Popkultur
Der Begriff Popkultur als eine Kulturtechnik kennzeichnet eine Strömung, die beginnend mit dem 20. Jahrhundert aufkam und für eine kulturelles und gesellschaftspolitisches Phänomen steht, welches auch als Massenkultur subsummiert wird. Durch den gesamtgesellschaftlichen Charakter ist Popkultur (kurz: Pop) somit nicht bloß eine kulturelle Sparte unter vielen, sondern kennzeichnet eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung westlicher Werte- und Moralvorstellungen, welche nahezu alle kulturellen Sparten unter sich eint. Popkultur nahm ihren Ursprung in den Anfängen der Industrialisierung und den damit einhergehenden strukturellen Veränderungen.
Wortherkunft
"Popkultur" ist eine Zusammenziehung des Ausdrucks "populäre Kultur" und taucht oftmals in seiner Abkürzung „Pop“ auf. Oftmals wird Pop in seiner musikalischen Form mit dem Begriff Mainstream gleichgesetzt, um ihn fälschlicherweise gegen so genannte Independent-Kultur (B-Movie, Underground-Musik, unkommerzielle Fotografie) abzugrenzen. Doch auch diese zählt sich aufgrund ihrer Merkmale als eine weitere Spielart zur Popkultur hinzu.
Jedem beliebigen Tonfilm, jeder beliebigen Radiosendung läßt sich entnehmen, was keiner einzelnen, sondern allen zusammen in der Gesellschaft als Wirkung zuzuschreiben wäre. Unweigerlich reproduziert jede einzelne Manifestation der Kulturindustrie die Menschen als das, wozu die ganze sie gemacht hat. - Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: 1969
Wesen
Das Wesen von Popkultur ist ein Konformistisches. Sie entsteht in einer arbeitsteiligen Gesellschaft stets als Warenform und folgt deshalb den gleichen "Gesetzen" - der Logik des Marktes. Die unterschiedlichen Facetten, die aus der Popkultur hervorgehen sind daher in Wirklichkeit nur scheinbar verschiedene Dinge ("Fetischcharakter"). Konkretisiert wird dieses Merkmal durch die Bezeichnung "zwieschlächtiger Charakter". Durch den ästhetischen Schein dieser Waren, den jede Warenform ideologisch verzerrt, wird Fetischcharakter der Ware verdoppelt.
Der Schein des vermeintlichen Unterschiedes ermöglicht ein Identifikationsangebot, welches nicht als Gleiches erkannt wird und somit verschiedene Wirkungen entfaltet. Da sich Popkultur aber „aus dem Kapitalismus nicht heraussubstrahieren“ kann, werden letzten Endes die Verhältnisse in ihrer gesellschaftlichen Multiziplität bestätigt.
Dem Arbeitsvorgang in Fabrik und Büro ist auszuweichen nur in der Angleichung an ihn in der Muße. Daran krankt unheilbar alles Amusement. - Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: 1969
Geschichte
Ab dem 19. Jahrhundert bildete sich die spezifische Sphäre „Kultur“ innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft heraus. Die popularisierte Form ist dabei schon immer eine Seite der kulturellen Entwicklung gewesen. Kultur besteht also in einer Dialektik aus Hoch- und Massenkultur. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte die bürgerliche Gesellschaft Kultur für sich, was auch mit dem wachsenden Wohlstand und steigende Bildung zusammen fiel, welcher durch die Industrialisierung ermöglicht wurde. Auf eine einfache Formel gebracht stilisierte die Mittel- und Unterschicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts jeden Straßenkünstler zum kulturellen Ereignis hoch. Dadurch wurden die Grenzen zwischen den herkömmlichen Sphären Hochkultur und der Alltagskultur immer weiter aufgelöst. Mit dem Wachsen der Definitionsmacht der Popkultur wurde die Dichotomie "Alltagskultur | Hochkultur" auch kraft der öffentlichen Meinung in Frage gestellt.
Mythen
Das Missverständnis Pop hat „mit der Art und Weise zu tun, in der über Pop geschrieben und reflektiert wird, damit, inwiefern Pop selbst neben einer kruden kulturell-ökonomischen Realität ein Produkt von Diskursen ist. Das Reden über Pop ist bisweilen mehr Pop als das, worauf es gerichtet ist.“ (Roger Behrens). Dem Begriff Popkultur haften viele Mythen an, die dem Wesen des Begriffs jedoch nicht gerecht werden.
Pop vs. Sub Pop
Pop ist in seinem Wortsinne als populäre Kultur zu verstehen, die sich nicht auf Musik beschränkt. Auch Malerei, Literatur, Fotografie, usw. gehören dazu. Popkultur lässt sich auch nicht durch Subgenres abgrenzen, da sich auch Punk Hardcore, Hip Hop, Techno oder einfach Underground bzw. Indie unter den Begriff fassen lassen. In der allgemeinen Wahrnehmung kommt es begrifflich aber zu allerlei Verzerrungen, da der Begriff aufgrund seiner Geläufigkeit oftmals zweckfremd instrumentalisiert wird. Der Autor Martin Büsser übt beispielsweise ausgehend von der Unterteilung in Genres, die er als Independent und als Mainstream kennzeichnet, seine Kritik. Popkultur setzt er dabei mit Mainstream als Massenkultur gleich. Diese wiederum als subjektiv schlecht empfundene Massenkultur stellt er dem vermeintlich „guten“ Independent entgegen. Bei anderen Autoren ist sogar zu lesen, dass Subkultur und Subversion von „Massenkultur“ vereinnahmt werden würden. Sie werfen der Popkultur Oberflächlichkeit, Effekthascherei und mangelnde Substanz vor. Dabei ist allerdings Subversion eine Facette der Popkultur selbst, die sich genauer als Internationalität, Offenheit und Toleranz, Grenzenlosigkeit, sexuelle Befreiung, Selbstbestimmung von Frauen, Spaß und Verteidigung demokratischer Werte im Allgemeinen beschreiben lässt. Daraus geht eine – besonders für Deutschland wichtige – Befreiung von bürgerlichen traditionellen Strukturen hervor. „Elvis Presley war nicht umsonst kein Deutscher“ heißt es bei den Popkulturtheoretikern Marvin Alster und Roger Behrens. Dennoch gibt es auch kritische Ansätze, die von Alster und Behrens vertreten werden. Neben dem warenhaften Charakter der popkulturellen Produkte verlieren sich viele Aspekte in einer ideologischen Klammer. Nach dem das Genre „Deutsch Pop“ beispielsweise in Deutschland aufgekommen war und das Goethe-Institut spezifisch deutsche Kultur in das Ausland zu exportieren versucht hatte, warfen die Autoren mit der Initiative „I Can´t Relax In Deutschland“ die Frage auf, ob es sich bei bewusst nationalistisch beseelter Musik überhaupt noch um Popkultur im eigentlichen Sinne des Wortes handelt. Diese traditionell verhaftete Spielart bricht mit freiheitlichen Werten wie Toleranz, Offenheit und Freiheit - Grundprinzipien, für welche Popkultur immer stand.
Popkultureller Ursprung
Popkultur unterliegt einem dynamischen Entwicklungsprozess aus einer wechselseitigen Transformation zwischen Soziokultur, Staats- und Nationalkultur sowie Wirtschaftskultur. Dieser Prozess ist historisch gewachsen. Popkultur und Massenkultur haben sich aus dem Beginn der Industrialisierung heraus entwickeln können. Der Popkulturtheoretiker Diedrich Diederichsen unternahm hingegen den Versuch, Popkultur in Phasen einzuteilen. Er bezeichnete die Phase des Pop der 1980er Jahre in Abgrenzung der 1960ern als Pop II und seit 1990 als Pop III. Auch der Titel der WDR-Reihe "50 Jahre Pop" ist zu hinterfragen, da der Ursprung der Popkultur auch in Deutschland bereits in den frühen 20er Jahren begann und auch während des NS setzte sich verdeckt Swing- und Rock'n'Roll durch. Generell lässt sich festhalten, dass es keine spezifisch deutsche Popkultur gibt, da diese westlich-amerikanischen Einfluss aufweist.
Mechanismen
Ambivalenz: scheinbare Gegensätze werden einfach aufgehoben: Massen-/Elitekultur, Kunst/Kapitalismus, Virtualität/Realität, Glokalisierung, Prosumer, Technologie/Emotion, etc.
Aktualitätsprinzip/das Streben nach Neuem: Up-to-date zu sein, ist essentiell. Meistens erscheinen die Ideen revolutionär und/oder einfach. Oft wird auch Altes wiederholt, aber stets überreizt wiedergegeben. Die Popkultur folgt also dem Modeprinzip.
Gebrauch der Medien: Sie sind das zentrale Darstellungs- und Hilfsmittel zur Distribution verschiedenster Dinge. Durch sie werden die Konsumenten beeinflusst und/oder interaktiv miteinbezogen, z.B. bei Wikipedia, Ebay oder Podcasts. Wegen zunehmendem cocooning der heutigen Gesellschaft wächst die Macht der Medien und Marken kontinuierlich, z.B. durch branded entertainment.
Ständiges Grenzüberschreiten / schnelle Veränderung und ein damit verbundenes subkulturelles und revolutionäres Image, das ausgehend von der früheren Popbewegung heute von großen Marken gebraucht wird.
Befriedigung des Bedürfnisses nach Spass und intensiven Erlebnissen.
Theorien zur Popkultur
Zur Theorie der Popkultur lassen sich im Wesentlichen zwei Ansätze unterscheiden. Zum einen die Kritische Theorie, die vor allem auf Adorno und die Frankfurter Schule zurückgeht, zum anderen die Cultural Studies, die auf das Birminghamer Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) zurückgehen. Auf der Seite der Kritischen Theorie ist vor allem das Kapitel "Kulturindustrie" in Adornos und Horkheimers "Dialektik der Aufklärung" zu nennen, auf der Seite der Cultural Studies haben sich vor allem Autoren wie John Fiske, Stuart Hall, Dick Hebdige und Lawrence Grossberg hervorgetan.
Die Cultural Studies untersuchen Kultur im eigentlichen Sinne, ohne wie bei der kritischen Theorie auf einen gemeinsamen ideologischen Kern zurück zu greifen. Diese wissenschaftliche Disziplin hat sich daher im interdisziplinär weiterentwickelt und eint somit verschiedenste Lesarten. In den Cultural Studies werden partikulare und lokale Erscheinungen auf ihren Zusammenhang mit sozialstrukturellen Merkmalen, wie z. B. Ethnie, Klasse, Schicht, Gender und sexuelle Orientierung hin untersucht. Cultural Studies erforschen die Bedeutung von Kultur als Alltagspraxis. Diese Bedeutungen werden als sozial konstruiert aufgefasst. In seiner extremsten Form wird alles als Kultur aufgefasst, was im Zusammenhang mit menschlicher Sprache entsteht und somit einen soziokulturellen und zivilisatorischen Ursprung hat. Die Kritik an den Cultural Studies hinterfragt den Erkenntnisgewinn durch die genannten Ergebnisse.
Die These der Totalitätstheorie der Kulturindustrie Adornos und Horkheimers analysiert die gesellschaftlichen Verhältnisse der 1940er Jahre. Ihre These ist keine kulturkritische sondern eine gesellschaftskritische Theorie. Die Form der ökonomischen Analyse ihrer Theorie genießt heute keine Aktualität mehr. Sie stellen Kapitalismus als einen ausweglosen sich in monopolkapitalistischer Formation verdichtenden Block dar. Aktualität wird hingegen der Diagnose des Spätkapitalismus zugerechnet. Adorno und Horkheimer gehen davon aus, dass sich Kapitalismus zum allgegenwärtigen System entwickelt hat. Darin habe sich fortwährend die Idee der Nische aufgelöst. Die Autoren haben diese Erkenntnis auf die einfache Formel gebracht: „Es gibt kein gutes Leben im Schlechten.“
Literatur
- Theodor W. Adorno, Max Horkheimer: "Kulturindustrie, Aufklärung als Massenbetrug" in: "Dialektik der Aufklärung", Frankfurt am Main 1969
- Roger Behrens: "Die Diktatur der Angepassten: Texte zur kritischen Theorie der Popkultur". Bielefeld : transcript Verl., 2003. 296 S.. ISBN 3-89942-115-9
- Tom Holert & Mark Terkessidis (Hrsg.): "Mainstream der Minderheiten: Pop in der Kontrollgesellschaft". Edition ID-Archiv 192 S. ISBN 3-89408-059-0
- Hans-Heino Ewers: "Lesen zwischen neuen Medien und Pop-Kultur: Kinder- und Jugendliteratur im Zeitalter multimedialen Entertainments". Weinheim u.a., Juventa-Verl., 2002. 270 S. ISBN 3-7799-0451-9
- David J. Jackson: "Entertainment & politics : the influence of pop culture on young adult political socialization". New York u.a., Lang, 2002. 167 S. ISBN 0-8204-5746-9
- Kaspar Maase, Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850 - 1970, Frankfurt am Main: Fischer (Tb.), 1997
- Reinhold Wagnleitner, " 'No Commodity Is Quite So Strange As This Thing Called Cultural Exchange': The Foreign Politics of American Pop Culture Hegemony" in: Amerikastudien/American Studies, 46.3 (2001)
- Was ist Pop? hg. von Walter Grasskamp, Michaela Krützen, Stefan Schmid. Frankfurt a.M.: Fischer Verlag 2004
Siehe auch
Pop, Subkultur, Pop Art, Cultural Studies, Kritische Theorie, Unterhaltungsindustrie, Jugendsoziologie
Weblinks
- Testcard: Anthologie zur Popgeschichte und -theorie
- Pop 2000 - 50 Jahre Popmusik und Jugendkultur in Deutschland (WDR)
- Pop als Vehikel für Minderheitenkulturen
- Zur kritischen Theorie der Popkultur - Im Interview mit Roger Behrens
- Pop: Die Raving Society frisst ihre Kinder - Anmerkungen zum zweiten Jugendstil (PDF)
- Redaktion 17°: From substream to mainculture
- Buch-Download: Tom Holert, Mainstream der Minderheiten (97 Seiten, PDF)