg)
Schlagton
 
Adämchen um 1300 unbekannt 402 56 ~dis3

Domschatz

Der Halberstädter Domschatz, zurückgehend auf Bischof Konrad von Krosigks Beute vom Vierten Kreuzzug, verdankt seine weitgehende Erhaltung wohl überwiegend der Einführung des evangelischen Bekenntnisses (Reformation) im Jahre 1591. Durch die protestantische Liturgie wurden viele Gegenstände des katholischen Ritus überflüssig und wurden der gottesdienstlichen Nutzung und Abnutzung entzogen. Das Domkapitel war – ein Kuriosum in der deutschen Bistumsgeschichte – konfessionell gemischt, es gab also evangelische und katholische Domherren. Der katholische Teil war natürlich auf den Erhalt der alten Kleinodien bedacht, der evangelische hätte sicher gerne das eine oder andere Stück veräußert.

Der ehemals noch wesentlich reichere Bestand wurde im Laufe der Jahrhunderte trotzdem deutlich reduziert, besonders Kardinal Albrecht von Brandenburg, der auch Bischof von Magdeburg und Halberstadt war, „entführte“ größere Teile nach Halle (Saale) und Mainz.

Trotz aller Verluste gilt der Domschatz noch immer als einer der wertvollsten und reichhaltigsten Europas. Aus der Fülle des Erhaltenen seien einige bedeutende Stücke hervorgehoben:

  • Das byzantinische Konsulardiptychon (Ravenna, 417)
  • Der spätromanische Halberstädter Schrank
  • Der romanische Abraham-Engel-Teppich
  • Der romanische Christus-Apostel-Teppich
  • Der byzantinische Liturgische Diskos
  • Das venezianische Kristallkreuz (13. Jahrhundert)

Bedeutung und Würdigung

„Viele Kirchen mögen prächtiger, merkwürdiger, kunstreicher sein als der Halberstädter Dom; dieser scheint mir von allen der edelste zu sein“

Ricarda Huch

„Das wohl reinste deutsche Beispiel einer durch und durch verstandenen Gotik“

„Der Dom ist schön wie die Ewigkeit.“

Der Halberstädter Dom stand bis 1945 inmitten eines der bedeutendsten historischen Stadtdenkmäler Deutschlands. Durch die verheerenden Zerstörungen des Krieges und die nachfolgende Vernachlässigung haben sich nur noch Reste des einmaligen Stadtbildes dieses, ehemals „norddeutsches Rothenburg“ genannten Gesamtkunstwerkes erhalten. Dennoch besitzt Halberstadt mit seinem Dom und der viertürmigen romanischen Liebfrauenkirche noch zwei herausragende Denkmäler mittelalterlicher Baukunst.

Der Dom verfügt über eine in ungewöhnlich reichem Maße erhaltene mittelalterliche Ausstattung. Der Domschatz ist mit über 600 erhaltenen Stücken einer der bedeutendsten in Europa.

Blick von der Martinikirche zum Dom, noch ohne Dachreiter

Maße

  • Länge des Hauptschiffs: 102 m
  • Gewölbehöhe des Hauptschiffs: ca. 27,0 m
  • Höhe Seitenschiffe: 14,0 m
  • Höhe der Türme: 91 m

Kirchenmusik im Dom

Neben den Orgelkonzerten finden regelmäßig auch Konzerte mit anderen Instrumenten im Dom statt. Die erste Orgel, die Gotische Domorgel wurde in Halberstadt in den Jahren 1357(?)–1361 von Nicolaus Faber ohne Pedal erbaut.

Orgelkonzerte, bei denen der Eintritt frei ist, finden jeden Samstag um 12 Uhr nach dem Geläute statt.

Siehe auch

Literatur

  • Johanna Flemming u. a.): Dom und Domschatz zu Halberstadt. Leipzig 1990, ISBN 3-7338-0058-3.
  • Peter Findeisen: Dom, Liebfrauenkirche und Domplatz. Mit einem Beitrag von Adolf Siebrecht. Aufnahmen v. Sigrid Schütze-Rodemann und Gert Schütze. Mit Literaturverzeichnis. 4., aktualisierte Aufl. Königstein i. Ts., Verlag Langewiesche 2009 (= Die Blauen Bücher), ISBN 978-3-7845-4606-3.
  • Hermann Giesau: Der Dom zu Halberstadt. Burg bei Magdeburg 1929 (Deutsche Bauten, 16).
  • Paulus Hinz: Gegenwärtige Vergangenheit – Dom und Domschatz zu Halberstadt. Evangelische Verlagsanstalt Berlin, 5. Auflage, Berlin 1971.
  • Petra Janke, Horst H. Grimm: Der Domschatz zu Halberstadt (= Edition Logika. Band 6). München 2003.
  • Petra Janke: Der Dom zu Halberstadt. München 2007 (= DKV-Kunstführer. Nr. 405), ISBN 978-3-422-02097-9.
  • Hans-Joachim Mrusek: Drei deutsche Dome: Quedlinburg, Magdeburg, Halberstadt (überarb. Auflage von 1963), München 1983, ISBN 3-7774-3510-4 – zeitgleich auch beim DDR-Verlag in Dresden neu aufgelegt (DNB 830849068).
  • Claus Peter: Das Geläute des Domes St. Stephanus und Sixtus zu Halberstadt. In: Nordharzer Jahrbuch. Band 20/21, Halberstadt 1999, ISBN 3-934245-00-5, S. 121–181.
  • Wolfgang Schenkluhn: Halberstadt: Dom und Domschatz. Halle 2002 (= Hallesche Beiträge zur Kunstgeschichte. 4).
  • Eva Fitz: Die mittelalterlichen Glasmalereien im Halberstädter Dom (Corpus Vitraearum Medii Aevi, Deutschland, Bd. XVII: Halberstädter Dom). Berlin 2002 ISBN 3-05-003438-6
  • Hans Fuhrmann: Die Inschriften des Doms zu Halberstadt (= Die Deutschen Inschriften. Band 75, Leipziger Reihe 3. Band) Dr. Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 2009 (inschriften.net).
  • Der Heilige Schatz im Dom zu Halberstadt. Hrsg. von Harald Meller (Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt), Ingo Mundt (Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt) und Boje E. Schmuhl (Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt), Fotos Juraj Lipták (Köln). Regensburg, Schnell und Steiner, Regensburg 2008, ISBN 978-3-7954-2117-5.
Commons: Dom zu Halberstadt – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. vgl. den Abschnitt Deutschland im Artikel Gotik.
  2. Tabernakel und Strebepfeiler Dom St. Stephanus und St. Sixtus zu Halberstadt - PDF Free Download. Abgerufen am 31. Januar 2020.
  3. Eva Fitz, Die mittelalterlichen Glasmalereien im Halberstädter Dom, Berlin 2003, Abb. 79, 80 und 106.
  4. C. Westermann: Gottes Engel brauchen keine Flügel. Berlin 1957.
  5. Engeldarstellungen aus zwei Jahrtausenden (Ausstellungskatalog), Recklinghausen 1959.
  6. Wörterbuch des Christentums. München 1995 / Lexikon: Engel. DB Sonderband: Das digitale Lexikon der populären Irrtümer. S. 416, (vgl. LexPI Band 2, S. 88 ff.)
  7. Halberstadt Dom Glocken Plenum Westwerk (2010) auf YouTube.
  8. Dokumentarfilm zum Glockenguss (Ausschnitt)
  9. Die Glocke Domina/ Dunna Halberstadt solo (0:49) auf YouTube.
  10. a b Christoph Schulz: Die Restaurierung des Geläutes des Halberstädter Domes St. Stephanus und Sixtus – eine neue Domina für Halberstadt. In: Konrad Bund u. a. (Hrsg.): Jahrbuch für Glockenkunde. 2001/02, Band 13–14, MRV, Brühl 2002, S. 548–561.
  11. Sabine Scholz: Muss Domina neu gegossen werden?; Volksstimme, 12. November 2018; abgerufen 28. Juni 2019.
  12. https://www.mdr.de/sachsen-anhalt/magdeburg/harz/halberstaedter-dom-glocke-domina-plaene-100.html
  13. Halberstädter Dom: Adämchen auf dem Dach. Mitteldeutsche Zeitung, abgerufen am 17. März 2016.

Koordinaten: 51° 53′ 46,6″ N, 11° 2′ 55,4″ O