Altruismus
Altruismus (von lateinisch: alter - der andere und der Endung -ismus) ist die willentliche Verfolgung fremder statt eigener Zwecke. Altruistisches Handeln wird allgemein auch mit selbstlosem Handeln gleichgesetzt. Hierbei geht aber der Aspekt des Ziels der Handlung verloren. Die Auffassung als Selbstlosigkeit betont stattdessen die Zurückstellung eigener Anliegen bis hin zur Selbstaufopferung. Altruismus ist ein Gegenbegriff zu Egoismus. Die erlebte Aufhebung dieses Gegensatzes wird oft als Liebe bezeichnet.
Arten und Formen des Altruismus
In der menschlichen Gemeinschaft gilt: Wer aus altruistischen Motiven handelt, ist ein Philanthrop.
In der Biologie/Soziologie versteht man unter Altruismus die Aufopferung eines Einzelnen oder Mehrerer, um den Fortbestand Anderer zu sichern, etwa bei Menschen, aber auch bei Ameisen, Schimpansen, Honigbienen oder anderen Tieren. Hierbei ist nicht in erster Linie das Opfern des eigenen Lebens gemeint, dies ist aber im Extremfall inbegriffen.
Altruismus kommt in der Natur vor, wenn ein Individuum Aufwand treibt, obwohl nur ein anderes Individuum davon direkt profitiert. Dies scheint auf den ersten Blick dem Darwinismus zu widersprechen. Das Gegenteil des Altruismus ist der Egoismus. Dennoch besteht ein Zusammenhang zwischen egoistischen Verhaltensweisen und altruistischen Handlungen (siehe Reziproker Altruismus).
Jedoch ergeben sich oft Gruppenvorteile aus diesem Handeln, woraus alle Mitglieder, etwa von staatenbildenden Insekten, langfristig wieder individuell profitieren. Der Sinn von Altruismus ist hier nicht die Vorteilserlangung des Individuums gegenüber einem anderen Individuum, sondern der Gruppe innerhalb einer Art oder der Art gegenüber konkurrierenden Arten.
Die Bereitschaft zum altruistischen Handeln hängt zumindest bei Säugern in der Regel von Verwandtschaftskoeffzienten ab. Je höher der Grad der Verwandtschaft zwischen zwei Individuen ist, desto höher liegt die Bereitschaft zum altruistischen Handeln.
Altruismus ist unter anderem Forschungsgegenstand der Verhaltensbiologie (speziell der Soziobiologie), der Psychologie, der Philosophie und zunehmend auch der Wirtschaftswissenschaften. So argumentierte Ayn Rand beispielsweise recht plakativ, dass Altruismus in einer Gesellschaft Tendenzen zur kollektiven Lebensart führe. In einer Gesellschaft ist Altruismus eine Form des Sozialverhaltens.
Moralischer Altruismus
Altruismus als unbedingtes Sollen
Ein moralischer Altruist handelt prinzipiengeleitet altruistisch. Ein Beispiel für solch ein Prinzip ist der Kategorischer Imperativ Kants.
Normativer Altruismus
Gerechtigkeit
Gerechtigkeit ist einer der höchsten Werte unserer Gesellschaft. Wir handeln oft altruistisch um der Gerechtigkeit willen.
Erwarteter Altruismus (soziale Norm)
Auch wenn wir nicht altruistisch motiviert sind, handeln wir oft altruistisch, weil dies von uns erwartet wird. Wenn z.B. ein Mensch auf der Straße zusammenbricht, wird erwartet, daß andere zu Hilfe eilen. Welche Motive sie dabei haben, ist völlig egal.
Sympathie-Altruismus
Nicht alle Formen der Sympathie setzen Empathie voraus. Schönheit z.B. weckt oft Sympathien. Empathie ist nicht erforderlich, da Schönheit offen liegt, oder, umd es mit anderen Worten zu sagen, offen zu liegen scheint. Wohlwollen und Mitleid sind jedoch nicht denkbar ohne ein empathisches Vermögen.
Wohlwollen
Ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen moralischem bzw. normativem Altruismus und Wohlwollen ist, daß Wohlwollen freiwillig ist und nicht in einem Sollen gründet. Handeln nach Prinzipien und Normen führt implizit die Botschaft mit sich, andere sollten auch so handeln. Wohlwollen ist jedoch allenfalls eine Einladung zur Nachfolge. Während im moralischen Altruismus die Tendenz liegt, anderen ihre Eigennützigkeit vorzuwerfen, anerkennt der Wohlwollende diese Eigennützigkeit und bedient sie großzügig.
Mitleid
„Schopenhauer behauptet, daß, wer einmal den Zusammenhang aller Wesen durchschaut habe, des Egoismus unfähig sei, weil er erkannt habe, daß jedes Leid, das er anderen zufüge, ihn selbst treffe; er könne keinen Unterschied mehr zwischen sich und den anderen machen, deren Förderung ja die eigene sei. (Georg Simmel, Einleitung in die Moralwissenschaft. Bd. 1, 2. Kap.: Egoismus und Altruismus, S. 131)“ In einem weniger anspruchsvollen und umfassenden Sinn wird dieses Phänomen in der Sozialpsychologie als Self-Other-Merging bezeichnet. Auch wenn viele Definitionen des Altruismus davon ausgehen, daß Altruismus mit einem Opfer verbunden ist, kann man beim Handeln aus Mitleid nur eingeschränkt von Opfer sprechen, weil durch die Identifikation mit dem Menschen oder auch Tier in Not die Getrenntheit zwischen Ego und Alter aufgehoben ist.
Zuneigung
Siehe hierzu den Artikel über Zuneigung.
Rationaler Altruismus
Klugheitsaltruismus
Ein anspruchsvoller Versuch, moralische Intuitionen des richtigen und guten Handelns als rational begründet im Eigeninteresse (prudentielle intrinsische Wünschbarkeit) des Handelnden auszuweisen unter Berücksichtigung der subtilsten psychischen Phänomene wurde von dem Philosophen Christoph Lumer vorgelegt. Christoph Lumer, 2000, Rationaler Altruismus. Eine prudentielle Theorie der Rationalität und des Altruismus. Universitätsverlag Rasch, Osnabrück.
Reziproker Tausch
Generalisierter Tausch
Rationale Abwägung zwischen Selbstinteressen und den Interessen anderer
Ein Modell solcher Abwägung hat der RC-Theoretiker Howard Margolis vorgelegt. (Howard Margolis, 1982, Selfishness, Altruism, and Rationality. A Theory of Social Choice. Chicago and London.)
Pareto-Altruismus
Das Pareto-Kriterium wurde von Vilfredo Pareto in die Ökonomie eingeführt. Es besagt folgendes: Ein Zustand ist einem anderen Zustand vorzuziehen, wenn durch eine Veränderung der Verteilung der Güter oder der Produktionsfaktoren mindestes ein Konsument besser gestellt und kein anderer Konsument schlechter gestellt wird.
Entsprechend diesem Kriterium sind altruistische Handlungen möglich, die mit keinem Opfer verbunden sind. Ein Beispiel: Mein Besuch bittet mich, ihn noch zur Bushaltestelle zu begleiten. Da ich ohnehin noch einen Spaziergang später am Abend machen wollte, willige ich ein, denn das Vorziehen des Spaziergangs macht für mich keinen Unterschied. Solche Handlungen sind im Alltag recht häufig, obwohl sie als altruistisch meist nicht weiter auffallen. Umgekehrt ist es ganauso möglich, egoistische Interessen so zu verfolgen, daß anderen oder der Allgemeinheit dadurch kein Schaden entsteht. Diese Rücksichtnahme ist gleichfalls sehr häufig und kann unter das altruistische Handeln gerechnet werden.
Utilitarismus
Vergleiche hierzu den Artikel über den Utilitarismus als Ethik. Ein altruistisches Handeln, das auf die Verbesserung (Maximierung) des Gesamtwohls der Menschheit (oder partikularen Einheiten von ihr), eventuell auch unter Einbezug anderer Lebewesen, zielt, kann nur eingeschränkt als rational bezeichnet werden, da eine vollständige Kalkulation der Handlungsfolgen nicht möglich ist. Im kleineren überschaubaren Rahmen ist dies jedoch manchmal möglich und wird auch versucht. Utilitaristisches Handeln ist der Intention nach rational, ohne daß es möglich wäre, eine konkrete Handlung als rational im Hinblick auf die Maximierung des Wohls oder Glücks der Begünstigten auszuweisen.
Ein Beispiel soll das Grundprinzip der utilitaristischen Rationalität erläutern. Nehmen wir an, ich habe einen Geldbetrag übrig und möchte ihn nach Afrika spenden. Ich kann mich dann erkundigen, wie die verschiedenen Hilfsorganisationen ihre Gelder verwenden und wie die Qualität ihrer Arbeit ist. Ich spende dann an diejenige Hilfsorganisation, von der ich glaube, daß sie die Spende am effektivsten einsetzt, und daher meine Spende den größtmöglichen "Glücks"-Effekt hat.
Selbstverwirklichungs-Altruismus
Individualismus und Selbstverwirklichung schließen Altruismus nicht aus. Die altruistische Einstellung und entsprechendes Handeln kann wesentlicher Bestandteil des Selbstverwirklichungsstrebens sein. Altruismus ist dann Ausdruck des Selbst, das sich mit anderen Menschen verbunden weiß. Individualistischer Altruismus ist freiwillig, als Ausdruck und Bestätigung des Selbst gewollt, ohne Nötigung durch soziale und moralische Normen.
Die Erforschung des Altruismus in Philosophie und Wissenschaft
Philosophische Ethik, Moral- und Sozialphilosophie
Soziobiologie
Sozialpsychologie
Soziologie
Wirtschaftswissenschaft
Die Abbildung von Altruismus in Rational-Choice-Theorien
Altruismus & Spieltheorie
Das Verhalten von Individuen in einer Population wird mathematisch in der Spieltheorie untersucht und hier in der Kategorie "Kooperative n-Personen-Spiele" behandelt. Das Handeln eines Spielers in einem Spiel wird nicht als altruistisch und egoistisch, sondern als kooperativ und nicht-kooperativ bezeichnet. Da ein Spieler aber immer eine Maximierung seines Gewinns anstrebt, also sich moralisch egoistisch verhält, kann er sich im Spiel kooperativ, also scheinbar altruistisch verhalten. Abhängig von den Regeln des Spiels kann auch der folgende Schluss möglich sein: "Altruismus ist der intelligentere Egoismus" (Vgl. Opportunismus).
Der Gegensatz zwischen Altruismus und Egoismus kann ganz verschwinden, wenn innerhalb eines Spieles die Spieler unterschiedliche Definitionen von "Gewinn" haben.
Beispiel: Der Wohltäter teilt materielle Hilfen aus (Gewinn für die Armen), um Seelenheil zu erlangen (Gewinn für den Wohltäter). Beide können gleichzeitig ihren Gewinn maximieren, und altruistisches und egoistisches Verhalten können nicht unterschieden werden.
Theologie und Religionswissenschaft
Ungelöste Probleme in Philosophie und Wissenschaft
Definitionsprobleme
Gibt es "wahren" bzw. "echten" Altruismus?
Die Rationalität bzw. Vernünftigkeit des Altruismus
Siehe auch
- Schenken
- Sorge, Fürsorge
- Mitleid
- Nächstenliebe, Liebe
- Solidarität
- Empathie
- Quartiarisierung
- Karma Yoga
- Egoismus
- Individualismus
- Kollektivismus
- Spieltheorie
- Sozialverhalten
- Darwinismus, Sozialdarwinismus
Literatur
- Hans Werner Bierhoff, Leo Montada (Hrsg.): Altruismus. Bedingungen der Hilfsbereitschaft. Verlag für Psychologie, 1988.
- Heinz Harbach: Altruismus und Moral. Reihe: Studien zur Sozialwissenschaft, Band 103, Westdeutscher Verlag, 1992.
- Morton Hunt: Das Rätsel der Nächstenliebe. Der Mensch zwischen Egoismus und Altruismus, Campus, 1992.
- Pjotr Alexejewitsch Kropotkin: Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt, Leipzig 1910.
- Thomas Nagel: Die Möglichkeit des Altruismus. Philo, ISBN 3-8257-0066-6
- Matt Ridley: Die Biologie der Tugend. Warum es sich lohnt, gut zu sein. Ullstein, 1997.
- Stefano Zamagni (Hrsg.): The Economics of Altruism. The International Library of Critical Writings in Economics; 48, Edward Elgar Publishing, Brookfield 1995.
- Erich Fromm: Die Kunst des Liebens. 1956.
Weblinks
- Warneken F, Tomasello M (2006) Altruistic Helping in Human Infants and Young Chimpanzees. Science 311:1301–1303
- Hilfsbereite Schimpansen - Leipziger Forscher konnten nachweisen, dass Altruismus keine rein menschliche Tugend ist (Telepolis)
- Selbstlosigkeit. Zu einer buddhistischen Sicht von sozialer Gerechtigkeit von Sungtaek Cho
- Altruismus in der Spieltheorie