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Hoffaktor

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Ein Hoffaktor war ein an einem höfischen Herrschaftszentrum bzw. Hof beschäftigter Kaufmann, der (Luxus)waren, Heereslieferungen oder Kapital für den Herrscher beschaffte. Viele Hoffaktoren waren Juden, für die der zeitgenössische Quellenbegriff Hofjude verwendet wurde.

Geschichte

Mit Isaak aus Aachen, der für Karl den Großen diplomatische Missionen übernahm, wirkte bereits Ende des 8. Jahrhunderts ein Großkaufmann im Dienste eines Fürsten.

Die eigentliche Geschichte der Hofjuden begann im Jahr 1582 in Wien, als Kaiser Rudolf II. die Institution des Hofbereiten Juden schuf. Dieser war frei von Abgaben an Land und Stadt, hatte Maut- und Zollfreiheit für seine Waren, war ausschließlich der Gerichtsbarkeit des Obersthofmarschalls unterstellt, war befreit vom Tragen des Judenzeichens und durfte sich dort aufhalten, wo sich der Hof befand. Ab 1596 mussten diese befreytten Juden auch Sonderkontributionen für Kriegszwecke leisten.[1] Jakob Bassevi von Treuenberg, ab 1616 Vorsteher der Prager Judengemeinde, erhielt 1622 auf Betreiben Wallensteins von Ferdinand II. den Adelstitel und wurde gemeinsam mit Fürst Lichtenstein Pächter der Münzprägung.[2] 1624 wurde auch in Wien das Prägegeschäft im Kaiserlichen Münzhaus dem befreiten Juden Israel Wolf Auerbach und seinem Konsortium übertragen.[3]

Hoffaktoren arbeiteten vor allem im 17. und 18. Jahrhundert für die Fürstenhöfe des Alten Reiches.[4] Sie versorgten die Herrscher mit Kapital und Waren, beschafften Luxusgüter, belieferten die Heere mit Proviant, Waffen und Pferden und waren mit der Herstellung von Münzen beauftragt. Aufgrund ihrer jahrhundertelangen Tätigkeit als Kaufleute und Geldhändler, ihrer teilweise auch internationalen Vernetzung und ihrer höheren Risikobereitschaft waren Juden für diese Aufgaben an den Höfen gern gesehen. Zur Erleichterung ihrer Tätigkeit wurden Hoffaktoren in der Regel Privilegien, Vorrechte und Titel verliehen, womit die mittelalterliche Tradition des Judenregals fortgesetzt wurde. Häufig brachte Justizwillkür sie um Besitz und Stellung.[5] An fast allen Höfen des Reiches wurden zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und dem Beginn des 19. Jahrhunderts Hoffaktoren in Dienst gestellt. In den Reichsstädten waren sie nicht, wie die anderen Bürger, von der Ratsversammlung abhängig, sondern direkt von Kaiser und Reich. Im 19. Jahrhundert ging man dann zur Bezeichnung Hofbankier über.

Zwischen den jüdischen Hoffaktoren und den Herrschaftsträgern sowie deren Beamten entstand eine neue kommunikative Nähe, die den Hoffaktoren neue ökonomische, politische und kulturelle Handlungsspielräume für sich, ihre Familien und ihre Gemeinden eröffneten. Im 18. Jahrhundert und mit deren Zustimmung war die Praxis der Fürsten, Hofjuden auch mit der Regierung über ihre Heimatgemeinden zu betrauen, weit verbreitet. Sie regierten sie von ferne nach Art absolutistischer Herrscher, bildeten damit jedoch noch keine eigene Kaste oder Klasse, sondern waren nur einzelne Individuen einer sehr kleinen privilegierten Gruppe von Juden. Die Kastenbildung innerhalb des jüdischen Volkes begann erst mit den Heiraten zwischen führenden Hofjudenfamilien, die den internationalen Heiraten der Aristokratie glichen.[6]

Politischer Antisemitismus und NS-Propaganda

Die antisemitische Propaganda des Nationalsozialismus nutzte die Rolle der jüdischen Hoffaktoren, um die angebliche Schädlichkeit der Juden unter Beweis zu stellen. Bekanntestes Beispiel dafür ist der Film Jud Süß von Veit Harlan. Gleichzeitig sollte die NS-Geschichtsforschung mit dem Buch Hofjuden von Peter Deeg diesen Thesen einen wissenschaftlichen Anstrich geben. Auch die Forschungen von Heinrich Schnee[7] sind in diesem Kontext begonnen worden. Schnee hat sich auch später nie ganz davon frei machen können. Sein Werk bietet jedoch einen Überblick über viele Quellen.

Bedeutende Hoffaktoren

Berlin

Dessau

  • Moritz von Cohn beginnt seine Tätigkeit in Dessau und wechselt später nach Berlin.

Dresden

Düsseldorf

Hamburg

  • Zu den einflussreichsten Hofjuden in Hamburg zählte Moses Israel Fürst, er brachte es zu Ansehen und Wohlstand.

Hannover

Kassel

  • In Kassel war als einflussreicher Hofbankier Benedikt Goldschmidt (ca. 1575–1642) tätig. Ihm gelang 1635 die Ausweisung aller nicht zu seiner Familie gehörenden Juden aus Kassel.
  • Simon Goldschmidt (1600–1658), der Sohn Benedikts, war ebenfalls Hofbankier und Vorsteher der übrig gebliebenen jüdischen Gemeinde.
  • Oberhofagent Moses Joseph Büding (1748/49–1811) war der Gründer des gleichnamigen Bankhauses „M. J. Büding“ in Kassel.

Lissabon

London

Mannheim

  • Elias Hayum (Antenfamilie Mayer) (1709–1766), der Stammvater der Mannheimer Bankiers und Fabrikbesitzer, war Hof- und Milizfaktor.
  • Sein Sohn Elias Mayer (1733/37–1803) wurde sogar Oberhof- und Milizfaktor.
  • Gottschalk Mayer (1761–1835), Gründer der Firma „Gebr. Mayer Zigarrenfabriken“, setzte die Familientradition als Hoffaktor anschließend in dritter Generation fort.

München

Prag

Schwerin

  • Michael bar Ruben Hinrichs (1634–1710) wurde 1688 Hoffaktor von Herzog Christian Ludwig I.. Seine Nachfahren blieben bis ins 19. Jahrhundert in dieser Position. [8]

Stuttgart

  • Als bekanntester Hoffaktor, nicht nur in Stuttgart, gilt Joseph Süß Oppenheimer, der am Hofe des württembergischen Herzogs Karl Alexander wirkte und einem Justizmord zum Opfer fiel.
  • Ebenfalls zur Zeit Oppenheimers wirkte in Stuttgart der Hoffaktor Marx Nathan, auch Mardochai Schloß genannt, der als Vorsteher der israelitischen Gemeinde in Stuttgart Süß Oppenheimer vor seiner Hinrichtung noch seelischen Beistand leistete.
  • Später – unter König Friedrich I. – arbeitete hier sehr erfolgreich auch Karoline Kaulla als Hoffaktorin, eine für diese Zeit ganz außergewöhnlich erfolgreiche Unternehmerin.

Weimar

Wien

Literatur

  • Selma Stern: Der Hofjude im Zeitalter des Absolutismus. Ein Beitrag zur europäischen Geschichte im 17. und 18. Jahrhundert , 1. Aufl. Philadelphia 1950. Aus dem Englischen übertragen, kommentiert und hg. v. Marina Sassenberg, Tübingen 2001, ISBN 3-16-147662-X. (online verfügbar in books.google.de)
  • Vivian B. Mann/ Richard I. Cohen (eds.): From Court Jews to the Rothschilds. Art, Patronage and Power 1600–1800. (Published in conjunction with the exhibition "From Court Jews ..." Jewish Museum, New York, Sept. 1996 – Jan. 1997). Munich/ New York 1996.
  • Rotraud Ries, J. Friedrich Battenberg (Hrsg.): Hofjuden: Ökonomie und Interkulturalität : die jüdische Wirtschaftselite im 18. Jahrhundert. Christians Verlag, Hamburg 2002, ISBN 978-3-7672-1410-1.

Einzelnachweise

  1. Kurt Schubert: Jüdische Geschichte, C.H. Beck, 7. Aufl., 2012, ISBN 978-3-406-44918-5, S. 91
  2. Hans Behrens: Anpassung – Abwehr – Aufbruch / Deutsch-jüdische Literatur zwischen 1935 und 1947 am Beispiel der Erzähltexte „Auf drei Dingen steht die Welt“ und „Die Waage der Welt“ von Gerson Stern, Igel Verlag , 2017, ISBN 9783868157161, S. 22
  3. Heinz Gstrein: Jüdisches Wien, H. Wien, 1984, ISBN 9783700802648, S. 14
  4. Rotraud Ries: Juden als herrschaftliche Funktionsträger. In: Werner Paravicini (Hrsg.): Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe, bearb. von Jan Hirschbiegel/Jörg Wettlaufer, T. 1-2, 1: Begriffe. Sigmaringen 2005 (Residenzenforschung 15.II, T. 1), S. 303–306. [1]
  5. John F. Oppenheimer (Red.) u. a.: Lexikon des Judentums. 2. Auflage. Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh u. a. 1971, ISBN 3-570-05964-2, Sp. 294.
  6. Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, Piper, München/ Zürich 1986 (TB). (11. Auflage. 2006, ISBN 978-3-492-21032-4), S. 158ff.
  7. Heinrich Schnee: Die Hoffinanz und der moderne Staat. Geschichte und System der Hoffaktoren an deutschen Fürstenhöfen im Zeitalter des Absolutismus. Nach archivalischen Quellen, Bd. 1–6, Berlin 1953–1967.
  8. Erika Bucholtz: Henri Hinrichsen und der Musikverlag C. F. Peters: deutsch-jüdisches Bürgertum in Leipzig von 1891 bis 1938. Tübingen: Mohr Siebeck 2001 (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts; 65) Zugl.: Berlin, Techn. Univ., Diss., 2000 ISBN 3-16-147638-7, S. 18