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State Building

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State Building

State Building (dt. Staatsbildung, Staatsaufbau) ist ein Begriff aus der Staatstheorie. Der Aufbau eines funktionsfähigen Staates wird in der Staatstheorie als State Building, bezeichnet. Dieser Terminus fand seine erste weitere Verbreitung im Zusammenhang mit der Bildung von westeuropäischen Staaten und thematisierte die Machtdurchsetzung des Staates gegenüber der Gesellschaft (siehe Tilly 1975).

Im Vordergrund der theoretischen Betrachtungen zum State Building steht generell die Durchsetzung von Staatsmacht unter Bedingungen des staatlichen Wandels. Darüber hinaus müssen sich Staaten im Umbruchsprozessen oder Staaten mit schwachen Staatsstrukturen den Herausforderung stellen, welche der (Neu-)Aufbau von Staatsstrukturen und -aufgaben mit sich bringt. Dies beinhaltet unter anderem den Aufbau von Institutionen und die Institutionalisierung von staatlichen Abläufen. State Building kann man zusätzlich mit der Herausbildung eines staatlichen Zentrums und der Integration der Peripherie in zentralstaatliche Strukturen gleichsetzen bzw. als den Wandel von Informalität zur Formalität verstehen.

Tilly (1975: 70f.) beschreibt die Segnungen des State Building folgendermassen:

„State building provided for the emergence of specialized personnel, control over consolidated territory, loyalty, and durability, permanent institutions with a centralized and autonomous state that held the monopoly of violence over a given population“.

Die ältere Literatur zu State Building befasst sich im Allgemeinen mit dem Grad des Staates, der nötig ist, um die Beziehungen zwischen dem Staat und der Gesellschaft zu regeln. Genannt seinen hier die Autoren Charles Tilly, Theda Skopcol, Gabriel Almond, Joel Midgal und Stephen Krasner. Vordergründig werde die Beziehungen von Akteuren aus Staat und Gesellschaft betont, oftmals stehen aber institutionelle Aspekte dieser Interaktionen im Vordergrund (z.B. Kjær et al. 2002).

In den letzten Jahren wird mit State Building das „Staaten bauen“ (Fukuyama 2004a) umrissen. Das bedeutet, die Unzulänglichkeiten von schwachen Staaten abzubauen und ihre staatlichen Fähigkeiten (State Capacities) aufzubauen. Dabei handelt es sich um Staaten, in denen der Staat einen Prozess der „Degeneration“ durchmacht, sei es durch den Zusammenbruch übergeordneter (Grossmacht-)Strukturen oder durch kriegerische Auseinandersetzungen. Beispiele sind die Staaten der ehemaligen Sowjetunion oder des ehemaligen Jugoslawien.

Der Aufbau eines Staates kann nur mit der entsprechenden Staatsmacht geschehen. Institutioneller Wandel und der Aufbau eines funktionsfähigen Staates erfordern überdies Klarheit über die wesentlichen Komponenten von Staatlichkeit. Das State Building beinhaltet, dass Minimalanforderungen an einen funktionsfähigen Staat aufgestellt werden (World Bank 1997). Damit werden die Grundbausteine zur Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Staates gelegt. Behindernd wirkt sich die Tatsache aus, dass State Building häufig in einem unsicheren Umfeld erfolgt, in dem die alten Regeln ihre Gültigkeit verloren haben.

Autoren, welche mit dem Begriff des State Building operieren, stellen keinen standardisierten Katalog von Faktoren auf, welche den Aufbau von staatlicher Leistungsfähigkeit fördern oder behindern, sondern verweisen eher auf klassische Staatstheoretiker und funktionale Aspekte des Staatsaufbaus (z.B. Tilly 1975). Bestandteile des State Building variieren von Autor zu Autor. Kuzio et al. (1999) betonen den Einfluss von Eliten und Institutionen, Fukuyama (2004a und 2004b) Institutionen, Migdal (2001) Eliten und gesellschaftliche Aspekte. Zu den Wechselverhältnissen der einzelnen Komponenten existieren vereinzelte Studien (z.B. Gallina 2006).

Der State-Building-Ansatz eignet sich für die Analyse der Verfasstheit eines Staates. In einem ersten Schritt werden die Legitimität und Macht eines Staates allgemein identifiziert. In einem weiteren Schritt kann die Qualität des Staates in verschiedenen Bereichen untersucht werden.

Politischen Institutionen kommt eine wesentliche Funktion als Instrument der Machtdurchsetzung eines Staates zu. Ihre Entstehungs- und Wandlungsbedingungen sind ein zentrales Thema des State Building. In der Regel sind für einen funktionsfähigen Staat folgende Komponenten unverzichtbar: die Staatsmacht wird mittels formeller Institutionen durchgesetzt, informelle Normen und Netzwerke sind in formelle Strukturen eingebettet, die Eliten des Staates identifizieren sich mit demselben und setzen die Staatsmacht zum Wohl der Gesellschaft ein und die Gesellschaft wird in Staatsentscheide einbezogen.


Literatur

Almond, Gabriel, 1988: The Return to the State, in: American Political Science Review, Vol. 82, No. 3, 853–874.

Fukuyma, Francis, 2004a: State Building. Governance and World Order in the Twentiy-First Centrury, London: Profile Books.

Fukuyma, Francis, 2004b: The Imperative of State-Building, in: Journal of Democracy, Vol. 15, No. 2, 17–31.

Gallina, Nicole, 2006: Staat, institutionelle Leistungsfähigkeit und staatlicher Wandel in der Ukraine, Bern: Peter Lang Verlag.

Kjær, Anne M./Hansen, Ole H./Frølund Thomsen, Jens Peter, 2002: Conceptualizing State Capacity, Working Paper, March, Department of Political Science, University of Aarhus.

Krasner, Stephen D., 1984: Approaches to the State: Alternative Conceptions and Historical Dynamics, in: Comparative Politics, Vol. 16, No.2, 223–246.

Kuzio, Taras/Kravchuk, Robert S./D’Anieri, Paul (eds.), 1999: State and Institution Building in Ukraine, New York: St. Martin’s Press.

Migdal, Joel S., 2001: State in Society. Studying how States and Societies Transform and Constitute one another, Cambridge: Cambridge University Press.

Skopcol, Theda, 1982: Bringing the State Back In, in: Social Science Research Items, Vol. 36, June, 1–8.

Tilly, Charles, 2000: Coercion, Capital, and European States, AD 900–1992, Malden: Blackwell.

Tilly, Charles (ed.), 1975: Western-State Making and Theories of Political Transformation, in: The Formation of National States in Western Europe, Princeton: Princeton University Press.

World Bank, 1997: World Development Report 1997: The State in a Changing World, New York: Oxford University Press.