Metapsychologie
Die Metapsychologie (von altgr. meta „zwischen, nach“) ist die psychologische Theorie von Sigmund Freud. Freud selbst hat diesen Begriff gewählt und die Metapsychologie als das äußerste noch zu erreichende Ziel der psychoanalytischen Forschung bezeichnet: „Ich schlage vor, daß es eine metapsychologische Darstellung genannt werden soll, wenn es uns gelingt, einen psychischen Vorgang nach seinen dynamischen, topischen und ökonomischen Bedingungen zu beschreiben.“[1]
Begriffsbildung durch Freud
Erstmals gebraucht Freud den Begriff Metapsychologie 1896 und 1898 in Briefen an seinen Freund Wilhelm Fließ.[2] Die drei später unter ihm zusammengefassten Bedingungen (s. o.) hat er zuerst an den Phänomenen der Übertragungsneurosen (Phobie, Konversionshysterie und Zwangsneurose) erörtert. Im Folgenden eine etwas detailliertere Beschreibung.

Dynamik
Dynamik untersucht die innerseelischen Kräfte, die in und zwischen den seelischen Instanzen (Ich, Es, Über-Ich; bewusst, vorbewusst, unbewusst) wirken. Die Beteiligung bestimmter Instanzen wird auf deren Besetzung mit Libidoenergie zurück geführt. Durch den vom Ich zu leistenden Verdrängungsakt, in der Regel aus Anlass einer aufgekommenen Angst, erfolgt eine Umsetzung in ein anderes System, z. B. von System Bw (= Bewusst) in das System Ubw (= Unbewusst).
Topik
Topik beschreibt die von der Psychoanalyse geforderte Lokalisierbarkeit psychischer Abläufe innerhalb des Nervensystems. Die Representation psychischer Prozesse durch physiologische blieb bei Freud hypothetisch, da die zeitgenössische Hirnforschung nicht genügend weit entwickelt war, diesen Sinnes wirklich verwertbare Resultate zu erbringen, sie wird jedoch ausdrücklich vorausgesetzt, indem er von einem psychischen Apparat spricht, dem „räumliche Ausdehnung und Zusammensetzung aus mehreren Stücken“ zuzuschreiben und dessen „Schauplatz … das Gehirn (Nervensystem)“ sei.[3] Zur Verdeutlichung der Verschiedenheit des von den Begriffen Bezeichneten hebt Freud hervor, dass die psychische Topik vorläufig nichts mit der anatomischen zu tun habe. Erstere beziehe „sich auf Regionen des seelischen Apparats, wo immer sie im Körper gelegen sein mögen und nicht auf anatomische Örtlichkeiten“.[4] Freud verwendet daher konsequenterweise auch den Begriff Instanzen anstelle von psychischer Topik[5], um Verwechslungen mit dem Gebiet der Anatomie nach Möglichkeit zu vermeiden. Das heutige Schrifttum bevorzugt daher seinerseits den Begriff Instanz, sobald psychische Vorgänge Gegenstand einer Erörterung sind. Diesem Begriff kommt eher ein funktioneller Charakter zu, als dem der anatomischen Topik. Freud: „Die funktionale Annahme hat hier die topische mit leichter Mühe aus dem Felde geschlagen.“[6] – Andere topologische Modellvorstellungen, z. B. in der Feldtheorie (Kurt Lewin) oder Integrationsraum (Thure von Uexküll), nehmen einen symbolisch gedachten Raum an, der verschiedene Vorstellungskonzepte wie Körper, Seele, Umwelt und Gesellschaft umfasst.
Ökonomik
Die Ökonomik beruht auf einem teleologischen Prinzip, das von Freud als Kenner der Evolutionstheorie grundsätzlich in den Kontext zellbiologischer Prozesse gestellt wurde und darauf ausgerichtet ist, diese effizient zu gestalten, d. h. die Vergeudung von Energie möglichst zu vermeiden. Aus diesem Grunde werden u. a. einst entwickelte Organe zurückgebildet, sobald Arten in Ökonischen geraten, in denen sie sich als überflüssig erweisen: Höhlenfische 'verloren' in Laufe der Zeit die Augen, die ihre genetisch nahen Verwandten in den gewöhnlichen Gewässern weiterhin brauchen.
Angewendet auf das psychische Phänomen einer Fernhaltung traumatisch induzierter Empfindungen von der Späre bewusster innerer Wahrnehmung schrieb Freud: „Die [Aufrecht-]Erhaltung einer Verdrängung setzt eine beständige Kraftausgabe voraus und ihre Aufhebung bedeutet ökonomisch eine Einsparung“ der sonst in den Verdrängungsakt investierten Energien.[7] Bei der Annahme dieses Prinzips geht Freud davon aus, dass dem Organismus für beliebige Aktivitäten nur begrenzte Energiemengen zur Verfügung stehen. Sind sie erschöpft, können die Verluste zwar auf dem Wege der Nahrungsaufnahme ausgeglichen werden, dies ändere jedoch nichts am maximalen Quantum der verfügbaren Energien. Die topische Verteilung und der Verbrauch dieser Energien in den Stoffwechselprozessen sowie den verschiedenen psychischen Instanzen des Organismus ist der objektive Gesichtspunkt dieser ökonomischen Überlegungen, der subjektive besteht aus der „Tiefe“ der Erlebnisse. Z. B. dem Gefühl der „Vitalität“ oder des „Sinns“ einer jeden Lebensführung, die sich nach der tagtäglich verfügbaren Energiemenge und ihrem entweder gesunden oder als gehemmt empfundenen Fluß richten muss.[5][8]
Während die dynamischen und topischen Beziehungen analoge Vorstellungen in der Physik haben, sind die ökonomischen aufgrund ihres teleologischen Aspekts der direkten empirischen Beobachtung entzogen. Sie können jedoch anhand der Frage verständlich gemacht werden, welchen ,Nutzen' oder ,Sinn' die durch Abwehrvorgänge gekennzeichneten Krankheitsprozesse an ihrem oftmals in früher Kindheit gelegenen, seither verdrängt gehaltenen Anfang hatten. Dieser ,Nutzen' bestand allgemein ausgedrückt darin, dass chronische Angstempfindungen vom Bewusstsein ferngehalten, Konflikte mit den sich gut gemeint traumatisierend verhaltenden Personen gemieden und die sich folglich stauenden energetischen Impulse notdürftig in weniger problematische Bahnen umgelenkt bzw. kompensiert wurden.[9] Durch die Umverteilung der seelischen Energien in den verschiedene Instanzen wird, nun unter krankhaften Bedingungen, ein neues energetisches Gleichgewicht hergestellt. Die Aufrechterhaltung eines solchen Gleichgewichts ist entscheidend für den sich daraus ergebenden Zustand der relativen Gesundheit, wobei sich nach Freud „Gesundheit eben nicht anders beschreiben läßt als metapsychologisch“.[10] Zu den Phänomenen der Kompensation zählen die besonderen Formen der Logik in der Ironie, Komik, dem Humor, der Naivität oder ganz allgemein in den Techniken des Witzes (s. a. Zur Psychopathologie des Alltagslebens). Gemeinsames psychologisches Merkmal aller dieser sprachlichen Darstellungen ist das Prinzip der Ökonomie.[11]
Entwicklung der Metapsychologie
Wie jeder sorgfältig arbeitende Wissenschaftler hat Freud am Entwurf seiner Theorien Änderungen vorgenommen, sobald er realisierte, dass die Logik ihrer von ihm bis dato als gültig erachteten Form nicht frei von Widersprüchen oder vermeidbaren Umwegen war. Auch darin folgte sein Denken dem Prinzip der energetisch möglichst effizienten Gestaltung physio-psychischer Prozesse. Ein ergänzendes Kriterium bei der Korrektur seiner früheren Annahmen ist die Nicht-Übereinstimmung mit der ihrerseits nachträglich offenbar gewordenen, empirischen Beobachtung. So hat Freud nach der ersten, der Libidotheorie, eine zweite (Narzissmustheorie) und dann eine dritte (die Theorie der Lebens- und Todestriebe) entwickelt. Dieser Weg des Forschens führte schließlich, wie er in seiner Selbstdarstellung schreibt, zum „Versuch einer Metapsychologie. Ich nannte so eine Weise der Betrachtung, in der jeder seelische Vorgang nach den drei Koordinaten der Dynamik, Topik und Ökonomie gewürdigt wird, und sah in ihr das äußerste Ziel, das der Psychologie erreichbar ist. Der Versuch blieb ein Torso, ich brach nach wenigen Abhandlungen (Triebe und Triebschicksale — Verdrängung — Das Unbewußte — Trauer und Melancholie usw.) ab und tat gewiß wohl daran, denn die Zeit für solche theoretische Festlegung war noch nicht gekommen“. Gesammelte Werke: XIV, 33-96, 1924.
Dieser Begründung zum vorläufigen Abbruch der Metapsychologie liegt die Feststellung wichtiger damals noch fehlender wissenschaftlicher Entwicklungen zugrunde. Weder existierten - wie Freud in Der Mann Moses anmerkt[12] - empirisch gesicherte Beschreibungen zum Verhalten unserer nächsten primatischen Verwandten (anhand ihrer wäre möglich, sein als Darwinsche Urhorde bezeichnetes Modell des naturgemäßen Zusammenlebens zu überprüfen um es ggf. der Realität anzupassen oder zu korrigieren), noch bot die zeitgenössische Neurologie genaueres zu den spezifischen Funktionen der verschiedenen Bereiche des menschlichen Gehirns. Die Erkenntnis beispielsweise, dass die Topik des Frontallappens Schauplatz der wahrscheinlich höchsten Formen des Ich-bewussten Denkens ist, stellt erst ein Ergebnis jüngster neurologischer Forschungen dar. Ebenfalls wurde erst durch Befunde wie Jane Goodalls Schimpansenkrieg entdeckt, dass bei unseren nächsten evolutionären Verwandten kein überstarker Urvater mit seinem Harem existiert (wie vom o.g. Model postuliert), sondern zwei Gruppen der erwachsenen Geschlechter: ein Indiz zugunsten der Ersetzung des Darwinschen durch ein ethologisch fundiertes Hordenmodell.
Seit Freud wurden verschiedene Metapsychologien entwickelt. Auch, wenn es ihnen gelänge, Befunde o.g. Art im Sinne einer Vollendung der Freudschen Metapsychologie zu integrieren, wären es keine Theorien, die zu beweisen vermöchten (streng im Sinne der physikalischen Empirie), was die psychische Gesundheit des Homo sapiens charakterisiert. Die teleologische Herkunft des ökonomischen Kriteriums entzieht sich wie gesagt dem direkten empirischen Zugang. Demnach stellt die Metapsychologie im besten Fall ein System von aufeinander abgestimmten Begriffen dar, ein hypothetisch therapeutisch wirksames Konzept, anhand dessen psychoanalytisch gedacht werden kann und sich dem Klienten insbesondere der Nutzen einer von Seiten seines vormals kindlichen Ichs vorgenommenen Verdrängung zur kritisch prüfenden, u. U. korrigierend eingreifenden Betrachtung vorgelegen lässt. Diesem Urteil Freuds schließt sich u. a. Dahl an (siehe PSYCHE, 67, 2013).
Literatur
- Christine Kirchhoff: Wozu noch Metapsychologie. In: Journal für Psychologie. Jg. 18, Ausgabe 1, 2010.
- Gerhard Dahl: Wissenschaftliche Validität, Nutzen und Verwendbarkeit metapsychologischer Konzepte in der Psychoanalyse. Versuch einer Klärung. Psyche - Z Psychoanal.67, 33-59 (2013)
- Freud, S. (1924): Selbstdarstellung. In: Gesammelte Werke. Band 14, S. 33–96.
- Margret Kaiser-El-Safti: Der Nachdenker. Die Entstehung der Metapsychologie Freuds in Abhängigkeit von Schopenhauer und Nietzsche. Bonn 1987.
Einzelnachweise
- ↑ Sigmund Freud: Das Unbewußte. In: Zeitschrift für Psychoanalyse, 1915, Band III.
- ↑ Sigmund Freud: Briefe an Wilhelm Fließ. Briefe vom 13. Februar 1896, 2. April 1896 und 10. März 1898.
- ↑ Sigmund Freud: Abriß der Psychoanalyse. (1938) Fischer Bücherei, Frankfurt 1964, S. 6
- ↑ Sigmund Freud: Das Unbewußte. In: Zeitschrift für Psychoanalyse, 1915, Band III, S. 15.
- ↑ a b Uwe Henrik Peters: Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. Urban & Schwarzenberg, München 3. Auflage 1984; (a): zu Stw. „Metapsychologie“: S. 350; (b): zu Stw. „Instanz“: S. 274; (c): zu Stw. „ökonomisch“: S. 382; 6. Auflage, Elsevier-Verlag, München 2007, books.google.de
- ↑ Sigmund Freud: Das Unbewußte. In: Zeitschrift für Psychoanalyse, 1915, Band III, S. 20.
- ↑ Sigmund Freud: Die Verdrängung. In: Das Unbewußte. Schriften zur Psychoanalyse. S. Fischer Verlag 1963, S. 69, zuerst erschienen in: Zeitschrift f. Psychoanalyse, 1915, Band III; Gesammelte Werke, S. Fischer, Band X
- ↑ Harald Schultz-Hencke: Die psychoanalytische Begriffswelt. Verlag für medizinische Psychologie im Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen (1947), überarbeitete Ausgabe 1972, ISBN 3-525-45620-4, Kap. „Der topische, der dynamische und der ökonomische Gesichtspunkt“ S. 112 ff.; zu Stw. „ökonomisch“: S. 114–116.
- ↑ Stavros Mentzos: Psychodynamische Modelle in der Psychiatrie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 21992, ISBN 3-525-45727-8, S. 10.
- ↑ Sigmund Freud: Die endliche und die unendliche Analyse. (1937) In: Gesammelte Werke, S. Fischer, Bd. XVI, Seite 57–99
- ↑ Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. (1905) Fischer-Bücherei Frankfurt 1963, S. 34 ff., 96 ff., 126 ff. und 192 f. dgl. in: Gesammelte Werke, Band VI, S. Fischer Verlag, Frankfurt/M., 3. Auflage 1953
- ↑ Sigmund Freud: Der Mann Moses und die monotheistische Religion. Hrsg.: https://gutenberg.spiegel.de/buch/der-mann-moses-und-die-monotheistische-religion-914/3. Spiegel Online, ISBN 978-3-15-018721-0, Kapitel 3, Abschnitt C, S. 180.