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Arisierung

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Mit dem euphemistischen Begriff der Arisierung bezeichneten die Nationalsozialisten die schrittweise erfolgte totale Enteignung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland und Österreich sowie den im Krieg besetzten europäischen Ländern in der Zeit des Nationalsozialismus. Der Begriff bezieht sich auf die von den Nationalsozialisten propagierte Vorstellung einer imaginären ‚arischen Herrenrasse‘.

Verschiedene Unternehmen wurden ‚arisiert‘. Von einer Enteignung im heutigen Sinne – die nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf Grundlage von Gesetzen zulässig ist – kann auf keinen Fall gesprochen werden, eher schon von einem staatlich geförderten Raubzug, der zudem kaum legal bemäntelt wurde.

Ab dem 1. Januar 1938 war Juden das Betreiben von Einzelhandelsgeschäften und Handwerksbetrieben sowie das Anbieten von Waren und Dienstleistungen untersagt. Zum Teil bereits davor wurden Jüdisch-gläubige Geschäftsinhaber oder Grundstücksbesitzende unter (zum Teil öffentlichen) Druck gesetzt, das Geschäft (etc.) pro forma freiwillig deutlich unter dem aktuellen Wert zu verkaufen oder zu übertragen. Sehr oft waren daran bisherige Mitinhaber oder Angestellte beteiligt oder dadurch begünstigt, die ihre Verbindungen zur NSDAP oder ähnl. Nazi-Organisationen zur privaten Bereicherung einsetzten. Den Vorwand der rassischen " Säuberung des Volkskörpers von jüdischen (oder jüd. versippten) Volksschädlingen" nutzten sie in Kenntnis des durch die Nazis ausgeübten individuellen und allgemeinen Terrors an der religiösen Minderheit. Im Herbst 1938 befanden sich von ehemals 100.000 Betrieben jüdischer Inhaber nur noch 40.000 in den Händen ihrer rechtmäßigen Besitzer.

Mit der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938 fanden die ‚Arisierungen‘ nur noch ihren Abschluss: Die verbliebenen Betriebe jüdischer Inhaber wurden damit zwangsweise neuen nichtjüdischen Besitzern übergeben oder aufgelöst. Die Erlöse wurden dabei zugunsten des Deutschen Reiches konfisziert. Schmuck, Juwelen, Antiquitäten, Immobilien und Aktien mussten zu Preisen weit unter dem Marktwert verkauft werden oder wurden ebenfalls konfisziert. Für den jüdischen Eigentümer bedeutete dies den Ruin. Jüdische Arbeitnehmer wurden gekündigt, die Selbständigen unterlagen einem weitgehenden Berufsverbot.

Viele Unternehmen und Unternehmensanteile wurden weit unter dem wirtschaftlichen Wert weiterveräußert. Einige davon – z. B. das Kaufhaus Hertie  (vormals Herrmann Tietz, das größte Kaufhaus Berlins) – spielten eine wichtige Rolle in den späteren Aufbaujahren der Bundesrepublik Deutschland und sahen sich dem Vorwurf ausgesetzt, das ‚deutsche Wirtschaftswunder‘ beruhe zum Teil auf geraubten Werten.

In einem erweiterten Sinn wurde der Begriff auch auf andere Bereiche ausgedehnt, z.B. auf das Kulturleben und bezeichnete in diesem Zusammenhang die Vertreibung oder Vernichtung jüdischer Kulturschaffender und Wissenschaftler.


Literatur

  • Manuel Werner: Cannstatt – Neuffen – New York. Das Schicksal einer jüdischen Familie in Württemberg - mit den Lebenserinnerungen von Walter Marx; Nürtingen/Frickenhausen 2005; ISBN 3-928812-38-6; darin ausführliche Schilderung der ‚Arisierung‘ einer Bandweberei (Gutmann und Marx, Bad-Cannstatt und Neuffen), der Mechanismen, Vorstufen, der beteiligten Personen (z. B. der Rolle des Bürgermeisters) und Institutionen (Württembergischer Gemeindetag, Kreisleitung, Gauwirtschaftsberater, Zeitung, NS-Handels- und Gewerbeorganisation etc.), der Wirkung auf die jüdischen Inhaber und knappe Darstellung der Rückerstattung.


Siehe auch