Merkmalsintegrationstheorie
Die Merkmalsintegrationstheorie von Anne Treisman (1980) ist eine Theorie, die die Objektwahrnehmung mithilfe visueller Aufmerksamkeit erklärt und sie dazu in Stufen unterteilt.
Einteilung in Stufen
Präattentive Verarbeitung
Als erster Schritt wird dabei das Objekt in seine Merkmale zerlegt, die dadurch frei und nebeneinander bestehen (float free). Dieser Vorgang wird als Stufe der präattentiven Verarbeitung bezeichnet und läuft schnell, automatisch und unbewusst ab. Ähnliche Merkmale (z.B. blau) bilden Dimensionen (z.B. Farbe). Diese bestehen jeweils aus Detektoren, die für die entsprechenden Merkmale empfindlich sind. Ähnliche Detektoren sind wiederum in Merkmalskarten organisiert. Für jede Dimension gibt es somit eine eigene Merkmalskarte. Ein bestimmter Ort auf diesen Karten entspricht einem bestimmten Ort im visuellen Feld (Retina), der auf Reize anspricht, die auf diesen Bereich der Netzhaut fallen.
Attentive Verarbeitung
Diese übereinstimmenden Orte verschiedener Karten werden durch gerichtete Aufmerksamkeit in einer nächsten Stufe der attentiven Verarbeitung einander zugeordnet, denn hier werden die Merkmale zu einem Objekt zusammengesetzt, was insgesamt eine Bottom-Up-Verarbeitung (siehe Top-down und Bottom-up) darstellt. Über eine zentrale Ortskarte werden die Ausgangssignale der Detektoren aller Merkmalskarten an jeweils dem einen Ort verfügbar, an dem sich zu dem Zeitpunkt der Fokus der Aufmerksamkeit befindet. Dadurch werden die Merkmale miteinander verknüpft. Durch die erforderliche gerichtete Aufmerksamkeit dauert dieser Prozess länger als die Zerlegung. Den Fokus der Aufmerksamkeit vergleicht Treisman mit einer Art Lichtkegel (spotlight):befindet sich das Objekt innerhalb des "Lichtes", kann es als einheitliches Ganzes wahrgenommen werden.
4 Paradigmen
Treisman stellte 4 Paradigmen auf, die die Theorie stützen sollen.
- Visuelle Suche
- Illusorische Konjunktionen (Verbindungen)
- Texturbereichstrennung
- Identifizierung und Lokalisation
Die visuelle Suche ist hierbei am bedeutendsten.
Visuelle Suche
Die visuelle Suche nach einem möglichen Zielreiz (Target) findet in einem Suchdisplay statt, welches eine variable Anzahl von Ablenkern (Distraktoren) enthält. Ihre Merkmale können sich in den Dimensionen Farbe, Form, Bewegung usw. von den Merkmalen des Target unterscheiden (single feature search) oder eine Merkmalsverknüpfung von Distraktoren und Target darstellen (feature conjunction search). Beim POP-OUT-Effekt hebt sich der Zielreiz in seinem Merkmal von denen der Ablenker ab und springt sofort ins Auge. Aufmerksamkeit ist deshalb nicht notwendig und es wird parallel gesucht.
Die parallele Suche erfolgt präattentiv (ohne Aufmerksamkeit). Die Display- Größe hat keinen Einfluss auf die Reaktionszeit.
Wird das Display nach einem Zielreiz abgesucht, welcher sich die Merkmale mit denen der Distraktoren teilt, spricht man von einer seriellen Suche. Gerichtete Aufmerksamkeit ist erforderlich. Die Suchrate beträgt mehr als 10ms/Item. Die linear ansteigende Suchfunktion zeigt die Abhängigkeit der Reaktionszeit von der Display-Größe (je größer das Display, umso länger die Reaktionszeit).
Unterschieden wird zwischen der selbst-abbrechenden Suche (self-terminating search) und der erschöpfenden Suche (exthaustive search). Bei der selbst-abbrechenden Suche wird das Display solange abgesucht, bis der Zielreiz gefunden wurde. Dies geschieht in der Regel nachdem die Hälfte der Items abgesucht wurde (Verhältnis 2:1). Bei der erschöpfenden Suche werden alle Display- Items abgesucht, um einen möglichen Zielreiz zu finden.
Texturbereichstrennung
Die Texturbereichstrennung ist ein paralleler Prozess, der keine Aufmerksamkeit erfordert. Dafür eignen sich nur Targets, die sich in nur einem Merkmal unterscheiden, d.h. nur Features und keine Konjunktionen.
Illusorische Konjunktionen
Auf der zweiten Stufe der Merkmalsintegrationstheorie werden wie bereits erwähnt die Merkmale von der ersten Stufe mithilfe gerichteter Aufmerksamkeit zu einem kohärenten Objekt zusammen gefügt. Wenn jedoch die Aufmerksamkeit nicht auf den bestimmten Ort, wo sich das Objekt befindet, fokussiert ist, besteht die Gefahr, dass die Merkmale falsch miteinander verknüpft werden und somit eine illusorische Konjunktion entsteht.

Identifizierung und Lokalisation
Unterscheidet sich das Target in nur einem Merkmal von den Distraktoren, kann man dieses identifizieren, ohne genau zu wissen, an welcher Stelle es sich auf dem Display befindet. D.h. bei der Merkmalsbedingung funktionieren Identifizierung und Lokalisation unabhängig voneinander. Bei der Verknüpfungsbedingung muss das Target allerdings mithilfe gerichteter Aufmerksamkeit (also auf der zweiten Stufe) lokalisiert werden. Erst anschließend ist seine Identifizierung möglich.

Literatur
- Treisman, A. M., & Gelade, G. A Feature-Integration Theory of Attention. Cognitive Psychology, 1980, 12, 97-136. [1]