Telefonsex
Unter Telefonsex versteht man die kommerzielle Befriedigung sexueller Wünsche über das anonyme Gespräch am Telefon. Der überwiegend männliche Kunde wird durch das intime Gespräch (oder Gestöhne) am Telefonhörer sexuell erregt und befriedigt sich während der Verbalerotik meist auch selbst.
Als das Telefon in den 1920er Jahren bei uns verstärkt auch in die privaten Wohnstuben Einzug hielt, wurde bereits in Benimmkolumnen das Problem der überhandnehmenden verbalen Intimitäten bei physischer Entfernung diskutiert. Man erörterte sogar, ob ein anständiges Mädchen seine Telefonnummer preisgeben dürfe oder nicht. Und man fragte, ob es für eine Frau schicklich sei, mit einem Mann zu telefonieren, während sie selbst im Bett lag und nicht vollständig bekleidet war. Heutzutage hat man keine Probleme mehr mit intimen Gesprächen oder dem heißen Liebesgeflüster am Hörer. Das bei vielen Menschen vorhandene Bedürfnis, seinen Sexualtrieb rein verbal auszuleben, befriedigen seit einigen Jahren kommerzielle Anbieter von Telefonsex.
Der Markt für virtuellen Sex boomt. Die platte Fernsehwerbung um Mitternacht ist meist sehr direkt. Der potentielle Kunde weiß dadurch schon vor dem Anruf ziemlich genau, um was es geht: um eine einzelne Frau, eine Orgie, um Gay-Sex oder SM. Meistens fragen die Damen am anderen Ende der Leitung, was man haben will, doch sollte man sich im klaren sein, dass nicht jede Frau am Telefon alle Perversitäten mitmacht, die sich ein Kunde wünscht. Anstelle eines Einzelgesprächs kann man auch zu einer Gruppe zugeschaltet werden, um bei einer Telefonsex-"Orgie" dabei zu sein. Man sollte in diesem Fall aber wissen, dass man dabei selbst auch belauscht werden kann. Durch ein allzu charakteristisches heftiges Stöhnen am Telefon oder durch Hintergrundgeräusche, wie sie eine bestimmte Straße, die Bahn oder die Kirchenglocken verursachen, könnte man andere unbeabsichtigt darauf aufmerksam machen, wer man ist.
Männer, die in der Realität Probleme haben, Frauen anzusprechen, oder die ganz spezielle sexuelle Wünsche haben, die zuhause unbefriedigt bleiben, sind wohl die Hauptkunden des Telefonsex-Geschäfts. Selbst wenn man am Telefon zu seiner Zufriedenheit bedient wird, sollte man sich klarmachen, dass diese Form des Auslebens der eigenen Sexualität viel kostet und auf lange Sicht sogar psychisch abhängig machen kann.
Am meisten Probleme dürften dem kleinen Mann die hohen Kosten bereiten. Und immer wieder tauchen schwarze Schafe in der Branche auf, die mit 0190er-Nummern und einem endlos laufenden Tonband dem Konsumenten das Geld förmlich aus der Tasche ziehen. Vor allem bei Nummern, die man im Kleinanzeigenteil der Zeitungen findet, wird man mit einem sehr langen Vorspann abgezockt, auch wenn "sofort Sex" versprochen wird. Etwas schneller zur Sache kann der Kunde bei den Telefonnummern kommen, die im privaten Fernsehen in den zu später Stunde ausgestrahlten Werbespots angepriesen werden. Aber auch in diesen Fall sind immer noch extrem hohe Telefongebühren für die Inanspruchnahme eines Telefonsexdienstes zu zahlen, weil der Kunde gezwungen ist, 0190er-Nummern anzuwählen, um sein Bedürfnis zu befriedigen.
Bei Streitigkeiten vor Gericht war die Frage nicht unwichtig, ob solche Telefonsexgespräche sittenwidrig sind oder nicht. Das Oberlandesgericht Stuttgart (21.4.1999, 9 U 252/98) entschied zunächst gegen die Deutsche Telekom, die eine Gebührenforderung für Telefonsexgespräche gegen einen Anschlussinhaber einklagen wollte. Die Begründung des Gerichts lautete, dass sich die Telekom in vorwerfbarer Weise an der kommerziellen Ausnutzung eines sittenwidrigen Geschäftes beteilige. Der deutsche Bundesgerichtshof entschied jedoch im Jahr 2001, dass sich Kunden nicht auf die Sittenwidrigkeit von Telefonsex berufen können, denn das Telefonnetz selbst und der Vertrag mit dem Betreiber sei wertneutral. Eine Telefonkundin hatte die Zahlung mit dem Hinweis verweigert, ihr Vater habe die hohen Rechnungsbeträge verursacht, weil er über teure Mehrwertnummern Telefonsex betrieben hätte. Doch die Frau musste zahlen. Der BGH argumentierte, dass bei den teuren Mehrwertnummern ein Vertragsverhältnis der Kundin gegenüber dem Netzbetreiber bestehe und der Netzbetreiber keinen Einfluss darauf habe, welche Teilnehmer zu welchen Zwecken in telefonischen Kontakt treten; er könne den Inhalt der geführten Gespräche auch gar nicht kontrollieren.
Die Frage, ob Telefonsex sittenwidrig sei, wurde auch in Österreich von gerichtlicher Seite verneint. Das Abspielen von vorgefertigten Bandaufnahmen eindeutigen Inhalts sei vergleichbar mit dem Kauf von Pornoheften oder -filmen und daher im Sinne der herrschenden Meinung nicht sittenwidrig. Erotische Echtzeit- oder Livegespräche mit sexuellem Inhalt sind ebenfalls nicht sittenwidrig, denn es besteht nur ein akustischer, aber kein unmittelbarer körperlicher Kontakt zwischen den Gesprächspartnern. Außerdem würden die Damen am anderen Ende der Leitung die sexuellen Handlungen und die Erregung bloß vorspiegeln, und dies sei nicht mit Prostitution im herkömmlichen Sinn vergleichbar.